Drucksache 16/1972 10. 01. 2013 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Daniel Köbler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Anstieg der Sanktionen für Hartz IV-Empfängerinnen und -Empfänger Die Kleine Anfrage 1286 vom 13. Dezember 2012 hat folgenden Wortlaut: Während die Sanktionen in Rheinland-Pfalz im Zeitraum August 2010 bis Juli 2011 bei 38 100 lagen, zeigte sich nach einer kürzlich veröffentlichten Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Zeitraum August 2011 bis Juli 2012 ein Anstieg auf 41 100. Das ergibt für Rhein land-Pfalz eine Quote von 3,7 Prozent. Auch bundesweit zeigt sich ein Anstieg der Sank tionen. Die bundesweite Sanktions quote liegt für den Vergleichszeitraum bei 3,2 Pro zent. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie lässt sich aus Sicht der Landesregierung der Anstieg der Sanktionsquote und die Tatsache, dass sie in Rheinland-Pfalz höher als im Bundesdurchschnitt liegt, erklären? 2. Was sind die häufigsten Gründe für Sanktionen bei Hartz IV-Empfängerinnen und -Emp fän gern (bitte jeweils aufschlüsseln nach Zielgruppe unter und über 25 Jahre)? 3. Welche Sanktionen werden am häufigsten verhängt (bitte jeweils aufschlüsseln nach Ziel gruppe unter und über 25 Jahre)? 4. Welche politischen Maßnahmen sind aus Sicht der Landesregierung notwendig, um die Sanktionsquote zu senken? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 10. Januar 2013 wie folgt beantwortet: Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zu den Sanktionen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch weist die Gründe für die festgestellten Sanktionen nur für den Personenkreis der „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ insgesamt aus. Für die Personengruppe der „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten unter 25 Jahren“ stellt die Statistik nur die Anzahl der durch Sanktionen betroffenen Leistungsberechtigten unter 25 Jahren dar. Eine Unterscheidung nach Gründen erfolgt hier nicht. Entsprechende Informationen können nur über eine Sonderauswertung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit ermittelt werden. Zu 1.: Im August 2012 (aktuellster Berichtsmonat) weist Rheinland-Pfalz mit 3,8 nach Berlin (4,9) die höchste Sanktionsquote auf und liegt 0,4 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass in einzelnen Bundesländern – insbesondere Bremen, Brandenburg und Saarland – außergewöhnlich wenige Sanktionen ausgesprochen werden und damit der Bundesdurchschnitt sinkt. Rheinland-Pfalz (3,8) liegt in etwa auf einem Niveau mit Hamburg (3,6), Bayern (3,7) und Baden-Württemberg (3,4). Konkrete Ursachen für die unterschiedlichen Sanktionsquoten in den einzelnen Ländern sind der Landesregierung nicht bekannt. Die Sanktionsquoten sind jedoch immer auch Spiegelbild der Beschäftigungsquoten in den Regionen, da Sanktionen in der Regel erst auf die Weigerung gegenüber einem Vermittlungsangebot erfolgen. Wenn keine Stellenangebote abgelehnt werden können, weil diese nicht vorhanden sind, gibt es auch weniger Anlässe zur Sanktion. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 5. Februar 2013 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/1972 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode (Quelle: Statistik der BA, Rheinland-Pfalz, August 2012, eigene Berechnung) Unter 25-jährige Arbeitslose werden gut dreimal so häufig sanktioniert wie 25-Jährige und Ältere (11,5 Prozent zu 3,8 Prozent im August 2012). Die hohe Sanktionsquote Jüngerer hat mehrere Gründe. Zum Beispiel ist der Betreuungsschlüssel bei ihnen kleiner. Je weniger Klientinnen und Klienten eine Fachkraft hat, desto intensiver ist der Kontakt zu ihnen. Bei intensiverer Betreuung können höhere Anforderungen an Arbeitslose gestellt werden. So sieht der Gesetzgeber vor, dass unter 25-jährige Arbeitslose sofort nach Antragstellung in Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden sollen. Kommen diese Arbeitslosen dem nicht nach, treten Sanktionen ein. Zu 3.: Der Umfang der Leistungskürzungen ist in § 31 a und § 32 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch geregelt und von der Art der Pflichtverletzung , vom Alter des Leistungsberechtigten und der möglichen wiederholten Pflichtverletzung abhängig. Infolge einer Sanktion nach § 31 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch kann im ungünstigsten Fall (nach wiederholter Pflichtverletzung und trotz Belehrung des Leistungsberechtigten über die Sanktionsfolgen) das gesamte Arbeitslosengeld II, also sowohl der Regelbedarf als auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie Leistungen für Mehrbedarfe, erfasst werden. Bei der ersten Pflichtverletzung nach § 31 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch erfolgt im Allgemeinen eine Absenkung um 30 Prozent des Regelbedarfs für drei Monate, bei einer wiederholten Pflichtverletzung eine Absenkung um 60 Prozent des Regelbedarfs. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt vor, wenn seit Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums einer Sanktion nach § 31 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuchs noch kein Jahr vergangen ist. Der Träger kann den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II auf eine Absenkung um 60 Prozent des Regelbedarfs abmildern, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich nachträglich bereiterklärt, seinen Pflichten nachzukommen. Für Personen unter 25 Jahren gelten teilweise strengere Minderungsregeln. Bereits bei der ersten Pflichtverletzung werden für drei Monate lediglich die Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen. Bei einer wiederholten Pflichtverletzung werden auch diese nicht mehr getragen. 