Drucksache 16/1411 11. 07. 2012 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 30. Juli 2012 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Bettina Dickes und Martin Brandl (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Haltung der Landesregierung zu Aussagen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur bisherigen Politik der schulischen Inklusion in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 903 vom 22. Juni 2012 hat folgenden Wortlaut: Wir fragen die Landesregierung: 1. Teilt die Landesregierung die Aussage der bildungspolitischen Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass das derzeitige Bildungssystem „selektiv und ausgrenzend“ sei und noch immer eine „Kultur der Beschämung“ aufweise? 2. Strebt die Landesregierung in der Frage der Inklusion einen „Systemwechsel“ an, wie es der Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert? 3. Teilt die Landesregierung die Bewertung der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der derzeitigen Struktur aus Schwer- punktschulen und Förderschulen als „Zwischen schritt“ mit dem langfristigen Ziel des gemeinsamen Lernens aller Kinder? 4. Mit welchen Maßnahmen will die Landesregierung die schulische Inklusion bis 2016 vor dem Hintergrund weiterentwickeln, dass für diesen Themenbereich lediglich 200 Voll zeitäquivalente zusätzlich bereitgestellt werden sollen? Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 9. Juli 2012 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Die Landesregierung nimmt die Herausforderungen der am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention an, in der sich Deutschland und alle sechzehn Länder verpflichtet haben, den Kindern und Jugendlichen, deren Erziehungsberechtigte dies für ihr Kind nachfragen, die Teilhabe an inklusivem Unterricht zu ermöglichen. Mit dem Konzept der Schwerpunktschulen ist Rheinland-Pfalz auf einem guten Weg, inklusive Bildung systemisch stärker in allgemeinen Schulen zu verankern . Die Zielperspektiven und Maßnahmen dazu finden sich im Aktionsplan der Landesregierung vom 25. März 2010. Auf diesem Aktionsplan basieren auch die bildungspolitischen Grundsätze, die sich im Koalitionsvertrag über die Zusammenarbeit der regierungstragenden Parteien von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die 16. Legislaturperiode widerspiegeln. Diese sind handlungsleitend für die bildungspolitischen Entscheidungen der Landesregierung. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu Frage 1: Die in der Frage zitierte Formulierung „selektiv und ausgrenzend“ im Zusammenhang mit dem Schulsystem geht unter anderem auf die Bewertung des Deutschen Schulsystems durch den UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz zurück. Der zitierte Ausdruck „Kultur des Beschämens“ wird in der Pädagogik konzeptionell in Abgrenzung zu einer „Kultur der Wertschätzung“ gebraucht. Sie wird in der Wissenschaft aktuell wieder stärker verwendet, seitdem die Wirkungen insbesondere von Zurückstellungen bei der Einschulung , Klassenwiederholungen, Überweisungen auf eine Förderschule, Zulassungsvoraussetzungen für den Übergang auf eine weiterführende Schule, Schulformwechsel und das Verlassen der Schule ohne Abschluss neu in den Blick genommen wurden. Drucksache 16/1411 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Im Koalitionsvertrag ist verankert, dass die Landesregierung für ein qualitätvolles und sozial gerechtes Bildungssystem einsteht, das allen Schülerinnen und Schülern ermöglicht, ihre Talente und Fähigkeiten zu entwickeln und das niemanden zurücklässt. Das Schulgesetz bestimmt in § 1, dass es Aufgabe und Auftrag aller Schularten ist, Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern, sie zu einem möglichst guten Abschluss zu führen und so Aufstiegsorientierung und Durchlässigkeit zu leben. Und weiter: „Alle Schulen wirken bei der Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit“ (§ 1 Abs. 2 Satz 4). Dazu steht die Landesregierung uneingeschränkt. Zu den Fragen 2 und 3: Die Weiterentwicklung der schulischen Inklusion erfolgt auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung. Die Verankerung des vorbehaltlosen Elternwahlrechts für den Lernort von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen oder mit sonderpädagogischem Förderbedarf stellt in der Tat einen Paradigmenwechsel dar. Die Koalitionspartner haben in der Koalitionsvereinbarung festgehalten: „Wir wollen, dass Eltern von Kindern mit Behinderungen über die Schulform für ihre Kinder selbst entscheiden können. Dazu werden wir im Schulgesetz als weiteren Schritt auf dem Weg zur Inklusion ein Wahlrecht zwischen Förderschulen und integrativen/inklusiven Angeboten in der Regelschule verankern. Wir wollen dabei verstärkt Regelschulen in die Lage versetzen, mit sonderpädagogischer Unterstützung solche Angebote vorzuhalten, wie dies bei den Schwerpunktschulen bereits der Fall ist.“ Die Leitperspektiven und -ideen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sind im Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verankert, der unter Beteiligung des Landesbeirats zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen erarbeitet wurde. Da es sich um einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag handelt, der einen Entwicklungsprozess erfordert, formuliert dieser Aktionsplan bewusst Visionen, Ziele und Maßnahmen, die die Richtung der Entwicklung beschreiben. Zu Frage 4: Die Umsetzung des bildungspolitischen Ziels der schulischen Inklusion wird unter Berücksichtigung des Aktionsplans der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, dem Beschluss des Landtags „Integration und Inklusion in rheinland-pfälzischen Bildungseinrichtungen“ sowie der Gleichstellungsgesetzgebung schrittweise erfolgen. Als nächster bedeutender Schritt ist die Änderung des Schulgesetzes zur Verankerung des Elternwahlrechts zwischen Förderschule und inklusiven Angeboten vorgesehen. Die Schwerpunktschulen im Land haben eine gute und sachgerechte Personalausstattung. Aktuell sind rund 600 Stellen im System, die mit Förderschullehrkräften und pädagogischen Fachkräften besetzt sind. Bis zum Ende der Legislaturperiode sind für den weite - ren Ausbau der Schwerpunktschulen 200 zusätzliche Stellen vorgesehen. Doris Ahnen Staatsministerin