Drucksache 16/3740 15. 07. 2014 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Dr. Axel Wilke (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Fallzuweisung an Täterarbeitseinrichtungen (TAE) durch Justizbehörden bei Gewalt in engen sozialen Beziehungen Die Kleine Anfrage 2423 vom 27. Juni 2014 hat folgenden Wortlaut: Anlässlich der am 14. Mai 2014 veröffentlichten Unterrichtung der Landesregierung zu Initiativen und Aktivitäten zur Stärkung der Rückfallprävention von Stalking in Rheinland-Pfalz (Drucksache 16/3549) und des darin befürworteten Ausbaus des Tätigkeitfeldes der Täterarbeitseinrichtungen frage ich: 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Tatsache, dass trotz gestiegener Gesamtfallzahlen im vergangenen Jahr weniger Fallzu- weisungen durch die Justiz erfolgten? 2. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, sicherzustellen, dass alle Staatsanwalt schaften und nicht nur einzelne bei Ge- waltdelikten in engen sozialen Beziehungen, die nach § 153 a Strafprozessordnung eingestellt werden, den Tätern die Teilnahme an einem Training in einer Täterarbeitseinrichtung zur Auflage machen? 3. Wie beurteilt die Landesregierung eine generelle Einbindung der Gerichtshilfe in Fällen von Gewalt in engen sozialen Beziehungen , wie sie bei der Staatsanwaltschaft Landau praktiziert wird? 4. Welche Fortbildungsangebote gibt es in der Justiz für den Umgang mit Gewalt in engen sozialen Beziehungen und inwieweit spielen dort Täterarbeitseinrichtungen eine Rolle? Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 8. Juli 2014 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Es ist erfreulich, dass die Gesamtfallzahlen der Täterarbeitseinrichtungen nach einem Rückgang im Jahr 2012 im vergangenen Jahr wieder auf das Niveau des Jahres 2011 angestiegen sind. Gerade die gestiegene Zahl der Selbstmelder von 67 auf 80 im Jahr 2013 kann als ein gutes Zeichen dafür gewertet werden, dass sich die Täterarbeitseinrichtungen inzwischen etabliert haben und Betroffene ihr Angebot unabhängig von dem Druck z. B. eines Strafverfahrens oder eines familiengerichtlichen Verfahrens in Anspruch nehmen. Nachdem aus Sicht der Landesregierung die Eigenmotivation ein ganz wesentlicher Aspekt für das Gelingen eines solchen zeitlich und persönlich intensiven Trainingsprogrammes ist, kann vor allem die Entwicklung bei den Selbstmeldern positiv beurteilt werden. Für ein Opfer häuslicher Gewalt ist es unerheblich, aus welchem Grund der Täter an einem solchen Programm teilnimmt . Entscheidend ist, dass er Selbstkontrolle und Verantwortungsübernahme lernt. Unabhängig davon beobachten wir die Zuweisungspraxis der Justiz seit Jahren aufmerksam. Dabei bereitet uns allerdings der leichte Rückgang im vergangenen Jahr weniger Sorgen. Der Anteil der Zuweisungen durch die Strafjustiz, d.h. Staatsanwaltschaften und Amts- und Landgerichte, stellt – trotz der gestiegenen Zahl der Selbstmelder – immer noch den größten Anteil der Zuweisungen dar. Dazu kommen Zuweisungen direkt über Gerichts- oder Bewährungshilfe und durch Familiengerichte, die in den vergangenen Jahren eher zu- als abgenommen haben. Anlass zum genaueren Hinsehen gibt allerdings der Umstand, dass große regionale Unterschiede bei der Zuweisung insbesondere der Staatsanwaltschaften festzustellen sind. Dieses Phänomen ist Gegenstand von Frage 2. