Drucksache 16/3879 21. 08. 2014 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Dr. Peter Enders (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Verfügbarkeit bodengebundener Notarztstandorte Die Kleine Anfrage 2493 vom 30. Juli 2014 hat folgenden Wortlaut: Im Januar 2009 hat das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur das Deutsche Zentrum für Notfallmedizin und Informationstechnologie (DENIT) am Fraunhofer-Institut für Experminentelles Software Engineering (IESE) damit beauftragt, die Verfügbarkeit bodengebundener Notzarztstandorte in Rheinland-Pfalz zu untersuchen. Bei acht der 68 bodengebundenen Notarztstandorte umfasste die Summe der Abmeldungen mehr als 10 % der Sollvorhaltezeiten mit einem Maximum von 55,1 %. Ursache war in 56 % eine primäre Nichtbesetzung des Notarztdienstplans und in 9,2 % die unvorhergesehene Bindung des Notarztes durch andere Aufgaben in der Klinik. In einem wissenschaftlichen Aufsatz von Luiz T, Lengen RH van, Wickenkamp A et al (2011): „Operational availability of groundbased emergency medical services in Rheinland-Palatinate: state-wide web-based system for collation, display an analysis. Anaesthesist 60: 421-426“ zum Thema wird festgestellt, „dass die erhobenen Daten belegen, dass derzeit in Rheinland-Pfalz mit einer ,Abmeldequote‘ von ca. 4 % des Vorhaltesolls (noch?) keine grundlegende Beeinträchtigung der Notarztversorgung herrscht. Es bestehen jedoch spürbare Unterschiede zwischen dem vergleichsweise gut versorgten Süden und dem Norden des Landes; hier ist an einzelnen Standorten der Notarztdienst in erheblichem Maß eingeschränkt.“ Ich frage die Landesregierung: 1. Welche acht Standorte waren im Rahmen der Untersuchung in welchem Umfang betroffen? 2. Wie hat sich die Abmeldestatistik dieser acht Standorte danach entwickelt? 3. Inwieweit gibt es nach dem Analysezeitraum 1. April 2009 bis 31. Oktober 2010 weitere Notarztstandorte, die in einem be- stimmten Zeitraum mehr als 10 % der Sollvorhaltezeit abgemeldet waren? 4. Was ist nach Ansicht der Landesregierung die Ursache für das „ärztliche Rekrutierungsproblem im ländlichen Raum“ bei den Notärzten? 5. Wie bewertet die Landesregierung die bessere Versorung mit Notärzten im Süden von Rheinland-Pfalz? 6. Inwieweit hat die Landesregierung die Vorschläge des DENIT, neben einer „Systemoptimierung“ spezielle Fördermaßnahmen für Kliniken in ländlichen Regionen und eine abgestimmte Bedarfsplanung in den Bereichen Rettungsdienst, Kliniken und niergelassene Ärzte vorzusehen, in Angriff genommen? 7. Welche Bedeutung mißt die Landesregierung zukünftig der Installierung von „Telenotärzten“ zu, wie es in einem Modellprojekt der RWTH Aachen untersucht wurde? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 21. August 2014 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 9. September 2014 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Abmeldungsrate Abmeldungsrate Standort (bezogen auf die Soll-Vorhaltezeit) Standort (bezogen auf die Soll-Vorhaltezeit) in Prozent in Prozent Adenau 55,1 Kirchen (Sieg) 15,8 Blankenrath *) 34,8 Lambrecht (Pfalz) *) 17,3 Hachenburg 20,7 Remagen 15,9 Hermeskeil 10,1 Wissen 11,4 *) Niedergelassene Ärzte im Notarztdienst. Drucksache 16/3879 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu Frage 2: 2 Abmelderate (bezogen auf Soll-Vorhaltezeit) in Prozent Standort Studie 2010 2011 2012 2013 lfd. 2014 Adenau 55,1 64,2 69,5 52,1 19,0 3,0 Blankenrath *) 34,8 39,0 39,8 45,7 39,8 32,4 Hachenburg 20,7 26,1 24,6 13,6 15,3 14,9 Hermeskeil 10,1 8,1 18,9 31,8 34,5 11,0 Kirchen (Sieg) 15,8 28,8 27,8 11,3 8,7 4,9 Lambrecht (Pfalz) *) 17,3 13,9 27,0 15,7 19,5 Remagen 15,9 44,1 55,7 49,7 48,5 46,2 Wissen 11,4 33,2 35,9 25,3 14,5 15,9 *) Niedergelassene Ärzte im Notarztdienst. Zu Frage 3: Neben den acht Notarztstandorten (siehe Frage 1 und Frage 2) wurden bei den folgenden zwölf weiteren Notarztstandorten Abmelderaten von mehr als zehn Prozent festgestellt: Angabe in Prozent Standort 1. Nov. bis 31. Dez. 2010 2011 2012 2013 lfd. 2014 Altenkirchen (Westerwald) 17,1 28,6 Alzey 10,4 Bad Bergzabern 13,6 18,0 Birkenfeld 10,5 Diez 11,0 Kirn 14,4 Linz am Rhein 12,5 13,0 12,4 Maikammer *) 11,8 18,4 Morbach **) 19,5 15,4 15,2 Nastätten 8,9 nicht