Drucksache 16/3392 17. 03. 2014 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Marion Schneid (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Wohnsitzlose Die Kleine Anfrage 2200 vom 24. Februar 2014 hat folgenden Wortlaut: Ich frage die Landesregierung: 1. Wie hat sich die Zahl der freiwillig Wohnsitzlosen in den letzten fünf Jahren in Rheinland-Pfalz entwickelt (bitte untergliedert in Frauen und Männer)? 2. Welche Hilfsangebote stehen derzeit diesen Menschen in Rheinland-Pfalz zur Verfügung und wer übernimmt die Finanzierung für diese Hilfsangebote? 3. Unter welchen Bedingungen erfolgt bei pflegebedürftigen Wohnsitzlosen ein Wechsel vom Übernachtungsheim zum Pflegeheim? 4. Wer zahlt für die notwendige Pflegeheimbetreuung? 5. Welche speziellen Angebote gibt es für junge Wohnsitzlose? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 17. März 2014 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Weder bundesweit noch in Rheinland-Pfalz gibt es eine amtliche Statistik, aus der die Zahl der freiwillig Wohnsitzlosen hervorgeht. Im Melderegister wird dieser Personenkreis entweder auf Antrag der oder des Betroffenen oder von Amts wegen mit dem Vermerk „nach unbekannt verzogen“ erfasst. Es besteht aber eine Stichtagserhebung, die die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz bei den Einrichtungen und Diensten der Wohnungslosenhilfe regelmäßig durchführt. Erfasst werden Menschen, die als Hilfebedürftige (Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten) nach §§ 67 ff. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch an diesem Tag eine Einrichtung oder einen Dienst aufgesucht und dort Hilfe erhalten haben. Dazu zählen laut LIGA Übernachtungs- und Resozialisierungseinrichtungen, Beratungsstellen, Tagesaufenthalte, offene Treffs, ambulante betreute Wohngruppen oder Betreutes Wohnen, Streetworking oder sonstige ambulante Angebote. Die LIGA legte zuletzt für das Jahr 2012 die Ergebnisse ihrer Stichtagserhebung zum Aufkommen und zur Lebenssituation wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen vor. Entwicklungsverläufe bei jungen Menschen, Frauen und älteren Menschen werden darin für die letzten Jahre nachgezeichnet. Bei der Interpretation ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Verlaufsstatistiken handelt, sondern um Stichtagserhebungen. Außerdem variiert die Zahl meldender Einrichtungen und Dienste. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 4. April 2014 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/3392 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Danach war folgende Entwicklung festzustellen: LIGA Stichtagserhebungen in Rheinland-Pfalz 2012: 1 081 Personen (Meldungen aus 66 Einrichtungen und Diensten), 2011: 1 027 Personen (Meldungen aus 67 Einrichtungen und Diensten), 2010: 1 218 Personen (Meldungen aus 74 Einrichtungen und Diensten), 2009: 1 001 Personen (Meldungen aus 65 Einrichtungen und Diensten), 2008: 1 248 Personen (Meldungen aus 80 Einrichtungen und Diensten). Im Durchschnitt der fünf Jahre zwischen 2008 und 2012 lag die Zahl der wohnungslosen Menschen in Rheinland-Pfalz, die an einem Stichtag Hilfe in Anspruch nahmen, bei rund 1 100 pro Jahr. Der Anteil der Frauen unter den Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten liegt nach der zuletzt veröffentlichten Stichtagserhebung der LIGA bei rund 22 Prozent (237 Frauen am Stichtag 11. Mai 2012). In den letzten Jahren war ein leichter prozentualer Anstieg bei der Anzahl der wohnungslosen Frauen in Rheinland-Pfalz zu verzeichnen. Die absoluten Zahlen des letzten Erhebungsjahres 2012 (237 wohnungslose Frauen) liegen allerdings nahe bei denen des Jahres 2008 (235 wohnungslose Frauen). Die statistischen Zahlen bilden die weibliche Wohnungslosigkeit jedoch nur begrenzt ab. Frauen leben häufig in verdeckter Wohnungslosigkeit bei Bekannten, Verwandten sowie Freundinnen oder Freunden beziehungsweise in Frauenhäusern und anderen Einrichtungen . Oftmals suchen sie das Hilfesystem erst auf, wenn eigene Lösungsstrategien nicht mehr funktionieren. Die Anzahl der wohnungslosen Männer im Fünf-Jahres-Zeitraum von 2008 bis 2012 ist rückläufig. Sowohl prozentual als auch in absoluten Zahlen ist die Zahl der wohnungslosen Männer zurückgegangen (siehe folgende Tabelle). Entwicklung in den letzten fünf Jahren differenziert nach Frauen und Männern: 2 Jahre 2008 2009 2010 2011 2012 Hilfesuchende am Stichtag 1 248 1 001 1 218 1 027 1 081 Männer 1 013 809 942 812 844 81,2 % 80,8 % 77,3 % 79,1 % 78,1 % Frauen 235 192 276 215 237 18,8 % 19,2 % 22,7 % 20,9 % 21,9 % Zu 2.: Das Land ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe zuständig für einen beträchtlichen Teil der Hilfen für wohnungslose Menschen. Es handelt sich dabei um sogenannte Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 67 ff. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in stationärer oder teilstationärer Form (Resozialisierungseinrichtungen) oder ambulante Hilfen für umherziehende Wohnungslose mit häufig wechselnden Aufenthaltsorten und für Haftentlassene (Betreutes Wohnen). Die entsprechenden Einrichtungen befinden sich in Trägerschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Es gibt in Rheinland-Pfalz 19 Resozialisierungseinrichtungen mit 433 stationären Plätzen (davon 60 Plätze für Frauen und 373 für Männer sowie zwei teilstationäre Plätze für Frauen) und 98 Wohngemeinschaftsplätze für umherziehende Wohnungslose und Haftentlassene an 14 Standorten. Stationäre und teilstationäre Plätze dienen der Resozialisierung von Hilfesuchenden, die eine intensive Betreuung brauchen. Wohngemeinschaftsplätze sind grundsätzlich für Hilfeempfängerinnen und Hilfeempfänger vorgesehen, die über einen höheren Grad an Selbstständigkeit verfügen. Sie werden von Fachkräften wie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen oder Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern unterstützt. Darüber hinaus sind die Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe zuständig für die sonstigen Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, zum Beispiel in Form von Tagesaufenthalten, Fachberatungsstellen, Übernachtungseinrichtungen , andere Formen des Betreuten Wohnens oder Streetwork. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/3392 3 Die Finanzierung der Hilfeangebote richtet sich nach der Zuständigkeit. Nach § 5 Abs. 1 des Landesgesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch tragen die Träger der Sozialhilfe die Kosten für die Aufgaben, die ihnen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch oder nach dem Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch obliegen. Das Land als überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist somit zuständig für die Finanzierung der in seiner Zuständigkeit liegenden Angebote (siehe oben). Die örtlichen Träger der Sozialhilfe beteiligen sich allerdings nach § 6 des Landesgesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch an den Aufwendungen des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe in Höhe von 50 Prozent der Aufwendungen . Hinsichtlich der Leistungen, die in die Zuständigkeit der örtlichen Träger der Sozialhilfe fallen, sind diese für die Finanzierung der Hilfen zuständig (§ 5 Abs. 1 des Landesgesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch). Nach dem Landesfinanzausgleichgesetz erhalten allerdings Landkreise und kreisfreie Städte unter anderem zum Ausgleich von Belastungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom Land sogenannte Schlüsselzuweisungen. Als Schlüsselzuweisung C werden diesen kommunalen Gebietskörperschaften 50 Prozent der Belastung aus der Gewährung von Leistungen und aus Kostenbeteiligung oder Kostenerstattung als örtliche Träger der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch im vorvergangenen Haushaltsjahr gewährt. Zu 3.: Die Erfahrung aus der Praxis der Wohnungslosenhilfe zeigt, dass es im Alter, nach längerem beziehungsweise dauerndem Leben auf der Straße oftmals erforderlich wird, Möglichkeiten einer Langzeitunterbringung mit sozialer und medizinischer Versorgung zu haben. Das System der Wohnungslosenhilfe bietet auch diesen Menschen Unterstützung und Hilfe. Die Hilfen sind aber auf die Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten ausgerichtet und die stationären Leistungen sind nach § 2 Abs. 5 der Durchführungsverordnung zu § 67 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch grundsätzlich befristet zu erbringen. Im Rahmen der Gesamtverantwortung der Einrichtung für die Betroffenen ist zu prüfen, ob die Betroffenen (noch) zum Personenkreis der Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten zählen oder ob aufgrund von behinderungsbedingten Beeinträchtigungen oder aufgrund von Pflegebedarf eine andere Form der Betreuung und Unterstützung gefunden werden sollte. Diese Fragen sind dann gemeinsam mit den zuständigen Kostenträgern zu klären. Zu 4.: Mit Inkrafttreten der Pflegeversicherung wurde für das Risiko der Pflegebedürftigkeit ein sozialversicherungsrechtliches Sicherungssystem geschaffen, dessen Leistungen den entsprechenden Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vorgehen. Die