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 8. August 2014 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/3740 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu Frage 2: Ob der Beschuldigte eines Ermittlungsverfahrens für die Teilnahme an einem Täterarbeitsprogramm geeignet ist, lässt sich nicht allgemein festlegen, sondern muss in jedem Einzelfall von den sachbearbeitenden Staatsanwältinnen und Staatsanwälten beurteilt werden. Dabei spielt es u. a. eine Rolle, ob die Schwere des Tatvorwurfs und das Ausmaß der Schuld des Täters noch eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Auflagen zulässt. Handelt es sich zum Beispiel um einen Wiederholungstäter, muss genau geprüft werden, ob eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153 a der Strafprozessordnung überhaupt noch möglich ist oder Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt werden muss. Dann obliegt es dem Gericht, z. B. im Rahmen von Bewährungsauflagen über die Zuweisung zu einem Täterarbeitsprogramm zu entscheiden. Dass den Gerichten vor dem Hintergrund der richterlichen Unabhängigkeit nicht vorgegeben werden kann, ob und in welchen Fällen die Teilnahme an einem Täterarbeitsprogramm zur Auflage gemacht werden soll, versteht sich von selbst. Aus den genannten Gründen können aber auch zu der Sachbehandlung der Staatsanwaltschaften keine Vorgaben des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz in Betracht gezogen werden. Wir haben die Jahresberichte der Täterarbeitseinrichtungen allerdings zum Anlass genommen, nach möglichen Gründen für die unterschiedliche Zuweisungspraxis der Staatsanwaltschaften zu suchen und im erforderlichen Maße zu sensibilisieren. So wurde das Thema zum Beispiel am 1. Juli 2014 anlässlich eines regelmäßigen Erfahrungsaustauschs der Dezernentinnen und Dezernenten der Staatsanwaltschaften für Sexualstrafsachen und häusliche Gewalt im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erörtert. Außerdem haben wir die Täterarbeitseinrichtungen gebeten, mit den Staatsanwaltschaften vor Ort weiterhin in Kontakt zu bleiben , ihre Arbeit dort vorzustellen und dadurch die unmittelbare Zusammenarbeit zu intensivieren. Zu einem größeren Verständnis und einer engeren Zusammenarbeit hat z. B. auch ein im Frühsommer 2014 veranstalteter Erfahrungsaustausch zwischen Dezernentinnen und Dezernenten der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern und Vertretern der Beratungsstelle CONTRA HÄUSLICHE GEWALT beigetragen. Im Rahmen dessen wurden aktuelle Fragen und Kriterien der Zuweisungspraxis erörtert. Außerdem konnten so Berufsanfänger der Staatsanwaltschaft in das Thema Täterarbeit und die Konzeption der Einrichtungen eingeführt werden. Zu Frage 3: Hier ist bekannt, dass sich die Täterarbeitseinrichtungen das in Landau praktizierte Modell einer standardisierten Einbindung der Gerichtshilfe für das ganze Land wünschen und sich davon eine vermehrte Zuweisung von Fällen durch die Staatsanwaltschaften versprechen. Die Frage der Übertragbarkeit des Modells auf andere Staatsanwaltschaften haben wir im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Landtagsberichts zu Stalking (Drucksache 16/3549) bereits mit Vertretern und Vertreterinnen der Gerichtshilfe diskutiert. Das konkrete Projekt in Landau wurde dabei zwar übereinstimmend positiv bewertet. Es lässt sich allerdings nicht auf Gerichtsbezirke übertragen , in denen andere Strukturen vorherrschen, z. B. im Bereich der freien Träger der Straffälligenhilfe, und die über andere Bezirksgrößen und ein anderes Fallaufkommen verfügen. Eine weitere Ursache für die Nichtübertragbarkeit des Landauer Modells ist ferner, dass dessen Erfolg auf der konkreten Arbeit und der Situation vor Ort beruht und nicht allein auf einer standardisierten Zuweisung aller Fälle häuslicher Gewalt. In dem Interventionszentrum Südpfalz arbeiten – historisch gewachsen – verschiedene Institutionen, z. B. auch