Drucksache 16/2425 11. 06. 2013 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 26. Juni 2013 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Pia Schellhammer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Sensibilität gegenüber queeren Lebensweisen im Zuge von Fahndungen der rheinland-pfälzischen Polizei Die Kleine Anfrage 1577 vom 15. Mai 2013 hat folgenden Wortlaut: Medienberichten zufolge fahndet die rheinland-pfälzische Polizei seit dem 7. Mai 2013 nach einer transsexuellen Frau, die nach einem Freigang nicht in die Justizvollzugsanstalt Diez zurückkehrte. Sie verbüßte dort eine Freiheitsstraße wegen Einbruchsdiebstählen . Die Berichterstattung, vor allem in den Online-Medien, fasste die Transsexualität der Flüchtigen als Nachrichtenwert auf, woraufhin die Debatte in Online-Portalen und sozialen Netzwerken von Hetzparolen, Morddrohungen und Diffamierungen bestimmt wurde. Dies Reaktionen zeigen, dass noch erheblicher Bedarf im Bereich der Akzeptanzarbeit für queere Lebensweisen – hierunter fallen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle und Intersexuelle – besteht. Im Rahmen der Polizeiarbeit ist daher eine besondere Sensibilität erforderlich. Daher frage ich die Landesregierung: 1. Welche Vorschriften gibt es zum Erstellen von Fahndungsaufrufen und wie wurden diese im oben erwähnten Fall beachtet? 2. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Polizisten und Polizistinnen hinsichtlich queerer Lebensweisen zu sen- sibilisieren? 3. Welche Bedeutung hat die Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz queerer Lebensweisen in Rheinland-Pfalz für die Lan- desregierung? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 10. Juni 2013 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Die Öffentlichkeitsfahndung kann sowohl zu präventiven (§ 34 Abs. 7 POG) als auch zu repressiven Zwecken (§§ 131 ff. StPO) erfolgen. Einzelheiten zum Verfahren und den beteiligten Stellen sind in den Nummern 39 bis 41 der Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) sowie in der PDV 384.1 – Fahndung geregelt. Fachliche Anweisungen zur Durchführung der polizeilichen Öffentlichkeitsfahndung, insbesondere zum zulässigen Umfang von Personenbeschreibungen, finden sich zuletzt auch im Handbuch für das Informationssystem der Polizei (POLIS). Die gesuchte Person befand sich zur Verbüßung einer mehrjährigen Freiheitsstraße in der Justizvollzugsanstalt Diez. Nachdem sie am 13. März 2013 aus einem gewährten Ausgang nicht in die Justizvollzugsanstalt Diez zurückgekehrt war, hat die Staatsanwaltschaft Koblenz als zuständige Vollstreckungsbehörde am 15. März 2013 einen Vollstreckungshaftbefehl erlassen und die verurteilte Person zur Festnahme ausgeschrieben. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Koblenz hat das Amtsgericht Cochem mit Beschluss vom 2. Mai 2013 auf der Grundlage der §§ 131 ff. StPO die Öffentlichkeitsfahndung unter Verwendung eines Lichtbilds der verurteilten Person angeordnet. Das Polizeipräsidium Koblenz hat die Fahndung auf der Internetseite der Polizei Rheinland-Pfalz als Pressemeldung unter der Rubrik „Presse und Aktuelles“ veröffentlicht. Gemäß § 131 Abs. 4 Satz 1 StPO ist die gesuchte Person möglichst genau zu bezeichnen und – soweit erforderlich – zu beschreiben. Hierdurch soll die Gefahr von Verwechslungen mit anderen Personen ausgeschlossen werden. Nach den fachlichen Anweisungen des POLIS-Systems können zu einer Fahndung Lichtbilder in Verbindung mit der Datengruppe „Personenbeschreibung“ erfasst Drucksache 16/2425 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode werden. Hierzu gehören u. a. Geschlecht, scheinbares Alter, Gewicht, Größe, Gestalt, äußeres Erscheinungsbild, körperliche Merkmale und andere personengebundene Merkmale. Vorliegend enthielt die in der Pressemeldung dargestellte Personenbeschreibung Angaben zum Alter, zur Größe, zur Bekleidung und zum Aussehen. Sie bewegt sich mithin im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und der nach POLIS zulässigen Merkmale. Dies sollte auch für den Hinweis auf das männliche Aussehen (insbesondere „Glatze mit Haarkranz“) gelten, da dieses Merkmal im Widerspruch zu der Ausschreibung einer weiblichen Person stand und mithin der Erläuterung bedurfte. Die Veröffentlichung des früheren „männlichen“ Vornamens stellt auch keinen Verstoß gegen das Offenbarungsverbot gemäß § 5 Transsexuellengesetz dar, weil dieser Umstand für den möglichen Fahndungserfolg von Bedeutung sein konnte. Diskriminierende