Drucksache 16/5291 15. 07. 2015 K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Matthias Lammert (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Adhäsionsverfahren in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 3487 vom 25. Juni 2015 hat folgenden Wortlaut: Grundsätzlich ist der Täter verpflichtet, dem Opfer den durch die Tat verursachten Schaden zu ersetzen und unter Umständen auch Schmerzensgeld zu zahlen. Die Durchsetzung dieser Ansprüche erfolgt in aller Regel auf dem Zivilrechtsweg. Nach den Regelungen der §§ 403 bis 406 c der Strafprozessordnung (StPO) ist eine Geltendmachung aber auch im Rahmen des Strafverfahrens im sogenannten Adhäsionsverfahren vor dem Strafgericht möglich. Dies gilt unabhängig davon, ob das Strafverfahren vor dem Amtsgericht oder Landgericht stattfindet. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie viele Anträge im Rahmen eines Strafverfahrens im sogenannten Adhäsionsverfahren wurden vor den Strafgerichten in Rheinland -Pfalz gestellt bzw. wurden entsprochen (bitte aufgegliedert nach den Jahren 2012, 2013 und 2014)? 2. In wie vielen Fällen wurde den Anträgen im Rahmen des Strafverfahrens im sogenannten Adhäsionsverfahren vor dem Strafgericht nicht entsprochen (bitte aufgegliedert nach den Jahren 2012, 2013 und 2014)? 3. Werden die Bürger, die Opfer einer Straftat geworden sind bei der Anzeigeaufnahme bei der Polizei auf die Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens hingewiesen? Wenn nein, warum nicht? 4. Stellt Rheinland-Pfalz einen Musterantrag bei Gericht für das Adhäsionsverfahren zur Verfügung, wo die Bürger ihren Anspruch bei Gericht einfach und schnell geltend machen können, ähnlich wie das Land Hessen verfährt? Wenn nein, warum nicht? 5. Macht die Landesverwaltung von der Möglichkeit Gebrauch im Rahmen des Adhäsionsverfahrens ihre Ansprüche gegen ihre eigenen Schädiger geltend zu machen? Wenn nein, warum nicht? 6. Plant die Landesregierung die Erweiterung der Nebenklagemöglichkeit im Jugendstrafverfahren bei schweren Vergehen und schwerwiegenden Verletzungsfolgen auf Seiten des Opfers im Rahmen einer Bundesratsinitiative zu ermöglichen? Wenn nein, warum nicht? 7. In wie vielen Fällen wurde von der Möglichkeit der Geheimhaltung von Personalien nach § 68 StPO Gebrauch gemacht (bitte aufgegliedert nach den Jahren 2012, 2013 und 2014)? Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 15. Juli 2015 wie folgt beantwortet: Zu den Fragen 1 und 2: Anträge auf Durchführung eines Adhäsionsverfahrens sowie Angaben darüber, wie vielen dieser Anträge entsprochen bzw. nicht entsprochen wurde, werden statistisch nicht erhoben. Es liegen lediglich die Daten vor, die gemäß der Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in Straf- und Bußgeldsachen vom Statistischen Landesamt Rheinland-Pfalz zusammengestellt werden. Die Statistik enthält nur Angaben über die Anzahl der Urteile sowie die gerichtlich protokollierten Vergleiche in Adhäsionsverfahren , die der nachstehenden Übersicht entnommen werden können: Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 19. August 2015 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/5291 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Amtsgerichte Landgerichte Oberlandesgerichte Zu Frage 3: § 406 h der Strafprozessordnung (StPO) regelt, dass Verletzte möglichst frühzeitig, regelmäßig schriftlich und soweit möglich in einer ihnen verständlichen Sprache auf Opferrechte und Hilfeeinrichtungen hinzuweisen sind. Hierzu gehört auch der Hinweis auf das Adhäsionsverfahren, auf welches im bundesweit einheitlichen Merkblatt über Rechte der Verletzten und Geschädigten im Strafverfahren , dem sogenannten