Drucksache 16/3781 18. 07. 2014 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Dietmar Johnen und Nicole Müller-Orth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Auswirkungen des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) im Agrar- und Umweltbereich Die Kleine Anfrage 2422 vom 27. Juni 2014 hat folgenden Wortlaut: Am 7. Mai 2014 war geplant, dass der europäische Handelskommissar de Gucht und der kana dische Handelsminister Ed Fast die CETA-Verhandlungen finalisieren und das Ergebnis para phieren. Einen Tag später hätte der Rat das Ergebnis der Verhandlungen annehmen sollen. Die Entscheidung wurde verschoben, weil es wohl noch zu viele offene Punkte gab, bei denen eine Einigung noch aussteht. Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie würde sich nach Meinung der Landesregierung die weitgehende bilaterale Öffnung der Agrarmärkte zwischen Kanada und Europa in den unterschiedlichen land- und lebens mittelwirtschaftlichen Branchen auswirken? 2. Hat die Landesregierung Kenntnisse, welche Auswirkungen im Bereich gentechnisch veränderter Organismen (GVO) und Pestizide zu erwarten sind? 3. Welche Auswirkungen kann aus Sicht der Landesregierung eine vorparlamentarische Regelung zur langfristigen Angleichung sämtlicher Gesetze in der EU und Kanada (regulatorische Kohärenz) auf die derzeitige und zukünftige Umwelt-, Tierschutz- und Agrar politik haben? 4. Erwartet die Landesregierung Auswirkungen speziell auf die Milcherzeuger, da die zunehmenden Erzeugerpreisschwankungen aufgrund der Abschaffung der Milchquote in der EU geradezu entgegengesetzt zu dem stabilen, eher restriktiven kanadischen Milch markt-Modell stehen? Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landes - regierung mit Schreiben vom 18. Juli 2014 wie folgt beantwortet: Am 18. Oktober 2013 haben der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, und der kanadische Premierminister , Stephen Harper, eine politische Einigung über die wichtigsten Punkte eines umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada bekannt gegeben. Auf Grundlage dieser politischen Einigung werden die Verhandlungen zur Einigung über die technischen Detailregelungen des Vertrages fortgesetzt, bevor ein rechtsgültiger Text des ausgehandelten Abkommens dann dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament zur Zustimmung vorlegt wird. Dies ist nach den vorliegenden Informationen bisher nicht geschehen. CETA ist auch im Zusammenhang mit den derzeit laufenden Verhandlungen zum Abschluss eines ähnlichen Abkommens mit den Vereinigten Staaten von Amerika (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) zu sehen. Da beide Abkommen vergleichbare Inhalte umfassen sollen, wird das bereits in einem fortgeschrittenen Verhandlungsstadium befindliche CETA-Abkommen als eine Art Blaupause für das TTIP-Abkommen betrachtet. Aus Sicht der Landesregierung gelten insoweit in beiden Fällen die gleichen Anforderungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Abkommen zustimmungsfähig ist. Dies betrifft unter anderem Regelungen zum Investitionsschutz in Verbindung mit einem Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren, wie sie in CETA vorgesehen sind. Die Landesregierung betrachtet solche Regelungen angesichts eines hinreichenden Rechtsschutzes vor unabhängigen nationalen Gerichten sowohl in den Mitgliedstaaten der EU als auch in Kanada als nicht gerechtfertigt. Zugleich besteht die Gefahr, dass solche Be stimmungen allgemeine und angemessene Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 14. August 2014 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/3781 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen, die in demokratischen Entscheidungen rechtsstaatlich zustande gekommen und rechtmäßig angewandt wurden, ausgehebelt oder umgangen werden könnten. Darüber hinaus hält die Landesregierung es für unverzichtbar, dass das in der EU bestehende Vorsorgeprinzip im Bereich des Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutzes durch die angestrebten Vereinbarungen nicht abgeschwächt wird. Dies gilt insbesondere für die strikten Regelungen in der EU für gentechnisch veränderte Organismen, das Klonen zur Lebensmittelproduktion sowie das Verbot des Einsatzes leistungssteigender Hormone in der Tierproduktion und die Behandlung von Lebensmitteln mit Substanzen, die in der EU verboten sind (z. B. mit Chlorlösungen behandeltes Hähnchenfleisch). Die Landesregierung bedauert zugleich die fehlende Transparenz der Verhandlungen zu CETA. Dieser Mangel führt, ähnlich wie bei den laufenden Verhandlungen zu TTIP, unter anderem dazu, dass keine offiziellen Texte vorliegen, die den aktuellen Verhandlungsstand wiedergeben. Die Landesregierung muss sich daher bei der Beantwortung der gestellten Fragen auf vorliegende Informationen insbesondere der Bundesregierung und der EU-Kommission beziehen. Zum Agrarbereich geht aus diesen Informationen hervor, dass durch das Abkommen eine rasche Beseitigung nahezu aller bestehenden Agrarzölle erfolgen soll. Überwiegend soll dies sofort mit dem Inkrafttreten des Abkommens geschehen. Für Erzeugnisse, die als sensible Produkte gelten (Milch und Milcherzeugnisse auf Seiten Kanadas, Rind- und Schweinefleisch sowie Mais bei der EU) ist für den jeweiligen Vertragspartner ein verbesserter Marktzugang durch Zollkontingente vorgesehen. So soll Kanada der EU ein solches Zollkontingent in Höhe von jährlich 16 000 Tonnen hochwertigem Käse sowie 1 700 Tonnen Verarbeitungskäse einräumen . Für kanadische Exporte in die EU sind Zollkontingente von 50 000 Tonnen Rindfleisch unter Anrechnung eines bereits bestehenden Kontingents von 4 000 Tonnen sowie von 75 000 Tonnen Schweinefleisch vorgesehen. Die noch bestehenden Zölle auf landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse, also insbesondere Erzeugnisse der Ernährungsindustrie , aber auch der Weinwirtschaft, sollen beseitigt werden. Innerhalb dieser Gruppe von Erzeugnissen nehmen Weine und Spirituosen einen besonders großen Anteil ein. Die EU hat einen Anteil von rund 50 Prozent an den kanadischen Weineinfuhren. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu Frage 1: Grundsätzlich ist die fehlende Transparenz der Verhandlungen deutlich zu kritisieren, die analog zu den Verhandlungen zu TTIP eine Bewertung möglicher Auswirkungen erschweren. Die Umweltminister der Länder haben auf der Umweltministerkonferenz im Mai 2014 deutliche Kritik an den Verhandlungen zu TTIP geübt und im Hinblick auf mögliche Auswirkungen entsprechende Forderungen gestellt, um negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, den Umweltschutz und den Verbraucherschutz zu verhindern . Diese Forderungen können aus Sicht der Landesregierung ebenso für CETA gestellt werden, das als eine Blaupause für TTIP gesehen werden kann. Die Umweltministerkonferenz hat am 9. Mai 2014 ihre Sorgen in folgendem Beschluss zum Ausdruck gebracht: „1. Die Ministerinnen, Minister und Senatorin sowie Senatoren der Umweltressorts der Länder bitten den Bund, zeitnah und konkret über den Fortgang der laufenden Verhandlungen sowie die Auswirkungen eines transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommens (TTIP) zwischen der EU und den USA im Hinblick auf umweltpolitische Belange in Deutschland den Ländern zu berichten und dafür Sorge zu tragen, dass durch den Bund eine deutsche Übersetzung zeitnah den Ländern zur Verfügung gestellt wird, um konstruktiv und zielgerichtet Stellung nehmen zu können. Diese Bitte bezieht sich ebenso auf die Verhandlungen zum multilateralen Dienstleistungsabkommen (TISA) sowie auf den gesamten Bereich laufender Verhandlungen zu Freihandels- bzw. Dienstleistungsabkommen. „2. Sie setzen dabei den besonderen Schwerpunkt darauf, dass europäische Standards und das geltende Vorsorgeprinzip nicht in Frage gestellt werden. Dazu bedarf es der Darstellung und Bewertung der Unterschiede bei den europäischen und amerikanischen Standards im Umweltschutz, u. a. im Hinblick auf das im EU- sowie im nationalen