Drucksache 16/5047 22. 05. 2015 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Thorsten Wehner (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Biozid-Verkauf bei ALDI Die Kleine Anfrage 3332 vom 30. April 2015 hat folgenden Wortlaut: ALDI-Nord verkauft zur Zeit Mittel zur Insektenbekämpfung (Biozide), mit Wirkstoffen, die als umweltgefährlich und neurotoxisch gelten. Als Pflanzenschutzmittel sind diese Wirk stoffe nicht mehr zugelassen – nun werden sie als Biozide im Einzelhandel verkauft. Gifte wie Imidacloprid, die seit zwei Jahren nicht mehr in der Landwirtschaft zugelassen sind, tauchen immer wieder als Rückstände in rheinland-pfälzischen Oberflächengewässern (Eintrag über Kläranlagen) auf (z. B. in Mendig). Hier wird vermutet, dass diese Rückstände aus der Anwendung zur Insektenbekämpfung im Haus- bzw. Gartenbereich resultieren. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Sind Verkäufe von in der Landwirtschaft nicht mehr in Pflanzenschutzmitteln zugelasse nen Wirkstoffen als Biozide schon öfter in Rheinland-Pfalz vorgekommen? 2. Wie beurteilt die Landesregierung den Verkauf von Bioziden mit Wirkstoffen, die nicht mehr in der Landwirtschaft zugelassen sind? 3. Wie hoch ist die Menge an verkauften Bioziden im Einzelhandel im Vergleich zu Pflanzen schutzmittelverkäufen in der Land- wirtschaft? 4. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um den Einsatz von Bioziden und Pflanzenschutzmitteln zu mindern und den Eintrag in die Gewässer zu reduzieren? Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landes - regierung mit Schreiben vom 21. Mai 2015 wie folgt beantwortet: Der großflächige Einsatz von Pestiziden (Pflanzenschutzmitteln und Bioziden) trägt maßgeblich zum Verlust von Biodiversität bei. Bereits im Jahr 2003 wurden in Deutschland Maßnahmen eingeführt, mit dem Ziel den Eintrag glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel in Oberflächengewässern zu reduzieren. Der Wirkstoff Glyphosat, der sowohl im landwirtschaftlichen wie auch im privaten Bereich zum Einsatz kommt, wurde innerhalb der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der jüngsten Vergangenheit als „wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen (Gruppe 2 A)“ eingestuft – nachdem Glyphosat bereits seit 41 Jahren als Herbizid auf dem Markt erhältlich ist. Angesichts dieser neuen Erkenntnis forderten erneut zahlreiche Akteure, zuletzt auch die Verbraucherschutzministerkonferenz, die Bundesregierung auf, die Abgabe von Glyphosat an Privatpersonen aus Gründen des vorsorgenden Verbraucherschutzes zu verbieten . Vor diesem Hintergrund begrüßt die Landesregierung, dass bereits eine bedeutende deutsche Handelsgruppe – einschließlich ihrer Baumärkte – erklärt hat, Produkte mit Glyphosat im Vorgriff auf eine gesetzliche Regelung aus dem Verkauf zu nehmen. Ein Umsteuern des Handels auf umweltverträglichere Alternativen zu den verbreiteten Pestiziden kann einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Freisetzung dieser Umweltgifte leisten und einen nachhaltig positiven Effekt auf die Biodiversität in Rheinland -Pfalz entwickeln. