Drucksache 16/4719 09. 03. 2015 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Wolfgang Reichel (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Studie Ultrafeinstaub-Messergebnisse und Folgen Die Kleine Anfrage 3095 vom 11. Februar 2015 hat folgenden Wortlaut: Die bisherigen toxikologischen Studien zur Messung von Ultrafeinstaub wurden als noch nicht ausreichend validiert eingestuft. Eine solide Bewertung der Gesundheitsgefährdung war deshalb nicht möglich. Auf der Grundlage eines aktuellen und inzwischen abgeschlossenen EU-Forschungsprojekts sind nun neue Daten vorgestellt worden. Die Auswirkungen ultrafeiner Partikel auf die menschliche Gesundheit könnten nunmehr neu bewertet werden, wenn Zusammenhänge zwischen Luftschadstoffen und gesundheitlichen Folgen nachgewiesen werden können. Ich frage deshalb die Landesregierung: 1. Welche Ergebnisse hat die EU-Studie hervorgebracht? 2. Welche Rückschlüsse zieht die Landesregierung aus den Ergebnissen? 3. Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse der Studie vor dem Hintergrund der Belastungen im Ballungsgebiet Rhein-Main? 4. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Flughafen Frankfurt für die Belastung durch Ultrafeinstaub und wie wirken sich die Ergebnisse der Studie aus? 5. Wird nun mehr „die lufthygienische Überwachung um UEP 0.1“ erweitert? Wenn nein, warum nicht? 6. Welche weiteren Forschungsvorhaben (auf Bundes-, Landes- und EU-Ebene) sind geplant, um die Wirkung von Ultrafeinstaub weiter zu untersuchen? 7. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Belastung durch Ultrafeinstaub eine Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung darstellt und deshalb dringend Handlungsbedarf besteht? Wenn nein, warum nicht? Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landes - regierung mit Schreiben vom 5. März 2015 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Zu Wirkung, Herkunft, Zusammensetzung, Transport, Transformation, Konzentration und Deposition von Feinstäuben aller Korngrößenfraktionen gibt es seit Jahrzehnten eine Vielzahl von arbeitsmedizinischen und epidemiologischen Studien auf nationaler , europäischer und internationaler Ebene. Während die Studien zu den EU-reglemen tierten Feinstäuben PM10 und PM 2.5 mittlerweile wissenschaftlichen Konsens darstellen, auf dessen Basis entsprechende Ziel- und Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit durch die WHO abgeleitet wurden, bilden vergleichbare Studien zu Ultrafeinstäuben (UFP oder PM0.1, d. h. Korngrößendurchmesser kleiner gleich 0.1 millionstel Meter (µm) oder 100 milliardstel Meter (nm)) noch die Ausnahme. Da die Anfrage sich auf eine Studie zu Ultrafeinstäuben bezieht, ohne eine eindeutig zuweisbare wissenschaftliche Quelle zu benennen, ist davon auszugehen, dass hier die aktuellste Studie des vom Interreg IV B geförderten europäischen Projektes „UFIREG-Ultrafine particles – an evidence based contribution to the development of regional and European environmental and health policy (2011 bis 20141))“ gemeint ist. Diese bezieht sich u. a. auch auf die 2013 von der WHO im Rahmen der Evaluierung bekannter Effekte von Luftschadstoffen vorgestellte Studie „Review of evidence on health aspects of air pollution – REVIHAAP Project“, die Antworten zur Fortschreibung der EU-Luftqualitätsrichtline (2008/50/EG) liefern sollte. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 1. April 2015 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode 1) http://www.ufireg-central.eu/index.php/project-info02 Drucksache 16/4719 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 2 Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfgang Reichel namens der Landesregierung wie folgt: Zu Frage 1: UFIREG ist ein EU-gefördertes Forschungsprojekt zur Entwicklung regionaler und europäischer Umwelt- und Gesundheitspolitik. Der Schwerpunkt liegt in der Erfassung und Bewertung ultrafeiner Aerosolpartikel und ihrer möglichen kurzfristigen Gesundheitsauswirkungen in fünf europäischen Städten (Dresden, Augsburg [Deutschland], Prag [Tschechische Republik], Ljubljana [Slowenien] und Chernivtsi [Ukraine] ) über den Zeitraum 2011 bis 2014. Bestimmt wurde die Partikelanzahlkonzentration (Partikelanzahl/cm³) im Korngrößenbereich 10-800 Nanometern (nm) zumeist im städtischen Hintergrund. Die Messdaten wurden verglichen mit Immissionskonzentrationen (Massenkonzentrationen (µg/m³) an Feinstäuben (PM10 und PM2.5) und Ruß) sowie meteorologischen Parametern, um Korrelationseffekte zu ermitteln. Eine Inhaltsstoffanalyse der Stäube wurde nicht durchgeführt. Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen: – UFP weisen eine hohe Variabilität in Bezug auf Anzahl, Größe und zeitliche Verteilung auf. Diese ist abhängig von der Nähe zu relevanten Quellen (Hausbrand und offene Feuerstätten (z. B. Holzkohlengrill), Verkehr, Energieerzeugung, Landwirtschaft, Industrie und biogenen Emittenten), lokalen orographischen sowie meteorologischen Verhältnissen wie z. B. Inversionswetterlagen und Sonneneinstrahlung (photochemische Sekundärbildung). – Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei den bisher gemessenen Feinstäuben PM10 und PM2.5 wird gerade bei den Ultrafeinstäuben davon ausgegangen, dass hier ein noch höheres Risiko für Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen besteht. So sind bei den Korrelationsanalysen in Bezug auf die Immissionskonzentrationen anderer Luftschadstoffe die Übereinstimmungen mit der Feinstaubfraktion PM10 erwartungsgemäß am deutlichsten, da Ultrafeinstäube aus den gleichen Quellen stammen. Das Risiko für Krankenhauseinweisungen oder Sterbefälle aufgrund von Atemwegserkrankungen stieg um bis zu 2 % bei einer Erhöhung der Partikelanzahl um 1 000 pro cm³ im Tagesmittel. Die Auswirkungen auf Herzkreislauferkrankungen waren weitaus geringer und ebenfalls nicht signifikant. Die hier publizierten Erkenntnisse sind nicht neu und vergleichbar mit Ergebnissen aus zurückliegenden wissenschaftlichen Studien zur Bewertung von Gesundheitseffekten bei Feinstäuben PM10 und PM2.5. – Hinsichtlich der Wahl geeigneter Referenzmessverfahren, der Vergleichbarkeit und des ableitbaren zusätzlichen Erkenntnisgewinns der Ergebnisse zu den bislang ermittelten Massenkonzentrationen, der toxikologischen Bewertung in Abhängigkeit der Inhaltstoffe sowie der Ableitung von Wirkschwellen, Ziel- und Grenzwerten besteht noch erheblicher Forschungsbedarf. Zu Frage 2: Die Landesregierung verfolgt die Entwicklungen und wissenschaftlichen Untersuchungen im Bereich der Ultrafeinstäube weiter mit großem Interesse. Die Debatte wird auch in Bund-Länderfachgremien wie z. B. der LAI (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz) fortgeführt. Die Ergebnisse fließen ein in den Novellierungsprozess der EU-Luftqualitätsrichtlinie, der u. a. auch das Ziel der Festlegung strengerer oder neuer Feinstaubgrenzwerte verfolgt. Hierbei vertritt die Landesregierung seit längerem die Position der Verschärfung der bestehenden Grenzwerte für PM10 und PM2.5 bzw. der Einführung eines anspruchsvollen RußImmissionsgrenzwertes . Zu Frage 3: Da die lufthygienische Überwachungspraxis in Deutschland und damit auch in Rheinland-Pfalz durch die Anforderungen der EULuftqualitätsrichtlinie