Drucksache 16/2453 13. 06. 2013 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Hedi Thelen und Dr. Peter Enders (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Folgen einer Bürgerversicherung für ärztliche Versorgung und Patientensituation in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 1645 vom 5. Juni 2013 hat folgenden Wortlaut: In aktuellen Meldungen des NAV-Virchow-Bundes wird darauf hingewiesen, dass jetzt vorliegende Studien die negativen Folgen und den fehlenden Nutzen einer Bürgerversicherung für ärztliche Versorgung und Patientensituation belegen. Wir fragen die Landesregierung: 1. Inwieweit sichert die private Krankenversicherung gegenwärtig Finanzierung und Funktion des Gesundheitssystems in Rheinland-Pfalz? 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Folgen einer Bürgerversicherung für die ärztliche Versorgung in Rheinland-Pfalz vor dem Hintergrund, dass aktuelle Studien des PVS-Verbandes mit massiven Umsatzverlusten der niedergelassenen Ärzte aller Fachgruppen bei Einführung einer Bürgerversicherung rechnen? 3. Wie beurteilt die Landesregierung den Vorteil einer Bürgerversicherung für Patientinnen und Patienten in Rheinland-Pfalz vor dem Hintergrund, dass eine aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherung ein Hauptargument der Befürworter einer Bürgerversicherung widerlegt und zu dem Ergebnis kommt, dass es in Deutschland kein Wartezeitenproblem aufgrund einer sog. Zwei-Klassen-Medizin gibt? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 12. Juni 2013 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Laut einer aktuellen Erhebung des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI-Praxis-Panel) haben die Gesamteinnahmen aus Kassenärztlicher Tätigkeit je Praxisinhaber – also die Einnahmen von Seiten der GKV – im Jahr 2009 mit 199 000 Euro knapp 75 Prozent der Gesamteinnahmen (266 000 Euro) ausgemacht. Die restlichen gut 25 Prozent der Gesamteinnahmen setzen sich zusammen aus der Vergütung für privat versicherte Patientinnen und Patienten, aber auch für berufsgenossenschaftliche Behandlungsfälle, Selbstzahlerleistungen („IGeL-Leistungen“) oder gutachterliche Tätigkeiten. In einer reinen GKV-Praxis könnte ein Vertragsarzt nach der Erhebung des Zentralinstituts einen durchschnittlichen Jahresüberschuss nach Abzug der Praxiskosten in Höhe von gut 98 000 Euro verbuchen. Die private Krankenversicherung leistet zweifellos einen – gemessen an der Versichertenzahl – überdurchschnittlichen Finanzierungsbeitrag für das Gesundheitswesen. Allerdings wird die gesundheitliche Versorgung insgesamt und vor allem im ländlichen Raum, in dem privat Versicherte in unterdurchschnittlichem Umfang vertreten sind, weit überwiegend über Einnahmen aus der GKV getragen. Dies gilt in besonderem Maße für die hausärztliche Versorgung, in der der Anteil von Privatpatienten mit unter acht Prozent deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt liegt. Zur Sicherung der flächendeckenden hausärztlichen Versorgung leistet die PKV folglich nur einen bescheidenen Beitrag. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 12. Juli 2013 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/2453 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu 2.: Der Autor der Studie ist stellvertretender Vorsitzender des PVS-Verbandes (Verband der privatärztlichen Verrechnungsstellen). Die privatärztlichen Verrechnungsstellen sind von der Einführung einer Bürgerversicherung direkt betroffen. Insofern sind die in der Studie enthaltenen Botschaften zu bewerten. Nach dem in der Öffentlichkeit diskutierten Bürgerversicherungskonzept soll die Einführung einer Bürgerversicherung mit der Einführung einer einheitlichen Honorarordnung einhergehen, die insgesamt nicht zu weniger Mitteln in der ambulanten Versorgung führen soll. Im der politisch-programmatischen Diskussion wird hierzu ausgeführt, dass das Gesamthonorarvolumen dabei nicht geschmälert, sondern gerechter verteilt würde. In der Summe sei – anders als in der Studie unterstellt – also nicht mit Umsatzverlusten zu rechnen. Unabhängig davon zeigt die Studie sehr deutlich, dass die Einführung einer Bürgerversicherung ohne eine im politischen Diskurs vorgesehene Kompensation die für die wohnortnahe Versorgung so wichtigen Hausärztinnen und Hausärzte in deutlich geringerem Umfang als andere Arztgruppen betreffen würde. Hier wären nur knapp 16 Prozent der Umsätze betroffen – verglichen mit über 30 Prozent bei vielen anderen Arztgruppen. Damit deutet auch diese Studie darauf hin, dass vor allem die häufig in größeren Städten angesiedelten Fachärzte, bei denen nach den Zahlen der Bedarfsplanung nach wie vor größtenteils von einer Überversorgung gesprochen werden kann, von der überdurchschnittlichen Vergütung durch die private Krankenversicherung profitieren. Es sind nicht die Hausärztinnen und Hausärzte auf dem Land. Eine einheitliche Honorarordnung böte daher die Chance, die Vergütung gerechter zu gestalten, die beträchtlichen Ungleichgewichte in der Versorgung abzubauen und den Zugang zur Versorgung für die Versicherten unabhängig vom Versichertenstatus und damit bedarfsgerechter zu gestalten. Zu 3.: Auch bei Studien des Wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherung (WIP) kann nicht von unabhängigen Studien gesprochen werden. Sofern die Aussage in der Fragestellung zutrifft, wäre dies nach dem Kenntnisstand der Landesregierung die erste Studie, die keine unterschiedlichen Wartezeiten je nach Versichertenstatus feststellt. Der Landesregierung ist allerdings nur eine Studie des WIP bekannt, die zu „Rationierung und Versorgungsunterschieden in Gesundheitssystemen“ feststellt, dass der Zugang der Versicherten zu gesundheitlicher Versorgung in Deutschland vergleichsweise gut und die Wartezeiten vergleichsweise gering sind. „Leicht abweichende Wartezeiten“ zwischen gesetzlich und privat versicherten Personen werden selbst in dieser Studie eingeräumt, werden allerdings eher als Unterschiede im Komfort gedeutet. Verschiedene Versichertenbefragungen haben in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass privat Krankenversicherte beim Zugang zu niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten privilegiert sind. So wurden in den letzten Jahren unter anderem von der BertelsmannStiftung , dem Wissenschaftlichen Institut der AOK, der AOK Rheinland/Hamburg, dem BKK-Bundesverband, dem Institut für Gesundheitsökonomie in Köln und auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Analysen vorgelegt, die die Ungleichbehandlung von gesetzlich und privat versicherten Patientinnen und Patienten bestätigen. Im Konzept einer Bürgerversicherung würde der Zugang zur gesundheitlichen Versorgung unabhängig vom Versichertenstatus erfolgen. Auch bei Niederlassungsentscheidungen der Ärztinnen und Ärzte würde zukünftig weniger der Versichertenstatus der Bevölkerung, sondern der Versorgungsbedarf vor Ort eine stärkere Rolle spielen. Schließlich würden sich in einer Bürgerversicherung alle Bürgerinnen und Bürger, auch jene mit höheren Einkommen, am Solidarausgleich beteiligen. Nicht zuletzt deshalb spricht sich in Umfragen die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für die Einführung einer Bürgerversicherung aus. Alexander Schweitzer Staatsminister