Pflegeversicherung stellt ihrem Wesen nach allerdings nur eine Grundabsicherung dar. Neben Vergütungszuschlägen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf nach § 87 b des Elften Buches Sozialgesetzbuch besteht bei vollstationärer Dauerpflege gemäß § 43 Absatz 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch Anspruch auf folgende monatliche Leistungsbeträge: Pflegestufe I 1 023 Euro, Pflegestufe II 1 279 Euro, Pflegestufe III 1 550 Euro, Härtefall 1 918 Euro. Voraussetzung ist, dass die häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des einzelnen Falles nicht in Betracht kommt. Wenn Pflegebedürftige mit hohem Pflegebedarf ihre Pflege mit den von der Pflegekasse gewährten (betragsmäßig begrenzten) Leistungen im Rahmen der Pflegesachleistung, der notwendigen Ersatzpflege bei Verhinderung der Pflegeperson, der teilstationären Pflege, der Kurzzeitpflege und der vollstationären Pflege nicht voll finanzieren können, tritt die Sozialhilfe bei Bedürftigkeit grundsätzlich mit ergänzenden Leistungen bis zur vollen Höhe des Bedarfs ein. Bei stationärer Pflege übernimmt die Sozialhilfe bei Bedürftigkeit außerdem die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten. Zu 5.: Junge Wohnungslose ab 18 Jahren finden Unterstützungsangebote in den stationären Resozialisierungseinrichtungen der Wohnungslosenhilfe . Die individuelle Hilfe richtet sich nach den Feststellungen, die im Rahmen der Hilfeplanung getroffen werden. Zur Unterstützung junger Wohnungsloser in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gehören insbesondere Leistungen zur Alltagsbewältigung und Umgang mit der eigenen Person, Beratung und Hilfe bei sozialen Problemen, Unterstützung bei der Tages- und Freizeitgestaltung, Motivation zu neuen Berufs- und Lebensperspektiven, Unterstützung bei der Aufnahme sozialer Bindungen, Erarbeitung von Konfliktlösungsmethoden, Sicherstellung der medizinischen und hygienischen Grundversorgung, vermittelnde Hilfestellung bei vorbeugenden beziehungsweise akuten gesundheitlichen Belangen oder die Unterstützung bei der Wohnungssuche und Hilfestellung bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Drucksache 16/3392 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 4 Darüber hinaus gibt es in Rheinland-Pfalz ein besonderes Angebot für junge wohnungslose Menschen, das beim Caritas-Förderzentrum St. Christophorus in Kaiserslautern angesiedelt ist: Das Caritas-Förderzentrum St. Christophorus bietet neben Angeboten für wohnungslose Frauen und Männer ein spezielles Angebot für junge Menschen im Alter von 16 bis 21 Jahren in Form einer betreuten Wohngruppe für wohnsitzlose Jugendliche (neun Plätze). Jungen Menschen, die zum Teil schon gravierende Probleme wie Gewalterfahrung im Elternhaus oder Alkohol- und Drogenmissbrauch erfahren haben, wird Unterstützung zur Wiedereingliederung gegeben. Dazu gehört der Aufbau einer persönlichen Lebensperspektive, das Erlernen lebenspraktischer Fähigkeiten und je nach Bedarf auch das Nachholen von Schulabschlüssen oder die Unterstützung bei der Ausbildungsplatzsuche. Bei dem Angebot in Kaiserslautern handelt es sich um eines der Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch. Zwischen der Stadt Kaiserslautern und dem Caritas-Förderzentrum St. Christophorus besteht eine Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung , nach der Leistungen zur Hilfe zur Erziehung und andere Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch abgerechnet werden. Das Förderzentrum bietet Leistungen der Jugendhilfe für Jugendliche und junge Erwachsene (ab 16 Jahren) gemäß § 27 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Hilfe zur Erziehung), § 34 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform) und § 41 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung). Darüber hinaus kann die Zielgruppe der minderjährigen Wohnungslosen aufgrund ihrer Problemlagen auch im Rahmen der bestehenden Jugendhilfeangebote zielführend betreut werden. Daneben bestehen in Einrichtungen für wohnungslose Frauen teilweise auch Angebote für wohnungslose Mütter. Die Wohnungslosenhilfe der kreuznacher diakonie bietet in Bad Kreuznach ein Mutter-Kind-Wohnen mit zwei Plätzen und einem Notaufnahmeplatz für Mütter ab 18 Jahren mit ihrem Kind. Auch der Wendepunkt in Mainz biete zwei Plätze der Mutter-Kind-Betreuung für (junge) Mütter mit ihrem Kind. Das Angebot des Sozialdienstes katholischer Frauen Trier, Haus Maria Goretti, umfasst neben Mutter-Kind-Angeboten auch fünf Inobhutnahmeplätze für Mädchen ab zwölf Jahren. Alexander Schweitzer Staatsminister