Drucksache 16/2193 03. 04. 2013 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 29. April 2013 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Martin Brandl (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Konsequenzen für streikende verbeamtete Lehrer Die Kleine Anfrage 1439 vom 12. März 2013 hat folgenden Wortlaut: Ich frage die Landesregierung: 1. Inwiefern wurden disziplinarische Maßnahmen gegen verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer ergriffen, die gestreikt haben? 2. Wie viele verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer haben gestreikt, gegen wie viele wurden disziplinarische Maßnahmen ergriffen? 3. Inwiefern haben Schulen streikende verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer gemeldet? 4. Mit welchen Konsequenzen haben verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer künftig zu rechnen, wenn sie streiken? 5. Wie ist das Streikverbot für Beamte generell und für Lehrerinnen und Lehrer im Besonderen mit den europäischen Menschen- rechtskonventionen zu vereinbaren? 6. Inwiefern zieht die Landesregierung gesetzliche Änderungen bezüglich des Streikverbots für Beamte in Erwägung? 7. Inwiefern zieht die Landesregierung in Erwägung, die bisherige Handhabung hinsichtlich verbeamteter und angestellter Lehr- kräfte zu ändern? Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 2. April 2013 wie folgt beantwortet: Zu den Fragen 1 und 2: Insgesamt haben 350 verbeamtete Lehrkräfte am Streik teilgenommen. Die für disziplinarrechtliche Maßnahmen zuständige Schulaufsicht wird in diesen Fällen ein Disziplinarverfahren einleiten. Zu Frage 3: Nachdem bekannt geworden war, dass zusätzlich zu den tarifbeschäftigten auch beamtete Lehrkräfte zur Teilnahme an den Streikmaßnahmen aufgerufen wurden, informierte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion am 19. Februar 2013 alle Schulen, dass Streikmaßnahmen von beamteten Lehrkräften unzulässig sind, und forderte die Schulen auf, die Lehrkräfte auf diese Rechtslage hinzuweisen. Nach dem Streik wurden die Schulen in einem weiteren Schreiben vom 5. März 2013 aufgefordert, die Namen der beamteten Lehrkräfte, die sich an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligten, mitzuteilen. Zu Frage 4: Beamtinnen und Beamte dürfen gemäß § 81 Abs. 1 Landesbeamtengesetz (LBG) dem Dienst nicht ohne Genehmigung fernbleiben. § 81 Abs. 3 Satz 1 LBG lautet: „Der Verlust der Bezüge wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst wird von der oder dem Dienstvorgesetzten festgestellt und der Beamtin oder dem Beamten mitgeteilt.“ Entsprechend regelt § 9 Satz 1 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG), dass ein ohne Genehmigung erfolgendes schuldhaftes Fernbleiben einer Beamtin oder eines Beamten vom Dienst den Verlust der auf die Zeit des Fernbleibens entfallenden Bezüge zur Folge hat. Dies gilt nach § 9 Satz 2 BBesG auch für Teile eines Tages. Der Verlust der Dienstbezüge ist gemäß § 9 Satz 3 BBesG festzustellen. Der Verlust der Dienstbezüge schließt eine disziplinarische Verfolgung nicht aus (§ 81 Abs. 3 Satz 2 LBG). Drucksache 16/2193 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Die Teilnahme beamteter Lehrkräfte an einem Warnstreik stellt in der Regel ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) dar, weil hierdurch gegen die der Beamtenschaft in besonderer Weise obliegende Treuepflicht verstoßen wird. Überdies regelt auch § 50 LBG ausdrücklich das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte. Liegen konkrete Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat der Dienstvorgesetzte ein Disziplinarverfahren einzuleiten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Landesdisziplinargesetz – LDG). Die zuständigen Disziplinarorgane entscheiden über die Art der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen. Disziplinarmaßnahmen bei Beamten sind Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung und Entfernung aus dem Dienst. Die Maßnahme soll vorrangig danach bemessen werden, in welchem Umfang die beamtete Lehrkraft ihre Pflichten verletzt und das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit beeinträchtigt hat; das Persönlichkeitsbild der