Drucksache 16/1220 02. 05. 2012 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 1. Juni 2012 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Martin Brandl (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Politischer Extremismus im Schulunterricht Die Kleine Anfrage 776 vom 5. April 2012 hat folgenden Wortlaut: Ich frage die Landesregierung: 1. In welchen Fächern, in welchem Umfang (Stundenansatz) und im Rahmen welcher Reihenthemen sehen die derzeit gültigen Lehrpläne für die Klassenstufen 5 bis 10 an allgemeinbildenden Schulen des Landes Rheinland-Pfalz das Thema „Politischer Extre - mismus“, aufgeschlüsselt nach Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus, vor? 2. In welchen Kursen (nach Fächern), in welchem Umfang (Stundenansatz) und im Rahmen welcher Reihenthemen sehen die derzeit gültigen Lehrpläne für die gymnasiale Oberstufe an Schulen des Landes Rheinland-Pfalz das Thema „Politischer Extremismus “, aufgeschlüsselt nach Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus, vor? 3. Gibt es Wahlmöglichkeiten im Kurssystem der gymnasialen Oberstufe, bei denen Schülerinnen und Schüler keinen Unterricht zum Thema „Politischer Extremismus“ erhalten? 4. In welchem Verhältnis (Stundenansatz) sind unterschiedliche Formen von Extremismus – etwa Rechtsextremismus, Linksextre - mis mus, Islamismus – insgesamt in den Lehrplänen vorgesehen und welche Zielsetzung liegt dieser Lehrplangestaltung zugrunde? Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 2. Mai 2012 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: In der rheinland-pfälzischen Landesverfassung heißt es in Artikel 33: „Die Schule hat die Jugend zur Gottesfurcht und Nächstenliebe , Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit, zur Liebe zu Volk und Heimat, zum Verantwortungsbewusst - sein für Natur und Umwelt, zu sittlicher Haltung und beruflicher Tüchtigkeit und in freier, demokratischer Gesinnung im Geiste der Völkerversöhnung zu erziehen.“ Daran angelehnt ist Schule nach § 1 SchulG der Demokratieerziehung verpflichtet. Diese Aufgabe ist von der ganzen Schule zu leisten und kann über unterrichtliche und außerunterrichtliche Inhalte bearbeitet werden. Mit der Verpflichtung zur Demokratieerziehung ist ein positives Gegenbild zu jedwedem politischem Extremismus gesetzt. Unter - richtlich und auch außerunterrichtlich geht es also darum, präventiv gegen politischen Extremismus zu agieren. Im Bereich der Bildung muss es darum gehen, die Demokratie in und außerhalb von Schulen als Wert erlebbar zu machen und jungen Menschen über das Wissen um demokratische Institutionen und Handlungsoptionen die Teilhabe am demokratischen Staat zu ermöglichen. Schule spielt als zentraler Ort der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle bei der Erziehung verantwortungsbewusster und aktiver Bürger. Dabei ist die Schulart unwesentlich. Demokratie kann in den Grundschulen ebenso wie in berufsbildenden Schulen erlebt und erlernt werden. Kennzeichen demokratischer Schulentwicklung ist die Entwicklung vielfältiger Partizipationsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie außerschulische Partner. Schulen, die sich der Demokratieerziehung verschreiben, ermöglichen den Kindern und Jugendlichen die Mitgestaltung und Mitverantwortung in Klassenräten, in Jahrgangsstufenversammlungen, Schulparlamenten oder in Projekten zur Anerkennungskultur in Schule und Unterricht. Drucksache 16/1220 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu den Fragen 1 bis 4: Grundsätzlich unterstützen die unterschiedlichen Lehrpläne in einzelnen Themen der Jahrgangsstufen und in den fachspezifischen Lernzielen die Extremismusprävention dadurch, dass sie die Schülerinnen und Schüler in den jeweiligen Bereichen zu verantwortlichem Handeln führen wollen. Dabei ist zu erwähnen, dass Lehrpläne verbindlich und damit auch Fragen der Extremismus - prävention im Unterricht obligatorisch sind. Die gemeinschaftskundlichen Fächer befassen sich in besonderem Maße mit entsprechenden Fragestellungen. So heißt es in der für das Fach Sozialkunde grundlegenden fachdidaktischen Konzeption: „Politische Bildung muss in der Formulierung ihrer Ziele die Vielfalt und Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Werte und Normen beachten. Politische Bildung orientiert sich an dem Menschenbild, auf das sich die Grundrechte des Grundgesetzes beziehen und das auf einem Verständnis des Menschen im Spannungsfeld von individueller Freiheit und sozialer Verantwortung beruht. Politische Bildung muss versuchen, die grundlegenden Wertbezüge der Verfassung (Artikel 1 und 20 GG) interpretierend dem Verständnis der Schülerin/des Schülers als Hilfe zur Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung zu erschließen. Politische Bildung versteht daher Politik als die ständig neu gestellte Aufgabe, menschliches Zusammenleben in Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und Verantwortung für Natur und Umwelt zu gestalten , zu ordnen und zu gewährleisten; sie misst konkrete Politik an diesem Verständnis.