Drucksache 16/5078 26. 05. 2015 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Marcel Hürter, Thorsten Wehner und Bernhard Kukatzki (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Entwicklung Prozessschutzflächen im Staatswald Die Kleine Anfrage 3347 vom 30. April 2015 hat folgenden Wortlaut: Nach der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt sollen 10 % der Staatswaldflächen in Deutschland aus der Nutzung genommen und zu Prozessschutzflächen entwickelt werden. Auch in Rheinland-Pfalz wurden in den vergangenen Jahren Waldflächen aus der Nutzung genommen und als Prozessschutzflächen entwickelt. Ein bedeutender Beitrag hierzu resultiert aus der Ausweisung des Nationalparks Hunsrück-Hochwald. Zuletzt wurde angekündigt, Flächen aus dem Rheinauwald zukünftig aus der Nutzung zu nehmen. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Welcher Anteil der Staatswaldfläche ist inzwischen aus der Nutzung genommen? 2. Welche Anteile der Staatswaldflächen sollen zukünftig aus der Nutzung genommen werden? 3. Welche Effekte ergeben sich aus den beabsichtigten Maßnahmen? 4. Wie verteilen sich die Anteile aus den Fragen 1 und 2 auf einzelne Regionen und Schutzgebietskategorien? 5. Wie wirkt sich der Nutzungsverzicht auf die Holzwirtschaft in Rheinland-Pfalz aus? Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landes - regierung mit Schreiben vom 26. Mai 2015 wie folgt beantwortet: Der alarmierende Rückgang der biologischen Vielfalt der letzten Jahrzehnte führt zum Verlust von Arten, Genen und Lebensräumen der natürlichen Umwelt. Damit wird die Lebensgrundlage der Menschheit bedroht. 1992 wurde aus diesem Grund auf der Konferenz der vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) beschlossen. Mit der vom Bundeskabinett im Jahr 2007 beschlossenen Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt erfüllt Deutschland Artikel 6 der CBD. Besonders hervorgehoben wird in der Strategie unter Punkt B2.2 die Vorbildfunktion des Staats. Wörtlich heißt es dort: „Wir streben folgendes an: … natürliche Entwicklung auf 10 % der Waldfläche der öffentlichen Hand.“ Die Bedeutung des Erhalts von Lebensraum- und Artenvielfalt wird auch in der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz betont und ist in Artikel 69 als gemeinschaftliche Aufgabe festgeschrieben: „Der Schutz von Natur und Umwelt als Grundlage gegenwärtigen und künftigen Lebens ist Pflicht des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie aller Menschen.“ Mit der Ausweisung von holznutzungsfreien Wäldern folgt die Landesregierung diesem Handlungsauftrag und trägt in RheinlandPfalz zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt bei. Dabei wird die Vorbildfunktion des Staats betont. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 3. Juli 2015 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/5078 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Dies vorrausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Zu den Fragen 1, 2 und 4: Die Flächen lassen sich zwei Kategorien zuordnen: 1. Bereits planmäßig, verbindlich, dauerhaft und nachvollziehbar dokumentierte Flächen einer natürlichen Waldentwicklung (NWE)*) 2. Potenzielle Flächen einer natürlichen Waldentwicklung (NWE) Im Rahmen der Kernzonenerweiterung werden aller Voraussicht nach auch kommunale Waldflächen der Kernzone zugeordnet werden. Der Anteil staatlicher Flächen wird sich daher leicht reduzieren. 2 *) Erfasst sind auch Flächen, auf denen während einer eindeutig begrenzten Übergangszeit noch standortfremde Baumarten entnommen und ggf. standortheimische Baumarten eingebracht werden (Nationalpark, rezente Aue). Naturwaldreservate (NWR), verteilt im Staatswald aktuell 2 021 ha Kernzonen im Pfälzerwald aktuell 3 514 ha davon NWR 596 ha NWE netto 2 918 ha Naturwaldfläche Naturschutzgroßprojekt Bienwald Gesamtfläche 1 680 ha davon NWR 137 ha NWE netto 1 543 ha Waldrefugien BAT-Konzept, verteilt im Staatswald aktuell 2 274 ha Nationalpark Hunsrück-Hochwald Gesamtfläche RLP 9 260 ha Zone 1a 2 130 ha Zone 1b 4 815 ha Zone 1a+1b (gesamt) 6 945 ha davon NWR 118 ha NWE netto 6 827 ha Rezente Aue Forstamt Pfälzer Rheinauen aktuell bereits NWE 267 ha verbindlich vereinbart 940 ha davon NWR 19 ha NWE netto 921 ha Gesamtfläche Staatswald RLP (Waldfläche Staat nach BWI3) 214 926 ha Fläche NWE im Staatswald 16 504 ha (= ca. 7,7 %) Kernzonenerweiterung Pfälzerwald soweit ausschließlich im Staatswald realisiert 1 495 ha Gesamtfläche Staatswald RLP (Waldfläche Staat nach BWI3) 214 926 ha Fläche NWE im Staatswald und potenzielle Flächen NWE 16 504 ha + 1 495 ha 17 999 ha (= ca. 8,4 %) Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5078 Mit der bereits erfolgten und noch geplanten Ausweisung von holznutzungsfreien Wäldern entsprechend der zwei Kategorien kommt die Landesregierung dem Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, 10 % der Waldfläche der öffentlichen Hand einer natürlichen Entwicklung zu überlassen, ein bedeutendes Stück näher. Zu Frage 3: Fast 80 % der Natura 2000-Flächen liegen im Wald, rund 43 % des Staatswalds fallen unter diese Schutzkategorie. Das belegt die hohe naturschutzfachliche Wertigkeit der rheinland-pfälzischen Wälder sowie die besondere Verantwortung, die das Land für diese Naturausstattung übernimmt. Das Land kommt damit auch der Verpflichtung aus dem Landeswaldgesetz nach, in § 25 ist dort festgelegt: „(2) Die Ziele und Verfahren der naturnahen Waldbewirtschaftung einschließlich einer in dieser Hinsicht vorbildlichen Wildbewirtschaftung sind zu verwirklichen. Vorrangig im Staatswald sind Flächen für Biotopschutzwald und Naturwaldreservate auszuweisen.