Formulierungen sind in der Öffentlichkeitsfahndung nicht enthalten. Zu Frage 2: Zur Sensibilisierung der Polizistinnen und Polizisten hinsichtlich queerer Lebensweisen werden vielfältige Maßnahmen ergriffen. Mit der Unterzeichnung der „Charta der Vielfalt“ für die Polizei im Jahr 2009 durch den damaligen Innenminister Bruch hat sich der Dienstherr selbst verpflichtet, jeder Form der Diskriminierung entgegenzutreten. Im Februar 2011 wurde durch den Abschluss einer Dienstvereinbarung mit dem Hauptpersonalrat Polizei eine Ansprechstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen eingerichtet. Ein Ansprechpartner und eine Vertreterin stehen mit einem Teil ihrer Arbeitszeit für die Aufgabenerledigung in der Ansprechstelle zur Verfügung. Die Ansprechstelle bietet sowohl bei innerdienstlichen Problemen vertrauensvolle Beratung und Intervention an, ist aber auch Kontaktpunkt für Gewaltopfer sowie für Initiativen und Organisationen, die sich der Prävention widmen. Zwar ist der Begriff der queeren Lebensweisen nicht ausdrücklich Gegenstand der Dienstvereinbarung. Selbstverständlich gilt das Angebot aber für alle Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und Identitäten als der heterosexuellen. Die Ansprechstelle informiert die Studierenden der Bachelorstudiengänge am Fachbereich Polizei der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung über bestehende Beratungsangebote. Regelmäßig findet am Fachbereich Polizei ein „Tag der Begegnung“ statt, in dessen Rahmen sich neben den Berufsvertretungen auch der Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter den Studierenden präsentiert. Am 28. Mai 2013 wurde an der Landespolizeischule ein Symposium für die Polizei Rheinland-Pfalz mit dem Titel „Vielfalt als Chance verstehen – gleichgeschlechtliche Lebensweisen als Herausforderung für die Polizei“ durchgeführt. Zielgruppe waren insbesondere polizeiliche Führungskräfte aller Ebenen, interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Sozialberater und -beraterinnen , Bedienstete der Zentren Polizeiliche Prävention sowie Polizeiseelsorger. Vorträge informierten und sensibilisierten hinsichtlich der sexuellen Identität als Bestandteil eines ganzheitlichen Diversity Managements. In unterschiedlichen Gesprächsgruppen kam es zu einem intensiven Erfahrungs- und Informationsaustausch. Eine Gesprächsgruppe befasste sich konkret mit queeren Lebensweisen in der Polizei. In diesem Rahmen berichtete eine transsexuelle Mitarbeiterin über ihre Erfahrungen in der Polizei. Das rheinland-pfälzische Netzwerk QueerNet hatte im Rahmen des Symposiums ebenfalls Gelegenheit, seine Arbeit vorzustellen und Informationsmaterialien zu verteilen. Zu Frage 3: Die Landesregierung sieht Vielfalt als eine Bereicherung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Identität, ihrer geschlechtlichen Identität und des Geschlechtsausdrucks zu akzeptieren, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft und ein Motor für gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen. Nur wenn sich jeder einzelne Mensch angenommen und akzeptiert fühlt, kann er seine Potenziale in allen Lebensbereichen entfalten. Mit dem politischen Schwerpunktthema „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen“ verfolgt die Landesregierung daher die Ziele, die Ausgrenzung und Diskriminierung im Bereich sexueller Identität abzubauen, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle vollständig rechtlich gleichzustellen und die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt aktiv zu fördern. Zur Umsetzung des Schwerpunkts hat die Landesregierung einen Landesaktionsplan mit rund 150 Einzelmaßnahmen in acht gesellschaftlichen Handlungsfeldern erarbeitet, der im Januar 2013 vom Ministerrat verabschiedet wurde. Darüber hinaus hat die Landesregierung im Februar 2013 eine Zielvereinbarung mit QueerNet Rheinland-Pfalz e. V., dem Netzwerk für queere Lebensweisen , unterzeichnet, auf deren Grundlage der Landesaktionsplan in einem auf Dauer angelegten Prozess konsequent umgesetzt werden soll. Ziel ist es, dazu vielfältige Partnerinnen und Partner im Land zu gewinnen. Der Landesaktionsplan „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen – Akzeptanz für queere Lebensweisen“ ist Teil der Politik gegen Antidiskriminierung und für Vielfalt, der auch die Politik gegen Diskriminierungen von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft , wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder des Alters umfasst. Roger Lewentz Staatsminister