Drucksache 16/3577 20. 05. 2014 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Gunther Heinisch und Katharina Raue (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Ausgestaltung des Rheinland-Pfälzischen Strafvollzugs Die Kleine Anfrage 2311 vom 6. Mai 2014 hat folgenden Wortlaut: Der Strafvollzug wird aufgrund demografischer Veränderungen und einem sich wandelnden Bild der modernen Strafvollstreckung ständig vor neue Aufgaben gestellt. Insbesondere der offene Strafvollzug findet in vielen Bundesländern immer häufiger statt. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie viel Prozent der Inhaftierten befinden sich in Rheinland-Pfalz im offenen Vollzug? 2. Wie hoch ist der bundesweite Durchschnitt der Inhaftierten im offenen Vollzug? 3. Gibt es in Rheinland-Pfalz die Möglichkeit Haftstrafen direkt im offenen Vollzug anzutreten? 4. Wie beurteilt die Landesregierung das Berliner „Selbststeller-Modell“? 5. In welchen Justizvollzugsanstalten in Rheinland-Pfalz wird der offene Vollzug durchgeführt und welche weiteren Ausbaumög- lichkeiten sieht die Landesregierung? 6. Wie viele ältere und pflegebedürftige Menschen waren im letzten Jahr wo inhaftiert? 7. Wie sind die Justizvollzugsanstalten auf die Belange älterer und pflegebedürftiger Menschen ausgerichtet? Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 20. Mai 2014 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Im rheinland-pfälzischen offenen Vollzug befanden sich am Stichtag 9. Mai 2014 9,7 % der Inhaftierten (diese Prozentzahl schließt Sicherungsverwahrte ein, nicht aber Patienten des Justizvollzugskrankenhauses). Bei den inhaftierten Männern betrug der Anteil der Gefangenen im offenen Vollzug 9,3 %, bei den inhaftierten Frauen 15,7 %. Zu Frage 2: Ausweislich der jährlichen Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes „Rechtspflege – Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach ihrer Unterbringung auf Haftplätzen des geschlossenen und offenen Vollzugs“ befanden sich bundesweit insgesamt 62 632 Inhaftierte am Stichtag 30. November 2013 im Justizvollzug. Davon waren 6 410 im offenen Vollzug untergebracht, was einem prozentualen Anteil von 10,2 % entspricht. Bei den inhaftierten Männern beträgt der Anteil der Gefangenen im offenen Vollzug 10,2%, bei den inhaftierten Frauen 12,9 %. Zu Frage 3: In Rheinland-Pfalz besteht grundsätzlich die Möglichkeit, von der als Vollstreckungsbehörde zuständigen Staatsanwaltschaft unmittelbar in den offenen Vollzug geladen zu werden. Die Ladung in den offenen Vollzug setzt in der Regel ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus. Eine Ladung in den offenen Vollzug soll jedoch nur dann erfolgen, wenn sich der Verurteilte zum Zeitpunkt der Ladung auf freiem Fuß befindet, er erstmalig eine Freiheitsstrafe verbüßt, keine Suchtmittelabhängigkeit vorliegt und die Dauer der insgesamt zu verbüßenden Freiheitsstrafen ein Jahr nicht übersteigt. Den Vollstreckungsbehörden steht es frei, Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 4. Juni 2014 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/3577 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode darüber hinaus in Einzelfällen nach Absprache mit der zuständigen Justizvollzugsanstalt direkt in den offenen Vollzug oder trotz Vorliegens der oben genannten Kriterien in den geschlossenen Vollzug zu laden, wenn die Person im Übrigen nicht für den offenen Vollzug geeignet erscheint. Die Entscheidung, ob ein Gefangener für den offenen Vollzug geeignet ist und in der Folge seinen Arbeitsplatz behalten kann, trifft stets die zuständige Vollzugsanstalt. Dies gilt auch für Gefangene, die zunächst in den offenen Vollzug geladen worden sind. Zu Frage 4: In Berlin besteht die Möglichkeit, dass sich zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilte Personen nach Erhalt ihrer Ladung in den betreffenden Anstalten des offenen Vollzuges selbst stellen können. Nach erfolgter Aufnahme wird die Eignung für den offenen Vollzug direkt im offenen Vollzug geprüft. Im Fall der Eignung ist eine Verbüßung der Freiheitstrafe ab Strafantritt im offenen Vollzug möglich, im Fall der Nichteignung wird die jeweilige Person in den geschlossenen Vollzug eingewiesen. Aus Berlin wird ein Anteil der im offenen Vollzug untergebrachten Inhaftierten seit 1992 bis 2012 mit einer Größenordnung