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 3. Juli 2015 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/5047 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Zu Frage 1: Pestizide unterliegen unterschiedlichen Rechtsvorschriften und sind differenziert zu betrachten, auch wenn einzelne Wirkstoffe in einem Pflanzenschutzmittel und in einem Biozid-Produkt verwendet werden können. Pflanzenschutzmittel und Biozid-Produkte unterscheiden sich im Anwendungsbereich, im Zulassungsverfahren und in den Anwendungsvorschriften. Vereinfacht gesagt wird die Anwendung in der landwirtschaftlichen Praxis im europäischen und nationalen Pflanzenschutzrecht geregelt, sonstige Anwendungen im Biozidrecht. Für den Verkauf eines Biozidprodukts ist es daher allein entscheidend, ob es als solches nach dem Biozidrecht zugelassen ist, für den Vertrieb eines Pflanzenschutzmittels gilt entsprechend nur das Pflanzenschutzrecht. Der Landesregierung sind in der Vergangenheit keine konkreten Fälle von Auffälligkeiten bei Verkäufen bekannt geworden. Aufgrund der derzeitigen Rechtslage (siehe Antwort zu Frage 2) können unterschiedliche Zulassungssituationen in beiden Rechtsgebieten allerdings nicht ausgeschlossen werden. Zu Frage 2: Pestizide stellen bei unsachgemäßer Anwendung ein großes Risiko für Mensch und Umwelt dar. Ein Einsatz dieser Produkte sollte mit allergrößter Sorgfalt, nur nach Beratung und nur in notwendigen Fällen mit möglichst geringen Mengen vorgenommen werden. Ein besonders beworbenes Angebot im Einzelhandel, das mit geringen Preisen für große Mengen eines solchen Produkts wirbt, kann dazu führen, dass ein unsachgemäßer Umgang mit dem Produkt erfolgt. Die Folge einer unsachgemäßen Anwendung, beispielsweise in zu großen Mengen, kann zu einem umweltschädlichen und unter Umständen gesundheitsgefährdenden Eintrag in die Umwelt führen. Wie oben bereits angeführt, ist ein übermäßiger Einsatz dieser Produkte maßgeblich mitverantwortlich für den Verlust von Biodiversität. Das Land unternimmt große Anstrengungen zur Stärkung der Biodiversität in Rheinland-Pfalz, beispielsweise mit der Eröffnung des Nationalparks Hunsrück-Hochwald und Regelungen zum Erhalt des artenreichen Grünlands. Angesichts dieses Engagements werden Werbe-/Rabattaktionen, die zu einem unsachgemäßen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln führen und damit eine negative Auswirkung auf die rheinland-pfälzische Biodiversität haben können, grundsätzlich als kritisch bewertet. Wenn der Einzelhandel die Gefahren für Mensch und Umwelt durch einen unkontrollierten Einsatz der Mittel wahrnimmt und aus Eigeninitiative heraus den – legalen – Verkauf stoppt, ist dies aus umwelt- und verbraucherpolitischer Sicht zu begrüßen. Eine Ausweitung der Initiative auf weitere potenziell gesundheits- und umweltschädliche Produkte und weitere Einzelhändler wäre wünschenswert. Um die Anwendung von in der Landwirtschaft verbotenen umwelt- und/oder gesundheitsschädlichen Produkten im Privatbereich zu verhindern, ist jedoch ein im Bundesrecht geregeltes Verbot des Verkaufs dieser Produkte an nicht sachkundige Privatpersonen für den Haus- und Gartenbereich unerlässlich. Denn grundsätzlich bedürfen sowohl Pflanzenschutzmittel als auch Biozidprodukte der Zulassung, bei der auch die Umweltverträglichkeit geprüft wird. Zulassungen erfolgen auf europäischer oder nationaler Ebene, nicht hingegen auf Landesebene. Entscheidend für die Zuordnung zum jeweiligen Rechtsgebiet sind der Anwendungsbereich und das zu schützende Gut. Es gibt eine Vielzahl von Wirkstoffen, die eine Zulassung für beide Rechtsbereiche haben und teils sogar auf den gleichen Zielorganismus wirken. Beispielsweise wurde das systemische Insektizid Imidacloprid sowohl in Pflanzenschutzmitteln als auch als Biozid der Produktart 18 (Insektizid) zugelassen und darf damit auch für diesen Zweck verkauft und angewendet werden. In jedem Fall ist dafür Sorge zu tragen, dass Auslobung und Anwendung sachgemäß und zweckgebunden erfolgen. Dies wird im Biozidrecht in der Gefahrstoffverordnung bzw. der Biozidverordnung sowohl für den gewerblichen als auch für den privaten Bereich geregelt. Für