Recht verankerte Vorsorgeprinzip und der Darstellung, mit welchen Maßnahmen sowohl bei bestehenden als auch bei zukünftigen Gesetzen und Regulierungen der vorsorgende Umweltschutz im EU- sowie im nationalen Recht beibehalten werden soll. „3. Die Umweltministerkonferenz weist darauf hin, dass dem vorsorgenden Umweltschutz hohe Bedeutung zukommt, und bekräftigt , dass das Vorsorgeprinzip in den Verhandlungen nicht geschwächt werden darf. „4. Die Umweltministerkonferenz hält hohe Sicherheitsstandards, unter anderem im Gentechnik-, Chemikalienrecht und im Bereich der Nanotechnologie, für unverzichtbar. Die EU darf keinem Abkommen zustimmen, das die in den EU-Vergaberichtlinien gefundenen Kompromisse unterläuft und insbesondere den Druck zur Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorgeleistungen (insbesondere Abfall, Wasser, umweltbezogene Energie- und Verkehrsdienstleistungen) verstärkt. Die hohen deutschen und europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzstandards müssen erhalten bleiben. Eine Verpflichtung zur Öffnung der EU bei neuen Risikotechnologien wie Fracking darf nicht festgelegt werden. Durch das geplante TTIP sowie andere Freihandels - bzw. Dienstleistungsabkommen darf das hohe Umweltschutzniveau in der EU und im nationalen Recht nicht abgesenkt werden. „5. Die Umweltministerkonferenz ist der Auffassung, dass grundsätzlich mit OECD-Staaten keine gesonderten Investitionsschutzabkommen abgeschlossen oder Investitionsschutzregeln in Freihandeisabkommen aufgenommen werden müssen. Die Ankündigung der Bundesregierung, sich bei der Kommission für ein Ausklammern von Investor-Staat-Schiedsverfahren im Freihandelsabkommen mit den USA einzusetzen, wird begrüßt. Die Umweltministerinnen, -minister, -senatorin und -senatoren der Länder bitten die Bundesregierung, sich auch weiterhin dafür einzusetzen, dass Investitionsschutzregelungen nicht in das 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/3781 Abkommen aufgenommen werden Dies könnte – z. B. aus Sorge vor einer Klage von Investoren – zu einer Schwächung des vorsorgenden Umweltschutzes im EU- sowie im nationalen Recht führen. Die Umweltministerkonferenz begrüßt in diesem Zusammenhang, dass zum äußerst umstrittenen und in der Öffentlichkeit heftig kritisierten Investitionsschutzkapitel Ende März 2014 eine 90-tägige „öffentliche Konsultationsphase“ eingeleitet wurde, um den tatsächlichen Problemumfang zu evaluieren. Auf besondere Ablehnung stößt ein Investor-Staat-Schiedsverfahren. „6. Die Umweltministerkonferenz lehnt eine Informationspflicht zwischen der EU-Kommission und den USA über geplante Gesetzes- und Regulierungsinitiativen (Regulatorische Kohärenz), bevor das Europäische Parlament oder die Mitgliedstaaten informiert wurden, ab.“ Zwischen der kanadischen und europäischen Landwirtschaft bestehen erhebliche strukturelle Unterschiede. So wiesen die landwirtschaftlichen Unternehmen in Kanada 2011 eine durchschnittliche Größe von 315 Hektar auf. Die landwirtschaftlichen Unternehmen in Deutschland erreichten 2012 im Durchschnitt eine Flächenausstattung von 58 Hektar, die rheinland-pfälzischen von 36 Hektar. Diese Größenunterschiede können hinsichtlich der Produktions- und Vermarktungskosten Wettbewerbsvorteile für kanadische Produzenten begründen. Bei Wein bestehen durch das im Jahr 2003 zwischen Kanada und der EU abgeschlossene Abkommen über den Handel mit Wein und Spirituosen bereits eine wechselseitige Anerkennung der jeweiligen geschützten geografischen Ursprungsbezeichnungen und ein sehr weitgehender Schutz auf den jeweiligen Märkten. In Europa geschützte geografische Angaben wie Bordeaux, Moselle, Rhine oder Chablis dürfen danach bereits heute in Kanada für kanadische Weine nicht mehr verwendet werden. Dieses Verbot schließt auch Übersetzungen dieser Angaben oder die Nutzung einer Angabe in Verbindung mit Begriffen wie „Art“, „Typ“, „Fasson“, „Nachahmung“ oder dergleichen ein. Auch die Kennzeichnung „Icewine“ ist an die in der EU vorgegebenen