“ Durch das große Engagement der Landesregierung bei der Verwirklichung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe können die kommunalen und privaten Waldbesitzer deutlich entlastet werden. Holznutzungsfreie Wälder ermöglichen die freie Entwicklung natürlicher Abläufe auf der betreffenden Fläche. Sie liefern damit wichtige Beiträge zur Biodiversität. Das Entstehen natürlicher Altersphasen wird ermöglicht, die im bewirtschafteten Wald nur in geringerer Flächenausprägung zu finden sind. Gerade Bereiche wie der Nationalpark liefern als zusammenhängendes Freilandlabor wichtige Erkenntnisse, wie sich unbehandelte Wälder zukünftig entwickeln. Ein wirkungsvoller Schutz der Biodiversität stützt sich sowohl auf größere, zusammenhängende Kerngebiete als auch auf Wanderkorridore und Trittsteinbiotope. Dabei sind großflächige holznutzungsfreie Wälder wie der Nationalpark, die Kernzone des Biosphä renreservats Pfälzerwald oder auch die rezente Aue wichtige Rückzugsräume spezialisierter Arten. Die Elemente des BATKonzepts verbinden als Trittsteine diese großflächigen Wälder und erfüllen in besonderer Weise naturschutzfachliche Aufgaben auch im Wirtschaftswald. Zu Frage 5: Die im Staatswald angestrebten holznutzungsfreien Wälder sind zu überdurchschnittlich hohem Anteilen mit Laubbäumen bestockt , nach überschlägiger Schätzung mit mindestens 80 %. Mit alten Bäumen bestockte Prozessschutzflächen, wie z. B. Waldrefugien, weisen einen geringeren Stamm- und Industrieholzanteil auf als dies im Durchschnitt der Bestockung der Fall ist. Der tatsächliche Nutzungsverzicht auf diesen Flächen fällt daher gering aus. Nennenswerte, jetzt noch mit Nadelbäumen (NLP) oder mit Pappeln (Auwälder) bestockte Flächen werden in den nächsten 30 Jahren im Rahmen des Waldumbaus hin zu naturnahen Wäldern entwickelt. Das dabei anfallende Holz wird der Industrie bereitgestellt . Wie aus der Antwort auf die Kleine Anfrage 1172 (Drucksache 16/1803) hervorgeht, speisen beispielsweise die Sägewerke im Raum Morbach lediglich circa 1,5 % ihrer Gesamtverarbeitung mit Holz aus dem Nationalpark (Stand 2012). Vor diesem Hintergrund sind für die Sägeindustrie in den nächsten 30 Jahren keine signifikanten Auswirkungen aufgrund der Ausweisung holznutzungsfreier Wälder zu erwarten. Gravierender dürfte vielmehr ins Gewicht fallen, dass durch die Zwangsnutzungen , insbesondere von Fichtenwaldorten infolge von – häufig klimawandelbedingten – Kalamitäten, ein auch durch die jüngste BWI nachgewiesener Vorratsabbau bei dieser Baumart stattgefunden hat. Ergänzend sei erwähnt, dass zwischenzeitlich für den Staatswald ein Konzept zur vermehrten Etablierung von Nadelbäumen in ertragsschwachen Buchen- und Kiefernwaldorten auf den Weg gebracht worden ist. Damit soll ein weiterer Beitrag zur Sicherung der von der rheinland-pfälzischen Sägeindustrie benötigten Nadelhölzer aus heimischen Wäldern geleistet werden. Darüber hinaus unterstützt das Land Rheinland-Pfalz durch verschiedene Fördermaßnahmen die Mobilisierung von Holz aus dem Nichtstaatswald. Die Forstbetriebsgemeinschaften (Waldbauvereine) und deren Holzvermarktungsgesellschaften werden im Rahmen von Pilotprojekten unterstützt. Für den Aufbau eigener Vermarktungs organisationen und zur Mobilisierung von Holz aus dem Privatwald werden über einen Zeitraum von zehn Jahren Fördermittel gewährt. In der kommenden Förderperiode bis 2020 erhalten die Waldbauvereine für die Aktivierung und Information ihrer Mitglieder zusätzliche Unterstützung. Vorgesehen ist u. a. auch die Förderung der Waldbauvereine beim Abschluss von Waldpflegeverträgen mit Privatwaldbesitzern im Rahmen von Pilotprojekten. Wegebaumaßnahmen zur Verbesserung der forstlichen Infrastruktur werden im Rahmen von Waldflurbereinigungs - verfahren gefördert. Das Land wird weiterhin an der bisherigen Unterstützung des Privat- und Kommunalwalds festhalten. Dies erfolgt im Rahmen der bestehenden Organisation unseres Gemeinschaftsforstamts, welches die Beratung und Betreuung des Privatwalds und die Bewirtschaftung des Kommunalwalds anbietet. Das Gemeinschaftsforstamt trägt dazu bei, dass eine ordnungsgemäße und nachhaltige Waldbewirtschaftung über alle Waldbesitzarten sichergestellt wird. Ulrike Höfken Staatsministerin 3