Drucksache 16/1280 31. 05. 2012 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 6. Juni 2012 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Wolfgang Reichel und Gerd Schreiner (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Drogenkriminalität in Mainz Die Kleine Anfrage 831 vom 10. Mai 2012 hat folgenden Wortlaut: Der Presse ist zu entnehmen, dass im städtischen Drogenhilfezentrum Café Balance eine Razzia stattgefunden hat. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wo gibt es Beratungsangebote im Sinne der „akzeptierenden Drogenhilfearbeit“ in Rheinland-Pfalz? 2. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Razzia im Café Balance in der Stadt Mainz? 3. Wie bewertet die Landesregierung den Ansatz der „akzeptierenden Drogenhilfearbeit“ von dem Hintergrund der Ereignisse in Mainz? 4. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung über die Drogenszene und die damit in Verbindung stehende Kriminalität in Mainz vor bzw. wie hat sich die Beschaffungskriminalität in den letzten Jahren entwickelt? 5. Welche Aufklärungs- bzw. Präventionsarbeit speziell zum Thema Drogen(missbrauch) wird derzeit an Mainzer Schulen durch- geführt (bitte nach Schularten gesondert aufführen)? 6. Nimmt die Landesregierung eine Neubewertung ihrer Drogenpolitik – hier insbesondere die straffreie Abgabe von 10 g Canna - bis – vor? Wenn nein, warum nicht? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 30. Mai 2012 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Bei der akzeptierenden Drogenarbeit steht nicht die Entwöhnung der Klientinnen und Klienten im Mittelpunkt. Vielmehr geht es um die Verbesserung der Lebensumstände, Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge und der Stabilisierung. Ziel ist es, den suchtkranken Menschen, die aufgrund ihrer Konsumgewohnheiten nur schwer den Kontakt zum Hilfesystem herstellen können, den Zugang ohne Verpflichtung zur Abstinenz zu erleichtern. Entsprechende Angebote werden im rheinland-pfälzischen Suchthilfesystem als „niedrigschwellig“ bezeichnet. Niedrigschwellige Angebote lösen die herkömmliche „Komm-Struktur“ der Beratungsstellen auf, indem die Klientinnen und Klienten in ihren alltäglichen Lebenssituationen angesprochen werden. Sie sind ein integraler Bestandteil des Suchthilfesystems und werden in Rheinland-Pfalz über das Fachkräfteprogramm „Aufsuchende Sozialarbeit“ aus Landesmitteln gefördert. Landesweit wurden zwölf Suchtberatungsstellen mit einer oder mehreren Fachkräften nach dem Fachkräfteprogramm verstärkt, was insgesamt rund 23 Vollzeitäquivalenten entspricht. Suchtberatungsstellen an folgenden Orten sind so personell verstärkt worden: Bad Kreuznach, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Koblenz (5), Landau, Ludwigshafen (5,5), Mainz I, Mainz II (2), Neustadt, Pirma - sens, Trier, Westerburg, Worms (2). Abhängig von der jeweiligen regionalen Konzeption werden vor Ort Kontaktläden, Notschlafstellen und/oder lebenspraktische Hilfen in Form von Körper- und Kleiderhygiene sowie warmen Mahlzeiten und Ge tränken angeboten. Drucksache 16/1280 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu Frage 2: Die Staatsanwaltschaft Mainz hat dem Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz berichtet, dass aufgrund von Zeugenaussagen ein konkreter Anfangsverdacht gegen zwei im „Café Balance“ tätige Sozialarbeiter wegen des Verdachts der Gewährung einer Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln bestehe und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Es solle mehrfach im „Café Balance“ zwischen Besuchern zu Heroinverkäufen gekommen sein, was die Beschuldigten erkannt und geduldet haben sollen. Im Rahmen der zur Verifizierung dieser Erkenntnisse aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Mainz durchgeführten Durchsuchung im „Café Balance“ seien dort auch Haftbefehle vollstreckt worden, die das Amtsgericht Mainz gegen zwei in jeweils gesonderten Ermittlungsverfahren Beschuldigte wegen des Verdachts des unerlaubten Handel treibens mit Heroin erlassen hat. Die Staatsanwaltschaft Mainz und das Polizeipräsidium Mainz haben am 8. Mai 2012 die Beschlüsse des Amtsgerichts Mainz vollzogen . Insgesamt waren 104 Polizeikräfte und zwei Staatsanwältinnen in den Einsatz eingebunden. Zum Zeitpunkt des Zugriffs befanden sich 60 Einsatzkräfte am „Café Balance“ bzw. im Objekt selbst. 