Drucksache 16/1696 16. 10. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Thorsten Wehner, Kathrin Anklam-Trapp und Marcel Hürter (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Antibiotika-Abgabe und Antibiotika-Einsatz in Landwirtschaft und Tier medizin Die Kleine Anfrage 1105 vom 27. September 2012 hat folgenden Wortlaut: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat erstmals Zahlen der Antibiotika-Abgabe in der Tiermedizin veröffentlicht. Die von der Weltgesundheits organisa tion (WHO) und der Weltorganisation für Tiergesundheit in der Verwendung als eher kritisch eingestuften Antibiotika wie Fluorchinolone und Cephalosporine der 3. und 4. Gene ration werden in der Tiermedizin eher selten eingesetzt und betragen weniger als ein Prozent. Diese Wirkstoffe sind als Reserveantibiotika für die Humanmedizin von Bedeutung. Die DIMDI-Arzneimittelverordnung vom 24. Februar 2010 legt fest, wie die Erfassung der Gesamtmenge der abgegebenen Stoffe mit mikrobieller Wirkung an Tierärzte in Deutschland jährlich zu erfolgen hat. Dies ist für das Jahr 2011 erfolgt. Ein direkter Zusammenhang zwischen den Abgabemengen und der Behandlungshäufigkeit einzelner Tierarten lässt sich jedoch bislang nicht herstellen. Insgesamt wurden im Jahr 2011 in der Tierhaltung mehr als doppelt so viele Antibiotika eingesetzt als von der Bundesregierung angenommen. Anti biotika dürfen nur zur Behandlung kranker Tiere eingesetzt werden. Eine verantwortungsbewusste , differenzierende und sachliche Debatte ist weiter notwendig. Wir fragen die Landesregierung im Hinblick auf die Situation in Rheinland-Pfalz: 1. Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass durch den Bund bislang keine Auf schlüs selung der Daten nach Tierarten (Lebensmittel liefernde Tiere und Hobbytiere) erfolgt? 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Notwendigkeit von weiterer Transparenz bei der Antibiotika-Abgabe in der Tiermedizin auch im Hinblick auf eine Eindämmung von Anti biotika-Resistenzen? 3. Wie bewertet die Landesregierung das Risiko im Land, dass Rückstände, die Tiere nach der Anwendung ausscheiden, in Boden, Gewässer und das Grundwasser gelangen können, etwa auch beim Ausbringen von Gülle? 4. Hält die Landesregierung die Schaffung einer neuen bundesweiten Datenbank für sinnvoll und zielgerichtet, um den Länder- behörden einen besseren Kenntnisstand beim Tiermedikamenteneinsatz in der Tiermedizin zu verschaffen oder auch im Hinblick auf eine verbesserte Kontrolle? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 15. Oktober 2012 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Erfassung von Daten zur Abgabenmenge von Antibiotika in der Tiermedizin erfolgte durch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in Köln auf Basis der entsprechenden DIMDI-Arzneimittelverordnung vom 24. Februar 2010 erstmalig für das Jahr 2011. Das DIMDI ist eine im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit angesiedelte Einrichtung, die professionell im Internet fundiertes Medizinwissen anbietet und auf einer eigenständigen IT-Plattform wissenschaftliche Datenbanken zu Arzneimitteln, Medizinprodukten, Gesundheitstelematik und zur Bewertung gesundheitsrelevanter Verfahren (health technology assessment) sowohl zugangsgeschützt für Fachleute als auch frei zugänglich für die Öffentlichkeit anbietet. Für das Jahr 2011 hat das DIMDI nun erstmalig Ende März 2012 Daten zur Antibiotika-Abgabe von pharmazeutischen Unternehmern und von Pharmagroßhändlern an Tierärztinnen und Tierärzte erfasst und zur Auswertung an das für die Zulassung von Tier- Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 31. Oktober 2012 