Drucksache 16/1294 06. 06. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp und Dr. Tanja Machalet (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rentenreformpaket Die Kleine Anfrage 839 vom 10. Mai 2012 hat folgenden Wortlaut: Am 22. März 2012 hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales das sogenannte Rentenreformpaket vorgestellt. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung diese Ergebnisse? 2. Wie beurteilt die Landesregierung in diesem Kontext Vorschläge, die Beiträge zur Rentenversicherung zu senken? 3. Welche Maßnahmen sind nach Ansicht die Landesregierung zielführend, um die Rentenversicherung zukunftsfest zu machen? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 5. Juni 2012 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Landesregierung hält das sogenannte Rentenreformpaket in der bislang vorgelegten Fassung für ergänzungs- und überarbeitungsbedürftig . Im Einzelnen: Zuschussrente: Bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen sollen die Entgeltpunkte für Zeiten ab 1992 auf maximal einen Entgeltpunkt pro Jahr verdoppelt werden, bis eine Obergrenze von Entgeltpunkten erreicht ist, die einem Rentenbetrag von derzeit circa 850 Euro brutto entspricht. Übersteigt das Einkommen des Berechtigten zusammen mit der Zuschussrente den dynamischen Freibetrag von derzeit circa 850 Euro brutto, wird Einkommen angerechnet. Dabei bleiben allerdings Leistungen der zusätzlichen betrieblichen und geförderten privaten Altersvorsorge und Leistungen aus Zusatzbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung unberücksichtigt. Angerechnet wird auch das Einkommen von Ehe- und Lebenspartnern; hier gilt ein – ebenfalls dynamischer – Freibetrag von insgesamt circa 1 700 Euro brutto. Die Landesregierung lehnt die Zuschussrente ab. Die wichtigsten Kritikpunkte sind: Wegen der Einkommensanrechnung wird das Versicherungsprinzip der Rentenversicherung mit dem Fürsorgeprinzip der Grundsicherung vermischt. Dies untergräbt die Legiti - ma tion der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Voraussetzungen der Zuschussrente sind streng. Altersarmut kann nicht wirksam verhindert werden. Dies betrifft zum Beispiel Langzeitarbeitslose oder erwerbsgeminderte Personen, die in der Regel ausgeschlossen bleiben. Die Zuschussrente führt zu Doppelbürokratie. Eine Bedarfsprüfung findet gegebenenfalls durch die Rentenversicherung und durch die Grundsicherungsbehörden nach jeweils unterschiedlichen Kriterien statt. Häufig wird dies keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Höhe des Einkommens haben. Erwerbsminderungsrente: Die Zurechnungszeit soll parallel zur Einführung der Rente mit 67 vom 60. Lebensjahr bis zum 62. Lebensjahr verlängert werden. Wer vor dem 62. Lebensjahr eine Erwerbsminderungsrente bezieht, wird nach der Übergangsphase damit so gestellt, als hätte er bis zum 62. Lebensjahr mit seinem bisherigen durchschnittlichen Verdienst weiter gearbeitet. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 18. Juni 2012 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1294 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Die Verlängerung der Zurechnungszeit ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Allerdings sollte die Verlängerung unter Verzicht auf die lange Übergangsphase in einem Zug eingeführt werden. Zusätzlich plant das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Methode zur Bewertung der Zurechnungszeit zu verbessern. Künftig sollen Einkommenseinbußen in den letzten vier Jahren vor der Erwerbsminderung keinen negativen Einfluss mehr auf die Bewertung der Zurechnungszeiten haben. Die Landesregierung bewertet diese Maßnahme grundsätzlich positiv. Allerdings sollte nicht nur ein negativer Einfluss dieser Einkommenseinbußen auf die Bewertung der nachfolgenden Zurechnungszeit verhindert