“ Im ersten Thema im Fach Sozialkunde in der Sekundarstufe I „Jugendliche in sozialen Gruppen“ steht beispielsweise die Leitfrage „Bereitschaft, sich von Gruppen abzugrenzen, die die Individualität ihrer Mitglieder missachten und/oder menschenverachtende Gewalt befürworten“. In der Gemeinschaftskunde in der Sekundarstufe II im Grundfach Geschichte heißt es in den fachspezifischen allgemeinen Lernzielen wörtlich: „Die Schülerinnen und Schüler sollen erkennen, dass sich totalitäre Herrschaftsformen stets zu menschenverachtenden Systemen entwickeln.“ Im Teilthema 1 „Der politische Prozess im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland“ in der Gemeinschaftskunde in der Sekundarstufe II im Grundfach Sozialkunde wird ausgeführt: „Die Schülerinnen und Schüler sollen Wahlen als Legitimation von Herrschaft erklären und begründen.“ Im Fach Geschichte – Sozialkunde an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen sollen die Schülerinnen und Schüler in Lernstufe 8 erfahren, „auf welche Weise und in welchem Umfang die Diktatur [der Nationalsozialisten] die Gesellschaft und den Staat erfasste und gleichschaltete. An Beispielen ist aufzuzeigen, wie der totalitäre Staat in den Alltag des Einzelnen eingriff.“ Im Lehrplan Geschichte für die 10. Klasse an Realschulen und Gymnasien befasst sich der Stoffbereich „Deutschland nach 1945“ schwerpunktmäßig mit dem Ende der DDR und hat die folgenden verpflichtenden Inhalte: 1. Starre Selbstbehauptung auf Seiten der DDR-Spitze – Kritik der Bevölkerung. 2. Die Opposition in der Bevölkerung als wichtige politische Kraft. 3. Der Selbstbehauptungswille der DDR-Spitze und die Ablehnung von Reformen im Gegensatz zur Entwicklung in der UdSSR. 4. Die Vorstellung oppositioneller Gruppen von einer reformierten DDR. Die Lehrpläne in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern in der Sekundarstufe I befinden sich derzeit in der Überarbeitung und werden den Schwerpunkt der Demokratieerziehung noch einmal stärker herausstellen und zu diesem Zweck insbesondere die deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts eingehend und im Vergleich behandeln. Für das Fach Gemeinschaftskunde in der gymnasialen Oberstufe gilt, dass es nicht abgewählt werden kann. Nicht nur in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern, sondern auch in Lehrplänen anderer Fächer gibt es eine Vielzahl von Themen, deren Bearbeitung im Unterricht einen Beitrag zur Prävention extremistischer Strömungen leistet. So ist im Lehrplan für Katholische Religion in der Sekundarstufe II für die 12. Jahrgangsstufe das Thema „Jesus Christus und die Kirche“, Einzelthema 4 „Das Selbstverständnis von Kirche und sein Wandel unter dem Anspruch und der Herausforderung durch die Moderne“ vorgegeben. Dort finden sich die Lernziele „Die christlichen Kirchen zwischen Selbstbehauptung und Widerstand, Kollaboration und Opportunismus sowie struktureller Nähe und Distanz zu Diktaturen wahrnehmen“ und „Die Auseinandersetzung der Kirchen mit ihrem eigenen Verhalten unter autoritären und totalitären Regimen wahrnehmen und bewerten“. Im Lehrplan Evangelische Religion für die Sekundarstufe I steht für die Klassenstufen 7 und 8 das Teilthema „Mensch sein – In Verantwortung leben“. Als Lernziel ist hier „Verschiedene Möglichkeiten zum Umgang mit Konflikten entdecken und beurteilen“ vorgegeben . Dem Lernziel entsprechend ist das Thema „Biblische Friedenshoffnung und Gewaltverzicht“ zu bearbeiten. Im Lehrplan Bildende Kunst für die Sekundarstufe II findet sich im Lernbereich 5 „Kunst und Gesellschaft“ das Lernziel, „Schülerin - nen und Schüler sollen Strategien der Ästhetisierung von Politik oder der Politisierung von Kunst kennen“. Im Lehrplan Deutsch für die Sekundarstufe I findet sich der Lernbereich „Soziales Lernen“. Als Lernziel ist u. a. formuliert: „Sie [Schülerinnen und Schüler] erkennen, dass Verstehen bzw. Verständigung davon abhängt, dass die Kommunikationspartner bereit 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1220 sind, gewisse Normen und Konventionen zu akzeptieren. Sie werden angeleitet zu einem bewussten und verantwortungsvollen Sprachverhalten, das den Gesprächspartner respektiert. Sie begreifen dies als unabdingbare Voraussetzung angemessenen zwischen - menschlichen Handelns.“ Die Haltung, dass extremistischen Strömungen vor allem durch Maßnahmen der Demokratieerziehung entgegengewirkt werden kann, lässt sich auch an den vielfältigen außerunterrichtlichen Angeboten festmachen. Über Projekttage anlässlich des Mauerfalls oder am Holocaust-Gedenktag, Tage des politischen Gesprächs, die Juniorwahl, die Angebote der Zeitzeugenstelle „Zeugen der Zeit“, Schülerkongresse gegen Rechtsextremismus, jährliche Demokratietage oder Angebote zur Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern leisten Schulen Gedenkarbeit, Demokratie- und Werteerziehung und betreiben damit Extremismusprävention. Die Stichworte „Politischer Extremismus“ sowie „Rechtsextremismus“, „Linksextremismus“ und „Islamismus“ finden in den Lehrplänen in Rheinland-Pfalz keine Anwendung. Insofern können die Fragen im Wortsinne nicht beantwortet werden. In Vertretung: Hans Beckmann Staatssekretär 3