Drucksache 16/2945 04. 11. 2013 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Anne Spiegel und Dr. Dr. Rahim Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Medizinische und soziale Beratung von Prostituierten in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 1948 vom 10. Oktober 2013 hat folgenden Wortlaut: Mit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001 ist eine Gesundheitsuntersuchung von Prostituierten durch das Gesundheitsamt nicht mehr verpflichtend. Der Bedarf von Prostituierten an anonymer medizinischer und sozialer Beratung ist dennoch vorhanden. Diesem Bedarf kommen einige Städte bereits nach. So ist beispielsweise dem Gesundheitsamt in Stuttgart eine medizinische und soziale Beratungsstelle für Prostituierte angegliedert. Die dort beschäftigen Sozialarbeiterinnen machen zudem Street work und betreuen als „niederschwelliges“ Angebot das Café La Strada im Rotlichtbezirk. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie ist die medizinische Versorgung in Rheinland-Pfalz für Prostituierte geregelt? 2. Ist eine gesundheitliche und soziale Betreuung von Prostituierten in den rheinland-pfälzischen Gesundheitsämtern vorgesehen und wenn ja, wie ist diese geregelt? 3. In wie vielen Gesundheitsämtern und wo in Rheinland-Pfalz gibt es für Prostituierte das Angebot, sich kostenlos gynäko logisch untersuchen oder medizinisch beraten zu lassen? 4. Bieten die rheinland-pfälzischen Gesundheitsämter eine regelmäßige Vorsorgeuntersuchung bzw. Sprechstunden für Prostitu- ierte an und gibt es Zahlen darüber, wie diese angenommen werden? 5. Welche Beratungsstellen bieten kostenlose Gesundheitsuntersuchungen und gesundheitliche Beratungen für Prostituierte an? 6. Bieten die Gesundheitsämter mit der Hilfe von Sozialarbeiterinnen soziale Beratung für Prostituierte und aufsuchende Arbeit an? 7. Liegen der Landesregierung Zahlen darüber vor, wie sich die Infektionsrate von den bekannten sexuell übertragbaren Krank- heiten in den letzten zehn Jahren entwickelt hat? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 31. Oktober 2013 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sind alle Bürgerinnen und Bürger ab dem 1. Januar 2009 zum Abschluss einer Krankenversicherung verpflichtet. Versicherte, die der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind, sind ab dem 1. April 2007 sowie Personen, die dem PKV-System zuzuordnen sind, sind ab dem 1. Januar 2009 verpflichtet, eine private Krankenversicherung mindestens im Basistarif abzuschließen, soweit sie nicht anderweitig bei Krankheit abgesichert sind. Diese Regelungen betreffen alle Bürgerinnen und Bürger. Hauptberuflich selbstständig erwerbstätige Prostituierte sind in der Regel der privaten Krankenversicherung zuzuordnen und seit dem 1. Januar 2009 verpflichtet, eine private Krankenversicherung abzuschließen. Der Antrag darf von den privaten Krankenversicherungsunternehmen nicht abgelehnt werden. Nach dem Prostitutionsgesetz (ProstG) vom 20. Dezember 2001 unterliegen Prostituierte, die einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen, grundsätzlich der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 20. Dezember 2013 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/2945 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Das „Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung“, das am 1. August 2013 in Kraft getreten ist, hat den Zugang zur privaten und gesetzlichen Krankenversicherung zeitlich befristet erleichtert. Insofern ist sichergestellt, dass Prostituierte mit gültigem Aufenthaltsstatus, die entweder hauptberuflich selbstständig erwerbstätig oder abhängig beschäftigt sind, über einen Krankenversicherungsschutz verfügen können und Zugang zur ambulanten und stationären Regelversorgung haben. Zu 2.: § 19 des Infektionsschutzgesetzes verpflichtet die Gesundheitsämter, Beratungs- und Untersuchungsangebote zu Tuberkulose und sexuell übertragbaren Erkrankungen vor allem für Personen vorzuhalten, deren Lebensumstände eine erhöhte Ansteckungsgefahr für sich oder andere mit sich bringen. Die Kosten für versicherte Personen sind von den Krankenversicherungen zu tragen. Für nicht versicherte Personen tragen gemäß der Landesverordnung zur Durchführung des Infektionsschutzgesetzes vom 10. März 2010 die Landkreise als Träger der unteren Gesundheitsbehörden die Kosten mit Ausnahme von Laborleistungen. Laborleistungen in diesem Zusammenhang werden auf Kosten des Landes vom Landesuntersuchungsamt erbracht. Eine rechtliche Verpflichtung für eine soziale Beratung von Prostituierten in Gesundheitsämtern besteht nicht. Eine soziale Beratung wird jedoch häufig von den dortigen sozialpsychiatrischen Diensten angeboten. Zu 3.: Die Gesundheitsämter arbeiten nach den Prinzipien der Subsidiarität. Mit Ablösung des „Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten “ und des „Bundesseuchengesetzes“ durch das Infektionsschutzgesetz im Jahr 2001 und der Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG) vom 20. Dezember 2001 ist der Bedarf an eigenen „Sprechstunden für Prostituierte“ in rheinland-pfälzischen