Drucksache 16/3529 07. 05. 2014 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Bettina Brück (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur IHK-Schulatlas: Hilfe bei regionaler Schulentwicklungsplanung oder unverantwortliche Panikmache? Die Kleine Anfrage 2291 vom 15. April 2014 hat folgenden Wortlaut: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Koblenz hat für das nördliche Rheinland-Pfalz einen sogenannten IHK-Schulatlas erstellt, in dem sie für nahezu die Hälfte aller allgemeinbildenden Schulen eine Gefährdung des Standorts wegen zurückgehender Schülerzahlen konstatiert. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Waren der Landesregierung der IHK-Schulatlas und seine Hauptaussagen vor der Veröffentlichung bekannt? 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Methodik, welche bei der Erstellung des IHK-Schulatlases angewandt wurde, insbesonde- re den sogenannten Soll-Ist-Koeffizienten? 3. Berücksichtigt diese Methodik Besonderheiten vor Ort, wie das Aufwachsen von neu gegründeten Schulen, z. B. bei neu er- richteten Integrierten Gesamtschulen und Gymnasien und finden die Vorgaben der Schulaufsicht und des Ministeriums für Bildung , Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur zur Klassen- und Kursbildung bei der Methodik des IHK-Schulatlases ausreichend Berücksichtigung? 4. Wie steht die Landesregierung zu der Forderung der IHK Koblenz, die Vorgaben des Landes zur Sicherstellung eines wohnortnahen Angebots stärker an die demografische Entwicklung anzupassen? 5. Lassen die schulgesetzlichen Bestimmungen eine stärkere Kooperation von Schulträgern zu, auch über Kreisgrenzen hinweg? 6. Berücksichtigt die regionale Schulentwicklungsplanung die demografische Entwicklung und werden zurückgehende Schülerin- nen- und Schülerzahlen bei der Erstellung von Schulentwicklungsplänen einbezogen? Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 7. Mai 2014 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Regionale Schulentwicklungsplanung ist eine Aufgabe, der sich Schulträger, Träger der Schulentwicklungsplanung und Schulbehörde bereits seit längerem erfolgreich annehmen. Gemeinsam wurde beispielsweise ab dem Schuljahr 2009/2010 die Schulstrukturreform als Antwort auf den beginnenden demografischen Wandel umgesetzt. Seit dem 31. Juli 2013 ist sie abgeschlossen. Hierfür war die bewährte, gute Zusammenarbeit von kommunalen Gebietskörperschaften und Land auf einer soliden und verlässlichen Datenbasis erforderlich. Eine solide Datenbasis liefern die regionalen Schulentwicklungspläne, die Landkreise und kreisfreie Städte als Träger der Schulentwicklungsplanung erstellen bzw. erstellen lassen. Schulentwicklungsplanung setzt weiterhin voraus, dass die konkrete Situation der jeweiligen Schule betrachtet wird. Pauschal für das ganze nördliche Rheinland-Pfalz wie in dem von der Industrie- und Handelskammer Koblenz (IHK) vorgelegten Schulatlas ist dies nicht möglich. Zwischenzeitlich hat die IHK Koblenz in einem Schreiben mit Datum vom 16. April 2014 eingeräumt, dass mit der angewandten Methodik keine sinnvolle Aussage über Schülerzahlen eines konkreten Schulstandortes im Schuljahr 2020/2021 getroffen werden kann. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 19. Mai 2014 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/3529 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu Frage 1: Die IHK Koblenz hatte mit Datum vom 23. Dezember 2013 dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur einen Entwurf des IHK-Schulatlas zur vertraulichen Kenntnisnahme übersandt. Herr Staatssekretär Beckmann teilte dem Hauptgeschäftsführer der IHK Koblenz am 10. Januar 2014 schriftlich mit, dass der Schulatlas der IHK Koblenz die schulischen und bildungspolitischen Gegebenheiten in Rheinland-Pfalz und somit auch im IHK-Bezirk Koblenz nicht zutreffend abbilde und unterbreitete ein Gesprächsangebot, das die IHK Koblenz jedoch nicht angenommen hat. Weitere Aspekte, die vor einer Veröffentlichung des Schulatlas aus der Sicht des Ministeriums hätten geklärt bzw. korrigiert werden sollen, wurden der IHK Koblenz auf Arbeitsebene übermittelt. Zu Frage 2: Die Autoren des IHK-Schulatlas verwenden für ihre Prognose einen eigenen Soll-Ist-Koeffizienten, mit dem sie die Gefährdung der Schulstandorte zu beschreiben versuchen. Dabei werden die Ist-Zahlen durch die Soll-Zahlen geteilt. Die Ist-Zahlen sind die tatsächlichen Schülerzahlen des Schuljahres 2012/2013. Die Soll-Zahlen leiten die Autoren aus den in Rheinland-Pfalz geltenden Regelungen zur Klassenmesszahl und den Zügigkeiten her. Dabei unterläuft den Autoren ein gravierender Fehler, auf den die IHK Koblenz frühzeitig vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur hingewiesen wurde: Die Klassenmesszahl, der wesentliche Faktor für die Berechnung der Soll-Zahl, gibt die maximale Schülerzahl je Klasse an. Sobald die Klassenmesszahl nur um eine Schülerin oder einen Schüler überschritten wird, ist eine weitere Klasse zu bilden. Die Autoren setzen die Klassenmesszahl aber als Mindestzahl an. Die Verwechselung von