Drucksache 16/4047 08. 10. 2014 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Andreas Hartenfels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Forschungsstand und Auswirkungen von Mikroplastik auf die Umwelt Die Kleine Anfrage 2621 vom 16. September 2014 hat folgenden Wortlaut: In den Medien wurde in den letzten Monaten verstärkt über das Vorkommen von Mikroplastikpartikeln und die Wirkungen in der Umwelt berichtet. Als Mikroplastik werden Partikel aus Kunststoff bezeichnet, die kleiner als 5 mm sind. Als Hauptursachen der Umweltbelastung mit Mikroplastikkügelchen oder Mikrofasern gelten zurzeit Kosmetik- und Pflegeprodukte (Peelings, Zahn - cremes), denen zur Wirkungsverstärkung Mikrokügelchen aus Kunststoff zugesetzt worden sind und die bei der Körperreinigung bzw. beim Waschen über das Abwasser in die Umwelt gelangen. Darüber hinaus führen der Abrieb oder Zerfall von größeren Kunststoffteilen sowie das Auswaschen von Mikrofasern aus fleecehaltigen Kleidungsstücken zur vermehrten Umweltbelastung durch Mikroplastik. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Kenntnisse besitzt die Landesregierung über das Vorkommen von Mikroplastik in der Umwelt: a) bundesweit und b) in Rheinland-Pfalz? 2. Welche Hauptgefährdungspfade für Mensch und Umwelt durch Mikroplastik müssten nach Einschätzung der Landesregierung in Rheinland-Pfalz einer näheren Betrachtung unterzogen werden? 3. Wie ist der derzeitige wissenschaftliche Kenntnisstand im Hinblick auf das Gefährdungspotenzial von Mikroplastik für Mensch und Umwelt? 4. Wie werden zurzeit Mikroplastikpartikel erfasst (Methoden- und Forschungsstand) und konnten bislang Mikroplastikpartikel in aquatischen Lebensgemeinschaften nachgewiesen werden? 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Beimengung von Plastikkügelchen in Kosmetik- und Reinigungsmitteln sowie die zunehmende Verwendung fleecehaltiger Kleidungsstücke? 6. Hat die Landesregierung Kenntnisse zu den Ursachen für Mikroplastikpartikel in die Gewässer a) in Rheinland-Pfalz b) in Deutschland? Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landes - regierung mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 wie folgt beantwortet: Das Thema „Mikroplastik in der Umwelt“ wurde am 15. September 2014 im Rahmen der 12. Mainzer Arbeitstage des Landesamtes für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht (LUWG) intensiv behandelt und erörtert. Die Kurzfassungen der Vorträge sowie einen Hintergrundbericht zu der allgemeinen Problematik sind auf der Homepage des Landesamtes für Umwelt, Wasser - wirtschaft und Gewerbeaufsicht eingestellt (www.luwg.rlp.de). Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage 2621 des Abgeordneten Andreas Hartenfels namens der Landesregierung wie folgt: Zu Frage 1: In vielen Studien konnten bereits hohe Konzentrationen von Mikrokunststoffen in Gewässern nachgewiesen werden. Darüber hinaus wurde mehrfach das Gefahrenpotenzial für marine Organismen untersucht. Allerdings ist der Kenntnisstand in Deutschland noch relativ gering. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 4. November 2014 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/4047 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Die meisten Daten zu Funden von Mikrokunststoffen in Gewässern liegen über marine Ökosysteme vor. In einer Untersuchung an der Nordsee wurden pro Quadratkilometer (km2) bis zu 300 Plastikteile und durchschnittlich 712 Abfallteile pro 100 m Küsten - linie festgestellt. Auf dem Meeresboden wurden ein bis vier Plastikteile pro 10 000 m2 gezählt und durchschnittlich 368 Kunsstoffpartikel pro kg Strandsediment, wobei das Maximum bei 2 480 Partikeln pro kg lag. Eine Untersuchung von Eissturmvögeln an der deutschen Nordseeküste zeigte, dass 95 % der Vögel im Durchschnitt 30 Kunststoffteile im Magen hatten. Im nordwestlichen Mittel - meer zählt man mittlerweile auf zwei Planktontierchen ein Mikroplastikteil. Allerdings zeigen aktuelle Studien, dass auch Binnengewässer durch Mikroplastik belastet sind. Insgesamt ist die Informationsdichte – gerade in der Grundlagenforschung – noch sehr gering. In vielen Bundesländern laufen aktuell Studien über den Ist-Zustand der Gewässer oder sind für die Zukunft geplant. In Niedersachsen laufen zum Bespiel Untersuchungen von Kläranlagen, in Bayern von Oberflächengewässern. Ergebnisse aus umfangreichen Monitoring-Programmen stehen noch aus. Da es derzeit noch keine harmonisierte Probenahme- und Untersuchungsmethodik gibt, bieten die bisher publizierten Ergebnisse zwar wesentliche Verdachtsmomente, sind jedoch überwiegend untereinander nicht vergleichbar. So können Angaben zum Gehalt an Mikroplastik auf die Partikelzahl, die Masse oder die Oberfläche bezogen sein. Zu Frage 2: Hauptgefährdungspfade für Mensch und Umwelt, die näher betrachtet werden sollten, sind: – Die Aufnahme von Mikroplastikpartikeln durch aquatische Organismen und (See-)Vögel: Die Gefahr einer Aufnahme für Organismen wie Vögel, Fische etc. besteht unmittelbar durch die Verwechslung mit der natürlichen Nahrung. Je kleiner die Plastikpartikel, desto größer das Risiko der Aufnahme und umso größer die Zahl der Tierarten, die die Partikel als vermeintliche Nahrungspartikel aufnehmen. Da eine Ausscheidung oft nicht möglich ist, kann dies zum Verhungern bei vollem Magen führen. – Die Aufnahme von Mikroplastikpartikeln über die menschliche Nahrung: Die Akkumulation von Mikrokunststoffen und Schadstoffen in der Nahrungskette könnte eine Gefahr für den Menschen darstellen . – Die Wirkung von Mikroplastikpartikeln in Hinblick auf die Freisetzung organischer Schadstoffe: Ein Problem stellt die Freisetzung von Additiven durch die Zersetzung der Kunststoffpartikel dar. Solche Zusätze wie Weichmacher , Flammschutzmittel und Farbstoffe werden Kunststoffen beigemischt, um dem Material bestimmte Eigenschaften zu geben . Viele der chemischen Verbindungen werden als gesundheitsschädigend eingestuft, gelten als krebserregend bzw. hochgiftig oder können Hormonstörungen oder Mutationen hervorrufen. – Die Wirkung von Mikroplastik in Hinblick auf Anlagerung von Schadstoffen: Die Mikrokunststoffe besitzen die Eigenschaft, Schadstoffe an ihrer Oberfläche anzulagern – darunter z. B. DDT, PCB oder Nonylphenol in teilweise sehr hohen Konzentrationen. Diese werden bei der Aufnahme in den Magen-Darm-Trakt wieder freigesetzt und können zu einer sekundären Kontamination im Organismus führen. – Die Funktion der Mikroplastikpartikel als Träger pathogener Keime: Es könnten sich auch pathogene Keime an die Partikel heften und sich darauf vermehren. Dass Plastik generell eine gute Oberfläche für bestimmte Krankheitserreger darstellt, ist bereits nachgewiesen worden. Dass Mikroplastik durch den möglichen Transfer durch den Verdauungstrakt dafür besonders anfällig ist, wird angenommen, ist bisher aber noch nicht erwiesen. Wenn sich diese These bewahrheiten würde, so wäre durch die Omnipräsenz und leichte Verbreitung des Mikroplastiks ein hohes Gefährdungspotenzial gegeben. Zu Frage 3: Der Begriff „Mikroplastik“ wird nicht einheitlich