Pflanzenschutzmittelanwendungen gelten das Pflanzenschutzgesetz, die darauf basierenden Verordnungen (Pflanzenschutz-Sachkunde-VO, Pflanzenschutzgeräte-VO, Pflanzenschutzmittel-VO etc.) und erteilte Anwendungsauflagen. Sofern ein Wirkstoff wie Imidacloprid wegen neuer Erkenntnisse, z. B. über seine Umweltauswirkungen, nicht mehr für den Einsatz als Pflanzenschutzmittel zugelassen ist, sollte aus diesem Anlass auch die biozidrechtliche Zulassung überprüft werden. Einen Automatismus zur Aufhebung der Biozidzulassung gibt es nicht. Wegen der unterschiedlichen Anwendungsarten und -mengen sowie der unterschiedlichen Schutzziele ist es denkbar, dass eine Verwendung als Biozidprodukt im Einzelfall weiterhin vertretbar ist. Viele Biozidwirkstoffe waren auch nie Bestandteile von Pflanzenschutzmitteln. Andere Wirkstoffe dürfen nur als Pflanzenschutzmittel an Landwirte abgegeben werden, aber nicht an Privatpersonen. Zu Frage 3: Zu den in Rheinland-Pfalz verkauften Mengen von Biozidprodukten und Pflanzenschutzmitteln liegen der Landesregierung keine Daten vor. Es gibt lediglich eine nationale Übersicht bei den Pflanzenschutzmitteln über Inlandsabsatz und Ausfuhr von Pflanzenschutzmitteln und Wirkstoffen, die durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit jährlich herausgegeben wird. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5047 Zu Frage 4: Die Landesregierung verfolgt das Ziel den Eintrag von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden in Gewässer zu reduzieren und so die Belastung der Umwelt zu minimieren. Dazu muss einerseits der Einsatz umweltschädlicher Pflanzenschutzmittel und Biozide sachkundig und so fachgerecht wie möglich vorgenommen werden. Andererseits muss der Einsatz der Mittel insgesamt auf umweltverträglichere Alternativen umgestellt werden und dort, wo alternativen nicht zur Verfügung stehen, auf ein notwendiges Minimum reduziert werden. Um diese Ziele flächendeckend zu erreichen, zielen die Aktivitäten der Landesregierung auf die Anwendung der Mittel sowohl in der Landwirtschaft als auch im Haus- und Gartenbereich ab. Im Bereich der Privatanwender in Haus und Garten setzt die Landesregierung vor Ort auf Beratung. „Pflanzendoktoren“ von der Gartenakademie RLP beraten bei vielen Terminen und auf Anfrage Privatanwender und stehen mit Rat und Tat zur Seite. So zum Beispiel auch auf der Landesgartenschau, wo beim Beitrag der Gartenakademie auch Alternativen zu Herbiziden zur Unkrautbekämpfung vorgestellt werden. Hier können Interessierte an den Wochenenden auch direkt mit den Beratern ins Gespräch kommen. Im Bereich der landwirtschaftlichen Anwendung ist die Bundesregierung einer Forderung der Landesregierung gefolgt und hat einen verpflichtenden Sachkundenachweis eingeführt. Diese Sachkunde ist an eine Weiterbildung im Dreijahresrhythmus gekoppelt. So stellt die Landesregierung sicher, dass die Anwender der Mittel, die diese im großen Maß anwenden, auch auf dem neusten Stand der Pflanzenschutz-Technik bleiben und über neue Anforderungen und umweltverträgliche Alternativen informiert werden können. Zusätzlich zur langfristigen Sicherstellung der individuellen Sachkunde, hat die Landesregierung die Beratungskapazitäten für landwirtschaftliche Betriebe bei den Dienstzentren Ländlicher Raum (DLR) ausgeweitet. Ein Großteil der Beratungsaktivitäten des Pflanzenschutzdienstes an den DLR in Landwirtschaft, Gartenbau und Weinbau ist auf die Minimierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes und die vorrangige Anwendung vorbeugender und biologischer Pflanzenschutzverfahren gerichtet. Der Schutz der Gewässer hat in der Pflanzenschutzberatung