2 Mögliche weitere Gründe, die Einfluss auf die Sanktionsquote beziehungsweise deren Anstieg haben, sind: – Die Jobcenter sind jetzt personell besser aufgestellt und eingearbeitet als früher. Es gibt mehr Kapazitäten, Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger zu Vermittlungsgesprächen einzuladen. – Persönliche Einstellungen und Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern können ebenfalls die Sanktionswahrscheinlichkeit beeinflussen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass ein Ranking der Sanktionsquoten zwischen einzelnen Bundesländern ohne eine genaue Betrachtung der Sanktionsgründe nicht sachgerecht ist. Zu 2.: Meldeversäumnisse sind in Rheinland-Pfalz – und auch bundesweit – der häufigste Sanktionsgrund (68 Prozent beziehungsweise 2 457 ausgesprochene Sanktionen im August 2012). Am zweithäufigsten werden Verstöße gegen Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung sanktioniert (14,1 Prozent). Die Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme ist mit 10,3 Prozent ebenfalls ein bedeutender Sanktionsgrund, während die anderen Sanktionstatbestände eher eine untergeordnete Rolle spielen. Sanktionsgrund Anzahl der Sanktionen Anteil in % Fortsetzung unwirtschaftlichen Verhaltens 4 0,1 Verminderung von Einkommen bzw. Vermögen 7 0,2 Meldeversäumnis beim ärztlichen oder psychologischen Dienst 25 0,7 Eintritt einer Sperrzeit oder Erlöschen des Anspruchs nach dem SGB III 67 1,8 Erfüllung der Voraussetzung für Eintritt einer Sperrzeit nach dem SGB III 69 1,9 Abbruch bzw. Anlass zum Abbruch einer Maßnahme 100 2,8 Weigerung Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, AGH oder Maßnahme 371 10,3 Weigerung Erfüllung der Pflichten der Eingliederungsvereinbarung 511 14,2 Meldeversäumnis beim Träger 2 457 68,0 Gesamt 3 611 100,0 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/1972 (Quelle: Statistik der BA, Rheinland-Pfalz, August 2012) Zu 4.: Die Sanktionsquote, also der prozentuale Anteil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die einen Regelverstoß begehen, muss differenziert beurteilt werden. Im August 2012 lag die Sanktionsquote in Rheinland-Pfalz bei 3,8 Prozent. Dies bedeutet aber auch, dass mehr als 96 Prozent der Bezieherinnen und Bezieher sich korrekt verhalten haben. Darüber hinaus ist für die Einschätzung der Sanktionsproblematik aber auch relevant, dass Sanktionsquoten Spiegelbild der Beschäftigungsquoten sein können (vgl. Antwort zu Frage 2) und diese in Ländern mit günstiger Arbeitsmarktlage, wie zum Beispiel Bayern, Baden-Württemberg oder RheinlandPfalz , auffällig hoch ausfallen. Bei den Gründen für die Verhängung von Sanktionen stehen mit einem Anteil von 68 Prozent die Meldeversäumnisse der Betroffenen im Vordergrund (siehe Antwort zu Frage 2). Gerade mit Blick auf Personen, die aus unterschiedlichsten Gründen Probleme haben, ihr Leben zu bewältigen und die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen, ist es wichtig, dass die Jobcenter die Leistungsberechtigten intensiv und genau über ihre Pflichten und die drohenden Folgen informieren. Dabei muss so weit wie möglich auf die Betroffenen abgestellt werden, damit größtmögliche Sicherheit besteht, dass diese die für sie entscheidenden Informationen auch verstehen. Auf der anderen Seite darf allerdings auch nicht außer Acht bleiben, dass nach dem Willen des Bundesgesetzgebers Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern. Kommen die Leistungsberechtigten diesen Verpflichtungen ohne wichtigen Grund nicht nach, treten die Sanktionen ein. Vor diesem Hintergrund ist mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ein aktives Arbeitsbündnis zur Integration herzustellen. Die Sanktionstatbestände sind dabei ein wichtiges, vorwiegend auch präventives Mittel, dieses Arbeitsbündnis zwischen Leistungsberechtigtem und Fallmanager zu unterstützen. Wichtig ist darüber hinaus, dass die im Haushalt lebenden Kinder durch das Verhalten des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten keine Nachteile erleiden. Die Landesregierung begrüßt daher, dass seit April 2012 das Jobcenter in den Grenzen des § 31 a Absatz 3 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen hat – vorher „erbringen sollte“ –, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt lebt. Dadurch wird verhindert, dass minderjährige Kinder übermäßig belastet werden, weil sich das Arbeitslosengeld II ihrer Eltern oder Elternteile wegen Pflichtverletzungen mindert. Malu Dreyer Staatsministerin 3 Eine Sanktion aufgrund eines Meldeversäumnisses nach § 32 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Meldung beim Träger oder Erscheinen bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin) führt zu einer Reduzierung um 10 Prozent des Bedarfs. Die Kürzungen laufen in der Regel drei Monate. Wenn Sanktionen sich überschneiden, werden die Kürzungen zusammengezählt. Bei einer Minderung um mehr als 30 Prozent können ergänzende Sachleistungen erbracht werden. Sie sollen erbracht werden, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern zusammenlebt. In nahezu allen Fällen (92,9 Prozent) kommt es zu einer Kürzung des Regelbedarfs. In rund 16 Prozent der Fälle werden auch die Kosten der Unterkunft gemindert. Art der geminderten Leistung Anteile Kürzung des Regelbedarfs 92,9 % Kürzung der Mehrbedarfe 3,8 % Kürzung der Leistungen für Unterkunft und Heizung 16,0 %