Drucksache 16/2169 22. 03. 2013 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Ulrich Steinbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums der Finanzen Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs und erforderliche gesetzliche Neuregelungen Die Kleine Anfrage 1417 vom 28. Februar 2013 hat folgenden Wortlaut: In seinem Bericht „Chancen zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens“ vom Januar 2013 äußert sich der Präsident des Bundesrechungshofs in seiner Funktion als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung mit Kritik an der Umsetzung der Reformpläne der Bundesregierung bei der Umsatzsteuer. Das bestehende System der ermäßigten Steuersätze sei willkürlich gewählt, berge unsinnige Steuervorteile und sei dadurch wettbewerbsverzerrend und schmälere so die Einnahmeseite des Staates. Außerdem ermögliche man durch mangelnde Kontrollverfahren groß angelegten Steuerbetrug und verhindere im Gegenzug einfachere Kontrollmöglichkeiten . Insgesamt beklagt der Präsident des Bundesrechnungshofs gesamtstaatlich jährliche Steuerausfälle von einem einstelligen Milliardenbetrag. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung den Bericht „Chancen zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens“ des Präsidenten des Bun- desrechungshofes hinsichtlich der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs? 2. In welchem Ausmaß entgehen dem Land Rheinland-Pfalz Einnahmen aus der Umsatzsteuer, die auf das laut Bericht schlecht or- ganisierte Umsatzsteuersystem sowie die mangelnden Kontrollen zurückzuführen sind? 3. Wie möchte die Landesregierung tätig werden, um den im Bericht aufgezeigten Reformstau auf Bundesebene zu lösen? Was wären die nächsten geeigneten Schritte? 4. Teilt die Landesregierung den Vorschlag des Präsidenten des Bundesrechungshofs, die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand zu überdenken und das nationale Recht an die unionsrechtlichen Vorgaben anzupassen? 5. Welche Maßnahmen könnten nach Auffassung der Landesregierung ergriffen werden, um den derzeit einfach möglichen grenz - überschreitenden Steuerbetrug innerhalb der EU einzuschränken und zu verhindern? 6. Wie beurteilt die Landesregierung Schritte zu einer weiteren europäischen Harmonisierung bei der Umsatzsteuer? Das Ministerium der Finanzen hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 21. März 2013 wie folgt beantwortet: Die Kleine Anfrage des Abgeordneten Ulrich Steinbach bezieht sich auf den Bericht „Chancen zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens “ des Präsidenten des Bundesrechnungshofes in seiner Funktion als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, in dem dieser Vollzugsmängel und strukturelle Mängel bei der Umsatzsteuer beanstandet und dabei insbesondere auf den Katalog der Umsatzsteuerermäßigungen, das Binnenmarkt-Kontrollverfahren, die Umsatzbesteuerung bei der öffentlichen Hand und bei Vereinen sowie Datenbanken zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung eingeht. Erlauben Sie mir, vorab in Erinnerung zu rufen, dass das nationale Umsatzsteuerrecht Bundesrecht ist, das auf dem für den gesamten EU-Binnenmarkt verbindlich vorgegebenen Mehrwertsteuersystem beruht. Es kann nur nach Maßgabe der EU-rechtlichen Vorgaben geändert werden. Dieses System sieht eine Belastung nur des Endverbrauchs von Waren und Dienstleistungen mit Umsatzsteuer vor. Für Unternehmer soll die Umsatzsteuer dagegen belastungsneutral sein. Technisch wird dies dadurch erreicht, dass die Umsatzsteuer auf allen Stufen der Wertschöpfungskette erhoben und innerhalb der Unternehmerkette im Wege des sog. Vorsteuer - abzugs wieder neutralisiert wird (sog. Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug). Dieses System birgt wegen der dadurch Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 26. April 2013 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/2169 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode notwendigen umfangreichen wechselseitigen Zahlungs- und Verrechnungsströme zwischen Unternehmern und Fiskus Ausfallrisiken , die von Betrügern ausgenutzt werden können, aber auch in anderen Bereichen zu Tage treten, z. B. in Insolvenzfällen. Diese systembedingten Ausfälle finden EU-weit statt und können nach übereinstimmender Auffassung der Fachleute alleine mit den Mitteln des Vollzugs nicht vermieden werden. Rheinland-Pfalz hat sich deshalb bereits im Jahr 2001 mit den sog. „Mainzer Vorschlägen zur Umsatzsteuer“ für einen grundlegenden Systemwandel ausgesprochen, der im Kern einen Verzicht auf die Erhebung der Umsatzsteuer in der Unternehmerkette vorsieht. Der rheinland-pfälzische Reformvorschlag mündete schließlich in einen Vorstoß Deutschlands auf