zwischen 26 % (im Jahr 2007) und 33 % (in den Jahren 1998 und 2003) angegeben. Die Situation im rheinland-pfälzischen Justizvollzug ist demgegenüber eine andere: bei einer derzeitigen Belegungsfähigkeit im rheinland-pfälzischen Justizvollzug von insgesamt 3 592 Haftplätzen (3 397 für männliche und 195 für weibliche Gefangene) stehen derzeit insgesamt 469 Haftplätze im offenen Vollzug zur Verfügung, was einem Anteil von 13,1 % entspricht. Von diesen 469 Haftplätzen im offenen Vollzug entfallen zurzeit 436 Plätze (12,8 %) auf männliche Gefangene und 33 Plätze (16,9 %) auf weibliche Gefangene. Mit der Anpassung an die gesetzlich normierte Einzelbelegung von Hafträumen auch im offenen Vollzug und der daher bevorstehenden Änderung der Belegungsfähigkeit wird diese künftig mit insgesamt 3 410 Plätzen ausgewiesen werden müssen und damit sinken. Dann werden im offenen Vollzug nur noch 287 Haftplätze zur Verfügung stehen, was einem Anteil von 8,4 % entspricht (254 Haftplätze für männliche [7,9 %] und 33 für weibliche [16,9 %] Gefangene). Überträgt man die genannten Prozentsätze aus Berlin auf den rheinland-pfälzischen Justizvollzug, müsste zunächst eine große Zahl an Haftplätzen im offenen Vollzug neu geschaffen werden: Bei einer Quote von 25 % im offenen Vollzug wären 853 Haftplätze erforderlich, bei einer Quote von 30 % 1 023 Haftplätze. Um eine solche Quote auch nur annähernd zu erreichen, wären ganz erhebliche finanzielle Anstrengungen für den Aus- und/oder Neubau von Einrichtungen des offenen Vollzugs erforderlich; nachfolgend auch andere Organisationsstrukturen und Personalverschiebungen. Nachdem es bisher aus finanziellen Gründen noch nicht gelungen ist, den in fortgeschrittener Planung befindlichen Neubau einer offenen Vollzugseinrichtung für die Jugendstrafanstalt Schifferstadt zu realisieren, sind finanzielle Spielräume in der benötigten Größenordnung in den nächsten Jahren schwierig zu realisieren. Dabei ist es unbestritten, dass der offene Vollzug einen wichtigen Baustein für die Resozialisierung von Gefangenen darstellt, weil er mit seiner Außenorientierung weit reichende Erprobungsmöglichkeiten abgibt und sich die Inhaftierten in den normalen Belastungssituationen des täglichen Lebens beweisen müssen. Zu Frage 5: Offener Vollzug wird in den JVAen Diez, Frankenthal, Koblenz, Rohrbach, Trier, Wittlich und Zweibrücken sowie in der JSA Wittlich für männliche Gefangene durchgeführt, an den Standorten Koblenz, Rohrbach und Zweibrücken auch für weibliche Gefangene. In der JVA – Sozialtherapeutische Anstalt – Ludwigshafen besteht in kleinem Umfang die Möglichkeit eines Freigangs im Kontext der dortigen Behandlungsmaßnahmen aus einer speziellen Abteilung im geschlossenen Vollzug. Die Schaffung einer Einrichtung des offenen Vollzugs für die Jugendstrafanstalt Schifferstadt wird als vordringlich angesehen, da es sich um die einzige rheinland-pfälzische Justizvollzugseinrichtung ohne einen offenen Vollzug handelt. Vollständige Baupläne liegen vor, der Bau musste aber aus finanziellen Gründen zurückgestellt werden. Zu Frage 6: Daten zur Anzahl älterer Gefangener werden in Rheinland-Pfalz jeweils jährlich zum Stichtag 1. Oktober erhoben. Grundsätzlich ist die Frage zu stellen, ab welcher Altersgrenze von „älteren“ Gefangenen gesprochen wird. Hierfür gibt es unterschiedliche Definitionen sowohl in der Praxis als auch in der Forschung (z. B. ab 55 Jahren, ab 60 Jahren, ab 65 Jahren, ab Eintritt in das Rentenalter). Für die rheinland-pfälzische Stichtagserhebung wurden daher Intervalle ab verschiedenen Altersgrenzen gesetzt, die verschiedene Fragestellungen ohne Interpretationsspielräume präzise beantworten können. Am Stichtag 1. Oktober 2013 befanden sich insgesamt 269 Personen in Haft, die älter als 55 Jahre waren. Mit der Zunahme der Altersgrenze nimmt die Anzahl der älteren Personen erheblich ab; älter als 70 Jahre sind noch 19 Inhaftierte, wobei der älteste männliche Inhaftierte 83 Jahre und die älteste weibliche Inhaftierte 80 Jahre alt war. Die Stichtagserhebung zu den älteren Gefangenen gibt auch Auskunft über das Geschlecht, die Haftart und die jeweilige Justizvollzugseinrichtung, in der sich die Inhaftierten jeweils befinden. Diese Daten sind den Tabellen 1 bis 3 zu entnehmen: 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/3577 3 Stichtag 