besetzt nicht besetzt nicht besetzt 20,2 Saarburg 10,6 12,9 Trier-Ehrang 14,9 17,3 25,5 19,3 *) Niedergelassene Ärzte im Notarztdienst. **) Standort nur nachts besetzt. Zu Frage 4: Auch wenn in Rheinland-Pfalz mit einer durchschnittlichen Abmeldequote von vier Prozent des Vorhaltesolls noch keine grundlegende Beeinträchtigung der Notarztversorgung festzustellen ist, gibt es vor allem im ländlichen Raum zunehmende Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Notärztinnen und Notärzten. Dies hängt nach Ansicht der Landesregierung mit dem allgemein zunehmenden Ärztemangel und dem medizinischen Fachkräftemangel im ländlichen Bereich zusammen. Insgesamt fällt es 62 Prozent der Notarztstandorte bereits heute schwer oder sehr schwer, Notärztinnen und Notärzte zu gewinnen . Auf regionaler Ebene sind die Schwierigkeiten in den Regionen Rheinhessen und Koblenz am geringsten. Landesweit gibt es in Orten mit mehr als 50 000 Einwohnern weniger Probleme bei der Gewinnung von Notärztinnen und Notärzten als in kleineren Orten. Über 80 Prozent der Standorte gehen jedoch von einer weiteren Verschärfung der Personalsituation aus. Insbesondere außerhalb der Regelarbeitszeiten (und damit zu 75 Prozent der Vorhaltestunden) müssen Kliniken heute mehrheitlich auf extern über Vermittlungsagenturen angeworbene Honorarärzte zurückgreifen. Dies bewirkt einerseits kurzfristig Entlastungen, beeinträchtigt andererseits aber die mittel- und langfristige Planbarkeit. Zudem sind den nur temporär in einem Bereich tätigen Notärzten die heute sehr wichtigen logistisch-organisatorischen Aspekte des Rettungsdienstes (z. B. die Kenntnis der regionalen medizinischen Infrastruktur ) und die Kenntnis von Medizingeräten (z. B. Defibrillator, Beatmungsgeräte) nur schwer zu vermitteln. Entlastend wirkt sich an dieser Stelle die in einer vom Innenministerium eingerichteten Arbeitsgruppe erzielte weitgehende Vereinheitlichung der Rettungsmittel in Rheinland-Pfalz aus. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/3879 Viele Standorte halten eine unattraktive Vergütung und den Mehrbedarf an Ärzten für andere klinische Aufgaben als ursächlich für ihre Personalprobleme. Entsprechend hat das Gros der Notarztstandorte in den letzten Jahren die Vergütung der Notärzte überdurchschnittlich erhöhen müssen, sodass inzwischen 70 Prozent der Standorte übertariflich vergüten. Als weitere wichtige Gründe werden das ungenügende Interesse anderer klinischer Abteilungen außerhalb der Intensivmedizin /Anästhesie, die geringe Attraktivität des Notarztdienstes für die klinische Karriere sowie das altersbedingte Ausscheiden von Notärztinnen und Notärzten benannt. Außerdem werden angehende Notärztinnen und Notärzte stärker bei deren Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Erlangung der Notarztqualifikation unterstützt. Besonders in Städten unter 10 000 Einwohnern wurden als weitere Abhilfemaßnahmen der Wunsch nach einer Absenkung der Anforderungen in der Weiterbildungsordnung, Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität des Standorts sowie flexible Beschäftigungsmodelle deutlich häufiger benannt als in größeren Städten. Zu Frage 5: Eine abschließende Bewertung dieses Phänomens ist aufgrund der hohen Komplexität und der verschiedenen individuellen und regionalen Faktoren derzeit nicht möglich. Die bessere Verfügbarkeit von Notärztinnen und Notärzten im Süden des Landes Rheinland -Pfalz könnte aber möglicherweise durch die engmaschigere medizinische Infrastruktur (Klinikdichte, Verfügbarkeit von Fortund Weiterbildungsmöglichkeiten) sowie durch eine höhere Dichte an Kliniken der Maximal- und Schwerpunktversorgung erklärbar sein, die für jüngere Ärztinnen und Ärzte attraktiver zu sein scheinen. Zu Frage 6: Die Problematik ist insgesamt hochkomplex und multikausal, sodass auch nur eine konzertierte Aktion aller Beteiligten und ein umfangreiches Maßnahmenbündel, das regional durchaus sehr unterschiedlich aussehen kann bzw. muss, eine Veränderung herbeiführen kann. Die Landesregierung leistet ihren Beitrag zur Verbesserung der Notarztversorgung und hat durch verschiedene Maßnahmen eine Entschärfung der Situation bewirkt. So hat das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur (ISIM) eine