Drucksache 16/481 21. 10. 2011 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Andreas Hartenfels und Dr. Fred Konrad (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Maßnahmen zur Gewässerrenaturierung, zur Wiederherstellung von Biotopen und zum Erhalt und zur Wiederherstellung der Artenvielfalt Die Kleine Anfrage 322 vom 29. September 2011 hat folgenden Wortlaut: Die Landesregierung bezuschusst Maßnahmen zur Gewässerrenaturierung und zum Abbau von Barrieren für die Fischwanderung. Diese Maßnahmen sind ein wichtiger Beitrag zum Erhalt und zur Wiederherstellung von Biotopen und damit zum Erhalt und zur Wiederherstellung der Artenvielfalt. In diesem Zusammenhang fragen wir die Landesregierung: 1. Wie hat sich der Anteil von biologisch durchgängigen Fließgewässern (d. h. ohne bzw. mit unwesentlichen Beeinträchtigungen der Fischwanderungen) in Rheinland-Pfalz in den vergangenen zehn Jahren entwickelt, gegliedert nach Gewässern erster bis dritter Ordnung und Regionen? 2. In welchem Umfang fördert die Landesregierung den weiteren Abbau von Barrieren und die Renaturierung von Fließgewässern? 3. In welchen Regionen und bei welchen Gewässern sieht die Landesregierung einen weiteren vordringlichen Bedarf für entspre- chende Maßnahmen und drückt sich diese Priorisierung im Förderanteil der Maßnahmen durch das Land aus? 4. Gibt es im Gegensatz dazu Gewässer bzw. Gewässertypen und -regionen oder bestimmte Randbedingungen, bei denen Maß- nahmen zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit aufgrund des geringen ökologischen Nutzens im Verhältnis zu den Kosten nicht gefördert werden? 5. Welche Mittel werden in Zukunft für Maßnahmen der Gewässerrenaturierung bzw. Wiederherstellung der Durchgängigkeit zur Verfügung stehen? 6. Wie ist eine Erfolgskontrolle dieser Maßnahmen geplant? 7. Wie sollen andere Ansprüche an die Gewässer berücksichtigt bzw. die Bürger bei solchen Maßnahmen beteiligt werden, wenn diese wie z. B. bei geplanten Wehrabrissen aus kulturhistorischen, ortsgestalterischen oder naturschutzfachlichen Gesichtspunkten den Maßnahmen kritisch gegenüberstehen? Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 20. Oktober 2011 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Ein wesentliches Ziel der Gewässerbewirtschaftung in Rheinland-Pfalz ist die möglichst vollständige Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Gewässer mit einem Einzugsgebiet >100 km². Das sind diejenigen Gewässer, die als Lebensraum oder als Verbindungsgewässer für den Erhalt der diadromen und der potamodromen Fischarten von besonderer Bedeutung sind. Als diadrom werden solche Fischarten wie beispielsweise Lachs und Aal bezeichnet, die für ihre natürliche Fortpflanzung zwischen dem Meer und unseren Binnengewässern wechseln müssen. Als potamodrom werden solche Fischarten wie beispielsweise Äsche oder Nase bezeichnet , die im Laufe ihres Lebens auf die Wanderung zwischen verschiedenen Regionen unserer Binnengewässer angewiesen sind. Nach dem heutigen Stand der Technik kann die Durchgängigkeit für Fische an Querbauwerken mit Wasserkraftnutzung oft nur für die Aufwärtspassierbarkeit hergestellt werden. Deshalb beziehen sich die beigefügten Auswertungen ausschließlich auf die Auf- Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 4. November 2011 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/481 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode wärtspassierbarkeit. Bei der Abwärtspassierbarkeit gibt es an größeren Wasserkraftanlagen noch keine umfassenden Lösungen für den Fischschutz. Der überwiegende Teil der Fische passiert diese Anlagen der Hauptströmung folgend durch die Turbinen mit oft tödlichen Folgen. Die Wasserwirtschaftsverwaltung Rheinland-Pfalz führt ein Querbauwerke- Informationssystem, in dem alle bedeutsamen Bauwerke und Wasserkraftanlagen verzeichnet sind. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage 322 der Abgeordneten Andreas Hartenfels und Dr. Fred Konrad (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) namens der Landesregierung wie folgt: Zu Frage 1: An dem oben bezeichneten Gewässernetz (>100 km² Einzugsgebietsgröße) wurden insgesamt 3 035 Querbauwerke festgestellt. Aktuell sind rund 52 % dieser Bauwerke für Fische aufwärts passierbar. Weitere Angaben sowie die zugehörige Gewässerordnung sind in den Tabellen 1 und 2 dargestellt. Im Rahmen der „Aktion Blau – Gewässerentwicklung in Rheinland-Pfalz“ wurden in den letzten zehn Jahren rund 300 Projekte zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit umgesetzt. In diesem Zeitraum wurden in zwei Etappen die Querbauwerke hinsichtlich ihrer Aufwärtspassierbarkeit für Fische systematisch untersucht. Mit der Bestandsaufnahme 2004 konnte auf Grundlage der Strukturgütekartierung der Fließgewässer in Rheinland-Pfalz eine erste Abschätzung zur Passierbarkeit vorgenommen werden („Gewässer in Rheinland-Pfalz. Die Bestandsaufnahme nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie.“ Ministerium für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz, Mai 2005). In einem zweiten Schritt wurden die Erkenntnisse hinsichtlich der Passierbarkeit der Querbauwerke in den rheinland-pfälzischen Wanderfischgewässern konkret untersucht (Studie „Bewertung der Rheinland-Pfälzischen Wanderfischgewässer hinsichtlich Durchgängigkeit und Eignung zur Wasserkraftnutzung“ LUWG, 2006). Diese über den Zeitraum 2001 bis 2011 sukzessive gewonnenen Erkenntnisse zur Barrierewirkung von Querbauwerken auf die Fischwanderung bildeten die Grundlage für die Planung und konkrete Umsetzung von Maßnahmen zur Herstellung bzw. Verbesserung der biologischen Durchgängigkeit der Fließgewässer in Rheinland-Pfalz. Tabelle 1: Aufwärtspassierbarkeit Fische (Anzahl der Querbauwerke) Tabelle 2: Aufwärtspassierbarkeit Fische (Anteil der Querbauwerke [in %]) Zu Frage 2: Die Landesregierung fördert nunmehr den Abbau von Barrieren und die Renaturierung von Fließgewässern im Rahmen der „Aktion Blau PLUS – Gewässerentwicklung in Rheinland-Pfalz“ auf der Grundlage der Förderrichtlinien der Wasserwirtschaftsverwaltung in der Fassung vom 21. November 2008 (Ministerialblatt Rheinland-Pfalz vom 29. Dezember 2008, S. 424 bis 445). Danach können für Maßnahmen zum naturnahen Gewässerausbau bzw. Gewässerunterhaltung bis zu 90 % Zuschuss an die Körperschaften des öffentlichen Rechts als Träger der Maßnahmen gewährt werden. Seit der Initiierung der Aktion Blau im Jahr 1995 wurden förderfähige Investitionskosten im Umfang von rd. 155 Mio. Euro finanziell gefördert. Daneben hat das Land im gleichen Zeitraum eigene Gewässermaßnahmen im Umfang von rd. 21 Mio. Euro durchgeführt. In den vergangenen 16 Jahren wurden insgesamt 920 Renaturierungsprojekte an Flüssen umgesetzt und 780 Bachpatenschaften initiiert. 