3013 Untersuchungshaft Strafhaft Sicherungsverwahrung Höchstes Alter55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + 55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + 55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + Männer 14 8 3 2 105 68 24 15 9 6 2 1 83 Frauen 0 0 0 0 5 7 2 1 0 0 0 0 80 Gesamt 14 8 3 2 110 75 26 16 9 6 2 1 JVA Männer Untersuchungshaft Strafhaft Sicherungsverwahrung Ältester Gefangener55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + 55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + 55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + Diez – geschlossener Vollzug 0 0 0 0 35 21 11 3 8 5 2 1 75 Diez – offener Vollzug 0 0 0 0 4 9 1 3 1 1 0 0 83 Frankenthal – geschlossener Vollzug 2 1 0 0 17 3 2 5 0 0 0 0 77 Frankenthal – offener Vollzug 0 0 0 0 3 2 0 0 0 0 0 0 65 Koblenz – geschlossener Vollzug 1 2 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 72 Koblenz – offener Vollzug 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 59 Ludwigshafen 0 0 0 0 5 1 1 0 0 0 0 0 65 Rohrbach – geschlossener Vollzug 5 3 2 1 7 12 2 1 0 0 0 0 76 Rohrbach – offener Vollzug 0 1 1 0 3 2 2 0 0 0 0 0 83 Trier – geschlossener Vollzug 4 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 69 Trier – offener Vollzug 0 0 0 0 1 2 0 0 0 0 0 0 64 Wittlich – geschlossener Vollzug 2 1 0 0 15 7 3 1 0 0 0 0 70 Wittlich – offener Vollzug 0 0 0 0 2 4 0 2 0 0 0 0 78 Zweibrücken – geschlossener Vollzug 0 0 0 0 9 4 1 0 0 0 0 0 70 Zweibrücken – offener Vollzug 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 61 Gesamt Männer 14 8 3 2 105 68 24 15 9 6 2 1 Tabelle 1: Alte Gefangene zum Stichtag 1. Oktober 2013 Tabelle 2: Männliche Inhaftierte und Justizvollzugsanstalt zum Stichtag 1. Oktober 2013 Drucksache 16/3577 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Die Anzahl der pflegebedürftigen Gefangenen wird demgegenüber nicht statistisch erhoben. Hier stellt sich, wie auch bereits der Frage nach den „älteren“ Gefangenen, die Frage nach einer genauen Definition. Die Spannbreite von Pflegebedürftigkeit ist sehr groß. Es wird jeweils individuell auf die medizinischen Bedürfnisse der einzelnen Inhaftierten eingegangen. Dies erfolgt unabhängig vom Alter der Inhaftierten. Zu Frage 7: Die ambulante medizinische Versorgung, die bei älteren Gefangenen umfangreicher ist, erfolgt durch die Sanitätsabteilungen der einzelnen Justizvollzugsanstalten. Das Ziel einer Versorgung äquivalent zu der Situation vor und nach der Inhaftierung kann in aller Regel erreicht werden. Häufig profitieren diese Gefangenen gesundheitlich, weil eine aufsuchende, kontinuierliche Betreuung besser darstellbar ist als unter häuslichen Bedingungen. Die stationäre medizinische Diagnostik und Behandlung erfolgt in aller Regel im Justizvollzugskrankenhaus in Wittlich. Mit den drei Abteilungen Innere Medizin, Chirurgie und Psychiatrie können die meisten Erkrankungen im Senium behandelt werden, bedarfsweise erfolgt auch eine Verlegung in externe Krankenhäuser. Was die körperlichen Behinderungen von älteren Inhaftierten anbelangt, erfolgt eine bedarfsgerechte Hilfsmittelversorgung. Baulich wurde bei Neubauten darauf geachtet, behindertengerecht ausgestattete Hafträume zur Verfügung zu haben bzw. barrierefrei einzelne Abteilungen erreichbar zu machen (meist über Aufzüge). In einzelnen Fällen werden pflegebedürftige Gefangene im Justizvollzugskrankenhaus betreut. Jochen Hartloff Staatsminister 4 JVA Frauen Untersuchungshaft Strafhaft Sicherungsverwahrung Älteste Gefangene55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + 55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + 55 bis 60 61 bis 65 66 bis 70 71 + Koblenz – geschlossener Vollzug 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 70 Koblenz – offener Vollzug 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 ./. Rohrbach – geschlossener Vollzug 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 62 Rohrbach – offener Vollzug 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 57 Zweibrücken – geschlossener Vollzug 0 0 0 0 2 4 0 1 0 0 0 0 80 Zweibrücken – offener Vollzug 0 0 0 0 2 0 1 0 0 0 0 0 68 Gesamt Frauen 0 0 0 0 5 4 2 1 0 0 0 0 Gesamt – Alle (Männer und Frauen) 14 8 3 2 110 72 26 16 9 6 2 1 Tabelle 3: Weibliche Inhaftierte und Justizvollzugsanstalt zum Stichtag 1. Oktober 2013