Mindest- und Maximalzahl hat gravierende Auswirkungen. Bei korrekter Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften ergibt sich für ein zweizügiges Gymnasium eine Mindestschülerzahl von 279. Die Autoren kommen nach ihrer Logik aber auf eine Mindestschülerzahl von 540. Dieser methodische Fehler durchzieht die ganze Studie und hat Auswirkungen auf alle Schularten. Für die Prognose für das Schuljahr 2020/2021 passen die Autoren die Ist-Zahl des Jahres 2012/2013 um den prognostizierten landesweiten Schülerrückgang an. Dieser fällt je nach Region allerdings höchst unterschiedlich aus, der Landeswert besitzt keine Aussagekraft für einzelne Standorte und Schulen. Weiter bleibt in dieser pauschalen Vorgehensweise unberücksichtigt, ob Schulen in ihrem Anmeldeverfahren Schülerinnen und Schüler ablehnen mussten und ob Schulen bereits über alle Jahrgangsstufen verfügen. Aufwachsende Schulen (z. B. Gymnasien oder Integrierte Gesamtschulen), die noch nicht über alle Jahrgangsstufen verfügen, werden somit fälschlicherweise als gefährdet klassifiziert . Die Landesregierung bewertet die angewendete Methodik aufgrund der beschriebenen Mängel als ungeeignet für die Schulentwicklungsplanung . Zu Frage 3: Der Soll-Ist-Koeffizient im IHK-Schulatlas bezieht in keiner Weise Besonderheiten einer bereits im Vollzug befindlichen regionalen Schulentwicklungsplanung oder die Fortschreibung von Schulentwicklungsplänen durch Landkreise und kreisfreie Städte ein. So wird beispielsweise bei neu gegründeten Schulen, wie nahezu allen Integrierten Gesamtschulen im nördlichen Rheinland-Pfalz oder den Gymnasien Mülheim-Kärlich und Kirchberg, nicht das jahrgangsweise Aufwachsen bei der Zukunftsprognose berücksichtigt . Für Schulen, deren Auslaufen bereits per Organisationsverfügung feststeht, werden hingegen Bestandsprognosen ermittelt. Die Nichtberücksichtigung der örtlichen Besonderheiten führt dazu, dass Schulen fälschlicherweise als gefährdet ausgewiesen werden, obwohl sie für 2020/2021 als Ergebnis der Schulentwicklungsplanung planmäßig ausgelaufen sind und die Nachfolgeeinrichtungen dann wohl nicht gefährdet sein werden (z. B. Aufhebung einer Realschule plus nach Aufwuchs einer Integrierten Gesamtschule am gleichen Standort). Weiterhin berücksichtigt der IHK-Schulatlas nicht die Vorgabe, dass bei nahezu allen Integrierten Gesamtschulen die Regelzügigkeit der Mindestzügigkeit von vier Klassen pro Jahrgangsstufe entspricht. Deshalb kann selbst eine voll ausgebaute vierzügige Integrierte Gesamtschule beim IHK-Schulatlas nur die Prognosen „kritisch oder „gefährdet“ erhalten, da ihr Soll-Ist-Koeffizient nie über 1,3 – dies entspricht laut IHK der Grenze zur Demografiefestigkeit – liegen kann. Zu Frage 4: Die Landesregierung hat bereits frühzeitig Maßnahmen ergriffen, um die Bildungslandschaft demografiefest zu gestalten. Hierzu gehört die eingangs bereits erwähnte Schulstrukturreform, die mit der Realschule plus einen wichtigen und entscheidenden Baustein für ein wohnortnahes Angebot an weiterführenden Schulen in der Sekundarstufe I geschaffen hat. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/3529 Mit den „Leitlinien für ein wohnortnahes Angebot an Realschulen plus“ wurden vor einem Jahr die Weichen für die Umsetzung der schulgesetzlichen Regelung gestellt, dass Realschulen plus aus siedlungsstrukturellen Gründen auch zweizügig geführt werden können. In der Grundschule wurde die Klassenmesszahl von 30 schrittweise auf maximal 24 Schülerinnen und Schüler gesenkt, wodurch die durchschnittliche Klassengröße noch weiter zurückgehen wird. Mit der neuen Klassenmesszahl wird Rheinland-Pfalz bei den Grundschulen zusammen mit Hamburg bundesweit die kleinsten Klassen aufweisen. Bei den Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen werden die Klassen in der Orientierungsstufe in zwei Schritten auf 25 Schülerinnen und Schüler reduziert – eine Regelung, die an den Realschulen plus schon seit dem Schuljahr 2009/2010 gilt. Zu Frage 5: Die schulgesetzlichen Bestimmungen lassen eine Zusammenarbeit von Schulträgern zu, auch über bestehende Kreisgrenzen hinweg . So kooperieren zum Beispiel die Stadt Mainz und die verbandsfreie Gemeinde Budenheim bei der Integrativen Realschule Mombach /Budenheim. Das Schulgesetz räumt in § 76 Abs. 2 und 3 diese Möglichkeit ausdrücklich ein. Ebenso können benachbarte Landkreise und kreisfreie Städte nach § 91 Abs. 3 Schulgesetz Schulentwicklungspläne gemeinsam aufstellen . Zu Frage 6: Der „Leitfaden zur Schulentwicklungsplanung“ der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion verpflichtet die Schulträger ausdrücklich dazu, bei der Planung eines ausgewogenen Bildungsangebots demografische Entwicklungen zu berücksichtigen. Schulentwicklungspläne sollen auf einer validen statistischen Grundlage basieren, die sowohl die Daten aus der amtlichen Schulstatistik als auch die Vorausberechnungen zur Bevölkerungsentwicklung, insbesondere nach Alter, Geburtenentwicklung und Wanderungsverhalten , sowie die Entwicklung in den benachbarten Gebietskörperschaften berücksichtigt. Doris Ahnen Staatsministerin 3