Drucksache 16/2198 08. 04. 2013 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Ulrich Steinbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums der Finanzen Steuergestaltung, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung multinationaler Konzerne, Auswirkungen auf die steuerliche Einnahmesituation in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 1453 vom 20. März 2013 hat folgenden Wortlaut: In letzter Zeit häufen sich die Berichte, dass dem europäischen und deutschen Fiskus durch Steuergestaltung, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung im Rahmen der grenzüberschreitenden Einkommens- und Konsumbesteuerung Milliardeneinnahmen verloren gehen. Im Fokus des Interesses und der Berichterstattung stehen dabei insbesondere multinationale Konzerne, die ihre Standortwahl einzig von Steuergestaltungsmöglichkeiten abhängig machen und so trotz erheblicher Gewinne, kaum Steuern bezahlen. Die EU schätzt, dass ihren Mitgliedsländern jedes Jahr 1 000 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung, Steuergestaltung und Schattenwirtschaft verloren gehen. Auf Deutschland entfallen demnach rund 150 Milliarden Euro Steuerausfälle, wobei ein Teil dieser Ausfälle auf die aggressiven Steuergestaltungen zurückgeht. Auch die G-20-Staaten wollen sich noch in diesem Jahr dem Thema annehmen und einen Aktionsplan erarbeiten, um gemeinsam die „kreative“ Steuergestaltungspraxis multinationaler Unternehmen zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Inwieweit bestehen bei der Unternehmensbesteuerung (insbesondere bei multinationalen Konzernen) Steuergestaltungsmög- lichkeiten, die dem deutschen Fiskus und damit auch Rheinland-Pfalz Steueraufkommen entziehen? 2. Inwieweit bestehen bei der grenzüberschreitenden Konsumbesteuerung (insbesondere für multinationale Konzerne) Steuerge- staltungsmöglichkeiten, die dem deutschen Fiskus und damit auch Rheinland-Pfalz Steueraufkommen entziehen? 3. Inwieweit bestehen im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen nach Auffassung der Landesregierung Lücken, von denen insbesondere multinationale Konzerne profitieren und die dem deutschen Fiskus und damit auch Rheinland-Pfalz Steueraufkommen entziehen? 4. Wie hoch schätzt die Landesregierung das Steuereinnahmepotenzial für Rheinland-Pfalz bei einer strikten Verringerung der Gestaltungsmöglichkeiten und Schließung entsprechender Regelungslücken? Das Ministerium der Finanzen hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 4. April 2013 wie folgt beantwortet : Zu Frage 1: Multinationale Unternehmen nutzen grenzüberschreitend die unterschiedlichen nationalen Rechtssysteme und das Steuergefälle zwischen Hoch- und Niedrigsteuerländern, um die steuerliche Belastung so gering wie möglich zu halten. Ziel ist es, die Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern, Verluste hingegen in Hochsteuerländern nutzbar zu machen. Die Gewinnverschiebung erfolgt meist auf legalem Wege, indem beispielsweise Gewinne in Form von Zinsen steuermindernd an konzerneigene, in einem Niedrigsteuerland ansässige Finanzierungsgesellschaften überwiesen werden, oder durch die Zahlung von Lizenzgebühren für Patente, Marken oder Urheberrechte an konzerneigene Gesellschaften. Zudem eignen sich hybride Finanzierungsinstrumente, die von einigen Staaten als Eigenkapital, von anderen Staaten hingegen als Fremdkapital behandelt werden, zur Gewinnverlagerung, weil durch die unterschiedliche Einordnung der Finanzierungskosten im Quellenstaat die Aufwendungen als Betriebsausgaben abgezogen werden, während im Empfängerstaat die erhaltenen Zahlungen als Dividenden ermäßigt oder gar nicht besteuert werden. