Drucksache 16/1566 05. 09. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Stephanie Nabinger und Dietmar Johnen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Sicherheit des belgischen Atomkraftwerks Tihange Die Kleine Anfrage 1017 vom 15. August 2012 hat folgenden Wortlaut: Die belgische Regierung hat kürzlich angekündigt, das 37 Jahre alte Atomkraftwerk Tihange in Huy bei Lüttich – 90 Kilometer von Prüm entfernt – bis 2025 weiter zu betreiben. Fast gleichzeitig wurde bekannt, dass fast zwei Liter radioaktives Wasser täglich aus einem Kühlbecken der Anlage austreten; in diesem Stahlbetonbecken, das rund 1 500 Kubikmeter Wasser fasst, werden benutzte Kernbrennelemente gekühlt. Die belgische Atomaufsicht hat den Betreiber des Kraftwerks, den Energiekonzern Electrabel, bereits 2006 darauf hingewiesen, dass radioaktiv verseuchtes Wasser auf das Gelände des Atomkraftwerks austrete. Laut Medienberichten habe Electrabel die undichte Stelle damals ausfindig machen wollen, doch bis heute sei dies nicht geschehen. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie stuft die Landesregierung die Sicherheit des AKW Tihange ein, wenn ein gravierender Sicherheitsfehler erst nach Jahren ent- deckt und dann nicht behoben wird? 2. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, dass dieser Vorfall den deutschen Behörden gemeldet wurde? Wurde den zustän- digen deutschen Behörden mitgeteilt, um was für einen Störfall es sich handelte bzw. wie schwerwiegend der Störfall war? 3. Welche Maßnahmen gibt es seitens der ADD bei einem gravierenden Störfall im AKW Tihange? 4. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, dass es für das AKW Tihange eine Katastrophenübung – ähnlich wie bei dem AKW Cattenom – geben wird? 5. Hat die Landesregierung Kenntnis darüber, ob und gegebenenfalls wie das austretende Wasser aufgefangen und entsorgt wird? Wurde in der Umgebung des AKW Tihange und auf deutschem Gebiet eine erhöhte radioaktive Strahlung festgestellt? Das Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 4. September 2012 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Das belgische Atomkraftwerk Tihange macht immer wieder mit Negativmeldungen wie beispielsweise einem Leck im Brennelementlagerbecken von sich reden. Jetzt hat die belgische Regierung aufgrund befürchteter zukünftiger Engpässe bei der Stromerzeugung beschlossen, die Laufzeit des Blocks Nr. 1 im AKW Tihange um zehn Jahre zu verlängern. Die belgische Atomaufsichtsbehörde sieht für diesen Fall zwar besondere Auflagen wie ein Alterungsmanagement für Betriebssysteme sowie zusätzliche Sicherheitssysteme für das Atomkraftwerk vor, die Risiken der Atomenergie lassen sich jedoch auch mit zusätzlichen technischen Maßnahmen niemals sicher beherrschen. Dies gilt in besonderem Maße für die alten Atomkraftwerke mit ihrem antiquierten technischen Design und den durch jahrzehntelange Nutzung beanspruchten Anlagensystemen. Das wird auch durch die nach Jahrzehnten Betriebsdauer festgestellten Risse im Reaktordruckbehälter des belgischen AKW Doel bestätigt. Mittlerweile besteht auch für den Block Nr. 2 des AKW Tihange der Verdacht auf solche Risse. Die Vorkommnisse in den belgischen Anlagen belegen aufs Neue, dass Atomkraft eine nicht beherrschbare Hochrisikotechnologie darstellt. Ich habe daher Bundesumweltminister Altmaier angeschrieben und aufgefordert, sich im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit mit Nachdruck für die sofortige und dauerhafte Abschaltung des AKW Tihange einzusetzen. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 14. September 2012 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1566 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu Frage 2: Es handelt sich bei dem Leck im Brennelementlagerbecken um ein Ereignis der INES-Stufe 0 (unterhalb der Skala, keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung), für das es keine internationale Meldepflicht gibt. Der Vorfall wurde dem hierfür zuständigen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit daher nicht gemeldet. Zu Frage 3: Ein Teil der sogenannten Fernzone (100-km-Radius) des AKW Tihange liegt auf rheinland-pfälzischem Gebiet. Hier sieht die Katastrophenschutzplanung im Falle eines Unfalles oder Störfalles die Ausgabe von Jodtabletten an Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr sowie an Schwangere in den möglicherweise betroffenen Gebieten vor. Außerdem ist vorgesehen – je nach Lage – die Bevölkerung vor dem Verzehr von frisch geernteten Lebensmitteln zu warnen. Im Übrigen können weitere Maßnahmen wie z. B. der Einsatz von Messdiensten, das Verbleiben im Haus sowie die Evakuierung von Personen angeordnet werden. Hierzu wird auf die Katastrophenschutzplanung der Landkreise und kreisfreien Städte im Rahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr verwiesen. Die Entscheidungen zu Katastrophenschutzmaßnahmen in der Umgebung kerntechnischer Anlagen werden zwar von der ADD getroffen, die diesbezüglichen Umsetzungsplanungen wie z B. zur Ausgabe von Jodtabletten sowie weitergehende allgemeine Katastrophenschutzplanungen werden aber von den für den Brand- und Katastrophenschutz verantwortlichen kommunalen Aufgabenträgern erstellt und im Einsatzfall auch von diesen umgesetzt. Zu Frage 4: Der Landesregierung ist nicht bekannt, ob und wann die belgischen Behörden im Hinblick auf das Atomkraftwerk Tihange eine Katastrophenschutzübung planen. Zu Frage 5: Nach belgischen Pressemeldungen treten beim Block Nr. 1 des AKW Tihange aus einem Leck in der inneren Edelstahlhülle des Brennelementlagerbeckens seit sechs Jahren täglich bis zu zwei Liter radioaktiv kontaminiertes Wasser aus. Das Leck konnte bisher noch nicht gefunden werden. Nach einer Mitteilung der belgischen Atomaufsichtsbehörde (AFCN) wird das Wasser im Zwischenraum zwischen der Edelstahlhülle und dem Betonbecken aufgefangen. Das aufgefangene Wasser wird gemeinsam mit den anderen kontaminierten Betriebswässern im AKW Tihange aufbereitet, um die für eine Ableitung in die Maas geltenden atomrechtlichen Grenzwerte einzuhalten. Die dabei zurückgehaltenen radioaktiven Stoffe werden als radioaktiver Abfall entsorgt. Nach dem Bericht der belgischen Atomaufsichtsbehörde (AFCN) aus dem Jahr 2011 kam es bei den gasförmigen und flüssigen Ableitungen aus dem AKW Tihange zu keinen Überschreitungen der Grenzwerte. Die aktuellen Radioaktivitätsmesswerte in der direkten Umgebung des AKW Tihange sind nach dem Bericht der AFCN nicht erhöht und gegenüber den vorhergehenden Jahren unverändert. Auch auf rheinland-pfälzischem Gebiet wurden keine erhöhten Radioaktivitätsmesswerte festgestellt. Eveline Lemke Staatsministerin