Beamtin oder des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 1 LDG). Die konkrete Entscheidung ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Zu Frage 5: Das neue Landesbeamtengesetz vom 20. Oktober 2010 (GVBl. S. 319) weist in § 50 darauf hin, dass Dienstverweigerung oder Arbeitsniederlegung zur Wahrung oder Förderung der Arbeitsbedingungen mit dem Beamtenverhältnis nicht zu vereinbaren sind. Der Bestimmung wird bisher lediglich deklaratorische Bedeutung beigemessen, da das Streikverbot seit jeher zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Artikels 33 Abs. 5 des Grundgesetzes (GG) zählt (BVerfGE 8, 1 [17] ). In seinem Beschluss vom 19. September 2007 (BVerfGE 119, 247 [264] ) hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal deutlich darauf hingewiesen , dass dem Beamten kollektive Kampfmaßnahmen wie das Streikrecht verwehrt sind. Im Rahmen der Anhörung zu dem Entwurf des neuen Landesbeamtengesetzes lehnte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) das alle Beamtinnen und Beamten erfassende Streikverbot in § 50 LBG ab und forderte volle Koalitionsrechte im Sinne des Artikels 9 Abs. 3 GG für Beamtinnen und Beamte. Die Rechte zu Kollektivverhandlungen und Streik seien als durch Artikel 11 der Europä-schen Menschenrechtskonvention geschützt anzusehen (vgl. Drucksache 15/4465 Seite 89). Hierbei berief sich der DGB insbesondere auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 21. April 2009, Nr. 68959/01, das allerdings zur Rechts- und Verfassungslage in der Türkei ergangen ist. Mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. März 2012, Az.: 3 d A 317/11.0, wurde die Klage einer beamteten Lehrerin abgewiesen und damit die ursprünglich ergangene Disziplinarverfügung wegen Teilnahme an einem Warnstreik bestätigt. In seiner sehr ausführlichen Entscheidung kommt das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass ein Streikrecht für Beamte in Deutschland gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Artikel 33 Abs. 5 GG verstößt. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin wurde durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Januar 2013, Az.: 2 B 46.12 (2 C 1.13), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Eine Entscheidung liegt noch nicht vor. Als weiteres Obergericht hat das OVG Lüneburg mit Urteil vom 12. Juni 2012, Az.: 20 BD 8/11, entschieden, dass die Unzulässigkeit eines Beamtenstreiks als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums verfassungsrechtlich bestimmt und die insoweit gegebene Einschränkung der Koalitionsfreiheit auch verhältnismäßig sei. Diesem Verfahren liegt ebenfalls die Teilnahme einer beamteten Lehrkraft an einem Warnstreik zugrunde. Gegen das – gemäß § 61 Abs. 2 des niedersächsischen Disziplinargesetzes rechtskräftige – Urteil wurde laut einer Mitteilung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Verfassungsbeschwerde eingelegt, über deren Annahme durch das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden ist. Aufgrund der geltenden Rechtslage und der bereits vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung stellt die Teilnahme verbeamteter Lehrkräfte an einem Warnstreik für die Landesregierung ein schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst mit besoldungsrechtlichen Konsequenzen und ein disziplinarrechtlich ahndungsfähiges Dienstvergehen dar. Im Übrigen bleiben die Entscheidungen des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage eines partiellen Streikrechts von Beamtinnen und Beamten vor dem Hintergrund der eingangs zitierten Rechtsprechung des EGMR abzuwarten. Sollte sich hieraus die Notwendigkeit zu einer Änderung der nationalen Rechtslage ergeben, müsste dies im Hinblick auf die den Beamtenstatus in besonderer Weise prägende Bedeutung des bisher umfassenden Streikverbots im Beamtenstatusgesetz des Bundes erfolgen. Zu den Fragen 6 und 7: Aus den zuvor in Beantwortung der Frage 5 dargestellten Gründen zieht die Landesregierung derzeit weder gesetzliche Änderungen bezüglich des Streikverbots für Beamte in Erwägung, noch besteht aus ihrer Sicht zurzeit Veranlassung, die bisherige Handhabung zu ändern. In Vertretung: Vera Reiß Staatssekretärin