werden. Geboten wäre darüber hinaus, diese Einkommenseinbußen selbst rentenrechtlich zu neutralisieren. Der Eintritt einer Erwerbsminderung hat sich zu einem ernst zu nehmenden Armutsrisiko entwickelt. Vor diesem Hintergrund sollte geprüft werden, ob es weitere Möglichkeiten gibt, das Risiko der Erwerbsminderung besser abzusichern. Dies betrifft auch die zusätzliche Altersvorsorge und die Absicherung von Selbstständigen. Freiwillige Zusatzbeiträge: Arbeitgeber sollen die Möglichkeit erhalten, zusätzliche Rentenversicherungsbeiträge zu Gunsten ihrer Arbeitnehmer zu zahlen. Die Möglichkeit von Zusatzbeiträgen ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Maßnahme reicht jedoch nicht aus, um einerseits einen Ausgleich für Rentenabschläge bei vorzeitigem Rentenbezug zu ermöglichen und andererseits die verbleibenden Lücken bei der zusätzlichen Altersvorsorge zu schließen. Reha-Budget: Ab dem Jahr 2017 soll vorübergehend eine geringfügige Lockerung des Budgets der Rentenversicherungsträger erfolgen. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geplante Maßnahme ist nach Ansicht der Landesregierung zaghaft und kommt zu spät. Das Budget ist heute schon sehr angespannt. Im Zuge des steigenden Durchschnittsalters der Belegschaften, des sich abzeichnenden Fachkräftemangels und steigender Altersgrenzen erhalten die Leistungen zur Teilhabe durch die gesetzliche Rentenversicherung eine größere Bedeutung. Kombi-Rente: Das Kombi-Renten-Modell soll Personen, die die Altersgrenze für einen vorgezogenen Rentenbeginn erreicht haben, die Möglichkeit geben, mit einer reduzierten Arbeitszeit länger als bisher im Erwerbsleben zu verbleiben. Bei einem Rentenbezug vor Erreichen der Regelaltersgrenze ermöglichen Hinzuverdienst und (Teil-)Rente zukünftig ein Gesamteinkommen in Höhe des zuletzt versicherten Bruttoverdienstes. Zur Berechnung der für jeden Rentenbezieher individuellen Hinzuverdienstgrenze soll das Jahr mit dem höchsten sozialversicherungspflichtigen Einkommen aus den letzten 15 Kalenderjahren herangezogen werden. Übersteigt der Hinzuverdienst diese Grenze, soll die Rente „centgenau“ um den Überschreitensbetrag auf eine „individuelle“ Teilrente gekürzt werden. Die Kombi-Rente ist nach Ansicht der Landesregierung ein Fortschritt. Leider schafft sie jedoch keine Möglichkeiten, eine Teilrente zu beziehen, bevor die Voraussetzungen für eine Altersvollrente erfüllt sind. Die Kombi-Rente bietet deshalb keine zusätzliche Möglichkeit für beruflich oder gesundheitlich besonders Belastete, einen gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben zu einem früheren Zeitpunkt zu beginnen. Hierfür ist das Konzept der stufenlosen Kombi-Rente nicht gedacht und auch nicht geeignet. Um diese Voraussetzung für die Einführung der Rente mit 67 zu schaffen, müsste das Konzept der Kombi-Rente deshalb nochmals überarbeitet werden. Vorsorgepflicht für Selbstständige: Die Altersvorsorgepflicht gilt für alle Selbstständigen mit Ausnahme von bereits anderweitig abgesicherten Personen. Der Versicherungszwang bezieht sich nicht auf die gesetzliche Rentenversicherung, sondern kann auch durch eine andere Form der Vorsorge erfüllt werden. Die Pflicht zur Absicherung gilt bis zur Grenze einer Basissicherung. Ausgenommen sind Selbstständige im rentennahen Alter (über 50-Jährige) sowie nebenberuflich oder geringfügig bis 400 Euro pro Monat verdienende Selbstständige. Für selbstständig Tätige zwischen 30 und 50, die vorgesorgt haben oder vorsorgen, gibt es Ausnahme- beziehungsweise Befreiungsregelungen . Im Gegenzug zur Einführung einer generellen Altersvorsorgepflicht werden bisherige Versicherungspflichtregelungen für Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung abgeschafft (insbesondere Handwerkerpflichtversicherung). Die Landesregierung lehnt die Eckpunkte