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 7. Mai 2013 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/2198 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Auch die Bestimmung von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen eignet sich zur Gewinnverschiebung in Niedrigsteuerländer, weil zwischen den Vertragsstaaten von Doppelbesteuerungsabkommen oftmals unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, welcher Preis zwischen verbundenen Unternehmen dem abkommensrechtlich maßgeblichen Fremdvergleichspreis entspricht. Zu Frage 2: In der aktuellen Debatte geht es primär um Gewinnverlagerungen mit dem Ziel, die Ertragsteuerbelastung für Unternehmen zu senken. Die ergänzend gestellte Frage nach Gestaltungsmöglichkeiten bei der grenzüberschreitenden Konsumbesteuerung versteht die Landesregierung so, dass sie die Umsatzbesteuerung von über die Grenze erbrachten Warenlieferungen und Dienstleistungen an Endverbraucher betrifft. Nach den Erkenntnissen der Landesregierung sind in diesem Bereich Steuergestaltungsmöglichkeiten, die dem deutschen Fiskus Steueraufkommen entziehen, nicht in größerem Umfang praxisrelevant. Nach den maßgeblichen unionsrechtlichen Bestimmungen findet vielmehr die Zuweisung des Aufkommens der Mehrwertsteuer auf die Staaten anhand der Regelungen zum Besteuerungsort statt. Da beim Warenversand an Endabnehmer ab einem relevanten Umsatzvolumen das Verbrauchsortprinzip bereits der Regelfall ist und sich auch der Ort der Dienstleistungen zunehmend nach dem Verbrauchsort richtet, hat regelmäßig der Staat das Steueraufkommen aus dem Umsatz, in dem der Endverbraucher wohnt. Dies dient der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen im jeweiligen Inlandsmarkt und entspricht internationalen Standards. Zwar ergeben sich insoweit mitunter zwischen den Mitgliedstaaten Differenzen bei der Qualifikation einzelner Umsätze, die erforderlichenfalls bilateral oder in dem für solche Fälle gebildeten sog. EU-Mehrwertsteuerausschuss zu klären sind. Gestaltungsmöglichkeiten sind hier aber kaum denkbar. Lediglich vereinzelte Versuche sind bekannt geworden, beim Warenversand an inländische Verbraucher durch Vertragsgestaltungen den Besteuerungsort ins Ausland zu verlegen. Sie wurden aber als unzulässig verworfen, was auch gerichtlich zwischenzeitlich bestätigt worden ist. Zu Frage 3: Lücken in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen insbesondere dort, wo Einkünfte aufgrund von Qualifikationskonflikten, die ihre Ursache im nationalen Recht der Vertragsstaaten haben, von beiden Vertragsstaaten jeweils unterschiedlichen Abkommensbestimmungen zugeordnet werden. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine in einem Staat ansässige Tochtergesellschaft Zinsen an eine im anderen Staat ansässige Muttergesellschaft zahlt, für die der Staat der Muttergesellschaft das alleinige Besteuerungsrecht hat, und im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft die Zinsen als Dividenden behandelt und nach nationalen Vorschriften steuerfrei gestellt werden. Es empfiehlt sich daher, in Doppelbesteuerungsabkommen eine verbindliche Regelung aufzunehmen, die eine einheitliche Qualifikation der Zahlungen durch beide Staaten gewährleistet, indem die Qualifikation des Quellenstaats als verbindlich festgeschrieben wird. Eine solche Regelung ginge aber ins Leere, wenn der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft trotz übereinstimmender Qualifikation die Einkünfte nach nationalem Recht nicht besteuert, um zusätzliche Anreize zu schaffen. Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung grenzen Steueransprüche zweier Staaten gegeneinander ab, können aber ihrer Rechtsnatur nach keine Steueransprüche begründen. Zu Frage 4: Entgangene Steuereinnahmen sind einer Quantifizierung naturgemäß nicht zugänglich. Dementsprechend liegen auch keine konkreten Erhebungen zum Steuereinnahmepotenzial durch eine Verringerung von Gestaltungsmöglichkeiten und durch Schließung von Regelungslücken vor. Die genannte EU-Schätzung zu Steuerausfällen in Deutschland differenziert nicht zwischen Steuerausfällen durch Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung auf der einen und Steuergestaltungen auf der anderen Seite, sodass daraus abgeleitet eine seriöse Schätzung zum Steuereinnahmepotenzial durch eine Verringerung von Gestaltungsmöglichkeiten und durch Schließung von Regelungslücken für Rheinland-Pfalz nicht möglich ist. In Vertretung: Dr. Salvatore Barbaro Staatssekretär