Drucksache 16/2894 18. 10. 2013 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Elisabeth Bröskamp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Unterbringung in Heimen Die Kleine Anfrage 1934 vom 2. Oktober 2013 hat folgenden Wortlaut: Ich frage die Landesregierung: 1. Gibt es in Rheinland-Pfalz Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit geschlossener Unterbringung? Wenn ja, welche sind das? 2. Werden diese Einrichtungen auf Einhaltung der unveräußerlichen Menschenrechte, menschenwürdige Unterbringung und Er- folg im Sinne und Interesse der Kinder und Jugendlichen überprüft? 3. In welchen Zeiträumen finden diese Prüfungen statt und wer führt diese durch? 4. Hat die Landesregierung Erkenntnisse, ob rheinland-pfälzische Jugendämter Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Hasen - burg oder anderen untergebracht haben? 5. Wenn ja, wie bewerten diese Jugendämter die Unterbringung in diesen Einrichtungen? 6. Wie ist die generelle Einstellung der Landesregierung zur geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen? Das Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 18. Oktober 2013 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Es gibt in Rheinland-Pfalz zwei Einrichtungen, die mit sogenannten freiheitsentziehenden Maßnahmen arbeiten. Das ist zum einen das Jugendheim Mühlkopf des Internationalen Bundes in Rodalben mit insgesamt 16 individuell-teilgeschlossenen Plätzen in zwei intensivtherapeutischen Gruppen für männliche Jugendliche. Zum anderen ist dies die Einrichtung Haus Bilstein des Trägers Sozialtherapeutische Wohngruppen Longuicher Mühle in Waldweiler mit vier individuell-teilgeschlossenen Plätzen für weibliche Jugendliche. Zu Frage 2: Grundsätzlich ist die Jugendhilfe dem § 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) verpflichtet, wonach Kinder und Jugendliche unter anderem vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen sind. Voraussetzung für den Betrieb jedweder Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages betreut werden, ist eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII. Dabei regelt das Sozialgesetzbuch Achtes Buch, dass eine Betriebserlaubnis zu erteilen ist, wenn das Wohl der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung gewährleistet ist (§ 45 Abs. 2 SGB VIII). Davon ist auszugehen, wenn die entsprechenden räumlichen, fachlichen, wirtschaftlichen und personellen Voraussetzungen erfüllt sind, die gesellschaftliche und sprachliche Integration der Kinder und Jugendlichen sowie die gesundheitliche Vorsorge unterstützt wird und es in der Einrichtung entsprechende Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren gibt. Hier haben die Empfehlungen der Runden Tische Heimerziehung der 50er und 60er Jahre und Sexueller Kindesmissbrauch sowie die entsprechenden Inhalte der UN-Kinderrechtskonvention ihren Niederschlag gefunden. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 21. November 2013 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/2894 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Das Landesjugendamt prüft vor der Erteilung einer Betriebserlaubnis, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Daneben gibt es immer auch vor der Erteilung einer Betriebserlaubnis eine Vorortprüfung. Die Jugendämter werden an der örtlichen Prüfung als wichtige Partner beteiligt. Wenn ein Träger einen Antrag auf Erteilung einer Betriebserlaubnis für eine Gruppe mit freiheitsentziehenden Maßnahmen stellt, erfolgt aufgrund der besonderen Ausprägung des Angebots in jedem Fall eine intensive Prüfung und Begleitung. Bereits 2005 hat der Landesjugendhilfeausschuss ein Positionspapier „Freiheitsentziehung in Einrichtungen für Minderjährige – Grundlagen und Kriterien für die Betriebserlaubnis nach §§ 45 ff SGB VIII“ verabschiedet. Dort sind insbesondere der Ansatz der Betriebserlaubnisbehörde , die besonderen Gefährdungsaspekte für junge Menschen sowie die spezifischen Anforderungen an