Gesundheitsämtern deutlich rückläufig gewesen. In allen Gesundheitsämtern besteht die Möglichkeit, sich zu sexuell übertragbaren Krankheiten beraten und sein Blut zum Beispiel auf HIV oder Hepatitis B und C untersuchen zu lassen. Dieses Angebot gilt für alle rheinland-pfälzischen Bürgerinnen und Bürger. Gynäkologische Untersuchungen und medizinische Beratungen werden in sieben *) der 24 kommunalen Gesundheitsämter regelmäßig oder bei Bedarf angeboten – entweder im Gesundheitsamt selbst oder durch entsprechende Vereinbarungen bei einer niedergelassenen Gynäkologin oder einem niedergelassenen Gynäkologen. Darüber hinaus besteht in vielen Gesundheitsämtern das Angebot, sich bei Bedarf medizinisch beraten zu lassen. Grundsätzlich können diese Angebote gem. Infektionsschutzgesetz auch anonym wahrgenommen werden. Zu 4.: Die Rückmeldungen aus den Gesundheitsämtern mit regelmäßigem Untersuchungsangebot weisen eine sehr unterschiedliche Nachfrage aus. Diese reicht von gar nicht bis zu 18 Sexarbeiterinnen pro Monat. Aus einem Gesundheitsamt liegt eine Rückmeldung vor, dass etwa 25 Prozent der Untersuchten mehrfach erscheinen. Zu 5.: Neben den oben genannten Angeboten der Gesundheitsämter bietet die Beratungsstelle Roxanne Beratung und Hilfe für Prostituierte in Koblenz an. Sie wird seit ihrer Gründung im Jahr 2009 vom Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen gefördert. Neben einer psychosozialen Beratung in Alltagsfragen und besonderen Lebenslagen, Ausstiegshilfen, rechtlichen Informationen und der Vermittlung anderer Hilfen (zum Beispiel einer Schuldnerberatung) werden auch Aufklärung und Informationen zu sexuell übertragbaren Krankheiten angeboten. Die Einrichtung kooperiert mit dem Gesundheitsamt der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz in Koblenz. Beide Stellen sind an einem „Runden Tisch Prostitution“ vertreten. Zu 6.: Die sozialpsychiatrischen Dienste der Kommunen sind nicht mehr überall an die Gesundheitsämter angebunden. Nur in wenigen Gesundheitsämtern bietet der sozialpsychiatrische Dienst auch eine spezielle Beratung für Prostituierte an. In einigen Gesundheitsämtern auch durch aufsuchende Arbeit. Das Gesundheitsamt Trier bietet seit einem Jahr sowohl eine medizinische als auch eine soziale Beratung für Prostituierte an. Eine Sozialarbeiterin, eine Gynäkologin und eine Allgemeinmedizinerin suchen die Frauen auch vor Ort auf, bieten ihre Hilfe an und informieren über das Unterstützungsangebot. Die Sozialberatung informiert und unterstützt unter anderem in Fragen der Krankenversicherung, Steuern und Wohnungssuche. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 2 *) Kreisverwaltungen: Bad Neuenahr-Ahrweiler, Cochem-Zell, Mayen-Koblenz, Mainz-Bingen, Westerwaldkreis, Trier-Saarburg, Wittlich. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/2945 3 Zu 7.: Bis zum Jahr 2000 regelte das „Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ die Meldepflicht der sexuell übertragbaren Erkrankungen (STIs) Syphilis, Gonorrhö, Ulcus molle und Lymphogranuloma venereum. Seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001 sind nur noch Syphilis und HIV anonym meldepflichtig. Um den Überblick über die epidemiologische Situation der STIs in Deutschland zu behalten, wurde Ende 2002 mit der Einrichtung eines Sentinel-Surveillance-Systems begonnen . Aus den Sentinel-Daten können jedoch keine Aussagen über die STI-Inzidenz in der Allgemeinbevölkerung getroffen werden, auch Trendverläufe sind über das Sentinel allein nicht sicher ablesbar. Als Anhaltspunkt für die Entwicklung der STIs in der deutschen Allgemeinbevölkerung kann vor allem die Zahl der gemeldeten Syphilis-Fälle pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner genutzt werden, die der nachstehenden Tabelle des Robert KochInstitutes zu entnehmen ist. Danach scheint sich nach einem vorübergehenden leichten Anstieg in den Jahren 2011 und 2012 der ansteigende Trend in diesem Jahr nicht fortzusetzen. Jahr Inzidenz 2001 2,06 2002 2,90 2003 3,55 2004 4,08 2005 3,93 2006 3,84 2007 3,99 2008 3,89 2009 3,36 2010 3,71 2011 4,53 2012 5,40 2013 3,28 Robert Koch-Institut: SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 1. Oktober 2013 vom: 28. Oktober 2013. Aus Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts ist bekannt, dass bei Personen mit heterosexuellem Übertragungsweg die Zahl der HIV-Neudiagnosen pro 100 000 Personen über alle Altersgruppen hinweg in den Jahren seit 2006 weitgehend stabil geblieben ist. HIV-Neuinfektionen spielen zudem bei Frauen (ca. 20 Prozent) und auch bei Sexarbeiterinnen eine deutlich geringere Rolle als bei Männern (ca. 80 Prozent). Dabei stellen seit Jahren unter den erkrankten Männern solche, die Sex mit Männern haben, mit zuletzt 55 Prozent die größte Gruppe dar. Im Landesuntersuchungsamt werden ca. 10 000 bis 12 000 HIV-Tests pro Jahr durchgeführt. Davon sind im Durchschnitt ca. 20 bis 30 Tests bestätigt reaktiv. Das Robert Koch-Institut berichtet, dass in Rheinland-Pfalz im Jahr 2012 insgesamt 69 HIV-Erstdiagnosen gestellt worden sind. In Vertretung: David Langner Staatssekretär