Drucksache 16/1209 30. 04. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Dorothea Schäfer (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Finanzberatung für Seniorinnen und Senioren Die Kleine Anfrage 775 vom 4. April 2012 hat folgenden Wortlaut: Wie dem Verbrauchermagazin WISO zu entnehmen war, gibt es noch immer Fälle, in denen Seniorinnen und Senioren bei der Geldanlage von ihren Bankberatern falsch beraten werden. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung solche Vorwürfe, wonach einseitig im Interesse von Bankinstituten Seniorinnen und Senioren beraten werden? 2. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, einem aggressiven Produktvertrieb im Interesse gerade älterer Menschen Ein- halt zu gebieten? 3. Welche Maßnahmen müssen nach Ansicht der Landesregierung ergriffen werden, damit im Interesse von Verbrauchern die Finanz beratung in Angelegenheiten der Geldanlage transparenter wird? 4. Sieht die Landesregierung in dieser Problematik insgesamt, aber auch im Hinblick auf Anlageberater, die, wie etwa „Die Alten Hasen GmbH“, ältere Menschen gegen Honorar, dafür aber im Interesse ihrer Kunden in Geldfragen beraten, aus rechtlicher oder aus verbraucherschutzpolitischer Sicht Handlungsbedarf? Wenn ja, welche Möglichkeiten bestehen aus Sicht der Landesregierung ? Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 30. April 2012 wie folgt beantwortet: Bereits im Jahr 2008 hat das Verbraucherschutzministerium Rheinland-Pfalz als Folge der Finanzmarktkrise mit der Verbraucherzentrale das Förderprojekt „Ausbau der unabhängigen Finanzberatung“ initiiert. Seit November 2008 sind nunmehr Geldanlageund Altersvorsorgeberatung gegen Gebühr in allen sechs Beratungsstellen der Verbraucherzentrale möglich (zuvor nur in Mainz). Als eines der wenigen Bundesländern hat Rheinland-Pfalz damit seinen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu einer anlegerund anlagegerechten, provisionsunabhängigen Beratung gegeben. Darüber hinaus bietet die vom Land geförderte Verbraucherzentrale seit Ende des Jahres 2009 einmal pro Monat an fünf Stand orten im Land durch Honoraranwälte eine Rechtsberatung bei Falschanlagen an. Mit beiden Beratungsformen „vor Ort“ kann beispielsweise gewährleistet werden, dass eine Bewertung der Anlageform unter Berücksichtigung der finanziellen, beruflichen und familiären Situation der Verbraucherinnen und Verbraucher möglich ist. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu Frage 1: Zunächst ist festzuhalten, dass im Bereich beratungsintensiver Finanzdienstleistungen generell ein mehr oder weniger großes Ungleichgewicht zwischen dem Kenntnisstand der Anbieter und der Verbraucher besteht. Dies belegen zum einen verbraucherbe zogene Studien, aber auch im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Thema „Finanzmarktwächter“ am 21. März 2012 wurde diese Einschätzung von den Sachverständigen ver- Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 1. Juni 2012 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1209 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode treten. In dem von der Fragestellerin erwähnten Bericht des Verbrauchermagazins WISO wird ebenfalls festgestellt, dass nicht nur ältere Menschen aufgrund falscher Beratung oder mangelhafter Produkte in Kapitalanlagen investieren, die nicht ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenssituation (z. B. hinsichtlich Sparziel, Vermögenshöhe und Risikoneigung) entsprechen. Tausende Anleger tätigten spekulative Geschäfte, die mit erheblichen Risiken bis hin zum Totalverlust der Ersparnisse verbunden waren. Dies betrifft nicht nur Seniorinnen und Senioren; beispielsweise besteht auch bei benachteiligten Verbrauchern mit geringen finanziellen Ressourcen oder niedrigem Bildungsstand die Gefahr, eine falsche Entscheidung zu treffen und damit ihre soziale Absicherung zu verschlechtern . Dies ist umso gravierender, wenn die Anlage als Altersrücklage dazu beitragen soll, zumindest den Lebensstandard im Alter zu erhalten. Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen bedeutet, diese so zu gestalten, dass sie dem Konsumalltag der unterschiedlichen Verbraucher gerecht werden. Dazu muss insbesondere die Produktvergleichbarkeit klar und einfach sein und alle Kosten, Provisionen und Risiken müssen deutlich ausgewiesen werden. Die Vielzahl der Anlageformen und -produkte wie Aktien, Anleihen, Versicherungen, Fonds und bei Fonds beispielsweise die Gruppen Aktienfonds, Geldmarktfonds, Immobilienfonds werden von den Verbrauchern als komplex empfunden und sind hinsichtlich Kosten, Erträgen und Risiken nur schwer zu erfassen. Auch Motive wie Provisionen oder auch Beförderungschancen, die die Vermittler und Berater dazu verleiten, ausgewählte