2 Gewässerordnung passierbar eingeschränkt unpassierbar Summe passierbar Ordnung 1 146 11 63 220 Ordnung 2 207 38 140 385 Ordnung 3 1 235 329 866 2 430 Gesamt 1 588 378 1 069 3 035 Gewässerordnung passierbar eingeschränkt unpassierbar Summe passierbar Ordnung 1 4,8 0,4 2,1 7,2 Ordnung 2 6,8 1,3 4,6 12,7 Ordnung 3 40,7 10,8 28,5 80,1 Gesamt 52,3 12,5 35,2 100,0 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/481 Zu Frage 3: Der vordringliche Bedarf und die regionale Verteilung für Maßnahmen zur Gewässerrenaturierung ergeben sich aus den Maßnahmeprogrammen zur Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie. Für den Zeitraum 2009 bis 2015 sind danach Gewässermaßnahmen im Umfang von rd. 110 Mio. Euro vorgesehen. Nach den Förderrichtlinien der Wasserwirtschaftsverwaltung stellen Maßnahmen , die zur Erreichung der Ziele der EG-Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) beitragen, einen besonderen Schwerpunkt der Förderung dar; sie werden in der mittelfristigen Finanzplanung (MIP-Förderung) entsprechend prioritär berücksichtigt. Zu Frage 4: Die Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Gewässer ist ein grundsätzliches wasserwirtschaftliches Ziel, das auch gesetzlich verankert ist (vgl. § 34 WHG). Entsprechende Maßnahmen sind deshalb grundsätzlich förderfähig. Nur in besonderen Einzelfällen kann von der Zielsetzung abgewichen werden, wenn andere Zielsetzungen, z. B. die des Natur- und Artenschutzes, konkurrieren (Beispiel: Schutz des Edelkrebses vor der Krebspest in bestimmten Gewässerregionen). Die Wiederherstellung der Durchgängigkeit erfolgt auf der Grundlage eines Schwerpunktgewässerkonzeptes vorrangig an Gewässern , bei denen eine hohe ökologische Wertigkeit gegeben ist. Bislang wurden alle beantragten Maßnahmen berücksichtigt. Allerdings sieht § 30 WHG ausdrücklich die Möglichkeit vor, ein Bewirtschaftungsziel für ein Gewässer abzusenken, u. a. wenn die Kosten zur Erreichung dieses Ziels innerhalb der verbindlichen Fristen (bis zum Jahr 2027) unverhältnismäßig hoch sind. Diese Ausnahme wurde bisher noch nicht in Anspruch genommen. Zu Frage 5: Die Bereitstellung von Mitteln für Maßnahmen der Gewässerrenaturierung bzw. Wiederherstellung der Durchgängigkeit obliegt dem Landtag im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung. Im Übrigen wird auch aus dem Aufkommen des von der Landesregierung geplanten Wassercents eine Förderung dieser Maßnahmen erfolgen können. Zu Frage 6: Die Erfolgskontrolle erfolgt im Falle der Renaturierungsmaßnahmen durch eine nachfolgende Gewässerstrukturkartierung. Die biologische Wirkung wird im Rahmen des operativen Monitorings zur EG-Wasserrahmenrichtlinie kontrolliert. Bei einigen beispielhaften Maßnahmen werden maßnahmenspezifische Kontrolluntersuchungen vorgesehen. Im Falle von Maßnahmen zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit ist eine standortspezifische Planung der wichtigste Erfolgsfaktor. In ausgesuchten Fällen werden Funktionskontrollen durchgeführt. Bei großen Querbauwerken mit Schlüsselfunktion können kontinuierliche Kontrollstationen eingerichtet werden (z. B. am Moselwehr bei Koblenz). Zu Frage 7: Art und Umfang der konkreten wasserwirtschaftlichen Maßnahmen werden von den zuständigen Struktur- und Genehmigungsdirektionen in enger Abstimmung mit den Maßnahmenträgern umfassend öffentlich kommuniziert. Darüber hinaus kann es in Einzelfällen erforderlich sein, die Wünsche und Anregungen bestimmter Interessensgruppen in weiteren Gesprächen auszugleichen. Mit dem neuen Programm „Aktion Blau PLUS“ der Landesregierung wird zukünftig die ökologische Entwicklung von Fluss- und Bachlandschaften innerhalb und außerhalb von Städten und Dörfern, die Erhaltung der Kulturlandschaften und die Entwicklung des ländlichen Raumes gefördert. Ein wichtiges Instrument ist die Bürgerbeteiligung, u. a. durch die Einbindung der relevanten gesellschaftlichen Gruppen. Es ist vorgesehen, pro Jahr 100 bis 120 Projekte mit einem Investitionsvolumen von ca. 15 bis 20 Millionen Euro umzusetzen. Ulrike Höfken Staatsministerin 3