Drucksache 16/1959 09. 01. 2013 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp und Dr. Tanja Machalet (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Neuregelung der Minijobs Die Kleine Anfrage 1279 vom 13. Dezember 2012 hat folgenden Wortlaut: Der Deutsche Bundestag hat am 22. November 2012 die Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobs von 400 auf 450 Euro monatlich beschlossen. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung diese Neuregelung? 2. Welche Entwicklung ist hinsichtlich der Zahl der Minijobberinnen und Minijobber im Land zu verzeichnen? 3. Welche Auswirkungen sind im Einzelnen mit der Neuregelung für die Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz verbunden, insbesondere für die Personen, die in diesen Arbeits verhältnissen arbeiten? 4. Welche Auswirkungen sind mittel- und langfristig auf die staatlichen Transfersysteme zu erwarten? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 8. Januar 2013 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Seit 2003 ist die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse gestiegen und wird, bedingt durch die Anhebung der Einkommensgrenze auf 450 Euro, voraussichtlich weiter steigen. Bereits heute haben geringfügig Beschäftigte häufig sehr lange Arbeitszeiten und erreichen dadurch oftmals nur geringe Stundenlöhne. In der Form der ausschließlich geringfügigen Beschäftigung ermöglichen sie zudem weder ein existenzsicherndes Erwerbseinkommen, noch sind sie eine ausreichende Basis für die notwendige Altersvorsorge. Deshalb sollte das Arbeitsmarktsegment der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse verkleinert und nicht durch eine Anhebung der Einkommensgrenzen noch weiter vergrößert werden. Die Beschäftigten, die derzeit mehr als 400 Euro verdienen, sind sozialversicherungspflichtig. Die neue Regelung führt dazu, dass diejenigen, die im Grenzbereich von 400 bis 450 Euro liegen, zu Minijobberinnen und Minijobbern, und damit mit Ausnahme der Rentenversicherung versicherungsfrei werden. Dadurch erfährt ihre soziale Absicherung Einschränkungen. Zu 2.: Im September 2012 wurden in Rheinland-Pfalz 369 511 geringfügig entlohnte Beschäftigte festgestellt, 353 273 im gewerblichen Bereich und 16 238 in Privathaushalten (Quelle: Minijobzentrale). Gegenüber September 2004, in dem 351 827 Minijobberinnen und Minijobber gezählt wurden, ist dies eine Steigerung um rund 5 Prozent. Der beiliegenden Anlage kann die Entwicklung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ab September 2004 entnommen werden. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 5. Februar 2013 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1959 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu 3.: Neben der Anhebung der Einkommensgrenze von 400 auf 450 Euro wird die bisherige Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung mit der Möglichkeit der vollen Versicherungspflicht für geringfügig entlohnte Beschäftigte zum 1. Januar 2013 in eine Rentenversicherungspflicht mit Befreiungsmöglichkeit umgewandelt (Wechsel von Opt-in zu Opt-out). Gleichzeitig werden weitere Schwellenwerte in der Rentenversicherung, die sich an die bisherige Arbeitsentgeltgrenze bei geringfügiger Beschäftigung von 400 Euro angelehnt haben, ebenfalls auf 450 Euro angehoben. Betroffen sind Hinzuverdienstgrenzen beim Rentenbezug sowie Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen. Für Beschäftigungsverhältnisse, die bereits vor dem 1. Januar 2013 bestanden haben, werden Bestandsschutz- und Übergangsregelungen geschaffen. Aus der Anhebung der Entgeltgrenze auf 450 Euro, dem Übergang zur Versicherungspflicht mit Opt-Out und den damit notwendig gewordenen Folgeregelungen einschließlich einer beträchtlichen Zahl an Übergangsregelungen ergibt sich eine Fülle von Fallkonstellationen mit unterschiedlichen Auswirkungen für Beschäftigte, Arbeitgeber und die Verwaltung. Wie sich die Regelungen auswirken, hängt zudem von den Reaktionen der Betroffenen ab. Allgemein kann Folgendes gesagt werden : Die Anhebung der Entgeltgrenze erweitert die Möglichkeiten zur Etablierung geringfügig entlohnter Beschäftigungsverhältnisse . Die neue Regelung in der Rentenversicherung führt in der Tendenz dazu, dass der Anteil geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse mit Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zunimmt. Eine in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtige Beschäftigung führt zum Erwerb von Pflichtbeitragszeiten, die gegebenenfalls auch anspruchsbegründend wirken können. Beispielhaft sei hier ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente erwähnt, der drei Jahre an Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren voraussetzt. Bezogen auf Werte des ersten Halbjahres 2013 in den alten Bundesländern führt ein Übergang von