Drucksache 16/4177 04. 11. 2014 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Matthias Lammert (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Angriffe auf Behördenmitarbeiter in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 2716 vom 13. Oktober 2014 hat folgenden Wortlaut: In Deutschland häufen sich die Angriffe auf Behördenmitarbeiter. Der Deutsche Beamtenbund schlägt Alarm – und fordert Maßnahmen : von Metalldetektoren an Türen bis zu Alarmknöpfen unter dem Schreibtisch. Die Hochschule Darmstadt führte 2012 eine bundesweite „Untersuchung zur Aggressivität und Gewalt in der Kundenbeziehung“ durch, an der mehr als 30 Behörden teilnahmen. Nahezu 100 Prozent der Befragten berichteten von verbalen Konflikten, 66 Prozent von Beleidigungen, 51 Prozent von Drohungen, 14 Prozent von Sachbeschädigungen, 13 Prozent von körperlicher Gewalt und zwei Prozent von Waffengewalt. In einer aktuellen Untersuchung, die das Institut für Polizei- und Kriminalwissenschaft der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen vorgenommen hat, ist von einer durch das Personal „fast schon als alltäglich empfundenen Beleidigungskultur“ die Rede. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie schätzt die Landesregierung in diesem Zusammenhang die Gefahren für Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in Rheinland-Pfalz ein? 2. In wie vielen Fällen wurde Strafantrag wegen Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, übler Nachrede, falscher Verdächtigung, Sach- beschädigung und Körperverletzung zum Nachteil von Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern durch Dienstvorgesetzte in den Jahren 2012, 2013 und 2014 erstattet? 3. Sind in Rheinland-Pfalz die Dienstvorgesetzten per Erlass angehalten, Strafanträge wegen Beleidigung nach § 194 Abs. 3 StGB zu erstatten? Wenn nein, warum nicht? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 4. November 2014 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Die Landesregierung ist der Auffassung, dass die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit Behörden und Ämtern den dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern höflich und respektvoll gegenübertritt und selbst bei Konfliktsituationen über die geeigneten Fähigkeiten verfügt, diese Konflikte regelkonform zu lösen. Zugleich ist der Landesregierung jedoch auch bekannt, dass eine Minderheit im Umgang mit den Behörden in Konfliktsituationen in ihrem Verhalten nicht nur die Grenzen des Anstandes, sondern auch strafrechtliche Grenzen überschreitet. Die hierbei gezeigten Verhaltensweisen reichen von Beschimpfungen und Beleidigungen, Nötigungen und Drohungen bis hin zu Gewaltanwendung gegen Sachen und vereinzelt auch gegenüber Personen. Wenngleich für Rheinland-Pfalz kein gesondertes Lagebild zu Übergriffen auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörden und Ämter existiert, geht die Landesregierung davon aus, dass sich die Konfliktsituationen im „Kundenbereich“ in rheinland -pfälzischen Behörden und Ämtern und die hierbei festzustellenden illegalen Problemlösungstechniken nicht wesentlich von den bundesweiten Ergebnissen der Darmstädter Studie unterscheiden dürften. Im Zusammenhang mit den gewaltsamen Übergriffen auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Rheinland-Pfalz hat die Polizei in den beiden zurückliegenden Jahren einen Anstieg der Fallzahlen und eine Ausweitung der hierbei erlittenen Personenschäden Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 2. Dezember 2014 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/4177 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode registriert. Bei anderen Vollzugsbeamten und bei Angehörigen der Rettungsdienste weist die Polizeiliche Kriminalstatistik eine gleiche Entwicklung auf. Die Polizeibehörden führen diese Entwicklung auf eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber den Amtsträgern und deren Maßnahmen zurück. Die Landesregierung hat sich stets für eine bürgerfreundliche Verwaltung ausgesprochen. Hierzu zählt auch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörden den Bürgerinnen und Bürgern offen gegenübertreten und sich grundsätzlich bei der persönlichen Kommunikation nicht hinter Schutzausrüstungen und Schutzwänden verschanzen. Zu solchen Maßnahmen sieht die Landesregierung derzeit auch keine Veranlassung. Gleichwohl sind alle Behörden aufgerufen, die weitere Entwicklung im „Kundenverhalten bei Konfliktlagen“ sorgfältig