des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ab. Weil eine Absicherung außerhalb der Rentenversicherung zugelassen ist, wird die Chance zu einer Weiterentwicklung der Rentenversicherung hin zu einer Erwerbstätigenversicherung vertan. Die bestehende Versicherungspflicht für Selbstständige soll zumindest teilweise sogar abgeschafft werden. Die Gruppe der solidarisch in die Rentenversicherung Einbezogenen wird also nicht größer, sondern wahrscheinlich sogar kleiner werden. Das Ziel einer Basissicherung ist fragwürdig. Es ist unklar, ob die Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos einbezogen ist. Die Reichweite der Übergangs- und Ausnahmeregelungen lassen einen großen Teil der Betroffenen außen vor. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1294 Verbraucherfreundliches Riestern: Vorgesehen ist die Einführung eines Produktinformationsblattes, das einen Vergleich der Produkte erleichtern soll. Bestimmte Kos - tenteile sollen gedeckelt werden. Die Wechsel-Kosten sollen auf 150 Euro begrenzt werden. Darüber hinaus sollen bei einem Anbieterwechsel keine erneuten Abschluss- und Vertriebskosten anfallen dürfen. Riester-Produkte sollen künftig besser kontrolliert werden. Die Sanktionen gegenüber den Anbietern werden verstärkt. Es ist eine Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vorgesehen. Das Bundesministerium der Finanzen prüft, ob die verpflichtende Weitergabe der Risikoüberschüsse an die Kunden von 75 Prozent auf 90 Prozent erhöht werden kann. Die wissenschaftliche und verbraucherschutzpolitische Kritik an der Riester-Rente hat nach Ansicht der Landesregierung offensichtlich gemacht, dass es großen Handlungsbedarf gibt. Die Vorschläge der Bundesregierung sind eine erste, wenngleich späte und unzureichende Reaktion. Eine Stärkung des Verbraucherschutzes bei der Riester-Rente ist dringend notwendig. Wie wirksam eine Umsetzung der Vorschläge des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wäre und welcher zusätzliche Verwaltungs- und Kontrollaufwand entsteht, ist derzeit noch nicht absehbar. Die Eckpunkte gehen über die wichtige Frage hinweg, ob und gegebenenfalls wie die Gewichte der drei Säulen des Alterssicherungssystems vor dem Hintergrund der anhaltenden Finanz- und Kapitalmarktkrise angepasst werden sollten. Ebenso fehlt eine Überprüfung, ob beziehungsweise wie die Riester-Förderung zielgenauer gemacht werden sollte. Die Landesregierung vermisst zudem Vorschläge, wie das Erwerbsminderungsrisiko auch in der zusätzlichen Altersvorsorge besser abgesichert werden könnte. Zu 2.: Auch wenn die gesetzliche Rentenversicherung derzeit Überschüsse erwirtschaftet, hält es die Landesregierung für einen Fehler, den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung abzusenken. Sinnvoller wäre es, die Nachhaltigkeitsrücklage weiter aufzubauen . Beitragssatzsenkungen verringern den Spielraum, um notwendige Maßnahmen für eine höhere Armutsfestigkeit der Renten zu finanzieren. Zu 3.: Die Landesregierung hält insbesondere eine vorausschauende Strategie für zielführend, die an einer Stärkung der Erwerbsbiografien und damit der Versicherungsbiografien ansetzen müsste. Hierzu gehören die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns und eine Zurückdrängung prekärer Beschäftigung, die Beseitigung von Lohndiskriminierung zwischen den Geschlechtern, eine auf Risikogruppen orientierte Arbeitsmarktpolitik, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und eine zukunftsweisende Bildungspolitik . Hinzu kommen müssen eine angemessene Ausgestaltung der Rentenversicherungspflicht sowie Maßnahmen, um Schwächen in den Versicherungsbiografien gezielt auszugleichen. Die Landesregierung hält es zudem für dringlich, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um die Anhebung der Altersgrenzen für alle Betroffenen zumutbar zu machen. Malu Dreyer Staatsministerin 3