Finanzprodukte forciert zu vertreiben, sind für die Kunden meist nicht erkennbar. Je nach den Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der Anlegerinnen und Anleger beziehen diese bei der Bewertung der Produktinformation im Hinblick auf ihre mit der Anlage verfolgte Zielsetzung auch das Urteil und die Empfehlung des Beraters oder Vermittlers ein und werden diesem vertrauen. Zu Frage 2: Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung wurde im Januar 2010 für Banken und andere Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Pflicht eingeführt, ein Beratungsprotokoll zu erstellen und dem Verbraucher auszuhändigen. Mit der Einführung von Beratungsprotokollen sollte dem Kunden zu höherer Sorgfalt bei einer Anlageentscheidung verholfen und im Falle einer Falschberatung eine bessere Beweislage ermöglicht werden. Wesentliche den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher stärkende Änderungsvorschläge hinsichtlich Form und Inhalt des Beratungsprotokolls, die von den Ländern im Bundesrat im Rahmen der Beratungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes eingebracht und im Rahmen der Verbraucherschutzministerkonferenz im Jahr 2010 erhoben wurden, hat die Bundesregierung abgelehnt. Weiterhin lehnte die Bundesregierung die Forderung des Bundesrates ab, eine Umkehr der Beweislast für den Fall gesetzlich zu verankern , dass ein Beratungsprotokoll nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig angefertigt wird. Eine im März 2012 öffentlich vorgestellte Markterhebung der Verbraucherzentralen hat ergeben, dass die Protokollierung der Anlageberatung in ihrer jetzigen Praxis nicht geeignet ist, den Ablauf und die Inhalte der Beratungsgespräche vollständig und richtig wiederzugeben. Beispielsweise wurden Vermögen und Verbindlichkeiten nur in einem einzigen Fall vollständig dokumentiert. Kein Institut hat die Risikobereitschaft gemäß den Angaben des Testkunden dokumentiert. Kenntnisse und Erfahrungen waren in 64 Prozent der Fälle falsch angegeben oder fehlten ganz. In 88 Prozent wurde zwar etwas angeführt, was als Begründung der Anlageempfehlung behauptet wird. In 54 Prozent der Fälle handelte es sich dabei aber lediglich um Textbausteine ohne Bezug zur Anlageempfehlung . Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) hat trotz der schon seit längerem von verschiedenen Seiten geäußerten Kritik erst jetzt eine Studie über die Beratungen der Privatkunden und deren Dokumentation in Auftrag gegeben. Die Landesregierung wird den Verlauf kritisch begleiten und gegebenenfalls u. a. über die Verbraucherschutzministerkonferenz auf eine möglichst rasche Verbesserung im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher drängen. Zu Frage 3: Nach dem Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes sind Banken seit dem 1. Juli 2011 verpflichtet, Ver braucherinnen und Verbrauchern ein einheitliches Produktinformationsblatt zur Verfügung zu stellen. Wesentliche Änderungsvorschläge des Bundesrates wurden jedoch nicht in das Gesetz übernommen. Die Bundesanstalt für Finanz - dienstleistungsaufsicht (BaFin) hat mehr als 350 Produktinformationsblätter hinsichtlich ihrer Vollständigkeit und Allgemeinverständlichkeit begutachtet. Die Überprüfung ergab, dass diese nur eingeschränkt vergleichbar, fehlerhaft hinsichtlich der Bezifferung der Kosten und häufig sehr kompliziert geschrieben sind. Eine Studie des VZBV kommt zudem zu dem Ergebnis, dass zwei von drei Banken und Sparkassen ihre Pflicht zur Offenlegung der Provisionen gegenüber ihren Kunden missachten (Untersuchung im Rahmen der Initiative Finanzmarktwächter im September 2011). Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vorgeschlagen, dass durch den Gesetzgeber ein Formblatt mit standardisierten Antwortmöglichkeiten vorgegeben wird. Damit hätte der Spielraum der Anbieter weiter eingegrenzt werden können, damit für An - leger die Möglichkeit besteht, die unterschiedlichen Produkte miteinander zu vergleichen. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1209 Die Länder hatten darüber hinaus in ihrer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler - und Vermögensanlagenrechts (Gesetz zur Regelung des „Grauen Kapitalmarktes“) u. a. gefordert, dass die Billigung zur Veröffentlichung eines Verkaufsprospekts durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen zusätzlich an eine Verpflichtung des Anbieters geknüpft werden sollte, dem Verkaufsprospekt ein Gutachten beizufügen, mit dem die inhaltliche Plausibilität des Prospekts durch einen sachverständigen Dritten, z. B. einen Wirtschaftsprüfer, beurteilt wird. Dies hätte gerade auch für die Entscheidungsfindung nicht-professioneller Kunden mehr Sicherheit bedeutet. Die Bundesregierung hat den Vorstoß des Bundesrates abgelehnt. Das BMELV hat zur Qualität der Produktinformationsblätter eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse jetzt vorliegen. Nach dem Urteil der Gutachter eignen sich nur 20 Prozent der Informationsblätter zu einem Vergleich von komplexen Produkten. 