im Auge zu behalten und dort, wo erforderlich, anlassbezogene Maßnahmen zum Schutze ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu treffen. So hat das Ministerium der Finanzen alle Service-Center sowie Vollstreckungsstellen mit einem Mitarbeiter-Alarmierungssystem ausgestattet und führt für Beamte der Steuerfahndung regelmäßig Selbstschutzseminare durch. Für viele Behörden zählt die Vermittlung von Deeskalationstechniken zum festen Aus- und Fortbildungsprogramm ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Behörden ausgesprochene Bedrohungen werden von der Polizei konsequent und ohne Zeitverzug verfolgt. Neben anderen strafprozessualen Maßnahmen erfolgt grundsätzlich eine zeitnahe Gefährderansprache. Zu Frage 2: Einleitend weist die Landesregierung darauf hin, dass es sich bei einem Teil der in Frage 2 benannten Straftatbestände (Bedrohung, Nötigung und falsche Verdächtigung) um Offizialdelikte handelt, bei denen es keines Strafantrages bedarf. Landesweite Erhebungen oder Statistiken, in denen Straftaten der genannten Art gegen sämtliche Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter summarisch oder gar differenziert nach Straftatbeständen und zur Person des Strafantragstellers ausgewiesen sind, gibt es in Rheinland-Pfalz nicht. Der Landesregierung ist auch kein anderes Bundesland bekannt, das über eine solche Datenbasis verfügt. Auch die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vermag auf die Frage 2 nur bedingt eine Antwort zu geben. Die PKS weist seit 2012 als „Behördenmitglieder“ ausschließlich Vollstreckungsbeamte gesondert als Opfer von Straftaten aus. Hierbei werden Polizei-, Zollund Justizvollzugsbeamte differenziert erfasst. Alle anderen werden als „sonstige Vollstreckungsbeamte“ zusammengefasst. Bei den Rettungsdiensten werden als Opfer nur Angehörige der Feuerwehr gesondert, alle anderen unter der Sammelbezeichnung „sonstige Rettungsdienste“ statistisch erfasst. Die Zugehörigkeit zu einer Behörde ist kein Erfassungsparameter. Die berufs- oder tätigkeitsbezogene Opfereigenschaft wird zudem nur bei den sogenannten Opferdelikten in der PKS erhoben. Bei Opferdelikten handelt es sich grundsätzlich um Straftaten, bei denen sich die strafbare Handlung unmittelbar gegen das Opfer und dessen höchstpersönlichen Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre oder sexuelle Selbstbestimmung richtet. Die Erfassung dieser Delikte setzt voraus, dass die Tatmotivation in den berufsbezogenen Merkmalen gegründet ist oder in Beziehung dazu steht. Bei den in der Frage 2 aufgeführten Straftaten handelt es sich nur bei den Delikten der Körperverletzung, der Nötigung und der Bedrohung um Opferdelikte, sodass sich die nachfolgende Auswertung auf diese Delikte beschränken muss. Die PKS lässt hierbei jedoch keine Aussage darüber zu, wie häufig in diesen Fällen die Strafantragsstellung durch den Dienstvorgesetzten erfolgte. In der nachfolgenden Tabelle sind die Fallzahlen der PKS zu den Delikten der Körperverletzung gemäß §§ 223 bis 227, 229, 231 StGB zum Nachteil von Vollstreckungsbeamten und Angehörigen von Rettungsdiensten für die Jahre 2011 bis 2013 ausgewiesen. Fallzahlen aus dem noch laufenden Jahr 2014 stehen für eine Auswertung erst Anfang 2015 zur Verfügung. 2 Körperverletzung gemäß §§ 223 bis 227, 229, 231 StGB zum Nachteil von: 2013 2012 2011 erfasste Fälle Zu-/Abnahmen zum Vorjahr erfasste Fälle erfasste Fälle Anzahl in Prozent Vollstreckungsbeamten insgesamt, davon – PVB – Zollvollstreckungsbeamte – Justizvollstreckungsbeamte – Sonstige Vollstreckungsbeamte 513 489 0 10 14 + 52 + 53 – 02 + 05 – 04 + 11,3 + 12,2 – 100,0 + 100,0 – 22,2 461 436 2 5 18 256 232 0 7 17 Rettungsdiensten insgesamt, davon – Angehörige der Feuerwehr – Sonstige Rettungsdienste 56 4 53 + 12 – 02 + 15 + 27,3 – 33,3 + 39,5 44 6 38 45 9 36 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/4177 Eine Ursache der im Jahr 2011 verzeichneten, vergleichsweise geringen Fallzahl könnte die Neueinführung der PKS-Opferkataloge zum 1. Januar 2011 sein. Erfahrungsgemäß sind die Auswerteergebnisse insbesondere im ersten Jahr komplexer Neuerungen von eingeschränkter Aussagekraft, da sich die Handhabungssicherheit bei den Anwendern erst einspielen muss. Ein Vergleich der Fallzahlen der Jahre 2013 zu 2012 lässt jedoch einen deutlichen Anstieg bei Körperverletzungsdelikten zum Nachteil von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten und den sonstigen Rettungsdiensten