Drucksache 16/1399 06. 07. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp, Friederike Ebli und Peter Wilhelm Dröscher (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Gesetzentwurf zur Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen (Psych-Entgelt) Die Kleine Anfrage 905 vom 21. Juni 2012 hat folgenden Wortlaut: Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen künftig die voll- und teilstationäre Behandlung psychisch kranker Menschen nicht mehr krankenhausindividuell vereinbart, sondern nach landeseinheitlichen Entgelten vergütet werden. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung den oben genannten Gesetzentwurf? 2. Sind aus Sicht der Landesregierung Nachbesserungen am genannten Gesetzentwurf nötig? 3. Sind der Landesregierung kritische Stellungnahmen von Ärzten und Kliniken aus Rheinland-Pfalz zu diesem Gesetzentwurf be- kannt? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 5. Juli 2012 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Der Gesetzentwurf greift die Vorgabe des § 17 d des Krankenhausfinanzierungsgesetzes aus dem Jahr 2009 auf, auch für die stationäre Akutversorgung im Bereich Psychosomatik und für die Psychiatrie ein leistungsorientiertes, pauschalierendes Vergütungssystem einzuführen. Bleibt es bei dem vorliegenden Gesetzentwurf, dann ist allerdings zu befürchten, dass sich die Situation der psychiatrischen Krankenhäuser und Fachabteilungen und damit die Rahmenbedingungen für die Behandlung der Patientinnen und Patienten eher verschlechtern als verbessern werden: Einem deutlich höheren Dokumentations- und Erfassungsaufwand und drohenden finanziellen Einbußen der Kliniken stehen derzeit noch keine absehbaren Verbesserungen in der Versorgung gegenüber. Durch die weitgehende Anlehnung an die DRG-Systematik für den Bereich der somatischen Erkrankungen ist zu befürchten, dass die besonderen Bedürfnisse psychisch kranker Menschen und die Besonderheiten des psychiatrischen und psychosomatischen Versorgungssystems nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Internationale Erfahrungen belegen, dass besonders die derzeit geprüfte Einführung diagnosebezogener Fallpauschalen in der Psychiatrie ein Irrweg wäre. Anders als somatische Erkrankungen verlaufen psychische Erkrankungen individuell höchst unterschiedlich. Entsprechend individuell muss auch die Behandlung erfolgen, deren Dauer gleichfalls nicht zu vereinheitlichen ist. Fallpauschalen setzen hingegen auf Vereinheitlichung und bergen damit die Gefahr, dass den individuellen Bedürfnissen nach Dauer und Ausgestaltung der Behandlung nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Das gilt auch und gerade für psychisch kranke Kinder und Jugendliche und für die am schwersten erkrankten Patientinnen und Patienten. Bei den psychosomatischen und psychiatrischen Krankenhäusern werden durch die Einführung des neuen landeseinheitlichen Preissystems anstelle der bisherigen krankenhausindividuellen Budgets Umverteilungseffekte zwischen den Kliniken eintreten. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 24. Juli 2012 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1399 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Die sich daraus ergebenden Effekte können zurzeit noch nicht quantifiziert werden; voraussichtlich sind im Frühjahr 2013 erste Aussagen zu Gewinnern und Verlierern möglich. Die Folge werden Anpassungsmaßnahmen der Kliniken hinsichtlich ihres Leis - tungsspektrums und der Zahl ihrer Leistungen sein. Der Gesetzentwurf ist als Omnibus-Gesetz gestaltet und enthält auch eine Vielzahl von Bestimmungen zur allgemeinen Krankenhausfinanzierung . Leider aber keine wesentlichen Verbesserungen für diese. Der neu geschaffene Veränderungswert, der die Veränderungsrate nach § 71 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ablöst, löst die Kostenprobleme der Krankenhäuser nicht, weil nur zusätzlich 40 Prozent des Unterschieds zwischen der alten Veränderungsrate nach § 71 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und den tatsächlichen Kostensteigerungen (abgebildet durch den neuen Orientierungswert ) zu Gunsten der Krankenhäuser weitergegeben werden. Im somatischen Bereich sogar nur bis zu einem Drittel. Deswegen hat Rheinland-Pfalz Anträge zur Anrufung des Vermittlungsausschusses (Bundesrat/Bundestag) gestellt, und zwar zu fachlichen und zu finanziellen Aspekten. Darüber hinaus hat Rheinland-Pfalz noch einen Entschließungsantrag zum Fachteil insgesamt gestellt. Zu 2.: Das Gesetz muss unbedingt ergänzt und weiterentwickelt werden, damit der erreichte Stand bei der Behandlung psychisch kranker Menschen in Deutschland nicht gefährdet wird, sondern nach modernen Maßstäben qualitativ weiterentwickelt werden kann. Das Finanzierungssystem muss so gestaltet werden, dass die sektorenübergreifende Behandlung gestärkt und die Fragmentierung der stationären, teilstationären und ambulanten Krankenhausbehandlung zu Gunsten der Behandlung „aus einer Hand“ überwunden werden kann. Konkret hält die Landesregierung folgende Nachbesserungen für erforderlich: 1. Mindestens die volle Weitergabe des Orientierungswertes zur Refinanzierung der Kostensteigerungen sowohl für die somatischen als auch die psychosomatischen Krankenhäuser. 2. Weitere Nachbesserungen im finanziellen Bereich, vor allem bei der Mehrleistungsproblematik und den Auswirkungen von Mehrleistungen auf den Landesbasisfallwert beziehungsweise -preis. 3. Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse psychisch kranker Kinder und Jugendlicher und die Besonderheiten des Fachgebietes der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. In jedem Land sollte ein Modellvorhaben zur kinder- und jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Versorgung vereinbart und die Ergebnisse dieser Modellvorhaben für die Weiter entwicklung des Vergütungssystems unmittelbar genutzt werden. 4. Den Bedürfnissen chronisch erkrankter Patientinnen und Patienten muss besonders Rechnung getragen werden. Es muss sichergestellt sein, dass das neue Entgeltsystem nicht etwa Anreize zur Schlechterstellung besonders schwer erkrankter Patientinnen und Patienten schafft, indem Patientinnen und Patienten privilegiert werden, die besser von strukturierten Behandlungsangeboten profitieren können. Außerdem sind alle Anreize zu verhindern, die eine unsachgemäße Verkürzung von Verweildauern und die Erhöhung der Wiederaufnahmeraten begünstigen. 5. In den Auftrag zur Entwicklung des Vergütungssystems muss ausdrücklich ein Systemvergleich zwischen der Regelversorgung und den in Modellvorhaben realisierten sektorübergreifenden Ansätzen aufgenommen werden. Dazu muss der Entwicklungsauftrag um die Vorgabe erweitert werden, Vergütungsformen zu entwickeln und zu erproben, die eine patientenzentrierte, bedarfsorientierte und sektorenübergreifende Versorgung ermöglichen. Hierbei sind sowohl die deutschen wie auch die internationalen Erfahrungen mit alternativen Finanzierungsformen, wie etwa patientenbezogenen Jahresbudgets oder Regionalbudgets, einzubeziehen. 6. Schließlich ist es erforderlich, dass die Bundesregierung eine trialogisch besetzte Expertenkommission beruft, die eine fachlich fundierte Prozessbegleitung sicherstellt und dabei vor allem die Auswirkungen der neuen Rahmenbedingungen auf die Qualität der Versorgung überprüft. Zu 3.: Der Landesregierung sind kritische Stellungnahmen der Krankenhausgesellschaft und einzelner Krankenhäuser sowie von einzelnen Vertretern sowie Mitarbeitern der psychiatrischen Krankenhäuser bekannt. Diese verweisen auch auf diverse Stellungnahmen von Fachverbänden und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Am 4. Juni 2012 war eine Delegation von Chefärzten der Psychiatrie in das Ministerium zu einem Gedankenaustausch eingeladen. Die Kliniken teilen die von mir geäußerte Kritik am Gesetzentwurf und befürchten, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen finanziellen Belastungen, der hohe Dokumentationsaufwand sowie vor allem die fehlenden Anreize für eine moderne sektorenübergreifende Versorgung zu einer Verschlechterung in der Versorgung führen können. Malu Dreyer Staatsministerin