26 Personen sind von der Polizei kontrolliert worden. Die Polizei hat mehrere Sicherstellungen durchgeführt. Zu Frage 3: Suchthilfe will den Betroffenen frühzeitige und bedarfsgerechte Hilfen vermitteln. Da der Ausstieg aus der Sucht aber nicht linear verläuft, orientieren sich die Angebote an der Problemlage des Einzelnen und seiner Mitwirkungsbereitschaft. Dazu gehört es auch, unterschiedliche Möglichkeiten der Kontaktaufnahme bereitzuhalten, wie in Anlage 2 (Rahmenleistungsbeschreibung der Suchtberatungsstellen) der Verwaltungsvorschrift „Förderung sozialer Beratungsstellen“ (MinBl. 2010 S. 100 ff.) ausgeführt wird. Suchtkranke, die noch keine Abstinenzentscheidung getroffen haben, können über niedrigschwellige Angebote an das Hilfesystem herangeführt werden. In vielen Fällen sind die Angebote auch Überlebenshilfen. Niedrigschwelligkeit ist nicht gleichzusetzen mit Regellosigkeit. Da die konsumierten Substanzen illegal und die Konsumentinnen und Konsumenten damit kriminalisiert sind, legen niedrigschwellige Einrichtungen ein besonderes Augenmerk darauf, Drogenkleinhandel zu unterbinden und gegebenenfalls auch Hausverbote zu verhängen. Dass dies nicht immer vollständig gelingt, ist auch aus anderen Institutionen bekannt, die mit drogenabhängigen Menschen arbeiten. Zu Frage 4: Gemäß der Polizeilichen Kriminalstatistik sind die Fallzahlen der Rauschgiftdelikte im Stadtgebiet Mainz in den letzten fünf Jahren rückläufig. Bei der direkten Beschaffungskriminalität, die unmittelbar der Erlangung von Betäubungsmitteln oder Ersatzstoffen dient, ist innerhalb der Stadt Mainz ein Anstieg festzustellen. Hinsichtlich der indirekten Beschaffungskriminalität, bei der es sich hauptsächlich um schwer aufklärbare Delikte der Eigentums - kriminalität handelt, bewegt sich die Fallzahl für 2011 im Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Zuordnung zur indirekten Beschaffungskriminalität nur aufgrund geklärter Fälle möglich ist. Eine Recherche des Bundeskriminalamtes in der Falldatei Rauschgift hinsichtlich „Erstauffälliger Konsumenten harter Drogen“ mit Tatort Mainz ergaben für das Jahr 2010 insgesamt 82 erstauffällige Konsumenten, für das Jahr 2011 72 erstauffällige Konsumenten. Zu Frage 5: Suchtprävention ist ein pädagogischer Auftrag jeder Schule (§ 1 Abs. 2 Schulgesetz Rheinland-Pfalz). Konkretisiert wird dieser Auftrag in der Verwaltungsvorschrift „Suchtprävention in der Schule und Verhalten bei suchtmittelbedingten Auffälligkeiten“ vom 28. Februar 2011 (Amtsbl. 2011, S. 200). 2 2007 2008 2009 2010 2011 Betäubungsmitteldelikte insgesamt 1 020 988 1 018 898 808 2007 2008 2009 2010 2011 direkte Beschaffungskriminalität 6 28 14 20 32 2007 2008 2009 2010 2011 indirekte Beschaffungskriminalität 242 242 170 284 243 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1280 Danach ist Suchtprävention von jeder einzelnen Schule als kontinuierlicher und langfristig laufender Prozess anzulegen und im pädagogischen Alltagshandeln zu verankern. Alle Maßnahmen müssen in ein nachhaltiges Präventionskonzept eingebettet werden, das die besonderen Lebenslagen und Konfliktsituationen von Mädchen und Jungen gleichermaßen berücksichtigt. In diesem Zusammenhang hat das Bildungsministerium in Kooperation mit dem Büro für Suchtprävention der Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e. V. eine „Grundausbildung Suchtprävention RLP“ entwickelt. Das Büro für Suchtprävention der Landeszentrale für Gesundheitsförderung bietet Fortbildungen für Lehrkräfte und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an. Zur Schulung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden die Programme MOVE und SKOLL umgesetzt. Ziel von MOVE – MOVE „Motivierende Gesprächsführung mit konsumierenden Jugendlichen“ – ist es, mit Hilfe von Gesprächstechniken und -konzepten den Zugang zu konsumierenden Jugendlichen zu finden und zu gestalten. Das SKOLL-Selbstkontrolltraining richtet sich mit einem zehnwöchigen Kurs an Suchtmittel konsumierende Personen und rückt den Aspekt der Früherkennung und Frühintervention in den Mittelpunkt. Fachkräfte aus Mainz sind in beiden Programmen geschult und setzen vor Ort eigene Fortbildungsmaßnahmen um, an denen auch Lehrkräfte Mainzer Schulen teilnehmen. Für Lehrkräfte, die mit ihren Schülerinnen und Schülern Peergruppenprojekte umsetzen möchten, bietet das Büro für Suchtprävention Fortbildungen zur Durchführung von Schülermultiplikatorenseminaren an. Die Fortbildung „Auf der Suche nach…“ schult