Bedingungen des Gefrierens der Trauben am Stock gebunden. Zu Frage 2: Die Landesregierung verfügt derzeit über keine derartigen Kenntnisse, da bisher kein Entwurf des Vertragstextes als Ergebnis der Verhandlungen zwischen der EU und Kanada vorliegt. Die Landesregierung hält es zugleich für unerlässlich, dass in einem Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada eindeutige Regelungen enthalten sind, die eine Aushöhlung der bestehenden EU-rechtlichen Regelungen zur Zulassung des Inverkehrbringens und des Imports von gentechnisch veränderten Organismen verhindern . Bundesumweltministerin Hendricks hat sich bezüglich möglicher Schiedsgerichtsverfahren geäußert, falls diese zulässig werden würden, wären Standards im Umweltschutz oder bei der Kennzeichnungspflicht unter dem Deckmantel des Investitionsschutzes plötzlich anfechtbar und „ein solches Schlupfloch würde die Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung, hundert Jahren Frauenbewegung und 50 Jahren Umweltbewegung mit einem Federstrich zerstören“. Mit Sorge betrachtet die Landesregierung daher Überlegungen, den im Zusammenhang mit der Beilegung eines WTO-Streitschlichtungsverfahren über das Zulassungsverfahren der EU für gentechnisch veränderte Organismen vereinbarten Dialog über Fragen des Marktzugangs für Biotechnologie in das CETA aufzunehmen. Dieser Dialog erstreckt sich auf die Zulassung gentechnisch veränderter Produkte in Kanada und der EU unter Einschluss neuer Zulassungsanträge. Ausdrücklich sind auch unbeabsichtigte oder ungenehmigte Freisetzungen Gegenstand des Dialogs. Grundlegende Unterschiede in den gesetzlichen Regelungen auf beiden Seiten des Atlantiks, z. B. in Hinblick auf die Kennzeichnung von GVO, die Nulltoleranz in Bezug auf nicht zugelassene GVO oder die Prüftiefe bei Zulassungsverfahren lassen befürchten, dass das europäische Schutzniveau durch ein solches Abkommen abgesenkt würde. Zu Frage 3: Die Landesregierung spricht sich gegen die Anwendung des Konzeptes einer regulatorischen Kohärenz aus. Durch ein solches Konzept könnte für Vertreter wirtschaftlicher Interessengruppen ein Einfallstor geschaffen werden, durch das diese bereits in einem frühen Entwurfsstadium lange vor der Befassung der demokratisch legitimierten Institutionen (Parlamente) Einfluss auf die Ausgestaltung und Weiterentwicklung rechtlicher Regelungen im Bereich des Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutzes nehmen könnten. Es wäre nicht auszuschließen, dass so eine Weiterentwicklung des vorsorgenden Verbraucher- und Umweltschutzes in der EU weitgehend blockiert werden könnte. Auch nach Aussagen aus dem Bundesumweltministerium kann eine regulatorische Kohärenz, wie sie von der Kommission vorgeschlagen wird, äußerst problematisch werden: Die USA könnte auf die EU-Gesetzgebung massiven Einfluss ausüben und die Handelsinteressen ihrer Unternehmen durchsetzen. Es bestehe die Gefahr, dass es mit Regelungen zur regulatorischen Kohärenz zu einer langsamen Aufweichung von Standards „durch die Hintertür“ komme. Zu Frage 4: Die Milchwirtschaft in Kanada ist durch einen hochgradig regulierten Markt (kartellartige Regelungen) mit garantierten, hohen Preisen für die Milcherzeuger gekennzeichnet. Dies hat Auswirkungen sowohl auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der kanadischen Milchwirtschaft, die tendenziell geschwächt wird, als auch auf das Niveau der Verbraucherpreise für Milch und Milchprodukte . Zur Absicherung dieses Systems ist ein hoher Außenschutz erforderlich (Zollkontingente und hohe Importzölle). Studien der EU gehen davon aus, dass eine vollständige Eliminierung von Importtarifen im Milchhandel seitens Kanadas und damit verbesserte Exportaussichten der europäischen Milchwirtschaft die Milcherzeugung in der EU langfristig um ein Prozent erhöhen könnte. Die Exporte von Milchprodukten aus der EU nach Kanada könnten um rund sechs Prozent wachsen, aber stark zulasten der dortigen landwirtschaftlichen Betriebe gehen. Ulrike Höfken Staatsministerin 3