Drucksache 16/5235 01. 07. 2015 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Matthias Lammert (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – Teil 1 Die Kleine Anfrage 3442 vom 8. Juni 2015 hat folgenden Wortlaut: Nach § 4 Satz 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU) haben nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizüG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU kann unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 nur aus Gründen der öffent lichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 45 Abs. 3, Artikel 52 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeits- oder Gesund heit (Artikel 45 Abs. 3, Artikel 52 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt und die Beschei ni gung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie wird sichergestellt, dass alle nicht erwerbstätigen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen? Liegt hier ein Vollzugsdefizit vor? 2. In wie vielen Fällen verfügten nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel (bitte aufgegliedert nach Staatsangehörigkeiten und nach den Jahren 2012, 2013 und 2014)? 3. Was für aufenthaltsrechtliche Konsequenzen hat es für Unionsbürger, wenn sie nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen? 4. In wie vielen Fällen kam es zum Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt von Unionsbürgern (bitte aufgegliedert nach Staatsangehörigkeiten und nach den Jahren 2012, 2013 und 2014)? 5. In wie vielen Fällen kam es zu einem Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (bitte aufgegliedert nach Staatsangehörigkeiten und nach den Jahren 2012, 2013 und 2014)? Das Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 1. Juli 2015 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt, wobei sich das Freizügigkeitsrecht bereits originär aus dem primären Gemeinschaftsrecht (Artikel 18 Abs. 1 EG-Vertrag) ergibt. Daher ist bei diesem Personenkreis zunächst grundsätzlich vom Bestehen der Voraussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nach Maßgabe des die unionsrechtlichen Bestimmungen umsetzenden Freizügigkeitsgesetzes/EU auszugehen. Zwar setzt das Freizügigkeitsrecht nicht erwerbstätiger Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen das Vorliegen ausreichenden Krankenversicherungsschutzes und ausreichender Existenzmittel voraus, diese Voraussetzungen und Beschränkungsmöglichkeiten des Unionsrechts greifen jedoch nicht automatisch, sondern bestehen nur als Eingriffsoptionen. So ist durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 30. Juli 2015 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/5235 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode dass trotz des Vorbehalts der sozialen Absicherung das Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers nicht einfach erlischt, wenn er seinen Lebensunterhalt nicht mehr aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Vielmehr ist die zuständige Behörde unter solchen Umständen lediglich berechtigt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu erlassen. Die Ausländerbehörde kann innerhalb der ersten fünf Jahre des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Einzelfall (nur) aus besonderem Anlass prüfen, ob die Voraussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts vorliegen. Ein besonderer Anlass liegt insbesondere dann vor, wenn nichterwerbstätige Unionsbürger oder deren Familienangehörige Leistungen nach SGB II oder SGB XII in Anspruch nehmen wollen oder hinreichende und begründete Anhaltspunkte bestehen, dass begünstigte Unionsbürger über freizügigkeitsrechtlich relevante Umstände getäuscht haben. Systematische oder anlasslose Prüfungen der Freizügigkeitsvoraussetzungen sind den Ausländerbehörden in diesem Zusammenhang nicht gestattet. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass arbeitssuchende Unionsbürger vom Personenkreis der Nichterwerbstätigen zu unterscheiden sind. Nichterwerbstätige Unionsbürger wollen sich nicht als Arbeitnehmer oder zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. als Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen in Deutschland aufhalten (z. B. Rentner, Studenten oder wirtschaftlich gesicherte Unionsbürger, die in Deutschland von ihrem Vermögen leben ohne zu arbeiten). Nur das Freizügigkeitsrecht als Nichterwerbstätiger setzt das Vorhandensein ausreichenden Krankenversicherungsschutzes bzw. ausreichender Existenzmittel voraus. Von arbeitssuchenden Unionsbürgern darf dies nicht verlangt werden. Diese Personen dürfen sich mindestens sechs Monate zum Suchen einer Arbeitsstelle im Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus, wenn sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und die begründete Aussicht besteht, eingestellt zu werden. Anzeichen für das Vorliegen eines Vollzugsdefizits bei der Umsetzung der unionsrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit nicht erwerbstätigen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen sind nicht erkennbar. Zu Frage 2: Der Landesregierung liegen hierzu keine Zahlen vor. Zu Frage 3: Wie zu Frage 1 bereits erläutert, können die Ausländerbehörden nur anlassbezogen das Vorliegen der Freizügigkeitsvoraussetzungen von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen prüfen. Wird den Ausländerbehörden das Fehlen ausreichenden Kranken - versicherungsschutzes bzw. ausreichender Existenzmittel und der damit verbundene Sozialleistungsbezug von nicht erwerbstätigen Unionsbürgern bekannt, prüfen sie im Rahmen einer Ermessensentscheidung die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts und der damit einhergehenden Ausreisepflicht. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII darf hierbei nicht automatisch zur Verlustfeststellung führen. Trifft die Ausländerbehörde die Feststellung, dass die Freizügigkeitsvoraussetzungen nicht (mehr) bestehen, ergeht ein entsprechen - der Bescheid, in dem die Abschiebung angedroht und eine mindestens einmonatige Ausreisefrist gesetzt wird. Mit wirksamer Bekanntgabe dieses Bescheids entsteht die Ausreisepflicht des Unionsbürgers und gegebenenfalls seiner Familienangehörigen. Wird von den Betroffenen ein Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gestellt, darf eine Abschiebung im Fall der nicht fristgerechten Ausreise nicht erfolgen, bevor über den Antrag entschieden wurde. Durch die am 2. Dezember 2014 erfolgten Änderungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU wird es den Ausländerbehörden im Zusammen - hang mit einer Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ermöglicht, eine Rückkehr der Betroffenen ins Bundesgebiet befristet zu untersagen. Ein solches Wiedereinreiseverbot soll in der Regel verhängt werden, wenn dies aufgrund der besonderen Art und Schwere des Rechtsmissbrauchs gerechtfertigt ist, insbesondere im Fall eines wiederholten Vortäuschens des Vorliegens der Voraussetzungen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gegenüber der Ausländerbehörde oder einer anderen Behörde. Die entscheidende Behörde ist verpflichtet, über die Länge der Frist, die fünf Jahre nicht überschreiten darf, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls von Amts wegen nach Ermessen zu entscheiden . Zu Frage 4: Die Zahl der für Rheinland-Pfalz erfassten Feststellungen des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt von EU-Staatsangehörigen gemäß § 5 Abs. 4 oder 6 Abs. 1 FreizügG/EU ergibt sich aus der nachfolgenden Statistik. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5235 Quelle: Ausländerzentralregister. Zu Frage 5: Die Strafverfolgungsstatistik für Rheinland-Pfalz weist für das Jahr 2012 eine Verurteilung eines französischen Staatsangehörigen nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) aus. Für das Jahr 2013 weist die Statistik für Rheinland-Pfalz keine Verurteilung nach dem FreizügG/EU für Unionsbürger aus. Für das Jahr 2014 liegt die Statistik für Rheinland -Pfalz noch nicht vor. Irene Alt Staatsministerin 3 Staatsangehörigkeit 2012 2013 2014 Summe Bulgarien 9 6 5 20 Frankreich 2 2 Griechenland 2 3 5 Großbritannien mit Nordirland 1 1 Italien 5 1 6 Litauen 3 2 5 Niederlande 3 5 2 10 Österreich 2 1 3 Polen 18 5 3 26 Rumänien 13 12 10 35 Schweden 1 1 Slowakische Republik 1 2 3 Slowenien 1 1 Spanien 1 1 Ungarn 3 3 6 Summe 55 32 38 125