Drucksache 16/1485 09. 08. 2012 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 30. August 2012 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Matthias Lammert (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Häuser des Jugendrechts in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 978 vom 23. Juli 2012 hat folgenden Wortlaut: Die Landesregierung hat es sich ausweislich zum Ziel gemacht, in allen Polizeipäsidien in Rheinland-Pfalz ein Haus des Jugendrechts zu etablieren. Damit sollen nach dem Willen der Landesregierung die Verfahrensabläufe durch die Zusammenführung von Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe sowie freien Trägern „unter einem Dach“ optimiert werden. In Ludwigshafen, Mainz und Kaiserslautern wurden mittlerweile solche Häuser errichtet, in Trier sollte eine solche Einrichtung im Frühjahr dieses Jahres eröffnet werden, jedoch gab es immer wieder Verzögerungen. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie ist der Sachstand bezüglich des Hauses des Jugendrechts in Trier? 2. Aus welchen Gründen wurde bislang im Polizeipräsidium Koblenz die Einrichtung eines Hauses des Jugendrechts nicht voran- getrieben? Ist hier in naher Zukunft mit dem Bau einer solchen Einrichtung zu rechnen? 3. Plant die Landesregierung, die Einrichtung der Häuser des Jugendrechts in andere Städte in Rheinland-Pfalz auszuzweiten? Wenn ja, in welchen Städten und welchem Zeitraum? Wenn nein, aus welchen Gründen? 4. Welche Erkenntnisse zieht die Landesregierung aus der bisherigen Arbeit der Häuser des Jugendrechts? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 9. August 2012 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Das eigens zu diesem Zweck geplante und ausgebaute Haus des Jugendrechts in Trier wird am 24. August 2012 offiziell seiner Bestimmung übergeben. In den Räumen dieser teilweise denkmalgeschützten Immobilie in der ehemaligen Gneisenau-Kaserne werden künftig das Sachgebiet Jugend der Polizeidirektion Trier, die Bundespolizei, die Staatsanwaltschaft Trier mit eigener Geschäftsstelle, die Jugendgerichtshilfe der Stadt Trier und die Jugendgerichtshilfe der Kreisverwaltung Trier-Saarburg sowie die freien Träger Starthilfe e. V. und Don Bosco Helenenberg unter einem Dach zusammenarbeiten. Zudem ist anzumerken, dass auch das Jobcenter Trier im gleichen Gebäude eine Niederlassung eingerichtet hat. Eine Besonderheit des Hauses des Jugendrechts Trier besteht darin, dass neben der Jugendgerichtshilfe der Stadt Trier auch die Jugendgerichtshilfe der Kreisverwaltung Trier-Saarburg als fester Kooperationspartner in diesem Hause vertreten ist. Hierdurch ist gewährleistet, dass in dieser Einrichtung über das Stadtgebiet Trier hinaus auch Fälle aus angrenzenden Verbandsgemeinden bearbeitet werden. Zudem wird Trier erstmals in Rheinland-Pfalz auch die Bundespolizei, die für jugendliche und heranwachsende Täter mit Tatort Bahnanlagen und Zügen zuständig ist, als sechster Kooperationspartner dauerhaft im Haus des Jugendrechts vertreten sein. Drucksache 16/1485 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu Frage 2: Die Arbeitsgruppe „Haus des Jugendrechts“, bestehend aus Vertretern der Stadtverwaltung Koblenz, der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, des Polizeipräsidiums Koblenz, des Caritasverbandes Koblenz e. V., des Vereins Bewährungshilfe Koblenz, des Jugendhilfswerks Koblenz e. V. und der Bewährungshilfe am Landgericht Koblenz, hatte im August 2010 ein Konzept für die Errichtung des Hauses des Jugendrechts vorgelegt. Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Koblenz hatte sich in seiner Sitzung vom 7. September 2010 für die Errichtung eines Hauses des Jugendrechts auf Grundlage dieser Konzeption ausgesprochen. Die Stadt Koblenz hat im Mai 2011 allerdings mitgeteilt, dass aufgrund der schwierigen Haushaltslage der Stadt keine finanziellen Mittel für die Umsetzung des Projekts „Haus des Jugendrechts“ zur Verfügung stehen und daher das Konzept seitens der Stadt Koblenz vorläufig nicht umgesetzt werden kann. Dies ist gleichzeitig der letzte und auch aktuelle Sachstand. Das grundlegende Konzept für die in Rheinland-Pfalz in allen fünf Oberzentren angestrebten Häuser des Jugendrechts sieht vor, dass sowohl Dezernenten der Staatsanwaltschaft, polizeiliche Jugendsachbearbeiter und Mitarbeiter des Jugendamts bzw. der Jugendgerichtshilfe und Mitarbeiter freier Träger „unter einem Dach“ zusammenarbeiten. Um das ursprüngliche Konzept – und den Begriff „Haus des Jugendrechts“ – weiterhin beizubehalten, wird nach wie vor eine Zusammenarbeit aller Beteiligten und nicht nur zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft auch für Koblenz angestrebt. Es soll auch an dem fünften Standort in Rheinland-Pfalz ein Haus des Jugendrechts eingerichtet werden, in dem neben Polizei, Staatsanwaltschaft und anderen freien Trägern auch das Jugendamt als Kooperationspartner unter einem Dach zusammenarbeiten. Das Polizeipräsidium Koblenz hat bei der Polizeidirektion Koblenz das „Gemeinsame Sachgebiet Jugend“ eingerichtet, welches örtlich für das gesamte Stadtgebiet Koblenz zuständig ist. Dies ist ein Zwischenschritt, der eine spätere Eingliederung der Polizei in ein „Haus des Jugendrechts“ vereinfachen dürfte. Zu Frage 3: Die Einrichtung von Häusern des Jugendrechts ist nach dem ursprünglichen Konzept in den fünf rheinland-pfälzischen Ober zentren vorgesehen, da dort die „logistischen“ Voraussetzungen (Sitz von Polizeipräsidium, Staatsanwaltschaft und Jugendamt) vorhanden sind. Seit 2005 wurden dementsprechend in Ludwigshafen, Mainz, Kaiserslautern und nunmehr auch in Trier Häuser des Jugendrechts gegründet. Zum Sachstand in Koblenz wird auf die Ausführungen zu Ziffer 2 verwiesen. Auch unterhalb der Ebene der Oberzentren gibt es in Rheinland-Pfalz zahlreiche integrative Kooperationsmodelle, die auf dem Grundgedanken der Häuser des Jugendrechts aufbauen, jedoch außerhalb einer gemeinsamen baulichen Einrichtung entwickelt und umgesetzt werden. Seit Oktober 2008 wird in Bad Kreuznach das „Gemeinsame Konzept von Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendämtern zur Beschleunigung und Optimierung von Jugendstrafverfahren in der Stadt und im Landkreis Bad Kreuznach“, das auch als „Bad Kreuznacher integrierte Ermittlungen in Jugendstrafverfahren“ oder kurz: „KIDS“ bezeichnet wird, umgesetzt. Kernstück dieses Konzepts sind regelmäßig stattfindende Fallkonferenzen. Unter Fallkonferenzen sind Besprechungen zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Stadt- bzw. Kreisjugendamt zu verstehen, die in Fällen, in denen von der Strafverfolgung abgesehen werden kann (Diversion), die Bestimmung der erzieherischen Maßnahme und in Fällen, in denen eine Diversion nicht in Betracht kommt, die Festlegung der weiteren Vorgehensweise (Zwangsmaßnahmen, unverzügliche Anklageerhebung, flankierende jugendhilferecht liche Maßnahmen) zum Ziel haben. Seit August 2011 finden Fallkonferenzen auch für den Bereich des Amtsgerichts Idar-Oberstein statt. Um eine Kontinuität der Sachbearbeitung bei der Staatsanwaltschaft zu gewährleisten, wurden