Drucksache 16/2923 30. 10. 2013 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Wolfgang Reichel (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Grundfreibetrag für Menschen mit Behinderung in stationären Einrichtungen Die Kleine Anfrage 1941 vom 8. Oktober 2013 hat folgenden Wortlaut: Zum 1. September 2013 wurde der monatliche Grundfreibetrag für Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen nach SGB XII bei der Berechnung des Eigenanteils auf Arbeitseinkommen von bisher 61,26 Euro (Festbetrag) auf 47,75 Euro (1/8 der Regelstufe 1) vermindert. Das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung hat dies per Rundschreiben vom 10. Juli 2013 mitgeteilt , ohne dass die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, Betroffene oder ihre Interessenvertreter zuvor angehört wurden. lch frage die Landesregierung: 1. Ist der Landesregierung bekannt, dass der Grundfreibetrag reduziert wurde? Wenn ja, wie bewertet die Landesregierung insge- samt diese faktische Lohnkürzung für Menschen, die in Werkstätten beschäftigt sind und dabei ohnehin in der Regel in den unteren Lohnniveaus eingruppiert werden? 2. Wie erklärt die Landesregierung diese Kürzung, wenn offiziell immer wieder die Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft propagiert werden, bzw. teilt die Landesregierung die Auffassung, dass das Vorgehen behindertenpolitisch verfehlt ist? 3. Ist der Landesregierung bekannt, welche Auswirkungen diese Kürzungen auf die konkrete Lebensgestaltung der Menschen mit Behinderung haben? 4. Wie bewertet die Landesregierung die Nicht-Anhörung von Verbänden bzw. von den Betroffenen und ihren Interessenvertretern in diesem Zusammenhang? 5. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, die Kürzung wieder rückgängig zu machen unter der Berücksichtigung, dass die Betroffenen keine Rechtsmittel einlegen konnten? 6. Ist die Landesregierung bereit, sich für die Rücknahme der Regelung einzusetzen? Wenn nein, warum nicht? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 30. Oktober 2013 wie folgt beantwortet: Bevor Einkommen aus einer entgeltlichen Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen angerechnet wird, sind bestimmte Beträge vom Einkommen abzusetzen. Der anrechenbare beziehungsweise einzusetzende Betrag reduziert sich so. Das Nähere ist bundesgesetzlich geregelt. Früher konnte nur für werkstattbeschäftigte behinderte Menschen, die nicht in Einrichtungen lebten , eine Absetzung vom Einkommen vorgenommen werden. Erst im Jahr 1996 erfolgte – zur Umsetzung des Grundsatzes einer Gleichbehandlung von stationären und ambulanten Leistungsformen – eine Gleichstellung durch eine untergesetzliche Landesregelung . Sowohl für den Bereich ambulanter als auch für den Bereich stationärer Versorgung ist mittlerweile bundesgesetzlich festgelegt, dass bei einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen von dem Entgelt ein Achtel der Regelbedarfsstufe 1 zuzüglich 25 vom Hundert des diesen Betrags übersteigenden Entgelts abzusetzen ist beziehungsweise die Aufbringung der Mittel in dieser Höhe nicht verlangt werden kann. In Rheinland-Pfalz wurde seit den 90er Jahren seitens der örtlichen und des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe von diesen gesetzlichen Vorgaben abgewichen und als Grundbetrag jeweils ein Betrag in Höhe von 61,36 Euro zugrunde gelegt. Die Freibeträge Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 4. Dezember 2013 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/2923 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode lagen damit bis Ende August 2013 um 13,51 Euro über der im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch dafür normierten Bereinigung von einem Achtel des Eckregelsatzes (heute Regelbedarfsstufe 1). Die Sonderregelung war von Anfang an nicht auf Dauer angelegt. Sie hatte schon immer Übergangscharakter und stand unter ausdrücklichem Widerrufsvorbehalt. Der Landesrechnungshof hat die rheinland-pfälzische Regelung in seinen Einzelprüfungen immer wieder beanstandet und auch das fachlich zuständige Ministerium mehrfach aufgefordert, die nach seiner Ansicht rechtswidrige Verfahrensweise einzustellen. Die Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe haben daraufhin schon vor mehr als einem Jahr beschlossen, die Sonderregelung für ihren Zuständigkeitsbereich, also für Menschen, die nicht in Einrichtungen leben , aufzugeben. Stationär versorgte Menschen wurden seitdem besser gestellt als Menschen, die in Privathaushalten leben. Der überwiegende Teil der betroffenen Menschen in den Werkstätten für behinderte Menschen hat Anspruch auf ergänzende Leis tun - gen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Diese Leistung der Sozialhilfe wird seit 1. Januar 2013 als „Bundesauftragsverwaltung “ durchgeführt. Der Bund trägt die Kosten und ist gegenüber den Ländern weisungsbefugt. Das zuständige Bundesministerium hat mehrfach darauf hingewiesen, dass die Träger der Grundsicherung bei ihrer Tätigkeit die bestehenden Rechtsnormen zu beachten haben. Spielraum für eine nicht gesetzeskonforme Umsetzung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bestehe nicht. Zu 1.: Vor dem Hintergrund, dass der Bundesgesetzgeber hier zu einer anderen Entscheidung gekommen ist und die Höhe des Freibetrages bundesgesetzlich vorgegeben wurde, war für die Landesregierung trotz des Verständnisses für die persönliche und wirtschaftliche Situation der betroffenen Menschen keine andere Verfahrensweise möglich. Das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung handelte im Einverständnis mit dem Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, als es im Mai 2013 per Rundschreiben zum „Kostenbeitrag aus dem Arbeitseinkommen stationär betreuter behinderter Menschen“ auf die entsprechende Anpassung an die bundesgesetzlichen Regelungen hinwies. Dabei wurde zur Abfederung von Härten vereinbart, die Regelung erst zum 1. September 2013 in Kraft zu setzen. Zu 2.: Seit 1. September 2013 finden für die Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen, die Sozialhilfe in Trägerschaft des Landes Rheinland-Pfalz erhalten, die gleichen Vorschriften und Regelungen Anwendung wie in allen anderen Bundesländern. Die im Rahmen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch nicht vorgesehene Sonderstellung rheinland-pfälzischer Hilfebezieher in Einrichtungen ist damit weggefallen. Aus Sicht der Landesregierung war es gerade auch aus behindertenpolitischer Sicht nicht länger vertretbar , ambulant versorgte Menschen anders, in diesem Falle schlechter, zu stellen als Menschen, die in Einrichtungen leben. Zu 3.: Der reale Einkommensverlust liegt derzeit bei maximal knapp über zehn Euro und ab 1. Januar 2014 bei maximal knapp über neun Euro monatlich. Dies ist bedauerlich, entspricht aber den bundesgesetzlichen Vorgaben. Zu 4.: Das zuständige Fachministerium führt mit den betroffenen Verbänden und Interessenvertretungen Gespräche, um die Gründe für sein Handeln zu erläutern. Zu 5. und 6.: Die Landesregierung kann sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Die Höhe des Absetzbetrages beziehungsweise der Kostenbeteiligung ist gesetzlich konkret vorgegeben. Rheinland-Pfalz muss ebenso wie alle anderen Bundesländer die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Für Personen, die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalten, scheidet eine nicht mit dem Gesetz in Einklang stehende Umsetzung der Kostenbeteiligung in jedem Falle aus. Dies gilt natürlich auch für jede Form einer Übergangs - oder Vertrauensschutzregelung. Alexander Schweitzer Staatsminister