40 Prozent der untersuchten waren formal unvollständig beziehungsweise unrichtig, weil sie unzulässige Angaben enthielten oder Pflichtangaben sogar ganz fehlten. Sollte es im Laufe des Jahres der Finanzwirtschaft nicht gelingen, auf freiwilliger Basis Verbesserungen und eine Vereinheitlichung herbeizuführen, hat das BMELV angekündigt, die Ausgestaltung in einer Rechtsverordnung zu konkretisieren . Die Landesregierung wird sich für eine zügige Umsetzung von Produkttransparenz (u. a. Kosten, Risiken, Verständlichkeit und Nützlichkeit der Informationen) im Sinne des Verbraucherschutzes einsetzen. Zu Frage 4: Die Länder haben bereits in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts eine schnelle Etablierung der Honorarberatung gefordert. Zur Begründung wurde u. a. auch darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn die Höhe der Provisionen umfassend offengelegt werde, noch nicht gewährleistet sei, dass sich die Empfehlungen der Anlagenvermittler tatsächlich an den Zielen der Kunden orientieren. Das BMELV legte im Juli 2011 ein Eckpunktepapier für eine gesetzliche Regelung des Berufsbildes der Honorarberatung vor. Die Landesregierung ist sich bewusst, dass auch die Vergütung der Beratung auf Honorarbasis nicht frei von Interessenkonflikten ist. Bei der Etablierung der Honorarberatung ist aus Sicht des Verbraucherschutzes u. a. eine gesetzliche Definition des Berufsbildes Honorarberater, die Pflicht zur umfassenden Information über den Status und die Vergütung sowie ein Verbot von Mischformen zwischen Honorar- und Provisionsberatung besonders zu beachten. Auch die in der Änderung der EU-Finanzmarktrichtlinie von der Kommission vorgeschlagene Definition der „unabhängigen Beratung “ sollte in die Regelung zur Honorarberatung einbezogen werden. Danach ist eine Beratung dann unabhängig, wenn eine ausreichende Anzahl von auf dem Markt angebotenen Finanzprodukten bewertet wurde. Provisionen von Dritten sollen in diesem Fall verboten werden. Beide Beratungsformen haben, unter der Bedingung von Preis- und Leistungstransparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher, ihre Berechtigung. Verbraucher sollten jedoch die Wahl zwischen Provisionsmodellen und einem Honorarberatermodell haben. Hinzu kommt, dass Verbraucher gerade bei Provisionsmodellen den Eindruck haben, die Beratung sei kostenfrei, die Beratung auf Honorarbasis dagegen teuer. Ursprünglich sollte eine Regelung zur Honorarberatung bereits in das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts aufgenommen werden. Mit dem durch Art. 5 des Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts vom 6. Dezember 2011 neu eingefügten § 34 f der Gewerbeordnung (GewO) werden zukünftig zumindest die Anforderungen an gewerbliche Vermittler von Finanzanlagen durch die Einführung eines Sachkundenachweises und einer Berufshaftpflichtversicherung als Voraussetzung für die Erteilung einer Gewerbeerlaubnis erhöht. Der neue § 34 f GewO, der zum 1. Januar 2013 in Kraft tritt, schafft einen eigenen Erlaubnistatbestand für Finanzanlagen vermittler und Finanzanlagenberater, der den Zugang zur Berufsausübung regelt. Betroffen von den Neuregelungen ist auch die von der Fragestellerin erwähnte „Alte Hasen GmbH“. Im Sinne eines einheitlichen Anlegerschutzniveaus ist zu begrüßen, dass die Informations-, Beratungs- und Dokumentations pflichten des sechsten Abschnitts des Wertpapierhandelsgesetzes, die bisher nur für Banken und Institute mit Erlaubnis nach dem Kredit - wesensgesetz gelten, auch für gewerbliche Finanzanlagenvermittler gemäß § 34 f GewO gelten sollen. In der Verordnung zur Einführung einer Finanzanlagenvermittlungsverordnung sind Detailfragen zur Sachkundeprüfung, zur Vermögensschadenshaftpflichtversicherung , zur Provisionsoffenlegung und den Beratungs- und Dokumentationspflichten geregelt. Falls es sich bei den Gewerbetreibenden mit einer Erlaubnis nach § 34 c GewO um langjährig tätige Finanzvermittler handelt, kann eine Bestandsschutzregelung zur Anwendung kommen. Danach sind Personen, die bereits seit dem 1. Januar 2006 ununterbrochen unselbstständig oder selbstständig als Anlagenvermittler oder Anlagenberater tätig waren, von der Sachkundeprüfung befreit. Die Landesregierung wird die weiteren Schritte der Bundesregierung zur Etablierung der Honorarberatung kritisch begleiten und sich für eine zügige Einführung als Alternative zur provisionsgebundenen Beratung einsetzen. Jochen Hartloff Staatsminister 3