höchste Priorität. Am DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück wurde ein Kompetenzzentrum zum Schutz der rheinland-pfälzischen Gewässer vor Stoffeinträgen aus der Landwirtschaft eingerichtet, welches die Beratungsaktivitäten in Abstimmung mit der Wasserwirtschaft, den Wasserversorgern und den landwirtschaftlichen Verbänden koordiniert. Das Land Rheinland-Pfalz führt in enger Kooperation zwischen den DLR und dem Landesamt für Umweltschutz, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht spezielle, auf die Minimierung von Pflanzenschutzmitteleinträgen in Oberflächen- und Grundwasserkörper abzielende Projekte durch. So werden z. B. Untersuchungen zur Gestaltung und Wirkung von Reinigungsplätzen für Pflanzenschutzgeräte und regionale Beratungsprojekte („Leuchtturm-Projekte“) durchgeführt, die bereits erste Erfolge gezeigt haben. Indirekt wirken sich auch die Anstrengungen der Landesregierung zur Stärkung des Ökolandbaus aus, zum Beispiel durch die Förderung des Ökolandbaus im EULLE-Programm. Durch das Engagement des Landes und der Landwirte wird mittlerweile 7,7 Prozent der Ackerfläche in Rheinland-Pfalz ökologisch, ohne den Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel bewirtschaftet. Das entspricht einer Steigerung um 43 Prozent in den letzten fünf Jahren. Die zuständigen Landesbehörden nehmen den gesetzlichen Auftrag zur Überwachung der Einhaltung der geltenden Vorschriften wahr. Für die Überwachung der Einhaltung der Biozid-Verordnung sind in Rheinland-Pfalz die Struktur- und Genehmigungsdirektionen zuständig. Die dortige Gewerbeaufsicht führt regelmäßig Routineinspektionen auf dem Gebiet der Chemikaliensicherheit durch. Neben Betriebsinspektionen ist eine wichtige Kontrollmöglichkeit auf diesem Gebiet die stoffliche Marktüberwachung , die die Verkehrsfähigkeit u. a. von Biozidprodukten überprüft. Darüber hinaus wird das Inverkehrbringen von Biozidprodukten im Internet überwacht. Zusätzlich wurden in Rheinland-Pfalz regionale Überwachungsprojekte (Programmarbeiten) zu Bioziden durchgeführt. Die Einhaltung des Pflanzenschutzrechts in Rheinland-Pfalz wird von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) überwacht . Die ADD führt Kontrollen zum Inverkehrbringen (Einfuhr, Handel, Lagerung etc.) von Pflanzenschutzmitteln, zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, zur Gerätetechnik für die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln und zur erforderlichen Sachkunde der beruflichen Anwender von Pflanzenschutzmitteln durch. Neben diesen Aktivitäten vor Ort im Land engagiert sich die Landesregierung auf Bundesebene – wie oben bereits ausgeführt – an zahlreichen Stellen für einen an gesundheits- und umweltverträglichen Einsatz von Pestiziden und dafür, dass Zulassungen für besonders umweltschädliche Stoffe nicht erteilt bzw. zurückgenommen werden. So wurden schon Aussetzungen der Zulassungen von neonicotinoiden Wirkstoffen (Insektizide) und der Ersatz des herbiziden Wirkstoffs Linuron erreicht. Diesen Einsatz spiegeln auch eindeutige Beschlüsse im Bundesrat (2013), auf der Umweltministerkonferenz (2014) sowie zuletzt auf der Verbraucherschutzministerkonferenz (Mai 2015) wider. In den Beschlüssen wurde unter anderem ein Verbot des Verkaufs von Breitband-Herbiziden , im speziellen Glyphosat, an Privatpersonen gefordert. Auch wird in den Beschlüssen geäußert, dass die Wirtschaftsbeteiligten aufgefordert werden sollen, ihr Breitband-Herbizid-Angebot auf umweltverträglichere Alternativen umzustellen. Aktuell wird das Thema auf der Umweltministerkonferenz vom 21. bis 22. Mai diskutiert. Ulrike Höfken Staatsministerin 3