Drucksache 16/2613 23. 07. 2013 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 21. August 2013 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Elisabeth Bröskamp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen Die Kleine Anfrage 1718 vom 4. Juli 2013 hat folgenden Wortlaut: Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder und Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble haben am 20. Juni 2013 in Berlin Ergebnisse und politische Schlussfolgerungen aus der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen vorgestellt. Die Gesamtevaluation untersucht das Zusammenwirken ehe- und familienbezogener Leis tungen bezogen auf fünf familienpolitische Ziele: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wahlfreiheit, gute Entwicklung von Kindern, wirtschaftliche Stabilität von Familien und Nachteilsausgleich, Erfüllung von Kinderwünschen. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat sich die Förderung von Familien und Kindern als ein besonderes Ziel gesetzt und bringt dafür selbst große finanzielle Mittel auf. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung die politische Einschätzung der Ergebnisse der Gesamt evaluation ehe- und familienbezogener Leistungen durch Bundesministerin Dr. Schröder und Bundesminister Dr. Schäuble im Hinblick auf Rheinland-Pfalz? 2. Inwieweit gibt es erste Erkenntnisse, ob die untersuchten ehe- und familienbezogenen Leistungen zu den gewünschten Ergeb- nissen der Förderung von Familien und Kindern in Rheinland-Pfalz geführt haben? 3. Würden aus Sicht der Landesregierung andere alternative Konzepte oder Leistungen gegebenenfalls bessere Ergebnisse erreichen? 4. In diesem Zusammenhang wird oft auch das Betreuungsgeld kritisiert: Gibt es Erkennt nisse, wie viele Kitaplätze in Rheinland- Pfalz finanziert werden könnten, wenn das für das Betreuungsgeld aufgewandte Finanzvolumen stattdessen für Kitaplätze verwendet werden würde? Das Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 22. Juli 2013 wie folgt beantwortet: Zu den Fragen 1 und 2: Im Jahr 2009 hat das Bundesfamilienministerium gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium die Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen in Auftrag gegeben. Ziel des Auftrags sollte sein, zum einen über die Wirkungsweise und Wirksamkeit der Leistungen Erkenntnisse zu gewinnen und zum anderen daraus Schlussfolgerungen für die zielorientierte Gestaltung der Familienleistungen zu ziehen. Grundlage sollten die im siebten und achten Familienbericht benannten Ziele für eine Familienpolitik sein: – wirtschaftliche Stabilität und soziale Teilhabe von Familien, – Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Wahlfreiheit, – Förderung und Wohlergehen von Kindern, – Fertilität und Erfüllung von Kinderwünschen. Die von Bundesfamilienministerin und Bundesfinanzminister am 20. Juni 2013 vorgetragene politische Einschätzung der Bundesregierung , noch vor Vorlage des Endberichts der Evaluation, erstaunt vor dem Hintergrund der Lektüre einzelner Studien: Der nur 20 Seiten umfassende Bericht der Bundesregierung stellt die Ergebnisse der elf Module der Evaluation so dar, als bestünde im Wesent - Drucksache 16/2613 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode lichen kein Handlungsbedarf, die familienbezogenen Leistungen neu zu justieren. Das familienpolitische Ziel der Wahlfreiheit für Familien wurde vor allen anderen Zielen herausgehoben und soll nach Ansicht der Bundesregierung Ziel und Leitgedanke einer zukunftsgerichteten Familienpolitik sein. In den Studien wurde das Thema Wahlfreiheit noch in Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrachtet. Das ist auch sinnvoll, da die Wahlfreiheit für sich genommen ohne Bezugspunkt durch alle Familienleistungen gestärkt wird. Mit dieser Interpretation von Wahlfreiheit werden Handlungsbedarfe negiert und ineffiziente Familienleistungen aufrechterhalten. Seit letztem Jahr liegen im Rahmen der Evaluation erste Veröffentlichungen