Drucksache 16/1708 18. 10. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp und Friederike Ebli (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Ärzteproteste Die Kleine Anfrage 1112 vom 27. September 2012 hat folgenden Wortlaut: Der Bewertungsausschuss auf Bundesebene hat die gesetzliche Aufgabe, einen einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen zu vereinbaren. Hierzu zählt die Fest legung eines bundeseinheitlichen Punktwertes als Orientierungswert in Euro bis zum 31. Au gust jedes Jahres. Können sich die Vertreterinnen und Vertreter der Ärztinnen und Ärzte sowie der Krankenkassen im Bewertungsausschuss nicht einigen, tritt der um unparteiische Mitglieder ergänzte erweiterte Bewertungsausschuss zusammen und setzt die Vereinbarung über den Bewertungsmaßstab mit Mehrheitsbeschluss fest. Auf diese Weise wurde gegen die Stimmen der ärztlichen Vertreterinnen und Vertreter Ende August eine Anhebung des Orientierungspunktwertes für das Jahr 2013 um 0,9 % beschlossen, was zu heftigen Protesten auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte geführt hat sowie zur Ankündigung von Protestaktionen bis hin zur Androhung einer temporären Einschränkung der Patientenversorgung durch niedergelassene Praxen. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Welche Faktoren sind für die Berechnung der ärztlichen Honorare neben dem Orien tie rungswert noch zu beachten? 2. Wie hat sich die Gesamtsumme der ärztlichen Honorare in Rheinland-Pfalz seit dem Jahr 2007 entwickelt? 3. Welche Protestaktionen haben die KV Rheinland-Pfalz sowie rheinland-pfälzische Ärzte verbände und Ärztinnen und Ärzte an- gekündigt und wie werden diese von der Landes regierung in ihren Auswirkungen auf die Versorgung von Patientinnen und Patienten beurteilt? 4. Ist es zulässig, Patientinnen und Patienten zu ansonsten üblichen Praxisöffnungszeiten im Falle von Praxisschließungen auf die Bereitschaftsdienstzentralen (BDZ) zu verweisen? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Das Honorar der Vertragsärzteschaft setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen: 1. Einnahmen aus der Behandlung von gesetzlich Krankenversicherten, die über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet wer- den und den Ärztinnen und Ärzten über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zufließen, 2. Einnahmen aus der Behandlung von Patientinnen und Patienten sonstiger Kostenträger, die über die Kassenärztliche Vereini- gung abrechnen, zum Beispiel die Unfallversicherung, aber auch aus der Behandlung von Angehörigen der Bundespolizei und der Bundeswehr oder von Grenzgängern, 3. Einnahmen aus der Behandlung von Privatversicherten und 4. Einnahmen aus sonstiger ärztlicher Tätigkeit, zum Beispiel dem Verkauf von Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL-Leis- tungen) oder Einnahmen aus der Erstellung von Gutachten. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 31. Oktober 2012 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1708 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Die gegenwärtige Diskussion betrifft die Honorare, die die Ärztinnen und Ärzte aus der Behandlung gesetzlich Krankenversicherter erzielen. Dabei stellt der von der Selbstverwaltung auf Bundesebene festgesetzte Orientierungswert nur einen Faktor zu deren Berechnung dar. Neben den Orientierungswert treten noch Steigerungsfaktoren für die Demografie und die Morbidität. Auch hierzu haben die Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen auf Bundesebene Empfehlungen zu beschließen. Darüber hinaus können auf regionaler Ebene noch Zuschläge für bestimmte Leistungen, Arztgruppen und/oder Regionen vereinbart werden. Am 9. Oktober 2012 haben sich der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung im Erweiterten Bewertungsausschuss auf eine Vereinbarung zum Honoraranstieg für das kommende Jahr verständigt, nach der das Honorar für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten im Jahr 2013 um einen Korridorbetrag zwischen 1,15 und 1,27 Milliarden Euro steigen wird. Das sind gegenüber 2012 rund drei bis vier Prozent Steigerung. Die genauen Details müssen noch abgestimmt werden. Da gegenwärtig noch nicht alle Faktoren für die Berechnung der ärztlichen Honorare feststehen, ist derzeit noch keine abschließende Aussage möglich, in welcher Höhe die Honorare der einzelnen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte im kommenden Jahr ansteigen werden. Zu 2.: Zur Entwicklung der Honorare aus der Behandlung