Drucksache 16/2435 12. 06. 2013 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Dr. Fred Konrad und Dr. Dr. Rahim Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Barmer GEK-Studie zu ADHS Die Kleine Anfrage 1590 vom 21. Mai 2013 hat folgenden Wortlaut: Die Daten aus der Auswertung der Diagnosestellung und der Verordnungshäufigkeit von Stimulanzien bei ADHS zeigen RheinlandPfalz in der Barmer GEK-Studie an erster Stelle im Bundesvergleich. Besonders auffallend sind regionale Häufungen in Rheinland-Pfalz, die bei doppelter Häufigkeit des bundesdurchschnittlichen Wertes liegen. Die neue Bedarfsplanungsrichtlinie ist seit 1. Januar 2013 in Kraft. Ein Ziel der Reform war u. a. die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung das Ergebnis des Barmer GEK-Reports bezüglich der Daten zu Rheinland-Pfalz? 2. Hat die Landesregierung Erkenntnisse, ob die Diagnose und die Therapie von ADHS nach den gängigen Leitlinien erfolgen? 3. Gibt es spezifische Erkenntnisse, welche Institutionen ggf. für diese Häufungen und regionalen Unterschiede in Rheinland-Pfalz verantwortlich sind? 4. Liegen der Landesregierung Hinweise vor, dass diese Zahlen/Häufungen für alle Versicherten (auch andere Krankenkassen) in Rheinland-Pfalz gelten? 5. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Annahme und Wirkung des ADHS-Vertrages und ggf. der erzielten Verbes- serung der Versorgung? 6. Wurde die Fortbildung zu ADHS mit Landesärztekammer, Landesapothekenkammer und forschenden Pharmafirmen im November 2012, wie im Sozialausschuss vom 31. Mai 2012 erwähnt, durchgeführt, wie war die Resonanz und warum wurde die Psychotherapeutenkammer bzw. wurden andere Leistungserbringer nicht beteiligt? 7. Welche Handlungsmöglichkeiten leitet die Landesregierung bezüglich der Psychotherapie, Schulsozialarbeit und deren Vernetzung aus dem Report ab? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 12. Juni 2013 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Der aktuelle Barmer-Gesundheitsreport weist aus, dass Rheinland-Pfalz bei der Diagnostik von ADHS und auch der Verschreibung von Methylphenidat im Bundesländervergleich an erster Stelle steht. Allerdings liegen alle Bundesländer relativ dicht beieinander. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass dies nur die Zahlen einer Krankenkasse sind; der Aussagegehalt muss entsprechend relativiert werden. Den niedrigsten Wert bei der Diagnostik erreicht danach Hessen mit 7,71 pro 1 000 Versicherten, der Mittelwert liegt bei 9,15 und Rheinland-Pfalz bei 11,06. Die Diagnose ADHS werde demnach in Rheinland-Pfalz pro 1 000 Versicherten bei 11,06 Versicherten gegenüber bundesweit durchschnittlichen 9,15 Versicherten gestellt. Entsprechend liegen auch die Verordnungsraten von Methylphenidat etwas höher als im Durchschnitt: In Rheinland-Pfalz bei 5,45 Betroffenen pro 1 000 Versicherten im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt von 4,11. Die Gründe dafür, dass Rheinland-Pfalz im Bundesvergleich der Barmer GEK-Versicherten die höchsten Verschreibungs- und Diagnoseraten aufweist, sind der Landesregierung nicht bekannt. Dies würde die Untersuchung der Gründe für die Diagnose- und Verschreibungspraxis jeder einzelnen Ärztin beziehungsweise jedes einzelnen Arztes in Rheinland-Pfalz erfordern. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 9. Juli 2013 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/2435 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Eine pauschale Bewertung der vorliegenden Zahlen wäre ebenfalls schwierig, weil die These, wonach ADHS zu häufig diagnostiziert und Kinder und Jugendliche daher zu Unrecht über Jahre hinweg medikamentös behandelt werden, in der Fachwelt seit Jahren kontrovers diskutiert wird. Teilt man die Auffassung, wonach ADHS erst seit einigen Jahren als Krankheit erkannt wird, lässt sich der Anstieg der Diagnosen auch damit begründen. Zu 2.: Der Landesregierung liegen hierüber keine Erkenntnisse vor. Ihr liegen auch keine entsprechenden Patientenbeschwerden vor. Eine Überprüfung der leitliniengerechten Diagnostik und Therapie in Rheinland-Pfalz ist auch nicht über die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz möglich, denn es gibt aktuell kein ADHS-spezifisches diagnostisches Testverfahren, das gesondert abrechnungsfähig ist. Gleiches gilt für die Therapie. Aus Datenschutzgründen ist eine patientenindividuelle Verknüpfung von Arzneimittelverordnungen und Abrechnungsziffern ausgeschlossen. Zu 3. und 4.: Regionale Unterschiede in Rheinland-Pfalz bestehen auch bei der Betrachtung aller GKV-Versicherten mit der Diagnose F 90 – hyperkinetische Störungen. Insbesondere in Kreisen mit einem überdurchschnittlich hohen ADHS-Patientenanteil (zum Beispiel Landau, Neustadt, Frankenthal) erfolgt die Patientenversorgung überwiegend durch wenige, hoch spezialisierte Praxen oder Klinikinstitute. Beispielsweise betreuen in Landau drei spezialisierte Praxen oder Institute über 90 Prozent der medikamentös therapierten gesetzlich krankenversicherten ADHS-Patienten in der Region. Im