vor, die Handlungsbedarfe deutlich aufzeigen. So macht die Analyse der Schnittstellen im Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht deutlich, dass die einzelnen Rechtssysteme dringend aufeinander abgestimmt werden müssen. Beispielsweise wird je nach Rechtskreis das Existenzminimum von Kindern völlig unterschiedlich festgelegt. Beim Kinderfreibetrag im Steuerrecht liegt es bei 322 € monatlich, während es im Sozialrecht nur bei 211 € bzw. 281 € im Monat liegt. Mit diesem Widerspruch muss die Politik sich befassen und gegebenenfalls ein einheitliches Existenzminimum erarbeiten . Hierzu ist kein Wort im politischen Bericht der Bundesregierung zu finden. Auf das unerwartet schlechte Abschneiden des Kindergeldes gehen die zuständige Bundesministerin und der zuständige Bundesminister gar nicht ein. Nach Aussagen des ifo-Instituts trägt das Kindergeld zwar zweifellos im unteren Einkommensbereich dazu bei, dass Familien keine Sozialleistungen beziehen müssen, allerdings gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass das Kindergeld weit weniger die wirtschaftliche Stabilität von Familien stärkt, als vermutet wird. Vor allem die Ergebnisse dieser Studie werden eingehend zu diskutieren sein, weil alle Parteien eine Reform des Kindergeldes in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl haben. Auch die Festlegung auf die Weiterentwicklung des Ehegattensplittings zu einem Familiensplitting halten wir für falsch. Dies war der einzig konkrete Vorschlag, den die Bundesfamilienministerin und der Bundesfinanzminister für die kommende Legislaturperiode aufgegriffen haben. Die fatalen Verteilungswirkungen des Ehegattensplittings, dass höhere Einkommen auch größere Entlastungswirkungen erzielen, werden ebenso bestehen bleiben wie die Tatsache, dass der Splittingeffekt dann am größten ist, wenn ein Partner – zumeist die Frau – nicht erwerbstätig ist. Das entspricht nicht unserem Rollenverständnis von Frauen und Männern in einer modernen Gesellschaft. Die Studien zeigen aber auch, dass das System der familienbezogenen Leistungen nicht einfach zu reformieren sein wird. So werden von den Leistungen in der Regel wenigstens einige der festgelegten Ziele erreicht. Sobald der Endbericht der Evaluation im Herbst dieses Jahres vorliegt, müssen wir den Fragen nachgehen: Wo wollen wir mit den familienbezogenen Leistungen hin? Welche Ziele wollen wir mit welchen Mitteln erreichen? Hierzu liefern die einzelnen Studien sehr viele Anhaltspunkte , die hoffentlich im Herbst im Endbericht der Evaluation zusammengeführt werden. Zu Frage 3: Die Gesamtevaluation hat ausschließlich bereits bestehende Familienleistungen untersucht, sodass Schlussfolgerungen auf alternative Konzepte nicht ohne Weiteres gezogen werden können. Ein wichtiges Ergebnis der Evaluation ist das Kindergeld und der Kinderfreibetrag, welche zweifellos zukünftig näher betrachtet werden müssen und Reformbedarfe aufweisen. Vor diesem Hintergrund sollten wir uns die bestehenden Konzepte zur Kindergrundsicherung näher betrachten und prüfen, ob aus den Ergebnissen zum Kindergeld Schlüsse hierauf gezogen werden können. Das Betreuungsgeld als alternative Leistung, die nach dem Auftrag der Gesamtevaluation eingeführt wird, muss auf den Prüfstand und sich an den Zielen der Evaluation messen lassen. Zu Frage 4: Welche Chancen durch die Einführung des Betreuungsgeldes für die Kinderbetreuung verloren gehen, wird anschaulich, wenn man ausrechnet, wie viele U 3-Plätze mit den vorgesehenen Mitteln geschaffen werden könnten: Angenommen, dass die Kosten für einen neuen U 3-Platz bei 27 900 € liegen – das ist der Durchschnitt für Rheinland-Pfalz –, dann könnten mit den Mitteln aus dem Betreuungsgeld – 2013 mehr als 2 500 U 3-Plätze, – 2014 mehr als 18 000 U 3-Plätze, – 2015 mehr als 35 500 U 3-Plätze und – 2016 mehr als 38 500 U 3-Plätze geschaffen werden. Zusammengerechnet heißt das: Das Betreuungsgeld verhindert die Schaffung von knapp 100 000 U 3-Plätzen. Irene Alt Staatsministerin