von Privatversicherten und aus sonstiger ärztlicher Tätigkeit liegen der Landesregierung keine Daten vor. Aussagen sind aber möglich zur Entwicklung der GKV-Honorare. Nach den Honorarübersichten der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz ist die von der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz an ihre Mitglieder ausgezahlte Honorarsumme von 2007 auf 2011 um rund 12,6 Prozent angestiegen. Zu 3.: Am 7. September 2012 hatten die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Kassenärztlichen Vereinigungen die Vertragsärzteschaft dazu aufgerufen, formlose Kassenanfragen nicht mehr zu beantworten, Gespräche mit Kassenmitarbeitern nur vor 8 Uhr morgens oder nach 20 Uhr abends zu führen und keine Bonushefte mehr auszufüllen. Darüber hinaus sollten bis zum 9. Oktober 2012 bestimmte förmliche Kassenanfragen unbeantwortet bleiben. Die Aktion wurde unter anderem durch den Ärzteverband MEDI VERBUND/MEDI SÜDWEST e. V. unterstützt. Ob und gegebenenfalls wie viele Vertragsärztinnen und Vertragsärzte aus Rheinland-Pfalz sich beteiligt haben, kann nicht abgeschätzt werden. Der Landesregierung liegen keine Beschwerden von Krankenkassen oder Versicherten vor. Es ist daher davon auszugehen , dass die Aktionen keine Auswirkung auf die Versorgung hatten. Am 24. September 2012 hatte die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz einen „Fortbildungstag zum Guten Kodieren“ anberaumt und die Ärztinnen und Ärzte zu einer breiten Beteiligung aufgerufen. Der „Fortbildungstag“ richtete sich an unterschiedliche Facharztgruppen, nicht aber an alle. Pro Facharztgruppe wurde über den Internetauftritt der Kassenärztlichen Vereinigung ein einstündiger Film angeboten, der entweder in den vier Regionalzentren der Kassenärztlichen Vereinigung oder bis zum 25. September 2012, 24.00 Uhr, von zu Hause oder von der Praxis aus am PC angeschaut werden konnte. Darüber hinaus bot die Kassenärztliche Vereinigung einzelnen Facharztgruppen die Möglichkeit, in den vier Regionalzentren eine Beratung in Fragen des ambulanten Kodierens in Anspruch zu nehmen. Unterstützt wurde die Aktion durch mehrere lokale Ärztenetze und den MEDI VERBUND/MEDI SÜDWEST e. V., der über den „Fortbildungstag“ auf seiner Homepage informierte und um Unterstützung in der Form von Praxisschließungen warb. Die Kassenärztliche Vereinigung und vor allem die unterstützenden Ärzteverbände wiesen im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung des „Fortbildungstages“ unübersehbar darauf hin, dass dieser im Rahmen der bundesweiten Ärzteproteste geplant wurde und zu Praxisschließungen am 24. September 2012 führen würde. Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat das Angebot des „Fortbildungstages“ aufsichtsrechtlich geprüft mit dem Ergebnis, dass dieses rechtlich nicht zu beanstanden war, auch wenn es sich in einer Grauzone des gerade noch Zulässigen bewegte. Besonders kritisch anzumerken war, dass die Inanspruchnahme einer einstündigen Fortbildung, der Besuch einer kurzzeitigen Informationsveranstaltung und/oder die Inanspruchnahme eines Beratungsgespräches grundsätzlich keine ganztägige Praxisschließung rechtfertigen konnte. Es war den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte ohne Weiteres möglich, vor und/oder nach den genannten Aktivitäten in ihren Praxen für ihre Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stehen beziehungsweise das Fortbildungsangebot der Kassenärztlichen Vereinigung online und/oder telefonisch außerhalb der Sprechstundenzeiten wahrzunehmen, um auf diese Weise Einschränkungen der gesundheitlichen Versorgung auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Selbstverständlich ist die Wahrnehmung von Fortbildungsangeboten durch die Ärzteschaft nicht nur legitim, sondern sogar notwendig , damit Ärztinnen und Ärzte ihre verantwortungsvolle Tätigkeit zum Wohle ihrer Patientinnen und Patienten auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wahrnehmen können. Bei dem Fortbildungstag ging es aber nicht um aktuelle Forschungsstände in der ärztlichen Diagnose oder Therapie, sondern mit dem Thema Kodieren in erster Linie um die Art und Weise der Abrechnung ärztlicher Leistungen. Entsprechend war auch nicht die Landesärztekammer als für die ärztliche Fortbildung verantwortliche Körperschaft der Organisator, sondern die Kassenärztliche Vereinigung. Diese warb für die Fortbildung mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass eine verbesserte Kodierpraxis der rheinland-pfälzischen Ärzteschaft zu einer besseren Abbildung der Morbidität und infolgedessen zu einem höheren Honorarzufluss an die hiesige Ärzteschaft führen werde. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1708 Die Landesregierung hat Verständnis für das Anliegen der Ärzteschaft nach einer angemessenen Honorierung. Allerdings geht sie weiterhin davon aus, dass die Vertreterinnen und Vertreter der ärztlichen Selbstverwaltung in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz ihre Anliegen auf dem Verhandlungswege vertreten und allen Versuchungen widerstehen, Patientinnen und Patienten für Honorarinteressen zu instrumentalisieren oder Aktionen durchzuführen, die zum Beispiel als Folge geschlossener Praxen zu Lasten der Patientinnen und Patienten gehen. Da der Landesregierung im Vorfeld des „Fortbildungstages“ auch Äußerungen beziehungsweise Ankündigungen einzelner Ärzte bekannt wurden, die eine Praxisschließung als „Streikaktion“ ankündigten, hat sie sich in diesen Einzelfällen an die Kassenärztliche Vereinigung gewandt und darauf hingewiesen, dass sogenannte Ärztestreiks nicht zulässig sind und im Widerspruch zu dem der Kassenärztlichen Vereinigung obliegenden Sicherstellungsauftrag stehen. Die Landesregierung sah sich zu einem solchen Vorgehen genötigt, um denkbare und von manchen Ärztefunktionären offenkundig auch intendierte Beeinträchtigungen der Patientenversorgung im Rahmen ihrer Möglichkeiten so gering wie möglich zu halten. Für den 10. Oktober 2012, das heißt, für den Tag nach der Einigung im Erweiterten Bewertungsausschuss, wurden von der Allianz deutscher Ärzteverbände mit Praxisschließungen verbundene bundesweite Demonstrationen von Ärzten und Praxismitarbeitern vor den Zweigstellen von Kassen angekündigt. In Rheinland-Pfalz waren in Mainz, Koblenz und Andernach Demonstrationen vorgesehen . Da sich nur sehr wenige Ärztinnen und Ärzte an den Demonstrationen beteiligten und die Mehrzahl der Praxen an Mittwochnachmittagen ohnehin regulär geschlossen ist, geht die Landesregierung davon aus, dass es durch diese Aktionen zu keiner Beeinträchtigung der Patientenversorgung gekommen ist. Zu 4.: Die Bereitschaftsdienstzentralen (BDZ) sind von der Kassenärztlichen Vereinigung ausdrücklich angehalten, nur eine bis zur nächstmöglichen ambulanten Behandlung medizinisch zweckmäßige und ausreichende Behandlung sicherzustellen. Mit anderen Worten: Eine Behandlung in einer Bereitschaftsdienstzentrale ist nur für dringende Fälle vorgesehen und dient nur zur Überbrückung bis zur Wiedereröffnung der niedergelassenen Praxen. Vorsorgeuntersuchungen oder planbare Konsultationen wegen chronischer Erkrankungen zählen nicht zu den Aufgaben der ärztlichen Bereitschaftsdienstzentralen. Die Bereitschaftsdienstzentralen können somit nicht die gesamte Bandbreite und Möglichkeiten ärztlichen Handelns anbieten, sondern nur einen kleinen Ausschnitt. Sie sind nicht in der Lage, die ärztliche Regelversorgung zu ersetzen beziehungsweise an deren Stelle zu treten. Entsprechend hat die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz in der von ihrer Vertreterversammlung beschlossenen Bereitschaftsdienstordnung (BDO) auch eindeutig geregelt, dass Patientinnen und Patienten, die von ihrem behandelnden Arzt zu den sprechstundenüblichen Zeiten eine Beratung oder einen notwendigen Arztbesuch erbitten, nicht auf den Bereitschaftsdienst verwiesen werden dürfen. Ebenso ist es unzulässig, Patientinnen und Patienten während der Abwesenheit des Arztes von seiner Praxis wegen Krankheit oder Urlaub durch den Bereitschaftsdienst versorgen zu lassen. Der 24. September 2012 war mit einem Montag ein ansonsten „normaler“ Wochentag, an dem aufgrund des sogenannten „Fortbildungstages “ ein Teil der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte nicht in ihren Praxen war. Nach den Bestimmungen der Bereitschaftsdienstordnung durften Patientinnen und Patienten nach Auffassung der Landesregierung an diesem Tag nicht an Bereitschaftsdienstzentralen verwiesen werden, sondern die abwesenden Ärztinnen und Ärzte hatten die Verpflichtung, für ihre Patientinnen und Patienten eine Vertretung innerhalb ihrer Fachgruppe zu organisieren. Die Landesregierung wird hierzu das Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung suchen und ansonsten Hinweise sammeln, ob es zu Beeinträchtigungen in der Patientenversorgung gekommen ist. Sollten Patientenbeschwerden bei der Aufsichtsbehörde eingehen, wird die Landesregierung diesen selbstverständlich umfassend nachgehen. Malu Dreyer Staatsministerin 3