Drucksache 16/1260 23. 05. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Ingeborg Sahler-Fesel, Bettina Brück (beide SPD) und Anne Spiegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Anonymisierte Bewerbungsverfahren Die Kleine Anfrage 809 vom 3. Mai 2012 hat folgenden Wortlaut: Am 17. April 2012 wurde die Evaluierung des bundesweiten Pilotprojekts zu anonymisierten Bewerbungsverfahren im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Ergebnisse dieses Pilotprojekts? 2. Welche Maßnahmen werden hieraus für Rheinland-Pfalz gestartet? 3. Inwieweit kann bei der Realisierung eines ähnlichen Projekts in Rheinland-Pfalz auf die Arbeit und die Empfehlungen der Enquete-Kommission „Migration und Integration in Rhein land-Pfalz“ zurückgegriffen werden? Das Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 23. Mai 2012 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Die Landesregierung beurteilt die Ergebnisse positiv. Das Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ wurde Anfang des Jahres 2012 abgeschlossen. Ziel der Anonymisierung ist die Herstellung von Chancengleichheit der Bewerberinnen und Bewerber zu einer Einladung auf ein Bewerbungsgespräch. Nach jeweils zwölfmonatiger Laufzeit in den beteiligten Unternehmen und Verwaltungen wurden im Pilotprojekt insgesamt 8 550 Bewerbungen anonymisiert einbezogen. 1 293 Personen wurden zu einem Eignungstest oder einem Vorstellungsgespräch eingeladen. 246 Personen erhielten ein Arbeitsplatzangebot bzw. das Angebot eines Studien- oder Ausbildungsplatzes. Im Vordergrund der wissenschaftlichen Evaluation, die Grundlage für den Abschlussbericht war, standen die Fragen nach der Praktikabilität und Wirksamkeit der anoymisierten Bewerbungen. Wichtige Ergebnisse sind: – Das anonymisierte Bewerbungsverfahren ist aus Sicht aller Beteiligten praktikabel. Personalverantwortliche bevorzugen Bewerbungen über standardisierte Formulare; das Schwärzen von Angaben wird als arbeitsaufwendig angesehen. Diese Form wird auch von Bewerberinnen und Bewerbern akzeptiert – lediglich 25 % gaben an, dass dies einen zeitlichen Mehraufwand bedeute. – Laut Personalverantwortlichen lassen sich über das anonymisierte Bewerbungsverfahren nahezu in allen Beschäftigungsbe reichen Stellen erfolgreich besetzen. Das Fehlen persönlicher Angaben in den Bewerbungsunterlagen wie Name, Geschlecht, Alter und Familienstand stellte für die Mehrheit der Personalverantwortlichen kein Problem dar, zumal dies zu einer Fokussierung auf die Qualifikationen führe. – Einige Personalverantwortliche berichten, dass Bewerbenden, die mit dem herkömmlichen Verfahren womöglich nicht eingeladen worden wären, im Bewerbungsgespräch überzeugen konnten. Das korrespondiert damit, dass 41 Prozent der Befragten ihre Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, beim anonymisierten Verfahren höher einschätzten als beim herkömmlichen Verfahren. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 6. Juni 2012 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1260 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode – Die durchgeführten anonymisierten Bewerbungsverfahren waren auch wirksam. Innerhalb der untersuchten anonymisierten Bewerbungsverfahren war die Chance für Frauen und für Personen mit Migrationshintergrund, eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bzw. Eignungstest zu erhalten, genauso hoch wie für andere Gruppen. Frauen haben damit im Vergleich zum herkömmlichen Verfahren tendenziell bessere Chancen, zu einem Einladungsgespräch eingeladen zu werden. Für Personen mit Migra tionshintergrund wächst die Einladungschance, wenn das Unternehmen keine Diversity-Politik