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1696 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode arzneimitteln zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Berlin weitergeleitet. Das Bundesamt hat Mitte September 2012 der Öffentlichkeit nun eine erste Analyse vorgestellt, wonach in 2011 insgesamt circa 1 700 Tonnen Antibiotika von Unternehmen und vom Pharmagroßhandel an Tierärzte für die Behandlung von Hobbytieren und landwirtschaftlichen Nutztieren abgegeben wurden. Diese Zahl klingt ausgesprochen hoch, ist aber als absolute Zahl mangels vorliegender Vergleichswerte aus der Historie und fehlender Zahlen zur Behandlungshäufigkeit einzelner Tierarten nicht aussagekräftig. Etwas beruhigend ist in diesem Zusammenhang lediglich, dass der Schwerpunkt der eingesetzten Antibiotika bei den klassischen Tetracyclinen (576 Tonnen) und Aminopenicillinen (505 Tonnen) lag. Die neueren kritischen Wirkstoffe der Fluorochinolone und Cephalosporine der dritten und vierten Generation , die eine wichtige Funktion als Reserveantibiotika in der Humanmedizin spielen, wurden mit acht beziehungsweise 3,8 Tonnen im Veterinärbereich eher untergeordnet eingesetzt. Dies ist bedeutsam vor dem Hintergrund der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschriebenen zunehmenden Resistenzproblematik. Die nun vorliegenden Zahlen sind ein erster Einstieg zu mehr Transparenz und Nachverfolgbarkeit beim Antibiotika-Einsatz in der Veterinärmedizin. Die Landesregierung ist in dieser Frage der Überzeugung, dass zu einem erweiterten Erkenntnisgewinn eine tierartspezifische Differenzierung wünschenswert wäre. Eine zuverlässige Differenzierung ist jedoch nicht bei der Abgabe der Antibiotika vom pharmazeutischen Hersteller möglich, da einige Tierantibiotika über eine Zulassung für den Einsatz bei Heimtieren ebenso verfügen wie über eine Zulassung für den Einsatz bei landwirtschaftlichen Nutztieren. Dem pharmazeutischen Hersteller beziehungsweise Großhändler ist damit die Zieltierart nicht zwingend bekannt. Rheinland-Pfalz hat deshalb mit weiteren Ländern im Rahmen der 8. Verbraucherschutzministerkonferenz Mitte September 2012 in Hamburg dringend an die Bundesverbraucherschutzministerin appelliert, im Rahmen des laufenden Verfahrens zur 16. Novellierung des Arzneimittelgesetzes im Tierarzneimittelbereich die notwendigen Rechtsgrundlagen zu schaffen, um differenzierte Daten auf Tierhalterebene zu erheben. Zu 2.: Die rheinland-pfälzische Landesregierung hält die nun erstmalig umgesetzte und gestartete Registrierung und Auswertung des Einsatzes von Antibiotika im Veterinärbereich für einen ersten Schritt auf dem richtigen Weg. Dieser Weg muss konsequent weitergegangen und auf dem Vertriebsweg durchgängig bis auf die Ebene der Tierhaltung nachverfolgt werden. Dabei müssen alle Betriebe erfasst und ausgewertet werden und aus Datenschutzgründen beziehungsweise aus Lobbygründen dürfen keine Ausnahmen gemacht werden (zum Beispiel bei Geflügelmastbetrieben). Für die rheinland-pfälzische Landesregierung stehen dabei die Tiergesundheit, das Tierwohl und die wirksame Bekämpfung der zunehmenden Antibiotikaresistenzen gemäß der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) aus dem Jahr 2008 im Mittelpunkt aller Überlegungen und der Strategien zur Umsetzung. Zu 3.: Grundsätzlich ist aus der klinischen Forschung bekannt, dass durch Metabolisierung von Arzneimitteln und Wirkstoffen pharmakologisch aktive Abbauprodukte entstehe können, die über menschliche und tierische Ausscheidungen in Abwässern und Böden die Resistenzbildung gegen Antibiotika oder zum Beispiel hormonelle unerwünschte Wirkungen begünstigen