Drucksache 16/5018 18. 05. 2015 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Anne Spiegel und Dr. Dr. Rahim Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Psychosoziale Versorgung von Asylsuchenden Die Kleine Anfrage 3309 vom 24. April 2015 hat folgenden Wortlaut: Im Zuge immer weiter steigenden Flüchtlingszahlen in Rheinland-Pfalz steigt auch die Zahl der Menschen, die in ihrem Herkunftsland oder auf ihrer Flucht traumatische Erlebnisse erfahren haben. Der Bericht der Bundesregierung über die psychosoziale Versorgung von Folteropfern und Traumatisierten geht davon aus, dass bis zu 40 Prozent der Menschen, die als Schutzsuchende in die Europäische Union einreisen, traumatisierende Situationen erlebt haben. Ein hoher Anteil von ihnen leidet daher z. B. an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Dies gilt insbesondere für Menschen aus Ländern mit kriegerischen Auseinandersetzungen wie z. b. Syrien, Iran und Afghanistan. Gleichzeitig gibt es klare Hinweise darauf, dass der Bedarf an psychosozialer Versorgung bei Menschen mit Migrationshintergrund nicht gedeckt ist. Zu einer humanen Flüchtlingspolitik gehört auch die psychosoziale Versorgung von schwer traumatisierten Menschen. Auch Flüchtlingen und Asylsuchenden mit psychischen Erkrankungen muss in Deutschland eine angemessene Behandlung zur Verfügung stehen. Die Bundespsychotherapeutenkammer forderte deshalb im März dieses Jahres, Flüchtlingen und Asylsuchenden eine psychosoziale Versorgung zu ermöglichen, wie sie in der gesetzlichen Krankenversicherung festgelegt ist. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um die psychosoziale Versorgung von Asylsuchenden, Geduldeten und anerkannten Flüchtlingen zu gewährleisten und in welcher Höhe erfolgt eine Förderung dieser Maßnahmen bzw. Einrichtungen? 2. Welche Einrichtungen (spezifische für den genannten Personenkreis und reguläre) bieten derzeit in Rheinland-Pfalz eine psycho - soziale Versorgung für Asylsuchende, Geduldete und anerkannte Flüchtlinge an? 3. Inwieweit erfolgt diese Versorgung innerhalb der bestehenden Regelsysteme bzw. was unternimmt die Landesregierung um lang- fristig eine stärkere Öffnung der Regelsysteme zu erreichen, sodass diese in der Lage sein werden, die psychosoziale Versorgung der genannten Menschen zu gewährleisten? 4. Wie sichert die Landesregierung die psychosoziale Versorgung von Asylsuchenden, Geduldeten und anerkannten Flüchtlingen langfristig und strukturell ab? 5. Wie viele Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) wurden in den Jahren 2012 bis 2014 in den spezifischen Traumazentren bzw. innerhalb der Regelsysteme versorgt und wie hoch schätzt die Landesregierung den Bedarf ein? 6. Wie ist die Kostenübernahme der psychotherapeutischen Versorgung und eventuell anfallender Dolmetscherkosten für den genannten Personenkreis geregelt? 7. Wie wird die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie in Bezug auf die schutzwürdigen Gruppen erfolgen? Das Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 18. Mai 2015 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Die AfA unterhält eine Krankenstation zur hausärztlichen Versorgung mit regelmäßigen Sprechstunden durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Darüber hinaus wurde das MEDEUS-Programm zur medizinischen Erstuntersuchung eingeführt, bei dem für jeden Asylsuchenden eine Krankenakte mit medizinischen Daten, Vorerkrankungen und Impfstatus angelegt wird. Dieses Programm dient u. a. dazu, eine erste Abklärung medizinischer Fragen in Zusammenhang mit dem Erkennen von psychischen Erkrankungen , Traumata, Belastungen durch Gewalterfahrungen, sexueller Gewalt vorzunehmen und bildet somit ein zentrales Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 25. Juni 2015 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/5018 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Instrument zur Identifizierung schutzwürdiger Personen in der Erstaufnahme. Das Erkennen von psychischen Erkrankungen, Traumata , Belastungen durch