der Versicherungsfreiheit zur Versicherungspflicht bei einem monatlichen Entgelt von 400 Euro pro Monat der Beschäftigung zu einer Steigerung der monatlichen Altersrente um rund 10 Cent. Der Abzug von gegebenenfalls anfallenden Abschlägen und Steuern und der Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen sind hierbei noch nicht berücksichtigt. Die Begründung des Gesetzentwurfs geht davon aus, dass die Betroffenen zu 90 Prozent die Befreiung von der Versicherungspflicht beantragen werden, sodass sich die beschriebenen Effekte einer verbesserten Absicherung in der Rentenversicherung auf eine relativ kleine Anzahl von Betroffenen beschränken dürfte. Zum 30. September 2012 stockten 5,5 Prozent der Minijobberinnen und Minijobber im gewerblichen Bereich und 7,2 Prozent der Minijobberinnen und Minijobber in Privathaushalten den Rentenversicherungsbeitrag auf (Minijobzentrale Stand September 2012). Das bisherige Modell der Pauschalbeiträge mit Aufstockung des Arbeitgeberpauschalbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung auf den vollen Beitrag durch den Arbeitnehmer im Falle der Versicherungspflicht wird beibehalten, sodass sich bei der Beitragsbelastung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine wesentlichen Änderungen ergeben. Zu 4.: Rein rechnerisch betrachtet entsteht nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Sozialversicherung durch die Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobs auf 450 Euro und für Beschäftigungen in der Gleitzone auf 850 Euro im Monat insgesamt ein mittelfristiger Beitragsausfall in Höhe von knapp 100 Millionen Euro pro Jahr. Für die Grundsicherung für Arbeitsuchende liegen keine Daten über die konkreten Auswirkungen der Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobs vor. Es gibt jedoch noch weiter reichende Effekte, die berücksichtigt werden müssen. In einer Gesamtbilanz hat die Beschäftigungsform der Minijobs mittel- bis langfristig in erheblichem Umfang ungünstige Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme und die Steuereinnahmen. Die jetzt beschlossene Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobs wird diese negativen Auswirkungen noch weiter verstärken. Inzwischen ist nämlich fast jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis in Deutschland ein Minijob. In einigen Branchen ist es zu einer Verdrängung von Normalarbeitsverhältnissen durch Minijobs gekommen. An vorderster Stelle stehen hier der Einzelhandel sowie die Gastronomie, aber auch das Reinigungsgewerbe. Zudem besteht in vielen Branchen die starke Vermutung, dass durch die Anmeldung von Minijobs Schwarzarbeit verschleiert wird. Minijobs sind nur selten eine Brücke in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, sodass sie sich über den gesamten Lebensverlauf gesehen häufig als Sackgasse erweisen. Denn sie machen eine eigenständige Existenzsicherung in der Erwerbs- und Nacherwerbsphase unmöglich. Dies zeigen auch die hohen Zahlen der sogenannten Aufstocker im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Derzeit gehen bundesweit 53,2 Prozent – in Rheinland-Pfalz 55,5 Prozent – der sogenannten Aufstocker einer geringfügigen Beschäftigung mit einem Bruttoeinkommen bis 400 Euro nach. Nach einer aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung müssen hauptberufliche Minijobber zudem mit erheblichen Nachteilen bei der Beschäftigungsfähigkeit und der Alterssicherung rechnen. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1959 Danach betrifft alle Minijobber gleichermaßen das Problem der geringen Bezahlung: Fast jeder dritte Arbeitnehmer mit Minijob arbeitet länger als 15 Stunden, jeder vierte länger als 18 Stunden pro Woche. Entsprechend niedrig fallen bei maximal 400 Euro Monatseinkommen die Stundenlöhne aus: Über zwei Drittel verdienen weniger als 8,50 Euro pro Stunde, mehr als ein Viertel sogar weniger als 5 Euro. Für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sozialen Sicherungssysteme und den Arbeitsmarkt sind geringfügige Beschäftigungsverhältnisse somit mit zahlreichen Problemen und Risiken verbunden. Sie äußern sich häufig in einer Benachteiligung gegenüber anderen Beschäftigten, in der fehlenden eigenständigen sozialen Absicherung und in der fehlenden Brückenfunktion zu einem oftmals gewünschten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Malu Dreyer Staatsministerin 3 Anlage: Entwicklung der Minijobs in Rheinland-Pfalz geringfügig entlohnte Beschäftigte gewerblich im Privathaushalt insgesamt September 2004 345 856 5 971 351 827 September 2005 340 859 7 531 348 390 September 2006 327 109 9 789 336 898 September 2007 335 340 10 983 346 323 September 2008 342 996 11 791 354 787 September 2009 348 209 12 831 361 040 September 2010 352 803 14 591 367 394 September 2011 355 716 15 492 371 208 September 2012 353 273 16 238 369 511