erkennen. Die Polizeipräsidien erklären diese Entwicklung mit zunehmender Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamtinnen und- beamten und polizeilichen Maßnahmen sowie einer gestiegenen Anzeigebereitschaft der betroffenen Polizeibeamtinnen und -beamten. In den beiden nachfolgenden Tabellen werden für die Jahre 2011 bis 2013 gegen Vollstreckungsbeamtinnen und -beamte und Angehörige der Rettungsdienste verübte Straftaten der Nötigung gemäß § 240 StGB und der Bedrohung gemäß § 241 StGB gegenübergestellt . Während bei den Nötigungsdelikten sowohl bei den Vollstreckungsbeamtinnen und -beamten als auch bei den Angehörigen der Rettungsdienste die Fallzahlen eine ansteigende Tendenz aufweisen, nahm die Zahl der Bedrohungen zum Nachteil von Vollstreckungsbeamtinnen und -beamten ab. Im Geschäftsbereich des Landesamtes für Steuern wurden 2012 in drei Fällen Strafanzeige/Strafantrag wegen Beleidigung und in einem Fall wegen Sachbeschädigung gestellt. 2013 erfolgten Strafanzeigen/Strafanträge in drei Fällen wegen Beleidigung und in drei Fällen wegen Bedrohung. Für das laufende Jahr 2014 wurde bislang nur in einem Fall Strafanzeige/Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten registrierte in seinem Geschäftsbereich für die Jahre 2013 und 2014 jeweils eine Straftat wegen Beleidigung, die zur Anzeigeerstattung und Stellung eines Strafantrages führte. Die anderen Ressorts verfügen in ihrem jeweiligen Geschäftsbereich über keine gesonderten Datenerhebungen über Strafanzeigen/ Strafanträge im Sinne der Fragestellung. Ob und über welche diesbezüglichen Daten die zahlreichen kommunalen Behörden verfügen , vermag die Landesregierung nicht zu sagen. Hierzu wären personal- und zeitaufwendige Erhebungen bei den einzelnen kommunalen Aufgabenträgern und umfangreiche Auswertungen erforderlich, was über den Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage hinausgehen dürfte. Hierfür bittet die Landesregierung um Verständnis. 3 Nötigung zum Nachteil von: 2013 2012 2011 erfasste Fälle Zu-/Abnahmen zum Vorjahr erfasste Fälle erfasste Fälle Anzahl in Prozent Vollstreckungsbeamten insgesamt, davon – PVB – Zollvollstreckungsbeamte – Justizvollstreckungsbeamte – Sonstige Vollstreckungsbeamte 43 35 0 2 6 + 14 + 10 0 0 + 4 + 48,3 + 40,0 0,0 0,0 + 200,0 29 25 0 2 2 24 21 0 0 3 Rettungsdiensten insgesamt, davon – Angehörige der Feuerwehr – Sonstige Rettungsdienste 9 4 5 + 2 + 2 0 + 28,6 + 100,0 0,0 7 2 5 4 1 3 Bedrohung zum Nachteil von: 2013 2012 2011 erfasste Fälle Zu-/Abnahmen zum Vorjahr erfasste Fälle erfasste Fälle Anzahl in Prozent Vollstreckungsbeamten insgesamt, davon – PVB – Zollvollstreckungsbeamte – Justizvollstreckungsbeamte – Sonstigen Vollstreckungsbeamte 65 56 0 2 7 – 40 – 34 – 1 – 4 – 2 – 38,1 – 37,8 – 100,0 – 66,7 – 22,2 105 90 1 6 9 78 64 0 2 12 Rettungsdiensten insgesamt, davon – Angehörige der Feuerwehr – Sonstige Rettungsdienste 8 1 7 + 3 + 1 + 2 + 60,0 – – 5 0 5 5 0 5 Drucksache 16/4177 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu Frage 3: Eine rechtsverbindliche Regelung, welche die Dienstvorgesetzten anweist, bei dem Verdacht einer Beleidigung eigener Behördenangehöriger Strafantrag zu stellen, existiert in keinem Ressort der Landesregierung. Bereits die Rechtsnatur des Strafantrages als Recht des Verletzten (§ 77 StGB) bzw. des Dienstvorgesetzten (§ 77 a StGB) verdeutlicht , dass es ausschließlich in der Hand des Antragsberechtigten liegen muss, ob Strafantrag gestellt oder ob darauf verzichtet wird. Damit stellt sich die Entscheidung des Dienstvorgesetzten als Ermessensentscheidung dar, die maßgeblich durch seine beamtenrechtliche Fürsorgepflicht und durch Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte bestimmt wird. Eine generelle Strafantragspflicht für Dienstvorgesetzte würde dieses Ermessen auf Null reduzieren und liefe der Ausgestaltung des Strafantragsrechtes, aber auch beamtenrechtlichen Grundsätzen zuwider. Darüber hinaus gibt die Landesregierung zu bedenken, dass durch eine generelle Verpflichtung, Strafantrag zu stellen, individuelle Aspekte des Einzelfalles stets unberücksichtigt blieben. Auch die für den Dienstvorgesetzten aus beamtenrechtlicher Sicht bedeutsame Frage, ob sich die einzelne Mitarbeiterin oder der einzelne Mitarbeiter überhaupt in ihrer bzw. seiner Ehre verletzt fühlt und an einer Strafverfolgung interessiert ist, bliebe im Falle einer gebundenen Entscheidung unberücksichtigt. In Vertretung: Randolf Stich Ministerialdirektor 4