Drucksache 16/2144 18. 03. 2013 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Nils Wiechmann und Daniel Köbler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Kritik an den Arbeitsbedingungen beim Internethändler Amazon Die Kleine Anfrage 1406 vom 27. Februar 2013 hat folgenden Wortlaut: Eine ARD-Reportage hat einen Skandal beim Umgang mit Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern bei dem Unternehmen Amazon in Deutschland aufgedeckt. Es wird dort auch Bezug auf den Amazon-Standort Koblenz genommen. In dieser Reportage wird u. a. heftige Kritik an der Praxis der Leiharbeit bei dem Unternehmen geäußert. Neben größtenteils befristeten Arbeitsverhältnissen werden zunehmend Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter aus den europäischen Nachbarländern eingestellt und in Sammelunterkünften untergebracht. Weitere Kritikpunkte sind immer wieder niedrige Löhne und Subventionierung der Arbeitsplätze durch die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Was hat die Landesregierung nach der Berichterstattung in den Medien zum Skandal beim Umgang mit Leiharbeiterinnen und Leih arbeitern beim Internethändler Amazon unternommen? 2. Für welche Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen setzt die Landesregierung sich ein? 3. Wie will die Landesregierung die Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmerinnen und Leih arbeitnehmer verbessern? 4. Wie ist die Anzahl der Beschäftigten und die Dauer der Beschäftigungsverhältnisse bei Amazon in Koblenz? 5. Werden zurzeit Praktika von Arbeitsuchenden in geförderten Weiterbildungen oder Maßnahmen der beruflichen Integration durch die Agentur für Arbeit bei Amazon in Koblenz durchgeführt? 6. Welche weiteren Maßnahmen will die Landesregierung ergreifen, damit prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Rheinland-Pfalz nicht auftreten? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 15. März 2013 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Landesregierung hat sich unmittelbar nach Ausstrahlung der in der ARD am 13. Februar 2013 gesendeten TV-Reportage mit dem Titel: „Ausgeliefert – Leiharbeitnehmer bei Amazon“ mit der Gewerkschaft ver.di in Verbindung gesetzt, um erste Informationen zu den Arbeitsbedingungen am Standort Koblenz zu erhalten. Am 18. Februar 2013 hat ein Telefonat mit dem Vertrauensmann von ver.di bei Amazon in Koblenz stattgefunden. Auch wurde ein Ortstermin bei Amazon in Koblenz vereinbart. Bereits am 21. Februar 2013 besuchte Staatminister Alexander Schweitzer den Amazon-Standort. Im Rahmen dieses Besuchs, an dem auch der Staatssekretär des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, der stellvertretende Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Koblenz, der Leiter Operations Deutschland, der Leiter des Standorts Koblenz, der Senior Manager Public Policy und der Personalleiter des Standorts Koblenz teilnahmen, hat sich Staatsminister Schweitzer einen Überblick über die Situation im Logistikzentrum von Amazon in Koblenz verschafft. Es fanden ein Rundgang durch die Hallen des Logistikzentrums sowie vertrauliche Gespräche mit dem Vertrauensmann von ver.di und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der sogenannten „Mitarbeitervertretung“ statt. Im Rahmen des mit der Führungsebene von Amazon Deutschland geführten Klärungsgesprächs hat Staatsminister Alexander Schweitzer klar die Position der Lan- Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 26. April 2013 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode 2144_Layout 1 26.04.2013 08:16 Seite 1 Drucksache 16/2144 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode desregierung zu guten und fairen Arbeitsbedingungen sowie zur gesetzmäßigen ordnungsgemäß legitimierten Mitarbeitervertretung formuliert. Die Wahl eines Wahlvorstands unter Vorsitz von ver.di ist erfolgt. Damit wurde dem Wunsch der Gewerkschaften nach Beteiligung an der Vorbereitung der Betriebsratswahlen Rechnung getragen. In der gleichen Woche wurde beim Gewerbeaufsichtsamt nachgefragt, ob dort die Missstände bei Amazon in Koblenz bekannt seien . Es erfolgte die Rückmeldung, dass es aus Sicht der Gewerbeaufsicht keine Auffälligkeiten gegeben habe. Amazon habe sich bei den bisherigen Kontakten kooperativ gezeigt. Vorwürfe im Hinblick auf die mangelnde Anzahl der Toiletten sowie im Hinblick auf einen behaupteten Verstoß gegen arbeitszeitrechtliche Bestimmungen hätten sich nicht bestätigt. Zu 2.: Die Landesregierung setzt sich landesweit für gute und sichere Arbeitsbedingungen ein. Die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist ein hohes Gut, das es zu sichern gilt. Darum muss jedweder Ausnutzung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern ein Riegel vorgeschoben werden. Diesen sind dieselben Arbeitsbedingungen in einem gesicherten Arbeitsumfeld zu gewährleisten wie den im Rahmen eines unbefristeten Normalarbeitsverhältnisses Beschäftigten. Dies betrifft zum einen den Schutz des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die Gewährung der effektiven Nutzung der Pausenzeit. Aus Sicht der Landesregierung werden gute und sichere Arbeitsbedingungen dauerhaft am besten durch eine starke Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene sowie durch eine solide Tarifpartnerschaft gesichert. Staatsminister Alexander