aktuellen Barmer GEK-Report wird der ADHS-Patientenanteil für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 0 und 19 Jahren mit 4,14 Prozent (Bundesdurchschnitt 2011) angegeben. Ein ähnlicher Wert ergibt sich auch kassenübergreifend für Rheinland-Pfalz: Laut einer vorangegangenen VIS-Analyse beträgt der GKV-Patientenanteil mit der gesicherten Diagnose F.90 in Rheinland-Pfalz 4,33 Prozent. Hierbei wurden – abweichend zum Barmer GEK-Report – Patienten im Alter von 0 und 21 Jahren einbezogen, da die Diagnose ADHS auch im jungen Erwachsenenalter noch relativ häufig vorkommt. Die F 90-Diagnoserate bei Kindern und Jugendlichen zwischen 0 und 21 Jahren ist auch in Rheinland-Pfalz zwischen 2006 und 2011 deutlich um 30 Prozent gestiegen. Allerdings stagnieren diese Zuwächse in den letzten Jahren in Rheinland-Pfalz: Im 2011 beträgt der Anstieg noch 1,15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zur medikamentösen Behandlung von ADHS werden typischerweise Methylphenidat sowie Atomoxetin eingesetzt. Die Verordnungsmenge (DDD) dieser Wirkstoffe ist in Rheinland-Pfalz zwischen 2006 und 2011 – analog der Diagnoseraten – ebenfalls deutlich um 28,57 Prozent gestiegen. Auch dieser Zuwachs erfolgte überwiegend in den ersten Jahren, denn in den Jahren 2010 und 2011 blieb die Verordnungsmenge nahezu konstant. Im Jahr 2011 wurden insgesamt 4,27 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 0 und 21 Jahren in Rheinland-Pfalz mit einem dieser Wirkstoffe behandelt. Bundesvergleichsdaten liegen hierzu nicht vor. Zu 5.: Soweit der Landesregierung bekannt ist, gibt es einen ADHS-Vertrag in Baden-Württemberg, den die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Vertragsarbeitsgemeinschaft der Betriebskrankenkassen abgeschlossen haben. Darüber hinaus ist ein ADHS-Versorgungskonzept zwischen der AOK Rheinland/Hamburg, der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sowie Psychotherapeuten zur Verbesserung der Versorgung von Kindern mit ADHS geplant. Der Landesregierung liegen jedoch keine Erkenntnisse über die Annahme und Wirkung dieser ADHS-Verträge vor. Zu 6.: Die in der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses am 31. Mai 2012 für Ende November 2012 erwähnte Fortbildungsveranstaltung zur Problematik der Arzneimitteltherapie bei Kindern mit dem Brennpunkt „ADHS“ wurde auf den 4. Juni 2013 verlegt und fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gesundheitspolitischer Impuls“ unter dem Thema „Wie zukunftssicher ist die Arzneimitteltherapie für Kinder?“ statt. Die Resonanz war sehr gut. Die Psychotherapeutenkammer war ebenfalls eingeladen und auch vertreten. Zu 7.: Die Behandlung mit Methylphenidat setzt die gesicherte, kriterienorientierte Diagnostik einer ADHS und eine entsprechende Schwere und Dauer der Erkrankung voraus. Die therapeutische Gesamtstrategie umfasst psychologische, pädagogische, soziale und auch pharmakologische Maßnahmen und die Behandlung darf nur noch unter der Aufsicht eines Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern durchgeführt werden. Sofern der neue Bedarfsplanungsplan vom Landesausschuss (bestehend aus Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung und der gesetzlichen Krankenkassen) am 21. Juni 2013 ohne Änderungen beschlossen wird, werden 63,5 zusätzliche psychotherapeutische Sitze in Rheinland-Pfalz entstehen. Die Kassenärztliche Vereinigung kann bei der Aufstellung des Bedarfsplans im Einvernehmen mit den Krankenkassen darüber hinaus von den Vorgaben der Bedarfsplanungsrichtlinie abweichen und andere Abgrenzungen für Planungsbereiche oder andere Arzt-Patienten-Verhältniszahlen festlegen. Abweichungen sind in jedem Einzelfall zu begründen und explizit im Bedarfsplan auszuweisen. Zu den Gründen gehören beispielsweise die regionale Demografie und Morbidität, räumliche Faktoren und besondere Versorgungslagen. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/2435 Primär ist die Schulsozialarbeit, die auf der Grundlage des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfegesetz) angeboten wird, ein präventives Angebot, das zur emotionalen Stabilisierung von Schülerinnen und Schülern beiträgt, auf die Vernetzung und Kooperation von Schule und anderen Institutionen zielt sowie Eltern in ihrer Erziehungskompetenz unterstützt. Zu den zentralen Arbeitsfeldern der Schulsozialarbeit, wie sie vom Land Rheinland-Pfalz an allgemeinbildenden Schulen gefördert wird, gehören unter anderem auch die Einzelfallhilfe, das soziale Lernen in Gruppen sowie freizeitpädagogische Angebote. Diese Angebote kommen jetzt schon auch Kindern und Jugendlichen zugute, bei denen ADHS vermutet wird beziehungsweise bei denen eine entsprechende Diagnose erstellt wurde. Das sozialpädagogische Angebot an der Schnittstelle von Schule und Jugendhilfe kann außerdem dabei unterstützen, über weitere Ressourcen zur Förderung des betroffenen Kindes zu informieren. Eine direkte Ableitung zusätzlicher Handlungsmöglichkeiten kann auf der Grundlage des vorliegenden Reports nicht erfolgen. Alexander Schweitzer Staatsminister 3