Drucksache 16/3256 06. 02. 2014 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Ulrich Steinbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums der Finanzen Karussellgeschäfte beim grenzüberschreitenden Stromhandel Die Kleine Anfrage 2096 vom 16. Januar 2014 hat folgenden Wortlaut: Medienberichten zurfolge soll – ähnlich wie beim groß angelegten Umsatzsteuerbetrug beim grenzüberschreitenden Emissionshandel – auch auf dem Strommarkt in Form von sogenannten Karussellgeschäften der Fiskus um mehrere Milliarden Euro bundesweit betrogen worden sein. Dabei wird Strom im Ausland umsatzsteuerfrei eingekauft, nach Deutschland „eingeführt“ und weitergehandelt. Nach mehreren Stationen innerhalb Deutschlands, die teilweise aus reinen Scheinfirmen bestehen, wird der Strom wieder ans Ausland verkauft und der veräußernde Händler bekommt entsprechend die Umsatzsteuer zurückerstattet. Der Weg des Stromhandels kann aufgrund vieler Verkaufsstationen nicht mehr nachverfolgt werden. In mehreren Ländern sind dazu bereits Ermittlungen durchgeführt worden. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Karussellgeschäfte und den Umsatzsteuerbetrug beim grenzüberschrei- tenden Stromhandel? 2. Wie bewertet die Landesregierung das Betrugsmodell, den Umfang sowie die Schadenshöhe dieser Karussellgeschäfte? 3. Gibt es Ermittlungen rheinland-pfälzischer Landesbehörden bezüglich dieser Karussellgeschäfte und des Umsatzsteuerbetrugs? 4. Hat die Landesregierung Erkenntnisse über Unternehmen oder Akteure in Rheinland-Pfalz, die sich an entsprechenden Karus- sellgeschäften oder am Umsatzsteuerbetrug beteiligt haben? 5. Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Landesregierung erforderlich, um Karussellgeschäfte und daraus ermöglichten Umsatzsteuerbetrug beim Stromhandel zu verhindern? 6. Welche gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen können auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene zur Verhinderung solcher Betrugshandlungen unternommen werden? Das Ministerium der Finanzen hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 5. Februar 2014 wie folgt beantwortet: Zu 1. und 2.: Bezogen auf den Stromhandel konnte ein betrügerisches Karussellgeschäft nach der bis zum 31. August 2013 geltenden Rechtslage vereinfacht dargestellt wie folgt ablaufen: Ein in Deutschland ansässiger Unternehmer erwirbt als erster inländischer Unternehmer im Karussellgeschäft Strom aus dem Ausland . Durch eine spezielle Ortsregelung für Stromlieferungen (§ 3 g des Umsatzsteuergesetzes – UStG) wird der Lieferort an den Sitz des Leistungsempfängers im Inland verlagert, d. h. die Stromlieferung des ausländischen Lieferanten ist in Deutschland zu versteuern . Aufgrund einer damit korrespondierenden Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger (§ 13 b Abs. 2 Nr. 5 UStG) ist die auf die Stromlieferung entfallende Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger bei dem für ihn zuständigen Finanzamt zu erklären und zu zahlen. Der Stromlieferant stellt deshalb seinem inländischen Abnehmer keine Umsatzsteuer in Rechnung. Da der Leistungsempfänger die geschuldete Umsatzsteuer wiederum als sogenannte Vorsteuer abziehen kann, bleibt der Bezug der Stromlieferung im Ergebnis unbelastet von der Umsatzsteuer. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 25. Februar 2014 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/3256 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Beim Weiterverkauf im Inland war dagegen nach der bis zum 31. August 2013 geltenden Rechtslage der inländische Unternehmer selbst Steuerschuldner, da die Steuerschuldverlagerung (Reverse-Charge) bis zu diesem Zeitpunkt nur bei Stromlieferungen ausländischer Unternehmer galt. Entsprechend stellte der inländische Unternehmer seinem Folgeerwerber eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis aus. Aufgrund des Auseinanderfallens des Steuerschuldners (erster inländischer Unternehmer) und der Person, die zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (Abnehmer), konnte der Fiskus geschädigt werden: während der Abnehmer sich die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer als sogenannte Vorsteuer von seinem Finanzamt erstatten ließ, hat der erste inländische Unternehmer seine Umsatzsteuerschuld nicht