Verbesserung der Finanzierung des Notarztdienstes vermittelt. In der Folge wurden nicht nur die landesweiten Notarzteinsatzpauschalen erhöht, sondern auch Verhandlungen zwischen den Kostenträgern (Krankenkassen) und den Krankenhäusern zur Sicherstellung einer angemessenen Kostenerstattung für den Notarztdienst vermittelt und moderiert. Gleichzeitig wurde ein „Runder Tisch Notarzt“ eingerichtet, der alle beteiligten Organisationen und Stellen mit dem Ziel einer nachhaltigen Verbesserung und Sicherung der Notarztversorgung zusammenführt. Die auf Initiative der Landesregierung vom Fraunhofer -Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) und Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) entwickelte Standort-Optimierungs-Software wurde in ihren jeweiligen Entwicklungsständen dem „Runden Tisch Notarzt“ bereits vorgestellt. Derzeit wird die letzte Entwicklungsstufe (sog. Feinsimulation) fertigentwickelt. Sie erlaubt eine objektive Simu - lation verschiedenster Einflussfaktoren (Wegfall, Verschiebung oder Hinzukommen von Notarztstandorten, Vermehrung oder Verminderung des Einsatzaufkommens, Veränderung von Dienstzeiten) und damit eine bessere Beurteilung bzw. Steuerung bestehender oder sich verändernder Standortstrukturen. Es handelt sich dabei um ein komplexes mathematisches Modell, dessen Ergebnisse im Hinblick auf ihre Realisierbarkeit jedoch stets im Kontext der vielfältigen bestehenden Wechselbeziehungen der Notarztstandorte betrachtet werden müssen. Die Landesregierung verfolgt überdies das Ziel einer abgestimmten Bedarfsplanung zwischen Rettungsdienst, Kliniken und niedergelassenem Bereich. Ein Beispiel für diese sektorenübergreifende Planung ist die Umwandlung des Krankenhauses Meisenheim in ein „Gesundheitszentrum“, in welchem eine Klinik mit Fachabteilungen und Belegabteilung, Facharztpraxen, einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) sowie Notarztstandort gebündelt sind. Zu Frage 7: Das Aachener Forschungsprojekt „TemRas – Telemedizinisches Rettungsassistenzsystem“ hat zum Ziel, steigenden Einsatzzahlen des Rettungsdienstes und zunehmendem Ärztemangel mit einem innovativen Konzept zur Qualitätssteigerung in der Notfallversorgung zu begegnen. Ziele des Projekts sind die Entwicklung und der Einsatz eines Telemedizinischen Rettungsassistenzsystems für den Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen. Das Telemedizinische Rettungsassistenzsystem soll dem Rettungsdienstpersonal die Möglichkeit bieten, einen Telenotarzt zur sofortigen Unterstützung der Notfallversorgung jederzeit hinzuzuziehen. Durch eine informationstechnologische Vernetzung zwischen der Telenotarzt-Zentrale und weiterbehandelnden Einrichtungen soll die Versorgung insbesondere von Herz-Kreislauf-Notfällen deutlich verbessert werden. Ein Telekonsultationssystem im Rettungsdienst wurde bei der Vorstellung beim „Runden Tisch Notarzt“ auch für Rheinland-Pfalz insgesamt als geeignet angesehen. Sowohl der Vertreter der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz e. V. als auch die Ver treter der Kostenträger stimmten der Einführung eines solchen Systems allerdings nur unter einem ausdrückli chen Finanzierungsvorbehalt zu. Die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) sind beauftragt, in Sachen Telenotarzt weitere Überlegungen anzustellen und das Ergebnis zu gegebener Zeit vorzulegen. 3 Drucksache 16/3879 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode In diesem Zusammenhang wird u. a. das Deutsche Zentrum für Notfallmedizin und Informationstechnologie (DENIT) in Abstim - mung mit dem Innenministerium eine Anforderungsanalyse in Rheinland-Pfalz durchführen. Hierzu sollen in einem ersten Schritt die an einem solchen möglichen System Beteiligten (u. a. ÄLRD, Leitstellen, Leiter von Notarztstandorten und Rettungsdiensten) zu ihren Vorkenntnissen, möglichen Anwendungsszenarien, Struktur-, Organisations- und Finanzierungsmodellen etc. befragt werden. Das Projekt in der nordrhein-westfälischen Region Aachen ging kürzlich in den Regelbetrieb über. Das DENIT steht in fortlaufendem Kontakt mit den dortigen Projektverantwortlichen, sodass deren Erfahrungen auch zeitnah bewertet werden können. In Vertretung: Günter Kern Staatssekretär 4