zwei „KIDS“-Dezernenten benannt, die nicht nur die Termine wahrnehmen, sondern auch die Verfahren weiter bearbeiten und die getroffenen Absprachen zeitnah umsetzen. Im Landgerichtsbezirk Landau wurde im Mai 2009 die Durchführung regelmäßiger Fallkonferenzen beim Amtsgericht Kandel als Pilotprojekt der Gesamtkonzeption des „Virtuellen Hauses des Jugendrechts“ institutionalisiert. Diese unterscheidet sich von dem in Bad Kreuznach praktizierten Konzept dadurch, dass sie neben Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendgerichtshilfe zusätzlich den Jugendrichter in den Teilnehmerkreis der Fallkonferenzen aufgenommen hat. Dem Jugendrichter obliegt auch die Organisation der Fallkonferenzen, die einmal monatlich im Anschluss an eine Sitzung des Jugendgerichts durchgeführt werden. Nach den positiven Erfahrungen in Kandel ist die Durchführung von Fallkonferenzen auch an den Amtsgerichten in Germersheim und Bad Bergzabern eingerichtet worden. In Kandel und Germersheim findet die Fallkonferenz einmal monatlich statt, in Bad Bergzabern werden sie bedarfsabhängig einberufen und durchgeführt. Für den Amtsgerichtsbezirk Landau finden seit Juli 2010 vereinzelte Fallkonferenzen statt, die durch die zuständigen Jugendstaatsanwältinnen am Sitz der Staatsanwaltschaft organisiert werden. In Zweibrücken ist auf Grundlage des „Gemeinsamen Konzepts von Staatsanwaltschaft, Jugendgerichten, Polizei und Jugendämtern zur Beschleunigung und Optimierung der Abläufe in Jugendstrafverfahren in Zweibrücken, Pirmasens und im Kreis Südwestpfalz “ die bereits bestehende gute und enge Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit der Polizei und Vertretern der Jugendgerichtshilfe weiter intensiviert worden. Sofern es erforderlich ist, erfolgt frühzeitig eine Kontaktaufnahme durch die Jugendsachbearbeiter der Polizei mit den zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft, um das weitere Vorgehen, auch in 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1485 Zusammenarbeit mit der Jugendgerichtshilfe, abzustimmen. Nach den dortigen Erfahrungen erschien ein fester Termin zur Durchführung von Fallkonferenzen als oftmals nicht geeignet, zeitnah eine Abstimmung des Vorgehens zu erreichen. Stattdessen setzen sich die Beteiligten telefonisch oder per E-Mail in Verbindung, um so schnellstmöglich die zu ergreifenden Maßnahmen abzustimmen . Des Weiteren finden nach individueller Absprache Fallkonferenzen unter Beteiligung des jeweils zuständigen Jugendstaatsanwalts , der Polizei und eines Mitarbeiters des Jugendamtes statt. Anfang 2011 hat die Staatsanwaltschaft Mainz gemeinsam mit den Leitern der Polizeidirektion Bad Kreuznach und der Polizei - direktion Mainz sowie der Leiterin des Jugendamtes beim Landkreis Mainz-Bingen unter dem Arbeitstitel „KIDS Mainz“ ein regionales integratives Kooperationskonzept zur Beschleunigung und Optimierung von Jugendstrafverfahren im Landkreis MainzBin gen erarbeitet. Die Konzeptionierung basiert auf dem Projekt „Bad Kreuznacher integrierte Ermittlungen in Jugendstraf - verfahren – KIDS“. Auch in Mainz sind zentrales Element dieses Konzepts regelmäßig sowie anlässlich eines aktuellen Einzelfalls stattfindende Fallkonferenzen der Vertreter der Kooperationspartner (Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendamt). Ebenfalls basierend auf dem Projekt „Bad Kreuznacher integrierte Ermittlungen in Jugendstrafverfahren – KIDS“ wurde 2011 das Konzept des regionalen integrativen Kooperationsmodells zur Beschleunigung und Optimierung von Jugendstrafverfahren im