können. Allerdings zeigen permanent durchgeführte Rückstandsuntersuchungen in Rheinland-Pfalz, dass derartige Risiken durch moderne Abwasseraufbereitung und Abfallbearbeitung minimal sind. Die rheinland-pfälzische Landesregierung unterstützt und befürwortet in diesem Zusammenhang alle Maßnahmen und Instrumente der Risikominimierung im Sinne der erwähnten Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART). Grundsätzlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass Antibiotika-Reste und Abbauprodukte – sofern sie vom Tier ausgeschieden werden und über eine ausreichende Persistenz verfügen – über die Gülle-Ausbringung in die Böden gelangen. Genau wie bei den menschlichen Ausscheidungen (Medikamentenrückstände) ist dadurch auch eine Ableitung in Oberflächengewässer und Grundwasser möglich. Wenn Antibiotika in Gewässern nachgewiesen werden, ist der Ursprung dieser Einträge (menschlich oder tierisch) allerdings in der Regel nicht nachvollziehbar. Von einer Gefahr für die betroffenen Ökosysteme ist nach unserem derzeitigen Kenntnisstand nicht auszugehen. Beispielhaft werden im laufenden Jahr 2012 in Rheinland-Pfalz in der Selz und im Rhein entsprechende Untersuchungen durchgeführt, um eine bessere Einschätzung vornehmen zu können. Zu 4.: Die rheinland-pfälzische Landesregierung befürwortet die Schaffung einer solchen zentralen bundesweiten Datenbank als zielführendes Instrument einer verbesserten Überwachung mit mehr Transparenz und bundesweiter Vergleichbarkeit. Dabei soll die im Tiergesundheitsbereich bereits erfolgreich etablierte HI-Tier-Datenbank entsprechend erweitert werden. In diesem Sinne haben die Länder bei der 8. Verbraucherschutzministerkonferenz Mitte September 2012 an den Bund appelliert, im Rahmen der 16. Arzneimittelgesetznovelle einen ganzheitlichen Ansatz zur Minimierung des Antibiotika-Einsatzes in der Nutztierhaltung zu verfolgen und damit die Rahmenbedingungen der Überwachung zu verbessern. Dieser Beschluss basiert auf Resultaten aus aktuellen Studien aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zum großflächigen und kritiklosen Einsatz von Antibiotika in der Geflügelmast, die in diesem Bereich dringenden Handlungsbedarf aufzeigen. Der Beschluss bekräftigt nachdrücklich vorausgehende Empfehlungen der Amtschefs der Agrarministerkonferenz vom 19. Januar 2012, der Agrarministerkonferenz vom 27. April 2012 und des Bundesrates vom 10. Februar 2012 zur Minimierung des Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1696 Allerdings hält die Landesregierung eine alleinige Intensivierung der Überwachung mit Hilfe einer erweiterten Datenbank, die sicherlich umsetzbar ist, für nicht ausreichend und zielführend. Begleitend müssen auch die Inspektionen und Kontrollen in den Tierhalterbetrieben vor Ort verstärkt werden, um einen ordnungsgemäßen Einsatz von Tierarzneimitteln in der Praxis zu prüfen und zu gewährleisten. In diesem Sinne hat die Landesregierung bereits mit dem Zweiten Landesgesetz zur Kommunal- und Verwaltungsreform vom 28. September 2010 die Überwachung des Tierarzneimitteleinsatzes in Tierhaltungen auf die Kreisverwaltungen transferiert. Dadurch entsteht für die Kommunen die Möglichkeit, Feststellungen bei der Überwachung der Tiergesundheit, des Tierschutzes und der Schlachttierkörper mit dem Einsatz von Tierarzneimitteln vor Ort zusammenzuführen und dadurch die Transparenz der Überwachung und den Kenntnisstand der Überwachungsbehörden zu verbessern. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, die Schnittstellen der zuständigen Behörden bei der erforderlichen Qualitätssicherung in der Überwachung klar zu definieren. Malu Dreyer Staatsministerin 3