Opfermerkblatt, hingewiesen wird. Gemäß der Rahmenkonzeption Polizeilicher Opferschutz händigen die Polizeibeamtinnen und -beamten das Opfermerkblatt den Opferzeuginnen und -zeugen bei Anzeigenaufnahme aus und stehen für Fragen zur Verfügung. Die Polizei Rheinland-Pfalz hält das Opfermerkblatt in Deutsch und in 25 Fremdsprachen vor. Zu Frage 4: Die Landesregierung ist sich der Vorteile, die die Durchführung eines Adhäsionsverfahrens für die Geschädigten einer Straftat haben kann, bewusst. Da das Adhäsionsverfahren in der Praxis des Strafverfahrens in Rheinland-Pfalz ebenso wie in den übrigen Bundesländern eine eher geringe Bedeutung spielt, beschäftigt sie sich regelmäßig mit der Frage, wie der praktische Anwendungsbereich weiter ausgedehnt werden kann. Die Zurverfügungstellung eines Musterantrags wird dabei als ein möglicher Baustein zur Stärkung des Adhäsionsverfahrens in der Praxis diskutiert. Rheinland-Pfalz hat jedoch bislang davon abgesehen, landeseigene Antragsformulare zu konzipieren. Im Jahr 2012 hat eine Arbeitsgruppe des Strafrechtsausschusses der Justizministerkonferenz zur „Intensivierung der Opferhilfe“ unter Beteiligung von Rheinland -Pfalz empfohlen, bundeseinheitliche Antragsformulare zu erarbeiten. Die unterschiedlichen praktischen Erfahrungen der Länder , die bereits solche Antragsvordrucke zur Verfügung stellen, vor allem mit der Akzeptanz der Formulare durch die Gerichte, verdeutlichen, dass es vorzugswürdig ist, ein solches Formular bundeseinheitlich zu entwerfen. Zu Frage 5: Die Frage kann nicht allgemeingültig für die gesamte Landesverwaltung beantwortet werden, da insoweit keine zentrale Zuständig - keit besteht. Soweit dies festgestellt werden konnte, wird in den Geschäftsbereichen der verschiedenen Ressorts der Landesregierung allenfalls im Einzelfall von der Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens Gebrauch gemacht. Maßgeblich für die Entscheidung im Einzelfall ist, ob das Adhäsionsverfahren überhaupt zulässig und verfahrensökonomisch sowie wirtschaftlich die kostengünstigste Lösung ist. 2 2014 2013 2012 Urteile in Adhäsionsverfahren 42 28 19 davon Endurteile 37 25 15 Grundurteile 5 3 4 gerichtlich protokollierte Vergleiche 19 32 38 2014 2013 2012 Urteile in Adhäsionsverfahren 8 6 15 davon Endurteile 6 5 15 Grundurteile 2 1 0 gerichtlich protokollierte Vergleiche 6 10 9 2014 2013 2012 Urteile in Adhäsionsverfahren 0 0 0 davon Endurteile 0 0 0 Grundurteile 0 0 0 gerichtlich protokollierte Vergleiche 0 0 0 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5291 Dabei ist zu bedenken, dass ein Antragsrecht des Landes nach § 403 StPO nur dann besteht, wenn das Land selbst Verletzter der Straftat ist, z. B. bei der vorsätzlichen Beschädigung von Eigentum des Landes, wie einem Gebäude oder Fahrzeug. In diesen Fällen kommt es aber im Strafverfahren häufig nicht zur Durchführung einer Hauptverhandlung, die Voraussetzung für die Durchführung eines Adhäsionsverfahrens ist. Grund hierfür kann z. B. sein, dass die Staatsanwaltschaft keine Anklage erhoben, sondern das Verfahren durch Beantragung eines Strafbefehls erledigt oder das Ermittlungsverfahren eingestellt hat. Das kann u. a. dann der Fall sein, wenn der Täter nicht ermittelt wurde oder aus sonstigen Gründen kein hinreichender Tatverdacht bestanden hat. Neben der Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO kann Grund auch eine Einstellung des Verfahrens nach den Opportunitätsvorschriften der §§ 153 ff. StPO z. B. gegen Zahlung einer Geldauflage sein. In den wenigen Fällen, in denen es zur Durchführung einer Hauptverhandlung wegen einer Straftat zum Nachteil des Landes kommt, wird nicht selten aus prozessökonomischen