EU-Ebene, das Mehrwertsteuerrecht auf das Prinzip einer generellen Steuerschuldverlagerung (Reverse-Charge) umzustellen. Dieser Vorschlag für eine grundlegende Systemänderung erhielt aber trotz seiner in einem Planspiel belegten Wirksamkeit nicht die erforderliche Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten und wird daher zurzeit nicht weiter beraten. Von den genannten Systemfragen zu unterscheiden sind Bestimmungen zur Anwendung ermäßigter Steuersätze auf bestimmte Umsätze . Die Frage, ob ein Umsatz mit dem Regelsatz oder einem ermäßigten Steuersatz belegt wird, hat auf die erläuterten Erhebungsprinzipien der Mehrwertsteuer keinen Einfluss. Die EU-Vorgaben sehen daher auch die Möglichkeit vor, dass die EU-Mitgliedstaaten auf die grundsätzlich vorgesehenen Ermäßigungstatbestände ganz oder teilweise verzichten. Der Katalog der nach nationalem Umsatzsteuerrecht vorgesehenen Steuerermäßigungen könnte daher ohne Änderungen im EU-Recht gekürzt werden. Die Landesregierung teilt die Auffassung des Bundesrechnungshofes, dass er überarbeitungsbedürftig ist, um Abgrenzungsschwierigkeiten und Wettbewerbsverzerrungen zu reduzieren. In diesem Sinne hat sie sich wiederholt geäußert. Dies vorangestellt, beantworte ich namens der Landesregierung die vorbezeichnete Kleine Anfrage wie folgt: Zu den Fragen 1, 3 und 5: Die Landesregierung begrüßt den Bericht des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Sie teilt dessen Analyse und sieht sich dadurch in ihren eigenen Initiativen bestärkt. Aufgrund des hohen Anteils der Umsatzsteuer an den Haushaltseinnahmen des Bundes und der Länder ist eine möglichst vollständige Realisierung des Steueranspruchs im besonderen Interesse aller an ihren Einnahmen Beteiligten. Mit seinen Vorschlägen zur technischen Weiterentwicklung der bestehenden Verfahren, die zur Kontrolle der Umsatzsteuer genutzt werden, stützt der Bundesrechnungshof die diesbezüglichen Anstrengungen der Landesregierung. Das rheinland-pfälzische Finanzministerium hat sich stets dafür eingesetzt, dass die bei der Verwaltung der Umsatzsteuer angewandten technischen Verfahren an den aktuellen Stand der technischen Entwicklung angepasst sowie anwenderfreundlich und praxisorientiert ausgestaltet werden . Es hat wiederholt konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht und auf deren Umsetzung gedrängt. Es ist allerdings aus Sicht der Landesregierung darauf hinzuweisen, dass die Umsatzsteuer als Gemeinschaftssteuer von den Ländern nur im Zusammenwirken mit dem Bund und mit Hilfe länderübergreifend entwickelter elektronischer Verfahren verwaltet wird. Der mit Einführung des europäischen Binnenmarktes 1993 geschaffene, EU-rechtlich festgeschriebene grenzüberschreitende Datenaustausch („MIAS“) ist dabei z. B. allein beim Bund angesiedelt. Ebenso wird die zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung eingesetzte Datenbank „ZAUBER “ vom Bund verwaltet. Die Landesregierung kann daher nur in äußerst begrenztem Umfang auf Verbesserungen in diesem nicht in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgabenbereich hinwirken. So hat das rheinland-pfälzische Finanzministerium initiiert, dass das Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren, das bei den Finanzämtern der Länder angesiedelt ist, und das Verfahren zur Abgabe der sog. Zusammenfassenden Meldungen innergemeinschaftlicher Umsätze, welche vom Bund bearbeitet werden, zusammengeführt werden , um den Informationsfluss und -austausch für die Verwaltung und die Abläufe für die Unternehmen zu verbessern. Auf diese Initiative hin wurde die vom Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung in Tz. 3.2.2 angesprochene Arbeitsgruppe einberufen. Die Landesregierung setzt sich für eine zeitnahe Umsetzung ihrer Vorschläge ein. Eine effektive Verhinderung von systembedingten Umsatzsteuerausfällen lässt sich allein mit Mitteln des Vollzugs aber nicht erreichen . Es bedarf vielmehr, wie eingangs ausgeführt, einer Änderung des Systems selbst. Fachlich besteht zwischenzeitlich weitgehend Einigkeit, dass die Einführung des generellen Reverse-Charge-Verfahrens, das im zwischenunternehmerischen Bereich eine Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger vorsieht, wesentliche Verbesserungen bringen würde. Dazu bedarf es allerdings einer Änderung der EU-rechtlichen Grundlagen, für die ein einstimmiges Votum aller EU-Mitgliedstaaten erforderlich ist, das bisher auf EU-Ebene am Widerstand einzelner EU-Mitgliedstaaten gescheitert ist. Die Landesregierung wird sich gleichwohl weiterhin gegenüber dem Bund dafür einsetzen, dass ein grundlegender Systemwandel bei der Mehrwertsteuer auf EU-Ebene realisiert werden kann. Zu Frage 2: Entgangene Steuereinnahmen sind einer Quantifizierung naturgemäß nicht zugänglich. Dementsprechend gibt es keine exakten Erhebungen zu den Umsatzsteuerausfällen in Deutschland oder in anderen EU-Mitgliedstaaten. Die fehlenden Einnahmen werden anhand von Schätzungen auf Basis des Sollaufkommens ermittelt. Die letzte Schätzung, die der Landesregierung bekannt ist, wurde im Rahmen einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie im Jahr 2009 *) vorgenommen. Danach betrug 2 *) Vgl. http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/taxation/tax_cooperation/combating_tax_fraud/reckon_report_sep2009.pdf. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/2169 die Differenz zwischen dem Sollaufkommen und den tatsächlichen Einnahmen (sog. Mehrwertsteuer-Lücke) bezogen auf Deutschland im Jahr 2006 etwa 10 %. Bundesweit ergab dies einen geschätzten Umsatzsteuerausfall von damals knapp 17 Milliarden Euro. Unter Berücksichtigung der Verteilungswirkungen bei der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern dürften dem Land Rheinland -Pfalz demzufolge damals rein rechnerisch rund 375 Millionen Euro Einnahmen aus der Umsatzsteuer entgangen sein, wobei die Mehrwertsteuer-Lücke, wie das eingangs erwähnte Planspiel ergeben hat, nur teilweise auf das Umsatzsteuersystem und Kontrolldefizite im innergemeinschaftlichen Handel zurückzuführen ist. Eine Hochrechnung auf heutige Verhältnisse allein auf der Basis dieser Grundlagen hält die Landesregierung nicht für opportun, zumal wegen zwischenzeitlicher Rechts- und Steuersatzänderungen nicht ohne Weiteres von einer unverminderten Ausfallquote ausgegangen werden kann. Auch wenn die Ausfallzahlen einer empirischen Überprüfung nicht zugänglich sind, bilden sie aber jedenfalls die hohen Ausfallpotenziale bei der Umsatzsteuer ab. Vor diesem Hintergrund bedauert die Landesregierung ausdrücklich, dass eine Reform des Mehrwertsteuersystems auf der Basis der deutschen Vorschläge derzeit auf EU-Ebene nicht vorankommt. Zu Frage 4: Die Landesregierung teilt die Auffassung des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, dass die Besteuerung der öffentlichen Hand an die unionsrechtlichen Vorgaben angepasst werden muss. Wegen der Gesetzesbindung der Verwaltung sieht sich die Landesregierung in der Pflicht, eine zwischenzeitlich gefestigte und eindeutige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anzuwenden . Im Rahmen der Auftragsverwaltung muss dies aber mit dem Bund und den anderen Ländern abgestimmt sein. Eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes in diesem Bereich ist dazu nicht erforderlich, da der Bundesfinanzhof nicht das geltende Gesetz selbst, sondern dessen Auslegung für teilweise nicht europarechtskonform erklärt hat. Dies macht allerdings in vielen bisher umsatzsteuerrechtlich nicht relevanten Tätigkeitsbereichen von juristischen Personen öffentlichen Rechts nunmehr erstmalig eine Umsatzbesteuerung erforderlich. Daraus ergibt sich für die Betroffenen insoweit ein mitunter hoher Aufwand, um die betroffenen Bereiche zu identifizieren und die Besteuerung künftig sicherzustellen. Um dem sich daraus ergebenden besonderen Bedürfnis entgegenzukommen , sich auf die neue Situation einzustellen, wurde auf Bund-Länder-Ebene bereits festgelegt, dass eine vollständige Umsetzung der Rechtsprechung erst ab dem Jahr 2019 erfolgen soll. Bis dahin kann die öffentliche Hand bei der Versteuerung ihrer Leistungen grundsätzlich noch wie bisher verfahren. Zu Frage 6: Das Mehrwertsteuersystem beruht bereits auf für den gesamten EU-Binnenmarkt harmonisierten Regelungen in der sog. Mehrwertsteuer -Systemrichtlinie. Weitere Harmonisierungsschritte sind daher grundsätzlich nicht erforderlich. Die MehrwertsteuerSystemrichtlinie enthält allerdings eine Vielzahl von optionalen Regelungen, die den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnen, in einzelnen Bereichen von der harmonisierten Grundlage abzuweichen. Hinzu kommen einzelnen Mitgliedstaaten individuell durch den Rat erteilte Ermächtigungen zu Sonderregelungen. Beides hat zur Folge, dass das Mehrwertsteuerrecht in den Mitgliedstaaten derzeit trotz Harmonisierung nicht einheitlich angewendet wird. Für grenzüberschreitend tätige Unternehmen stellt dies eine Erschwernis dar, die den Wettbewerb und eine reibungslose Abwicklung der grenzüberschreitenden Liefer- und Dienstleis - tungsvorgänge beeinträchtigen kann. Die Landesregierung hält es daher für sinnvoll, die Rechtsgrundlagen der Mehrwertsteuer auf EU-Ebene insgesamt stärker zu vereinheitlichen, verkennt allerdings nicht, dass das auf EU-Ebene im Steuerrecht geltende Prinzip der Einstimmigkeit für jede Rechtsänderung eine große Herausforderung darstellt. In Vertretung: Dr. Salvatore Barbaro Staatssekretär 3