Drucksache 16/1118 04. 04. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Stephanie Nabinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Französische Studie „Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken“ Die Kleine Anfrage 708 vom 12. März 2012 hat folgenden Wortlaut: Eine wissenschaftliche Studie, die in der Januarausgabe des International Journal of Cancer veröffentlicht und von mehreren französischen Institutionen und Behörden finanziert wurde, hat erstmals in Frankreich den Zusammenhang zwischen Leukämie im Kindes alter und Atomkraft aufgezeigt. Diese Studie bestätigt die Ergebnisse der 2007 in Deutschland veröffentlichen KiKK-Studie, die auch zu dem Schluss kam, dass das Risiko für Kinder, an Leukämie zu erkranken, zunimmt, je näher ihr Wohnort an einem Kernkraftwerk liegt. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Gefährdung der Bevölkerung durch das grenznahe französische Atomkraftwerk Cattenom? 2. Welche Parallelen sieht die Landesregierung zwischen der französischen und der deutschen KiKK-Studie? 3. Welche Schnittmengen sieht die Landesregierung zwischen der deutschen KiKK-Studie und ähnlichen Studien, die in anderen europäischen Ländern durchgeführt wurden? 4. Hat die Landesregierung Kenntnisse darüber, warum die Fallzahlen für Leukämieerkrankungen bei Kindern nur innerhalb eines 5-km-Radius berechnet wurden, und nicht darüber hinaus bis zu 50 km in den einzelnen Entfernungsradien? 5. Ist der Landesregierung bekannt, warum in der KiKK-Studie Oberzentren/Großstädte ausgenommen wurden, wie beispielsweise Wiesbaden, Mainz und Heidelberg? Das Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 3. April 2012 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Nach Bewertung durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und der deutschen Strahlenschutzkommission (SSK) ist die zusätzliche Strahlendosis durch Ableitungen radioaktiver Stoffe mit dem Abwasser bzw. der Abluft aus Atomkraftwerken um mindestens den Faktor 1 000 zu niedrig, um nach dem bisherigen Stand des Wissens die in den vorliegenden epidemiologischen Studien beobachtete Risikoerhöhung für Leukämie bei Kindern alleine ursächlich erklären zu können. Nach dem derzeitigen Stand des Wissens sei davon auszugehen, dass ein Zusammenwirken von genetischer Veranlagung, weiteren endogenen Faktoren sowie äußeren Einflüssen , wie zum Beispiel Umweltfaktoren, zur Entstehung von Leukämie bei Kindern führen können. Die Art des Zusammenwirkens von Umweltfaktoren und genetisch bedingter Veranlagung werde derzeit noch nicht verstanden und müsse intensiv unter - sucht werden. In der französischen Geocap-Studie wurde nur im 5-km-Umkreis um die französischen Atomkraftwerke ein statistisch signifikant erhöhtes Leukämierisiko für Kinder gefunden. Das AKW Cattenom ist zwölf Kilometer von der deutschen Staatsgrenze bzw. 18 Kilo - meter von der rheinland-pfälzischen Landesgrenze entfernt, sodass auch aus diesem Grund keine Erhöhung des Leukämierisikos der rheinland-pfälzischen Bevölkerung durch den Normalbetrieb des AKW Cattenom zu besorgen ist. Die Landesregierung nimmt jedoch mit großer Sorge zur Kenntnis, dass es im AKW Cattenom immer wieder zu Zwischenfällen kommt. Die Meldungen des Betreibers über Betriebsstörungen sowie die Befunde der Inspektoren der französischen Atomaufsichts - behörde zeigen immer wieder, dass die Sicherheitskultur im AKW Cattenom verbesserungswürdig ist. Die Landesregierung unter- Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 24. April 2012 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1118 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode streicht daher ihre Auffassung, dass die Nutzung der Kernenergie eine Hochrisikotechnologie darstellt, die so schnell wie möglich beendet werden sollte. Daher setzt sich die Landesregierung dafür ein, dass das AKW Cattenom