Drucksache 16/4312 05. 12. 2014 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Dr. Axel Wilke (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Sonderrechte nach § 35 Abs. 8 StVO Die Kleine Anfrage 2800 vom 13. November 2014 hat folgenden Wortlaut: Ich frage die Landesregierung: 1. In welchem Umfang können sich Feuerwehrangehörige und Angehörige anderer Rettungs- und Katastrophenschutzdienste auf die Privilegierung des § 35 Abs. 8 StVO berufen, wenn sie in Privatfahrzeugen auf dem Weg in einen Einsatz sind? 2. Gibt es zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „gebührende Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ord- nung“ eine als Rechtsnorm (Verwaltungsvorschrift o. ä.) gefasste Auslegungshilfe für die Bußgeldbehörden? 3. In welcher Form werden Angehörige der Feuerwehr und anderer o. g. Organisationen im Rahmen ihrer Ausbildung in der sach- gerechten Ausübung der Privilegierung im Straßenverkehr geschult? Sieht die Landesregierung hier Handlungsbedarf? 4. Welche versicherungsrechtlichen Auswirkungen hat im Falle eines Unfallereignisses eine fahrlässige Fehleinschätzung, dass ein bestimmtes Verhalten im Straßenverkehr noch von § 35 Abs. 8 StVO gedeckt war, wenn dies tatsächlich nicht zutraf? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur stehen einem Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr, der nach Auslösung eines Alarms mit seinem privaten Pkw zum Feuerwehrhaus oder zur Einsatzstelle fährt, grundsätzlich die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Ordnung – StVO – zu (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. April 2002 – 4 Ss 72/02 –, juris). Diese dürfen aber mangels ausreichender Anzeigemöglichkeiten ihres Gebrauchs nur in Ausnahmefällen nach einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist (§ 35 Abs. 1 und 8 StVO). Mit einem privaten Pkw, der anders als ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr keine Sondersignaleinrichtungen (Blaulicht und Einsatzhorn) aufweist, sind daher allenfalls mäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen ohne Gefährdung oder gar Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer statthaft (OLG Stuttgart, Beschlüsse vom 24. April 2002, 4 Ss 71/2002 und 4 Ss 72/2002). Zu Frage 2: Nein. Weder die StVO noch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) geben detaillierte Auslegungshilfen oder Legaldefinitionen zu den unbestimmten Rechtsbegriffen der „gebührenden Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“. Während es für die Begriffe „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ bereits dem Polizeirecht zu entnehmende Definitionen gibt, bedarf es für die im Sinne des § 35 Abs. 8 StVO verwendeten Begriffe der „gebührenden Berücksichtigung “ einer entsprechenden Auslegung, bei der die inhaltliche Bestimmung vom konkreten Sachverhalt des Einzelfalls (also ohne Beurteilungsspielraum) abhängig ist sowie deren richtige Auslegung einer umfänglichen gerichtlichen Nachprüfbarkeit zugänglich ist. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 6. Januar 2015 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/4312 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu Frage 3: Die kommunalen Aufgabenträger für den Brand- und Katastrophenschutz sorgen im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsaufgaben eigenverantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Feuerwehrangehörigen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Brand- und Katastrophenschutzgesetzes – LBKG –). Hierzu gehört auch die Aus- und Fortbildung bei der Wahrnehmung von Sonderrechten. Seit 1996 bietet der Landesfeuerwehrverband Rheinland-Pfalz e. V. in Zusammenarbeit mit der Unfallkasse Rheinland-Pfalz, der Versicherungskammer Bayern und der GVV-Versicherung ein Fahrsicherheitstraining durch vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat geschulte Instruktoren an. Dieses Training wird mit Feuerwehrfahrzeugen durchgeführt, bietet aber auch die Möglichkeit, die gelernten Techniken mit dem Privatfahrzeug anzuwenden. Die Unfallkasse Rheinland-Pfalz unterstützt den Landesfeuerwehrverband Rheinland-Pfalz e. V. in seiner Facharbeit „Sicher zum Einsatz“. Die Unterstützung erstreckt sich auf eine Kostenbeteiligung von 600 Teilnehmern im Jahr für die Ausbildung am Sicherheitsprogramm für Einsatzfahrer (Fahrsicherheitstraining). Weiterhin hat die Unfallkasse Rheinland-Pfalz im Jahr 2013 die Anschaffung eines Sondersignal-Fahrtrainers (am PC simulierte Fahrt) finanziert und sich an der Qualifikation der Ausbilder beteiligt . Das Seminar für Sondersignalfahrtrainer wird vom Landesfeuerwehrverband Rheinland-Pfalz e.V. organisiert und durchgeführt . 2014 wurden insgesamt 478 Teilnehmer ausgebildet. In diesen Ausbildungskonzepten sind jeweils die Grundlagen für den Umgang mit den Sonderrechten nach § 35 Abs. 8 StVO enthalten. Weitergehenden Handlungsbedarf sieht die Landesregierung nicht. Zu Frage 4: Versicherungsschutz aus der gesetzlichen Unfallversicherung besteht auch, wenn der Versicherte verbotswidrig handelt. Ein Feuerwehrangehöriger wäre auch dann gesetzlich unfallversichert, wenn er entgegen einer Empfehlung oder eines Verbots Sonderrechte in Anspruch nimmt bzw. bei der Fahrt zu einem Einsatz die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet und deshalb einen Unfall verursacht. Im Übrigen richten sich die versicherungsrechtlichen Folgen – etwa bezüglich eines Kaskoschadens am Privatfahrzeug des Feuerwehrangehörigen – nach dem Versicherungsvertragsgesetz und etwaigen privatrechtlichen Versicherungsbedingungen. Der Versicherer ist gemäß § 81 Abs. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt. Handelt der Versicherungsnehmer grob fahrlässig, ist der Versicherer nach § 81 Abs. 2 VVG berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. In Vertretung: Randolf Stich Ministerialdirektor