gesetzlich vorgegeben ist und sich damit an den Immissionskonzentrationsgrenzwerten der WHO (Weltgesundheitsorganisation ) für die Feinstäube PM10 und PM2.5 orientiert, werden keine Partikelanzahlkonzentrationen für bestimmte nanoskalige Stäube gemessen. Insofern ist eine Übertragung der exemplarischen PM0.1-Messergebnisse der zitierten Studie wegen der fehlenden Vergleichbarkeit aufgrund der unterschiedlichen Metrik und Messverfahren nicht möglich. Auf Basis der aktuellen Rechtsgrundlage werden in Rheinland-Pfalz alle Feinstaubgrenzwerte (Tages- und Jahresmittelwerte) deutlich eingehalten. Zu Frage 4: Die Immissionsanteile von Ultrafeinstaub an den reglementierten Feinstäuben PM10 und PM2.5, die aus den Triebwerksemissionen bzw. dem Betrieb des Flughafens Frankfurt (Stromerzeugung, Transport- und Betankungsvorgänge etc.) resultieren, können, da keine Emissionsmessverpflichtungen bestehen, nicht absolut beziffert werden. Über Emissionsfaktoren werden aber in regelmäßigen Abständen die Emissionen über relevante Quellgruppen bilanziert. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/4719 Die letzten Veröffentlichungen des Umweltbundesamtes wiesen für das Jahr 2012 in Deutschland folgende Feinstaubemissionen (PM10 und PM2.5 in kt/a = 1 000 Tonnen/Jahr) aus: Die Emissionsanteile der Feinstaubfraktionen des Flugverkehrs weisen lediglich geringe Anteile von ca. 1 % (2 kt PM10) bzw. 2 % (2 kt PM2.5) auf. Legt man die wissenschaftlich belegte Annahme zu Grunde, dass die Massenanteile der Ultrafeinstäube (< 100 nm) etwa 5 % der Gesamtmasse von PM10 betragen, ergeben sich jährliche Gesamtemissionen von ca. 0,1 kt UFP. Für das Rhein-Main-Gebiet wurden von der Stadt Frankfurt (Umweltamt) für 2010 insgesamt 2,245 kt Feinstaubemissionen (PM10) ausgewiesen. Der Anteil des Flugverkehrs betrug 2005 0,013 kt und wird voraussichtlich bis zum Jahr 2020 auf 0,025 kt steigen. Dies entspricht ca. 0,00125 kt an Ultrafeinstäuben. Als Vergleich seien hier die entsprechenden Emissionen von PM10 aus den rheinland-pfälzischen Hausfeuerungsanlagen von ca. 1 kt genannt. Die Emissionen aus den genehmigungsbedürftigen Anlagen des Landes betragen ca. 1,2 kt. Die Größenverhältnisse der Gesamttonnagen zeigen, dass eher der Hausbrand und der Straßenverkehr die relevanten Emittentengruppen darstellen, die zur Belastung mit Feinstäuben/Ultrafeinstäuben beitragen. Zum gleichen Ergebnis kommen auch Gutachten zur Bewertung des Einflusses flughafeninduzierter Emissionen und Immissionen (z. B.: „Erhebungen der Luftqualität im Einzugsbereich der neuen NW-Landebahn des Flughafen Frankfurt“, Hess. Landesamt für Umwelt und Geologie, 2012; „Flugverkehr und Luftqualität im Rhein-Main-Gebiet“, Umweltamt der Stadt Frankfurt, 2010; „Flughafeninduzierte Emissionen und Immissionen-Flughafen Düsseldorf International 2013“, Düsseldorf Airport DUS; „Gutachten Flughafen München“, TU München, 2008; „Immissionen des Luftverkehrs am BER“, MLUL Brandenburg, 2013; „Flugzeuge über Zürich – was kommt von oben runter?“, Amt für Abfall, Wasser, Energie, und Luft – Zürich, 2004). Die Beiträge des Flugverkehrs/Flughafenbetriebs zu den kurz- und langfristigen Immissionskonzentrationswerten werden als eher gering eingestuft. Zu Frage 5: Die momentane Überwachung der Feinstaubfraktionen zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist europaweit harmonisiert, stützt sich auf WHO-Grenzwertempfehlungen und wird als absolut ausreichend bewertet. Zum aktuellen Zeitpunkt sieht daher die Landesregierung keine Veranlassung, UFP-Anzahlkonzentrationen zu erheben, da weder standardisierte, validierte Referenzmessverfahren