die Einrichtungen beschrieben . Das Papier ist für die Arbeit der Betriebserlaubnisbehörde handlungsleitend. Für die konkrete Umsetzung der freiheitsentziehenden Maßnahmen tragen neben Träger und Einrichtung die belegenden Jugendämter im Rahmen ihrer Verantwortung für den Einzelfall die Verantwortung. Fachliches Instrument dafür ist das regelhaft durchzuführende Hilfeplanverfahren, das der Reflexion und Kontrolle sowie der weiteren Planung der Hilfemaßnahme dient. Zu Frage 3: Die Betriebserlaubnis ist ein Element in einem komplexen System von unterschiedlichen, zusammenwirkenden Verantwortlichkeiten für Kinder und Jugendliche in Heimen. Dies ist in dem Positionspapier „Freiheitsentziehung in Einrichtungen für Minderjährige – Grundlagen und Kriterien für die Betriebserlaubnis nach §§ 45 ff SGB VIII“ beschrieben. Neben den Personensorgeberechtigten haben insbesondere Träger und Einrichtung sowie die fallführenden Jugendämter im Rahmen der einzelfallbezogenen Hilfeplanung eine Verantwortung und das örtlich zuständige Jugendamt im Rahmen der Qualitätsentwicklung. Das Landesjugendamt führt anlassbezogen örtliche Prüfungen sowie Beratungsgespräche mit dem Einrichtungsträger sowie der Einrichtungsleitung durch. Zu Frage 4 und 5: Das Landesjugendamt hat das zuständige Ministerium darüber informiert, dass nach eigenem Kenntnisstand im September 2013 zwei Jugendämter insgesamt drei Kinder und Jugendliche in der Haasenburg GmbH untergebracht haben. Die Entwicklung dieser Kinder und Jugendlichen sei nach Einschätzung der Jugendämter positiv, ebenso würde die Hilfeplanung und Zusammenarbeit der Einrichtung mit den Jugendämtern als gut bewertet. Zu Frage 6: Das SGB VIII enthält mit Ausnahme der Krisenintervention nach § 42 SGB VIII keine eigenständige Grundlage für eine längerfristige freiheitsentziehende Maßnahme. Im Rahmen der Inobhutnahme ist eine kurzfristige freiheitsentziehende Maßnahme nur zulässig , wenn und soweit sie erforderlich ist, um eine Gefahr für Leib und Leben des Kindes oder Jugendlichen oder Dritte abzuwenden . Eine darüber hinausgehende Unterbringung mit freiheitsentziehenden Maßnahmen stellt einen Eingriff in die Grundrechte des Kindes dar und ist nur auf Antrag der Sorgeberechtigten und nach Genehmigung eines Familiengerichts auf Grundlage von § 1631 b Bürgerliches Gesetzbuch sowie unter Einhaltung der vorgeschriebenen Verfahrensregeln möglich. Die gerichtliche Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme ist zeitlich befristet und stellt keine Anordnung dar. Die Entscheidung über die Umsetzung liegt bei den Personensorgeberechtigten in enger Abstimmung mit Jugendamt und Einrichtung. Wenn eine freiheitsentziehende Maßnahme beantragt wird, bedarf es aus Sicht der Landesregierung in jedem Einzelfall der besonderen rechtlichen und fachlichen Legitimierung und der intensiven Prüfung von alternativen, weniger eingriffsrelevanten Unterbringungsmöglichkeiten . Die hohen rechtlichen und fachlichen Hürden im Vorfeld einer geschlossenen Unterbringung hält die Landesregierung gerade auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren für angemessen. Es ist Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe dazu beizutragen, dass das Recht eines jeden jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit verwirklicht wird (§ 1 Abs. 1 SGB VIII). Hierzu braucht es entsprechende pädagogische Arrangements, in denen es gelingt, Kinder und Jugendliche zu halten, sie zu fördern und zu unterstützen. Die Sicherstellung eines „Freiheitsentzugs“ ist per se kein pädagogisches Instrument und kein Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe. Ob die Unterbringung in einer geschlossenen Gruppe oder Einrichtung gerechtfertigt ist, muss in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft und beantwortet werden. Mit dem 2005 verabschiedeten Positionspapier des Landesjugendhilfeausschusses wird der besonderen Verantwortung aller Beteiligten Rechnung getragen. Irene Alt Staatsministerin