Dienstbezirk der Polizeiinspektion Wittlich/des Amtsgerichtsbezirks Wittlich „KIWI“ erarbeitet. Auch hier sind zentrales Element regelmäßige sowie anlässlich eines aktuellen Einzelfalls stattfindende Fallkonferenzen der Vertreter der Kooperationspartner Staatsanwaltschaft , Polizei und Jugendamt. Mit Rundschreiben des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur vom 2. März 2011 über die Aufgaben und Zuständigkeiten innerhalb der Polizeipräsidien wurde für den Bereich der Jugenddelinquenz das Wohnortprinzip verbindlich eingeführt. Danach orientiert sich die polizeiliche Zuständigkeit nicht mehr am Tatort, sondern am Wohnort des Jugendlichen. Hierdurch erfolgt eine sinnvolle Angleichung an die Organisation der Staatsanwaltschaft und des Jugendamts. Mit Änderung der Ver - waltungsvorschrift zur Organisation der Polizei vom 2. März 2011, wonach bei allen Polizeiinspektionen am Standort einer Kriminalinspektion in der Fläche gemeinsame Sachgebiete „Jugend“ einzurichten sind, hat das Ministerium des Innern, für Sport und Integration die organisatorischen Voraussetzungen für den weiteren Ausbau und die Festigung integrativer Kooperations - modelle auch in der Fläche weiter verbessert. Die polizeilichen Ermittlungen gegen einen bestimmten minderjährigen Tatverdächtigen erfolgen hier grundsätzlich durch die gleiche Polizeidienststelle und durch denselben Sachbearbeiter bzw. durch dieselbe Sachbearbeiterin. Zu Frage 4: Wesentliche Ziele der Häuser des Jugendrechts sind die Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten, eine wirkungsvollere und ange - messenere Reaktion auf delinquentes Verhalten und die Stärkung präventiver Ansätze. Einerseits sollen bei Normverletzungen so rasch wie möglich Grenzen gesetzt werden, um Einsicht in das Fehlverhalten zu vermitteln (Erziehungsgedanke) und weitere Straf - taten zu vermeiden (Sekundärprävention). Andererseits sollen zugleich individuelle Hilfe und Unterstützungsangebote vermittelt werden können, damit auch die Ursachen und Hintergründe fehllaufender Bewältigungsstrategien bearbeitet werden können. Beides muss jeweils einen komplementären Bestandteil der Reaktion auf delinquentes Verhalten darstellen, wie zahlreiche Studien zur Begegnung der Jugendkriminalität immer wieder einfordern. Sowohl eine Evaluation des Ludwigshafener Hauses des Jugendrechts als auch die bisherigen Erfahrungen der Kooperationspartner aller Häuser des Jugendrechts in Rheinland-Pfalz bestätigen, dass die angestrebten Verfahrensverkürzungen erreicht wurden und sich die Kooperationsqualität der Partner merklich verbessert und auf einem hohen Niveau eingespielt hat. Dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts entsprechende Entscheidungen und Maßnahmen erfolgen in diesen Einrichtungen nicht nur rascher, sondern stellen auch mehr als bisher eine auf das Fehlverhalten des Minderjährigen und seine Person passende, individuell abgestimmte Reaktion dar. Diese Erfahrungen bestätigen die bisherige Überzeugung der Landesregierung, dass Häuser des Jugendrechts ein probates und zeitgemäßes Mittel zur wirkungsvollen Bekämpfung der Delinquenz von Jugendlichen und Heran - wachsenden darstellen. Die positiven Erfahrungen aus den Häusern des Jugendrechts in Rheinland-Pfalz haben dazu geführt, einzelne erfolgreiche Zusammenarbeitsformen, wie zum Beispiel die Durchführung von gemeinsamen Fallkonferenzen, auch in den integrativen Kooperationsformen außerhalb der Oberzentren zu institutionalisieren. Auf die Ausführungen zu Frage 3 wird verwiesen. Roger Lewentz Staatsminister 3