verwendet: im Meeresschutz werden Partikel kleiner als fünf Millimeter als „Mikro - plastik“ bezeichnet, während die Kosmetikindustrie unter diesem Begriff Kunststoff-Granulate fasst, deren Teilchen-Größe deutlich unter einem Millimeter liegt. Kunststoffe sind in der Regel sehr langlebig. Aufgrund seiner Größe, die ähnlich dem Plankton – das Nahrungsgrundlage vieler aquatischer Organismen ist –, birgt Mikroplastik die Gefahr, in die Nahrungskette zu gelangen. Obwohl Kunststoffe im Allgemeinen nicht als Gefahrstoffe anzusehen sind, bestehen einige Risiken für die Umwelt und letztlich auch für den Menschen. Zunächst ist die obstruktive Wirkung des unverdaulichen Kunststoffmaterials zu erwähnen. Wie auch Makroplastik von größeren Tieren wie Meeresschildkröten aufgenommen werden kann, kann Mikroplastik bei kleinen Wassertieren den Verdauungstrakt verstopfen oder Sättigungsgefühl vortäuschen, sodass die betroffene Fauna sich nicht normal entwickeln oder daran zugrunde gehen kann. Scharfe Kanten von Kunststoffpartikeln können auch innere oder äußere Verletzungen hervorrufen. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/4047 In der Nahrungskette kann sich das Mikroplastik anreichern, sodass am Ende der Nahrungskette auch der Mensch beim Verzehr von Meeresfrüchten Kunststoff verspeisen kann. Neben der mechanischen Wirkung ist auch zu berücksichtigen, dass viele Kunststoffe niedermolekulare Bestandteile wie monomere Ausgangsstoffe, Polymerisationsstarter, Weichmacher etc. enthalten, die als Schadstoffe anzusehen sind und direkt oder indirekt über das Wasser an Lebewesen abgegeben werden können. Auch können sich im Wasser vorhandene Spurenstoffe im Kunststoff anreichern. Gerade bei fettlöslichen Stoffen wie POP-Stoffen (Engl. persistent organic pollutants, persistente (stabile) organische Schadstoffe) ist eine Anreicherung in der Nahrungskette zu erwarten. Deren Auswirkungen (z. B. toxische oder hormonelle Wirkungen ) auf die einzelnen Organismen bzw. die Ökosysteme sind bislang kaum untersucht, jedoch sind negative Folgen derzeit nicht auszuschließen. Für eine zuverlässige Bewertung der Risiken von Mikroplastik auf Mensch und Umwelt besteht noch erheblicher Forschungsbedarf. Zu Frage 4: Eine normierte Probenahme- und Analysemethode existiert bislang nicht. Überwiegend wurden/werden die Proben anhand optischer Verfahren analysiert. Dabei werden bestimmte Mikroplastikteilchen visuell mithilfe eines Mikroskops untersucht, wobei keine Aussage über die Konzentration und die Polymerzusammensetzung getroffen werden kann. Das kann je nach Betrachter zu einer Über- bzw. Unterschätzung der tatsächlichen Plastikpartikelanzahl in der Umweltprobe führen. Dagegen eignen sich spektroskopische Messmethoden wie das FTIR-Imaging (Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie) und Raman-Spektroskopie zur relativ zuverlässigen Detektion von Mikroplastik in Umweltproben. Mit diesen Methoden kann nicht nur Kunststoff von anderen Materialien unterschieden werden, sondern es können verschiedene Kunststoffarten differenziert werden. Zu Frage 5: Da nach derzeitigem Wissensstand sogenannte „Abrasiva“ (reinigungswirksame Zugaben zu Hygieneprodukten – wie Duschgel und Zahncreme – in Form von mikrofeinen Kunststoffkügelchen) und Kunststoffanteile in Textilien (hier: Abrieb von Fasern beim Waschen), die jeweils über das Abwasser eventuell in die Umwelt gelangen, als mögliche Eintragswege für Kunststoff-Mikropartikel in die Umwelt angesehen werden können, hat sich die 10. Verbraucherschutzministerkonferenz