Drucksache 16/4881 14. 04. 2015 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Gunther Heinisch und Pia Schellhammer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Antisemitismus in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 3233 vom 24. März 2015 hat folgenden Wortlaut: Medienberichten zufolge gibt es bundesweit einen Anstieg von Übergriffen mit antisemitischem Hintergrund. Vor diesem Hintergrund hat sich der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland besorgt geäußert. Es sei gefährlich, sich in manchen Bereichen durch das Tragen der Kippa als dem jüdischen Glauben angehörig zu erkennen zu geben. Jeder Form der Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gilt es entschieden entgegen zu wirken. Diskriminierenden Vorkommnisse, Übergriffe und Straftaten mit entsprechendem Hintergrund sind nicht hinnehmbar. Menschen unterschiedlicher Herkunft sollen sich in unserem Bundesland wohl fühlen und dürfen nicht in ihrer Religionsausübung eingeschränkt werden. Dies umfasst auch das Recht und die Freiheit, die eigene Religionszugehörigkeit im öffentlichen Raum äußerlich zu erkennen zu geben, beispielsweise durch das Tragen einer entsprechenden Kopfbedeckung. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie viele antisemitische Straftaten und andere Formen von antisemitischer Diskriminierung in den letzten fünf Jahren in Rhein- land-Pfalz sind der Landesregierung bekannt? 2. Kann man aus den vorliegenden Erkenntnissen auf einen Anstieg von Antisemitismus schließen? Wenn ja, welche Gründe kommen nach Ansicht der Landesregierung für diesen Anstieg in Betracht? 3. Gibt es Erkenntnisse über besondere Auffälligkeiten hinsichtlich des Hintergrunds der Personen, von denen antisemitische Hand- lungen ausgehen? 4. Wie hat sich aus Sicht der Landesregierung die Sicherheitssituation jüdischer Einrichtungen in Rheinland-Pfalz verändert? 5. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um den Schutz jüdischer Einrichtungen zu gewährleisten? 6. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um Antisemitismus aktiv entgegenzuwirken? 7. Wie bewerten die jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz in Gesprächen gegenüber der Landesregierung die Situation? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 10. April 2015 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung der Landesregierung Die Prävention und die Bekämpfung jeglicher Ausprägungen von Extremismus in unserer Gesellschaft hat für die Landesregierung eine hohe politische Priorität. Angesichts der historischen Verantwortung Deutschlands misst die Landesregierung der Bekämpfung des Antisemitismus einen besonderen Stellenwert bei. Für die Landesregierung ist von großer Bedeutung, dass sich Menschen jüdischen Glaubens in Rheinland-Pfalz sicher fühlen. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 12. Mai 2015 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/4881 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Zu Frage 1: Antisemitische Straftaten sind eine Teilmenge der politisch motivierten Kriminalität. Die Polizei registriert Straftaten mit politischer Motivation im Rahmen des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes – Politisch motivierte Kriminalität“ (KPMD-PMK). Der KPMD-PMK weist im Berichtszeitraum folgende antisemitische Straftaten aus: Zu Frage 2: Der Straftatenentwicklung ist kein Anstieg antisemitischer Straftaten zu entnehmen. Zu Frage 3: Die überwiegende Mehrheit der antisemitischen Straftaten im Berichtszeitraum ist dem Phänomenbereich der „Politisch motivierten Kriminalität – Rechts“ zuzuordnen. Nur vereinzelt wurden antisemitische Delikte aus dem Bereich der „Politisch motivierten Ausländerkriminalität“ registriert (2010: 2, 2011: 1 und 2014: 2). Zu Frage 4: Zwar ist in quantitativer Hinsicht die Mehrzahl der Straftaten dem Phänomenbereich Politisch motivierte Kriminalität – Rechts zuzuordnen. Die größte Bedrohung für Menschen jüdischen Glaubens auch in Europa geht jedoch bereits seit geraumer Zeit vom internationalen islamistischen Terrorismus aus. Die