Gewalterfahrungen oder sexueller Gewalt stellt eine Herausforderung dar. Bei Bedarf werden die Personen an Fachärzte, Psychotherapeuten, Beratungsstellen und Fachkliniken verwiesen. Weiterhin gibt es in der Erstaufnahmeeinrich - tung Beratungen und Krisenintervention. Für das gesamte gesundheitliche Programm in der AfA hat das Land im Jahr 2014 rund 3,76 Millionen Euro verausgabt. Diese werden sich in 2015 vermutlich deutlich erhöhen. Zu Frage 2: Neben den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern der AfA stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ökumenischen Beratungsstelle zur Verfügung, u. a. auch zwei Traumatologinnen, die in Trier tätig sind. In Ingelheim arbeitet ein Sozialdienst des ASB und eine Traumatherapeutin, die Sprechstunden hält. Aufgrund der relativ kurzen Verweildauer in der Erstaufnahmeeinrichtung können dort lediglich erste Beratungsgespräche und Krisenintervention geleistet werden. In Rheinland-Pfalz sind derzeit drei spezialisierte Beratungs- und Behandlungseinrichtungen für Flüchtlinge mit psychischen Problemen tätig. Die Einrichtungen verstehen sich als Kompetenz- und Anlaufstellen in flüchtlings- und traumaspezifischen Fragestellungen und arbeiten in den Bereichen Beratung, Diagnostik, Therapie, Begutachtung, Dolmetscherschulung und in der Schulung von Multiplikatoren im Sozial- und Gesundheitswesen . Die drei therapeutischen Beratungszentren sind: – das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge (PSZ) des Caritasverbands Rhein-Mosel-Ahr e. V. in Mayen; – die Ökumenische Beratungsstelle für Flüchtlinge in Trier; – der Fachdienst für Migranten und Flüchtlinge des Diakonischen Werks in Altenkirchen. Aktuell fördert das Land den Aufbau zweier weiterer Zentren zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen in Mainz und Ludwigshafen . Die Zentren werden in Kürze ihre Arbeit aufnehmen. Zu Frage 3: Die psychotherapeutische Versorgung der Zielgruppe in das Regelsystem ist ein erklärtes Ziel der Landesregierung. Gleichwohl stellt die psychotherapeutische Beratung und Behandlung von Asylsuchenden, Flüchtlingen und Geduldeten diese Systeme vor große Herausforderungen . In der Regel muss die Therapie mit Dolmetschern oder in einer Fremdsprache durchgeführt werden. Eine Therapie mit Dolmetscher ist für viele Therapeutinnen und Therapeuten eine hohe Hürde und mit Vorbehalten behaftet. Auch für Asyl - suchende stellt der Besuch einer psychotherapeutischen Praxis eine gewisse Hürde dar, verbunden mit oft langen Wartezeiten. Deshalb benötigen wir spezielle Einrichtungen wie die Psychosozialen Zentren, um den Menschen einen niederschwelligen Zugang zur psychosozialen Versorgung zu ermöglichen. Die Zentren haben auch die Aufgabe, über ihre Netzwerke die Flüchtlinge und Asylsuchenden in die Regelsysteme zu überführen. Darüber hinaus wurde in Rheinland-Pfalz eine Koordinierungsstelle zur „Interkulturellen Öffnung des Regelsystems und Verbesserung der Behandlung von psychisch kranken Asylbegehrenden und Flüchtlingen in Rheinland-Pfalz“ in Trägerschaft des Caritasverbands Rhein-Mosel-Ahr e. V. eingerichtet und vom Land anteilig gefördert. Ziele dieser Koordinierungsstelle sind die interkulturelle Sensibilisierung und Kompetenzerweiterung der Akteure des regulären Gesundheitssystems für die Behandlung von psychisch erkrankten ausländischen Personen, das Initiieren eines Netzwerks von Ärztin - nen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zur Behandlung, Krisenintervention, Diagnostik und Therapie, die Weiterentwicklung der spezialisierten Beratungs- und Behandlungseinrichtungen für Flüchtlinge und deren Implementierung in das reguläre Gesundheitssystem. Daneben sollen Weiterbildungs- und Fortbildungsangebote für Ärzte und Therapeuten für die Arbeit mit traumatisierten und psychisch erkrankten Flüchtlingen in Zusammenarbeit mit der Landesärzte- und Landespsychotherapeutenkammer entwickelt werden und ein Sprachmittlungspool unter Einbeziehung bestehender Projekte und Maßnahmen in Rheinland-Pfalz aufgebaut werden. Zu