betreibt. Andernfalls wird dieser Personenkreis ggf. bevorzugt eingeladen, sodass dann die Einladungschance sinkt. Nach einer ersten Auswertung des Abschlussberichts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Pilotprojekt „Anonymisiertes Bewerbungsverfahren“ kommt die Landesregierung zur Einschätzung, dass anonymisierte Bewerbungsverfahren sowohl aus Sicht der Personalverantwortlichen als auch aus Sicht der Bewerberinnen und Bewerber grundsätzlich praktikabel und gemessen an dem Ziel einer chancengleichen Einladungspraxis für Vorstellungsgespräche wirksam sind. Entsprechend sehen viele Bewerberinnen und Bewerber, die am Bundespilotprojekt beteiligt waren und anschließend befragt wurden, in dem anonymisierten Bewerbungsverfahren eine Verbesserung ihrer Chancen. Bei der Beurteilung der Ergebnisse fallen eine Reihe von Vorteilen für die Verwaltungen und Unternehmen als Anbieterinnen und Anbieter von Arbeitsplätzen auf: – Diskriminierungsfreiheit für die erste Stufe eines Auswahlverfahrens und Kompatibilität mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ; – Erschließen von Personalressourcen auch als Beitrag zur Deckung des Fachkräftebedarfs vor dem Hintergrund des demografischen Wandels; – Imagegewinn für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Die Landesregierung kann auf den Ergebnissen des Pilotprojekts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aufbauen. Ein auf Rheinland -Pfalz zugeschnittenes Verfahren bietet die Chance zur positiven Gestaltung von Vielfalt in Unternehmen und Verwaltungen und zur Erhöhung der Chancengerechtigkeit bei der Teilhabe am Arbeitsmarkt für Gruppen, die heute dort zum Teil noch benachteiligt werden. Zu Frage 2: Die Landesregierung wird nach Abschluss der Auswertung des Berichts einen Vorschlag für ein rheinland-pfälzisches Pilotprojekt zu anonymisierten Bewerbungsverfahren innerhalb der Landesverwaltung vorlegen. Es ist beabsichtigt, auch die kommunale Ebene und mittelständische Wirtschaftsunternehmen als Partner für ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren zu gewinnen. Der Kommunalbereich kann hierbei z. B. von der Stadt Celle – Teilnehmerin beim Bundespilotprojekt – profitieren. Diese Kommune hat nach positiven Erfahrungen mit dem anonymisierten Bewerbungsverfahren bereits vor Ablauf des Pilotprojekts entschieden, es als Standard einzuführen. Aus dem Bereich der Unternehmen konnte die Landesregierung das am Bundespilotprojekt beteiligte mittelständische Unternehmen „mydays“ unterstützend gewinnen. Um aus den Ergebnissen eines rheinland-pfälzischen Pilotprojekts heraus Empfehlungen und Angebote für eine nachhaltige und verstetigte Umsetzung des anonymisierten Bewerbungsverfahrens zu entwickeln, ist beabsichtigt, dieses Projekt evaluieren zu lassen. Zu Frage 3: Die Landesregierung kann an die 13. Empfehlung der Enquete „Migration und Integration“ zu Ausbildungssituation und Arbeitssituation von Migrantinnen und Migranten anknüpfen. In dieser Empfehlung wird auf die Einrichtung einer Datenbank für anony - misierte Bewerbungen von Jugendlichen hingewiesen, die im Rahmen des Programms der Landesregierung „Job-Fux“ mit einer Indus trie- und Handelskammer eingerichtet wurde. Die Enquete befürwortete anonyme Bewerbungsverfahren. Es heißt dort wörtlich : „Sind Bewerberinnen- und Bewerberdaten anonym, hat die Herkunft keinen Einfluss mehr auf die Erfolgschancen. Dadurch können Zuschreibungen von Unternehmen gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die ihre Ausbildungschancen einschränken , besser aufgehoben und das dringend benötigte Qualifizierungspotenzial dieser jungen Generation besser genutzt werden.“ Irene Alt Staatsministerin