die Täterarbeitseinrichtung und die Staatsanwaltschaft, besonders eng vernetzt zusammen. Wichtiger als eine standardisierte Zuweisung, die in manchen Bezirken zu einer kaum abzuarbeitenden Flut von Verfahren führen würde, ist es, geeignete Fälle zu identifizieren und diese dann den Täterarbeitseinrichtungen zuzuweisen. Die Gerichtshilfe kann zu der Bewertung der Fälle einen wichtigen Beitrag leisten. Es hat sich aber ebenso wie das Modell in Landau bewährt, dass die verantwortlichen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte aus der Vielzahl der Verfahren eine geeignete Vorauswahl treffen und nur diese dann der Gerichtshilfe zur vertieften Prüfung und Einschätzung, ob eine solche Auflage sinnvoll ist, übermitteln. Zu Frage 4: Für den Umgang mit Gewalt in engen sozialen Beziehungen wird seit 2005 jährlich eine jeweils eintägige gemeinsame Fachtagung des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur, des Ministeriums für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen, der Rechtsanwaltskammer Koblenz und unseres Hauses angeboten. Die Schwerpunktthemen waren bisher: 2005 Gewalt unter Jugendlichen und Heranwachsenden 2006 Staatliche Intervention gegen häusliche Gewalt, Phänomene – Konzepte – Erfahrungen 2007 Staatliche Intervention gegen Gewalt in Paarbeziehungen unter besonderer Berücksichtigung des Phänomens „Stalking“ 2008 Vernachlässigt – misshandelt – missbraucht – Bieten neue Gesetze mehr Schutz für Kinder? 2009 Gewalt in engen sozialen Beziehungen – ausgewählte Fragen zum Datenschutz 2010 Gewalt in Migrantenfamilien 2011 Gewalt in Migrantenfamilien – Zwangsverheiratung 2012 Gewalt gegen ältere Menschen 2013 Sexualisierte Gewalt in Partnerschaften 2014 Maßnahmen und Regelungen des Opferschutzes – Beiträge aus Sicht der Justiz, Polizei und anderer Träger 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/3740 Je nach thematischem Schwerpunkt werden Täterarbeitseinrichtungen in besonderer Weise in die jeweilige Fortbildungsveranstaltung einbezogen. So wurde 2006 über das Konzept und die Umsetzung des RIGG-Projekts in Rheinland-Pfalz berichtet, in das auch die Täterarbeitseinrichtungen aktiv eingebunden sind. 2007 kam die Gewaltberatungsstelle Mainz zu Wort, um über Erfahrungen zu Täterarbeitseinrichtungen als Ergänzung zu den unmittelbaren Maßnahmen des Opferschutzes zu berichten. Daneben bleibt es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Täterarbeitseinrichtungen unbenommen, an den entsprechenden Veranstaltungen teilzunehmen. Die Aufgaben einer Täterarbeitseinrichtung standen auch im Mittelpunkt der landeseigenen Fortbildungsveranstaltung „Häusliche Gewalt – Umgang mit den Tätern“, welche im Jahr 2008 insbesondere für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Gerichtshelferinnen und Gerichtshelfer sowie Bedienstete der Polizei angeboten wurde. Damals referierte eine Vertreterin der Beratungsstelle „Contra Häusliche Gewalt“ aus Mainz über Inhalt und Wirkung von Täterprogrammen. Auch berichtete ein Vertreter des Männerbüros Hannover über die Kooperation von Polizei, Justizbehörden und Täterarbeitseinrichtungen. Neben den eigentlichen Fortbildungsprogrammen trägt auch der regelmäßige und institutionalisierte Austausch zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Täterarbeitseinrichtungen und Angehörigen der Justiz in interdisziplinären Projekten und Arbeitsgruppen bei, wie z. B. der Arbeitsgruppe FOKUS: Opferschutz und den Regionalen und Landesweiten Runden Tischen des Rheinland-pfälzischen Interventionsprojekts gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen (RIGG). Jochen Hartloff Staatsminister 3