Attentate an einer jüdischen Schule in Toulouse/Frankreich am 19. März 2012 und auf ein jüdisches Museum in Brüssel/Belgien am 24. Mai 2014, die Geiselnahme in einem jüdischen Geschäft am 9. Januar 2015 in Paris/Frankreich sowie die Schüsse auf das Sicherheitspersonal einer jüdischen Synagoge in Kopenhagen/Dänemark am 15. Februar 2015 belegen diese Einschätzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass israelische Einrichtungen und Personengruppen in Deutschland – auch in RheinlandPfalz – im Zielspektrum jihadistischer Täter und Gruppierungen stehen. Sie unterliegen einer hohen Gefährdung. Den rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden liegen jedoch derzeit keine Erkenntnisse über konkrete Anschlagsplanungen oder -vorbereitungen islamistischer Gruppierungen gegen jüdische Einrichtungen in unserem Land vor. Zu Frage 5: Die rheinland-pfälzische Polizei betrachtet die Sicherheit der jüdischen Gemeinden mit großer Aufmerksamkeit. Sie steht dabei im ständigen engen Kontakt mit den Ansprechpartnern der Kommunen und Vertretern der jüdischen Gemeinden. Das Landeskriminalamt bewertet fortlaufend die Gefährdungslage und passt erforderlichenfalls die angeordneten Schutzmaßnahmen ausgewählter jüdischer Objekte der geänderten Kriminalitätslage an. Die notwendigen polizeilichen Maßnahmen zum Schutz der rheinland-pfälzischen jüdischen Einrichtungen und der hier lebenden Menschen jüdischen Glaubens werden weiter fortgeführt. Einzelfallabhängig intensivieren die Polizeipräsidien die Schutzmaßnahmen , z. B. bei öffentlich bekannten Zusammenkünften der Gemeindemitglieder. Zu Frage 6: Für die Landesregierung ist die konsequente und dauerhafte Bekämpfung des Antisemitismus – nicht zuletzt angesichts der historischen Verantwortung – seit jeher ein Teil der Staatsräson. In der Gemeinsamen Erklärung „Gemeinsam stark gegen Rechtsextremismus – für ein tolerantes und weltoffenes Rheinland-Pfalz“ vom 28. Mai 2008 hat die Landesregierung diese Kernaufgabe zusammen mit vielen gesellschaftlichen Gruppen postuliert. 2 2010 2011 2012 2013 2014 Tötungsdelikte Brand-/Sprengstoffanschläge 1 Körperverletzungen 1 1 2 1 1 Landfriedensbrüche Andere Gewaltdelikte (Raub etc.) Zwischensumme Gewaltdelikte 2 1 2 1 1 Sachbeschädigungen 1 3 2 1 3 Bedrohungen/Nötigungen 2 Störungen der Totenruhe 2 1 3 3 Volksverhetzungen 20 12 26 23 20 Propagandadelikte (§§ 86, 86 a StGB) 15 8 11 9 5 andere Straftaten 2 4 2 1 2 Straftaten gesamt 44 29 46 38 31 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/4881 In diesem Sinne findet die Bekämpfung des Antisemitismus in einer Vielzahl von Maßnahmen und Projekten Ausdruck. Hierzu zählen nicht zuletzt die historische Aufarbeitung, so im Rahmen der Gedenkarbeit, und vor allem das breit gefächerte Spektrum von Präventionsmaßnahmen gegen den Rechtsextremismus. Bei Letzterem ist das Thema Antisemitismus ein integraler Bestandteil und somit beispielsweise regelmäßiger Gegenstand von Informationsveranstaltungen/-broschüren. So widmet sich auch der schulische Bereich der Bekämpfung des Antisemitismus. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist integraler Bestandteil der Lehrpläne aller Schularten in verschiedenen Fächern, insbesondere in Geschichte, Religion, Sozialkunde, Gesellschaftslehre, Deutsch oder Kunst. Darüber hinaus führen die Schulen vielfältige Präventionsmaßnahmen und Projekte der Gedenkarbeit durch, die vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur (MBWWK) finanziell gefördert werden. Zu Frage 7: Die Landesregierung ist im ständigen Dialog mit Vertretern der jüdischen Gemeinden. Nach den Anschlägen in Frankreich und Dänemark hat die Sorge über anwachsenden Antisemitismus zugenommen – die Menschen erwarten zu Recht, dass sie in unserem Land sicher leben können. Die Sicherheitsbehörden des Landes treffen hierzu die notwendigen Maßnahmen. Die Zusammenarbeit zwischen den verantwortlichen Personen jüdischer Vereinigungen und Vertretern der Polizei vor Ort gestaltet sich partnerschaftlich und ist geprägt von gegenseitigem Vertrauen. In Vertretung: Günter Kern Staatssekretär 3