im Mai 2014 mit der Problematik (TOP„Mikroplastik – Vorkommen und Relevanz“) befasst. Auch wenn das Bundesinstitut für Risikobewertung in seiner Stellungnahme vom 3. Januar 2014 (Stellungnahme Nr. 032/2014 des BfR zu polyethylenhaltigen (PE-haltigen) Mikrokunststoffpartikeln in Hautreinigungs- und Zahnpflegemitteln) zu der Einschätzung gelangt, dass nach derzeitigem Kenntnisstand ein gesundheitliches Risiko für Verbraucher, die kosmetische Mittel mit PE-haltigen Mikrokunststoffpartikeln verwenden, unwahrscheinlich ist, hatte die VSMK die Bundesregierung darum gebeten, die Hersteller entsprechender kosmetischer Mittel im Sinne eines vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes zu einem freiwilligen Verzicht auf die Verwendung von Mikrokunststoffpartikeln (hauptsächlich aus PE) zu bewegen. Nachdem das Bundesminis - terium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) die Industrie zum freiwilligen Ausstieg aufgefordert hat, haben einige Produzenten bereits erklärt, auf die Verwendung von sogenannten „microbeads“ in ihren Produkten kurz- bis mittelfris - tig verzichten zu wollen, auch wenn deren Verwendung bislang keiner gesetzlichen Einschränkung unterliegt. Synthetische Kleidungsstücke (z. B. aus Fleece) setzen beim Waschvorgang Mikrokunststoffpartikel frei, die über das Waschwasser (via Abwasser) in die Umwelt gelangen können. Das Umweltbundesamt hat in dem Zusammenhang aktuell ein Forschungsvorhaben „Screening-Untersuchungen von Mikroplastik in verschiedenen Medien“ ausgeschrieben, bei dem auch behandeltes Abwasser auf das Vorkommen von Mikrokunststoffpartikeln untersucht werden soll. Wie von der VSMK gefordert, werden auch die Ergebnisse dieses Forschungsvorhabens dazu beitragen, u. a. die Frage nach der Relevanz der Abgabe von Mikrokunststoffpartikeln durch den Abrieb von synthetischen Kleidungsstücken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu klären. Die Landesregierung ist sehr daran interessiert, das Vorkommen von Mikroplastik in der Umwelt zu reduzieren und begrüßt es sehr, dass sich bereits mehrere Unternehmen selbst verpflichtet haben, auf den Einsatz von Kunststoffgranulat in ihren Produkten zu verzichten. Auch wenn der Eintrag von Mikrokunststoffen aus Kosmetikprodukten oder Synthetik-Textilien im Vergleich zu anderen Eintragspfaden nicht die Hauptmenge darstellt, sollte eine direkte und bewusste Einbringung in die Umwelt über solche Produkte vermieden werden. Dieser Ansatz an der Quelle ist insbesondere im Bereich der Kosmetikprodukte, der Pflegeprodukte (Peelings, Zahncreme ) und der Reinigungsmittel zu intensivieren, da es genügend Alternativen gibt, z. B. in Form anorganischer oder natürlicher organischer Materialien als Abrasiva. Zu Frage 6: Wie in der Antwort zu Frage 5 bereits teilweise ausgeführt, bestehen verschiedene Ursachen für die Gewässerbelastung in Rheinland -Pfalz, bzw. in Deutschland. Darüber hinaus besteht ein Haupteintragspfad für sogenanntes sekundäres Mikroplastik, das durch mechanische Zerkleinerung größerer in die Umwelt gelangter Kunststoffgegenstände (z. B. Plastiktüren, Plastikflaschen) entsteht. 3 Drucksache 16/4047 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Über die Gewichtung der verschiedenen Quellen von Mikroplastik in den verschiedenen Umweltkompartimenten liegen der Landes regierung keine Informationen vor. Als vorrangig für eine weltweite Reduzierung des Eintrags von Mikro- und Makroplastik in die Umwelt wird daher ein sinnvolles Stoffstrom management gesehen. Ulrike Höfken Staatsministerin 4