Schweitzer hat zudem namens der Landesregierung gegenüber Amazon bekräftigt, dass sie eine tarifvertragliche Anbindung der Arbeitsbedingungen begrüßen würde. Nach Dafürhalten der Landesregierung sollte es im Interesse aller sein, dass möglichst viele Menschen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse gelangen. Zu 3.: Die Landesregierung fordert seit Jahren eine unterschiedslose Behandlung von Leih- und Normalarbeitnehmern, ohne die Möglichkeit einer Aufweichung durch Tariföffnungsklauseln. Ferner fordert die Landesregierung die Eindämmung der erlaubnisfreien Konzernleihe, die Wiedereinführung des Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbots sowie einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn statt einer weiteren unbefriedigenden Zersplitterung der gesetzlichen Mindestlohnregelungen durch die erfolgte Einführung einer Lohnuntergrenze im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Hier hat die Landesregierung durch die Einbringung eines Gesetzentwurfs zum Mindestlohn im Bundesrat die Weichen gestellt, dass alle Beschäftigten in Deutschland, gleich ob als Leiharbeitnehmerin oder Leiharbeitnehmer beschäftigt oder fest angestellt, einen einheitlichen Mindestlohn erhalten. Die Landesregierung hat bereits im Frühjahr 2012 zusammen mit Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen einen Entschließungsantrag betreffend „Faire und sichere Arbeitsbedingungen bei der Arbeitnehmerüberlassung herstellen“ (Bundesratsdrucksache 237/12) in den Bundesrat eingebracht, der alle diese Forderungen aufgreift. Dieser Antrag scheiterte an der Blockadehaltung der unionsgeführten Länder im Bundesrat. Zu 4.: Aktuell waren nach Auskunft der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit, die sich auf Informationen von Amazon stützt, zum Stichtag 21. Februar 2013 insgesamt 1 705 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Amazon in Koblenz beschäftigt; der überwiegende Anteil davon unbefristet. Nach Angaben von Amazon sollen von den befristet Beschäftigten einige dauerhaft übernommen werden. Die Zahl der beabsichtigten Übernahmen ist aber derzeit noch nicht bekannt. Zu 5.: Nach Angaben der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit werden zurzeit keine Praktika von Arbeitsuchenden in geförderten Weiterbildungen oder Maßnahmen der beruflichen Integration durchgeführt. Zu 6.: Der hohe Stand an Niedriglohnbezieherinnen und Niedriglohnbeziehern fördert die Entwicklung hin zu prekären Beschäftigungsverhältnissen . Hierzu zählen Beschäftigungsverhältnisse, die ein existenzsicherndes Einkommen auch bei Vollzeitbeschäftigung nicht mehr gewährleisten können. Die Landesregierung setzt sich daher seit Jahren dafür ein, dem Niedriglohnsektor und der Entwicklung hin zu immer mehr atypischer und häufig prekärer Beschäftigung entgegenzuwirken. Um für alle Beschäftigten ein angemessenes Lohnniveau zu erreichen, brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn. Die Landesregierung hat daher bereits im Jahr 2007 zusammen mit Bremen den „Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns – Mindestlohngesetz“ im Bundesrat eingebracht. 2 2144_Layout 1 26.04.2013 08:16 Seite 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/2144 Diese Gesetzesinitiative, die an den damaligen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat ebenso scheiterte wie Ende des Jahres 2011 die Initiative „Faire und sichere Arbeitsbedingungen durch Implementierung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes“ hat die Landesregierung unter Beteiligung der Länder Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein sowie nach Beitritt des Landes Niedersachsen jetzt erneut aufgegriffen, um ein die Existenz sicherndes Einkommen der vollzeitbeschäftigten Menschen in Deutschland sicherstellen zu können (Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns – Mindestlohngesetz – Bundesratsdrucksache 136/13). Nach Ansicht der Landesregierung kann der Ausbeute des Niedriglohnsektors nur durch einen Mindestlohn, wie vom Bundesrat beschlossen, begegnet werden. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse finden sich auch übermäßig häufig bei der sogenannten atypischen Beschäftigung. Hierzu zählen geringfügige Beschäftigung, befristete Arbeitsverhältnisse, Werkverträge oder Teilzeitbeschäftigung und Leiharbeit, aber auch Praktika . Die Landesregierung hat sich auch für die Eindämmung solcher prekärer Beschäftigungsverhältnisse in der Bundesratsinitiative „Umgehung von Arbeitnehmerschutzrechten durch Werkverträge verhindern – jetzt“ (Bundesratsdrucksache 101/12) sowie in der Bundesratsinitiative „Faire und sichere Arbeitsbedingungen bei der Arbeitnehmerüberlassung herstellen“ (Bundesratsdrucksache 237/12) engagiert. Im Rahmen dieser Bundesratsinitiativen hat die Landesregierung ihrer Forderung nach der Verwirklichung des Grundsatzes von gleichem Lohn für gleiche Arbeit, dem Abbau geschlechterspezifischer Entgeltungleichheit und der sozialversicherungsrechtlichen Absicherung atypischer Beschäftigung Ausdruck verliehen. Diese Initiativen scheiterten an der Blockadehaltung der CDU/CSU-geführten Länder im Bundesrat. Die Landesregierung wird jedoch auch weiterhin ihr Engagement im Sinne ihrer bisherigen Politik fortsetzen. Alexander Schweitzer Staatsminister 3 2144_Layout 1 26.04.2013 08:16 Seite 3