existieren, bzw. toxikologisch begründete und daraus ableitbare Wirkschwellen, Ziel- oder Grenzwerte möglich sind. Erst mit der Schaffung einer EU-harmonisierten Rechtsgrundlage, z. B. im Rahmen der Fortschreibung der EU-Luftqualitätsrichtlinie, kann nach wissenschaftlicher Abklärung vorgenannter offener Fragestellungen, die Voraussetzung hierfür geschaffen werden. Zu Frage 6: In Deutschland werden UFP vor allem im GUAN-Netzwerk gemessen (GUAN – German Ultrafine Aerosol Network 2)). Auf internationaler Ebene gab es das Projekt TRANSPHORM 3)), in dem u. a. auch UFP gemessen wurden. Nach aktuellem Kenntnisstand der Landesregierung wird auf EU-Ebene in Bezug auf eine immissionsschutzrechtliche Bewertung und Überwachung (Monitoringverpflichtung) kein UFP-Grenzwert diskutiert. Hier steht momentan eher die Diskussion um Rußpartikel (EC-Elementary Carbon bzw. BC-Black Carbon) aus dem Straßenverkehr und Feuerungsanlagen als neu in die Luftqualitätsgesetzgebung aufzunehmende Komponente im Vordergrund, womit auch ein Großteil der ultrafeinen Partikel erfasst werden würde. Zu Frage 7: Die Landesregierung teilt die Auffassung, dass Ultrafeinstäube aufgrund ihrer Partikelgröße unter verschiedenen Aspekten eine besondere gesundheitliche Gefährdung für die Bevölkerung darstellen können. Die Höhe der Gefährdung bemisst sich dabei u. a. an der chemischen Zusammensetzung und Morphologie der Partikel. Ultrafeinstäube sind Aerosolpartikel im Nanobereich (kleiner 100 nm), die bis in die Alveolen der Lunge vordringen, dort die Alveolarmembran passieren und auf diesem Wege in die 3 PM10 PM2,5 Emissionsquelle Emissionen [kt/a] Anteil an Gesamtemissionen Emissionen [kt/a] Anteil an Gesamtemissionen Straßenverkehr 30,97 14,30 % 21,88 19,54 % sonstiger Verkehr (Schiene, Schiff, Flugzeug) 2,78 1,28 % 2,78 2,48 % Hausbrand 30,9 14,27 % 29,21 26,09 % Gesamtemissionen (alle Quellen: inkl. Industrie, Gewerbe, Energieversorgung, Landwirtschaft etc.) 216,52 100,00 % 111,97 % 100,00 % 2) http://www.tropos.de/en/research/atmospheric-aerosols 3) http://www.transphorm.eu Drucksache 16/4719 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Blutbahn gelangen können. Nach gegenwärtiger wissenschaftlicher Erkenntnis können sie danach, je nach Zusammensetzung, Struktur und Beladung, im Körper pathologische Reaktionen an verschiedenen Organen auslösen, die nachfolgend u. a. zu Herz-Kreislauf - oder Lungenerkrankungen führen können. Die bislang vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen sich dabei auf epidemiologische Studien zu Akutwirkungen und auf Erkenntnisse, die im Rahmen der toxikologischen NanotechnologieForschung gewonnen wurden. Bislang ist die wissenschaftliche Erkenntnislage, auch unter dem Aspekt der gesundheitlichen Langzeitwirkungen inhalierter UFP, noch nicht ausreichend, um spezifische Maßnahmen ableiten zu können. Auch die relativ neue Messmethode der Partikelanzahlkonzentrationsbestimmung hilft mangels humantoxikologisch belastbarer Vergleichszahlen und fehlender Kenntnis von Zusammensetzung , Beladung und Morphologie der Partikel nicht wesentlich weiter. Ein Handlungsbedarf wird dahingehend gesehen, alle möglichen weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen, die zu einer zusätzlichen Reduktion der Feinstaubemissionen (über alle Korngrößenbereiche) führen können, zu unterstützen. Dies betrifft im Wesentlichen die Hauptemittenten wie Kraftwerke, staubrelevante Industrieanlagen, kleine und mittlere Feuerungsanlagen, den Straßenverkehr, Baumaschinen und andere mobile Maschinen und Geräte sowie die Landwirtschaft. Ulrike Höfken Staatsministerin 4