schnellstmöglich und dauerhaft abgeschaltet wird. Zu Frage 2: Die französische Geocap- und die deutsche KiKK-Studie (Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken) sind trotz einiger Unterschiede im Studienaufbau gut vergleichbar. In beiden Fällen wurde eine Fall-Kontroll-Studie durchgeführt und jeweils für Fälle (erkrankte Kinder) und Kontrollen (zufällig ausgewählte, nicht erkrankte Kinder gleichen Alters, Geschlechts und in der gleichen Region wohnend wie das zugeordnete Fallkind) der Abstand des letzten Wohnortes bzw. des Wohnortes zum Diagnosezeitpunkt zum nächstgelegenen Atomkraftwerk ermittelt. In der Geocap-Studie wurden im Gegensatz zur KiKK-Studie auch Kinder einbezogen , die zum Zeitpunkt der Diagnosestellung älter als fünf Jahre waren. Außerdem wurden in der Geocap-Studie zusätzlich dosis - basierte geografische Zonen definiert. Die Ergebnisse der beiden Studien sind trotz einiger Unterschiede vergleichbar. In beiden Studien ergab sich für den 5-km-Umkreis um die Atomkraftwerke ein signifikant erhöhtes Risiko der Kinder, an Leukämie zu erkranken. In der KiKK-Studie wurde ein nega - tiver Abstandstrend ermittelt, das heißt, das Risiko steigt mit zunehmender Nähe des Wohnortes zum AKW. Weitergehende Analysen der Daten ergaben bei der KiKK-Studie, dass der beobachtete Risikoanstieg im Wesentlichen auf den 5-km-Umkreis um die AKW begrenzt war. In der Geocap-Studie ergab sich dieses erhöhte Risiko für alle untersuchten Altersgruppen (null bis vier, fünf bis neun, zehn bis 14 Jahre), während in der KiKK-Studie nur Kinder bis zum Alter von fünf Jahren untersucht wurden. Der Hauptanteil der Leukämieerkrankungen trat bei Kindern bis zum fünften Lebensjahr auf. Bei Verwendung der dosisbasierten geografischen Zonen ergab sich bei der Geocap-Studie kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko mit der berechneten Strahlendosis. Dies unterstützt die Bewertung der Studienergebnisse durch das BfS, dass die Ableitungen radio - aktiver Stoffe mit Abwasser und Abluft aus den Atomkraftwerken um mindestens den Faktor 1 000 zu niedrig sind, um die in den Studie gefundenen Risikoerhöhungen allein ursächlich erklären zu können. Zu Frage 3: Das Ergebnis der KiKK-Studie passt neben der Geocap-Studie weiterhin gut zusammen mit dem kürzlich berichteten Befund der schweizer CANUPIS-Studie, die über ein erhöhtes, aber aufgrund der Fallzahlen nicht statistisch signifikant unterschiedliches Leukä - mie risiko bei null- bis vierjährigen Kindern berichtet, die in der Umgebung der Atomkraftwerke in der Schweiz leben bzw. geboren sind. Zu Frage 4: Sowohl in der KiKK- als auch in der Geocap-Studie wurde nur im 5-km-Umkreis um die Kernkraftwerke ein statistisch signifikant erhöhtes Leukämierisiko für Kinder gefunden. Eine Abschätzung des Anteils der Erkrankungen, die über das sogenannte spontane Erkrankungsrisiko hinaus auf das Wohnen in der Nähe eines Atomkraftwerks zurückzuführen ist, kann daher fachlich belastbar nur für die Umkreise erfolgen, in denen tatsächlich auch ein signifikant erhöhtes Erkrankungsrisiko beschrieben wurde. Zu Frage 5: Als Studienregion der KiKK-Studie wurden auf Empfehlung eines externen Beraterkreises um jeden Standort drei Landkreise bzw. kreisfreie Städte festgelegt. Die festgelegte Studienregion besteht insgesamt aus 41 Landkreisen und kreisfreien Städten in der Umgebung der 15 Standorte von Leistungsreaktoren in Deutschland. Für jeden Reaktorstandort wurde dabei der Standortlandkreis, der nächstgelegene Nachbarlandkreis (bzw. kreisfreie Stadt) sowie der nächste östlich anschließende Landkreis bzw. kreisfreie Stadt bestimmt. Entsprechend dieser Definition der Umgebung waren damit die kreisfreien Städte Wiesbaden, Mainz und Heidelberg nicht Teil der Studienregion. Die genannten Städte liegen zudem außerhalb des 5-km-Umkreises. In Vertretung: Ernst-Christoph Stolper Staatssekretär