Lehrkräfte darin, Schülerinnen und Schüler zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auszubilden, die suchtpräventive Inhalte an Gleichaltrige weitergeben. Peer-to-peer-Projekte bilden einen wichtigen Ansatz in der schulischen Suchtprävention. Begleitend zu der Fortbildung wurde ein Leitfaden herausgegeben, der die Lehrkräfte bei der Umsetzung des Multiplikatoren projektes unterstützt. Auch Lehrkräfte aus Mainz nehmen an diesem Fortbildungsangebot teil. Im Regionalen Arbeitskreis Suchtprävention (RAK) Mainz arbeiten Mainzer Schulen und Beratungsstellen intensiv zusammen. Koor diniert werden die landesweit 38 RAK von der Landeszentrale für Gesundheitsförderung (LZG). Neben der regelmäßigen Teilnahme von Arbeitskreismitgliedern an den Fachveranstaltungen des Büros für Suchtprävention bildet sich aktuell eine ArbeitsUnter gruppe aus den Suchtberatungslehrkräften der weiterführenden Schulen in Mainz. Das Büro für Suchtprävention der LZG unterstützt hier die fachliche Einbindung. Maßnahmen einzelner Schulen werden nicht erfasst. Das Polizeipräsidium Mainz führt seit Jahren Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen zum Thema „Drogenmissbrauch“ an Mainzer Schulen durch. Diese finden unter Federführung des „Zentrums Polizeiliche Prävention (ZPP)“ unter Beteiligung des „Hauses des Jugendrechts“ und der Polizeiinspektionen statt. Inhaltlich werden sowohl legale (Alkohol, Medikamente) als auch illegale Drogen thematisiert. Aufgezeigt werden vor allem die nega tiven Auswirkungen von Drogen im sozialen Leben als auch rechtliche Konsequenzen. Bei der Präventionsarbeit kommen sogenannte „Rauschbrillen“, elektronische Medien sowie Printmedien als Hilfsmittel zum Einsatz. In 2012 hat die Polizei Mainz an folgenden Mainzer Schulen Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt: – Sophie-Scholl-Schule (weiterführende Schule), – Otto-Schott-Gymnasium, – Gymnasium Theresianum „Verkehrssicherheitstag“, – Berufsfachschule Mainz „Verkehrssicherheitstag“, – Realschule plus 2 Mainz-Lerchenberg. Zudem gab es noch zwei Veranstaltungen in einer Mainzer Fahrschule. Zeitnah umgesetzt werden Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen an folgenden Schulen: – Theresianum Gymnasium, – Ludwig-Schwamb-Schule IGS, – Krankenpflegeschule Mainz. Darüber hinaus erfolgten Aufklärungsmaßnahmen am staatlichen Studienseminar sowie am Otto-Schott-Gymnasium zur Sensibilisierung von Lehrkräften für das Thema Drogenkriminalität. Zu Frage 6: Zunächst ist klarzustellen, dass die Abgabe von Betäubungsmitteln – insbesondere auch nicht die von zehn Gramm Cannabis – nicht straffrei ist. Die zu Jahresbeginn in Kraft getretene Richtlinie zur Anwendung von § 31 a des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) in Betäubungsmittelsachen betreffend Haschisch und Marihuana sieht lediglich vor, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung nach § 31 a BtMG in der Regel absieht, wenn sich die Tat auf nicht mehr als zehn Gramm Haschisch oder Marihuana bezieht, der oder die Beschuldigte diese Menge lediglich zum Eigenverbrauch angebaut, hergestellt, eingeführt, durchgeführt, erworben, in sons - tiger Weise beschafft oder besessen hat und eine Fremdgefährdung ausgeschlossen ist. Bei anderen Betäubungsmitteln entscheidet die Staatsanwaltschaft nach Einzelfallprüfung. 3 Drucksache 16/1280 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zuvor war eine Höchstmenge von sechs Gramm vorgesehen. Die Erhöhung dieser Eigenbedarfsgrenze ändert aber nichts an der grundsätzlichen Strafbarkeit eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Sie umfasst insbesondere auch nicht Verfahren gegen Beschuldigte wegen der Abgabe oder des Verkaufs von Betäubungsmitteln. Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sind also weiterhin grundsätzlich als kriminelles Unrecht zu verfolgen. Die Richtlinie ermöglicht es den Strafverfolgungsbehörden, differenziert auf einen – illegalen – Drogenbesitz zu reagieren und den Betäubungsmittelhandel von dem Erwerb und Besitz durch therapiebedürftige Drogensüchtige, hilfebedürftige Gelegenheitskonsumenten oder „Probierer“ abzugrenzen. Die Weitergabe, der Verkauf von und der Handel mit illegalen Drogen bleiben unver - ändert strafbar und sind nicht zu tolerieren. Drogenhändler werden konsequent verfolgt. Eine Neubewertung der Drogenpolitik der Landesregierung ist daher nicht veranlasst. Roger Lewentz Staatsminister 4