gezahlt. Dieser erste inländische Unternehmer, der seine steuerlichen Pflichten nicht erfüllt , wird daher grundsätzlich „Missing Trader“ genannt. Es ist bekannt, dass dieses Betrugsmodell in den vergangenen Jahren im Stromhandel betrieben wurde und zu hohen Umsatzsteuerausfällen geführt haben dürfte. Entgangene Steuereinnahmen sind aber naturgemäß einer Quantifizierung nicht zugänglich. Dementsprechend liegen uns keine Erhebungen zu den entsprechenden Umsatzsteuerausfällen in Deutschland oder in anderen EUMitgliedstaaten vor. Aufgrund einer zwischenzeitlichen Gesetzesänderung dürfte jedoch durch das vorgehend beschriebene Betrugsmodell beim Stromhandel kein Schaden mehr eintreten. Denn durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1809) ist eine Reaktion auf solche Betrugsmodelle erfolgt. Der Anwendungsbereich des sogenannten Reverse-Charge-Verfahrens im zwischenunternehmerischen Bereich, welches im Stromhandel bisher nur bei Lieferungen von im Ausland ansässigen Unternehmern galt, wurde damit mit Wirkung zum 1. September 2013 auf Stromlieferungen durch im Inland ansässige Unternehmer erweitert, was unionsrechtlich seit der zum 22. Juli 2013 erfolgten Erweiterung des Artikels 199 a der sogenannten Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie möglich war. Hierdurch wird verhindert, dass bei Lieferungen von Strom zwischen Unternehmern die Person des Steuerschuldners und die Person des Vorsteuerabzugsberechtigten auseinanderfallen. Dadurch dürfte der Stromhandel für Steuerbetrüger uninteressant geworden sein. Zu 3. und 4.: Es haben in einem Fall Ermittlungen zu einem Karussellgeschäft im Bereich Stromhandel stattgefunden, bei dem der „Missing Trader“ seinen Sitz in Rheinland-Pfalz angemeldet hatte. Zu 5.: Sogenannte Karussellgeschäfte lassen sich gesetzlich durch Verlagerung der Umsatzsteuerschuld vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger (Reverse-Charge) verhindern. Wie bereits unter 1. dargestellt, ist dies in Bezug auf den Stromhandel bereits erfolgt. Zu 6.: Die Landesregierung versteht die Frage so, dass allgemein nach möglichen Maßnahmen zur Verhinderung von solchen Betrugshandlungen (insbesondere sogenannter Karussellbetrug) – unabhängig von der Branche, innerhalb derer sie stattfinden – gefragt wird. Da es sich vorliegend um die Ausnutzung des geltenden Allphasen-Netto-Umsatzsteuersystems handelt, lässt sich eine effektive Verhinderung von solchen Umsatzsteuerbetrügereien allein mit Mitteln des Vollzugs nicht erreichen. Die Landesregierung ist vielmehr der Auffassung, dass letztlich nur die Einführung eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens, das im zwischenunternehmerischen Bereich allgemein eine Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger vorsieht, wesentliche Verbesserungen bringen würde. Durch die derzeit praktizierte punktuelle Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens für Umsätze bestimmter Branchen (z. B. beim Stromhandel) kann zwar Karussellbetrug in der jeweiligen Branche verhindert werden, allerdings lassen die bisherigen Erfahrungen vermuten, dass sich die Betrugshandlungen bei einer nur branchenbezogenen Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens rasch auf andere Geschäftszweige, für die die Steuerschuldumkehr noch nicht gilt, bzw. in andere EU-Mitgliedstaaten ohne eine entsprechende Regelung verlagern. Rheinland-Pfalz hat sich deshalb bereits im Jahr 2001 mit den sogenannten „Mainzer Vorschlägen zur Umsatzsteuer“ für einen grundlegenden Systemwandel ausgesprochen. Der rheinland-pfälzische Reformvorschlag mündete schließlich in einen Vorstoß Deutschlands auf EU-Ebene, das Mehrwertsteuerrecht auf das Prinzip einer generellen Steuerschuldverlagerung umzustellen. Allerdings bedarf es zur Änderung der EU-rechtlichen Grundlagen eines einstimmigen Votums aller EU-Mitgliedstaaten, das bisher auf EU-Ebene am Widerstand einzelner EU-Mitgliedstaaten gescheitert ist. Ohne eine grundlegende Änderung des Unionsrechts ist auf nationaler Ebene der gesetzgeberische Handlungsspielraum bei der Umsatzsteuer auf ein Minimum reduziert. Ohnehin handelt es sich aber bei dem Umsatzsteuergesetz um Bundesrecht, weshalb auf Landesebene keine gesetzgeberischen Maßnahmen in diesem Bereich möglich sind. Dr. Carsten Kühl Staatsminister