Gründen von der Durchführung eines Adhäsionsverfahrens abgesehen, etwa wenn die Schadenshöhe zum Zeitpunkt der Durchführung eines Strafverfahrens noch nicht hinreichend tragfähig beziffert werden kann oder die Durchführung eines Mahnverfahrens geeigneter erscheint, um zeitnah einen Vollstreckungstitel zu erlangen. Werden Landesbeamtinnen oder -beamte körperlich verletzt, gesundheitlich geschädigt etc., gehen etwaige Schadensersatzansprüche zwar auf den Dienstherrn über. Für die Prüfung und Geltendmachung dieser Regressforderungen des Landes nach § 72 Landesbeamtengesetz ist in Rheinland-Pfalz die Schadensregulierungsstelle bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion betreffend den größten Teil der aktiven Landesbeamtinnen und -beamten zuständig. Diese Ansprüche des Landes können aber nicht im Adhäsionsverfahren geltend gemacht werden. Antragsberechtigt ist nach § 403 StPO nur der Verletzte selbst oder sein Erbe. Andere Rechtsnachfolger, wie hier die Landesverwaltung als Zessionar, haben kein Antragsrecht, da sie ihren Anspruch nicht unmittelbar aus der Straftat erworben haben. Das Land ist deshalb in diesen Fällen auf die Geltendmachung seiner Ansprüche im Zivilrechtsweg angewiesen. Zu Frage 6: Nein. Die Landesregierung beschäftigt sich schon seit Jahren immer wieder mit dieser Frage. Sie ist der Auffassung, dass eine Bundesratsinitiative zur Erweiterung der bisherigen Nebenklagemöglichkeit im Jugendstrafverfahren derzeit nicht geboten erscheint. Die aktuelle Rechtslage trägt dem das Jugendstrafverfahren bestimmenden Erziehungsgedanken einerseits und den berechtigten Opfer - interessen andererseits angemessen Rechnung. Schon nach derzeitiger Rechtslage ist die Nebenklage in Jugendstrafverfahren, die sich gegen Heranwachsende richten, unabhängig davon, ob das Gericht Jugendstrafrecht oder allgemeines Strafrecht zur Anwendung bringt, unter den gleichen Voraussetzungen wie im Strafverfahren gegen Erwachsene möglich (vgl. § 109 Abs. 1 und 2 des Jugendgerichtsgesetzes). Auch in Jugendstrafverfahren gegen Jugendliche besteht seit dem 31. Dezember 2006 grundsätzlich die Möglichkeit zur Nebenklage. Nach § 80 Abs. 3 des Jugendgerichtsgesetzes ist dies in Verfahren wegen bestimmter schwerer Delikte zulässig, die im Einzelfall zu schweren seelischen oder körperlichen Schäden bzw. einer entsprechenden Gefährdung geführt haben. Die landesweite Arbeitsgruppe „Jugendstrafrecht“ hat eine Vielzahl der für und gegen eine Erweiterung der Nebenklagemöglichkeit sprechenden Argumente in einem Positionspapier zusammengefasst, das auf der Homepage des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz abrufbar ist: http://www.mjv.rlp.de/Ministerium/Projekte/AG-Jugendstrafrecht/. Sie sieht danach zwar grundsätzlich die Möglichkeit für eine Optimierung der Regelungen über die Zulassung der Nebenklage im Verfahren gegen Jugendliche, mahnt für diesen Fall aber eine differenzierte bzw. abgestufte Lösung an. Die Landesregierung hat diese Empfehlung entsprechend einem Beschluss der Arbeitsgruppe FOKUS: Opferschutz vom 10. September 2012 (abrufbar unter http://www.mjv.rlp.de/Ministerium/Opferschutz/AG-FOKUS-Opferschutz/) auf Fachebene bundes weit zur Diskussion gestellt. Dabei hat sich jedoch keine Mehrheit für eine Erweiterung der Nebenklagemöglichkeit im Jugendstrafverfahren gefunden. Überwiegend wird die mit der Änderung des § 80 Abs. 3 des Jugendgerichtsgesetzes im Jahr 2006 gefundene Lösung im Spannungsfeld zwischen Erziehungsgedanken und Opferschutz als sachgerecht erachtet. Zu Frage 7: Der Landesregierung liegen hierzu keine Angaben vor. Die Fälle werden statistisch nicht erfasst. Prof. Dr. Gerhard Robbers Staatsminister 3