Frage 4: Zur Sicherung und zum Ausbau der psychosozialen Infrastruktur hat das Land in diesem Jahr zusätzlich 500 000 Euro bereitgestellt. Für die langfristige Absicherung ist zudem die kontinuierliche Öffnung der Regeldienste und psychotherapeutischen Praxen unum - gänglich. Hierzu ist die Landesregierung in enger Kooperation mit der Landespsychotherapeutenkammer (siehe Antwort zu Frage 3). Zu Frage 5: Der genaue Anteil der Asylbegehrenden und Flüchtlinge, die Opfer traumatisierender Ereignisse wie Krieg, Bürgerkrieg, Vergewaltigung und Folter sind, ist nicht bekannt. Hier ist die Dunkelziffer sehr hoch, da viele Opfer nicht über Ihre Erfahrungen sprechen möchten oder können. In der Koordinierungsstelle liegen die Zahlen der dort vorsprechenden Personen aus den drei Einrichtungen der AG Flucht und Trauma Rheinland-Pfalz aus den Jahren 2013 und 2014 vor. Zur Versorgung im Regelsystem können keine Angaben gemacht werden. 2 2013 2014 Personenkreis Altenkirchen Mayen Trier Altenkirchen Mayen Trier besonders schutzbedürftige Flüchtlinge 118 157 519 140 113 420 davon in Therapie 34 60 54 33 35 41 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5018 Zu Frage 6: Asylbegehrende im Leistungsbezug erhalten in den ersten 15 Monaten Krankenhilfeleistungen nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz . Die psychotherapeutische Versorgung wäre dann als akute Erkrankung einzustufen und gemäß § 4 Abs. 1 AsylbLG als Pflichtleistung zu gewähren. Die Übernahme der Dolmetscherkosten können gem. § 6 AsylbLG getragen werden, sofern die Herbeiziehung eines Sprachmittelnden für die Behandlung erforderlich ist. Die Leistung wird dann durch eine Ermessensreduzierung auf Null zu einer Pflichtleistung. Nach Ablauf von 15 Monaten haben Flüchtlinge gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz einen Anspruch auf Krankenbehandlung, der dem vollen Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung entspricht, wobei die Kosten von der nach § 2 Abs. 1 des Landesaufnahmegesetzes zuständigen Behörde erstattet werden, d. h. von den Kreisen und kreisfreien Städten. Dies umfasst auch die psychotherapeutische Versorgung. Sobald ein Ausländer bzw. eine Ausländerin die Rechtsstellung als Asylberechtigter gemäß § 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) genießt oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Abs. 1 zuerkannt hat, ist ihm oder ihr Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (§ 25 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Aufent haltsgesetz). Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sodass eine Aufnahme in die Gesetzliche Krankenversicherung, z. B. über eine Anstellung gegen Arbeitsentgelt erfolgen könnte. Falls dies nicht der Fall sein sollte, setzt eine Aufnahme in die Gesetzliche Krankenversicherung nach § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V voraus, dass die betreffende Person eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzt und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes besteht. Mit Aufnahme in der Gesetzlichen Krankenversicherung steht diesen Personen der ganze Leistungsumfang der Gesetzlichen Kranken versicherung zur Verfügung. Dies umfasst die ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 1 SGB V). Die Übernahme der Kosten für Sprachmittlung stellt keine Leis - tung der gesetzlichen Krankenversicherung dar, was vom Bundessozialgericht am 19. Juli 2006 (B 6 KA 33/05 B) höchstrichterlich bestätigt wurde. Zu Frage 7: Für die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie hat der Bund einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt, der derzeit noch nicht vorliegt und zu dem bisher keine Eckpunkte bekannt sind. Die Landesregierung ist jedoch bereits in der Prüfung, inwieweit die in der Richtlinie vorgeschriebenen Anforderungen bei der Erstaufnahme der Asylsuchenden umgesetzt werden. Ein wesentlicher Baustein hierzu ist das MEDEUS-Programm, das sich bei der systematischen Erkennung von vulnerablen Personen bewährt hat. Irene Alt Staatsministerin 3