Drucksache 16/532 zu Drucksache 16/353 04. 11. 2011 A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU – Drucksache 16/353 – Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen Die Große Anfrage vom 21. September 2011 hat folgenden Wortlaut: Die demografische Entwicklung hat weitreichende Folgen für das Leben der Menschen in unserem Land. Nach vorliegenden Modellrechnungen wird sich der Altersaufbau der Bevölkerung grundlegend verändern. Das hat Folgen für das Zusammenleben der Menschen und die gesellschaftlichen Strukturen in allen Bereichen. Nur durch rechtzeitige politische Weichenstellungen ist es möglich, den damit verbundenen Herausforderungen gerecht zu werden. In RheinlandPfalz besteht großer Handlungsbedarf, um Lebensqualität und Lebenschancen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in der Zukunft zu sichern. Die Bedeutung des Themas verlangt nach einer systematischen Vorbereitung und Konzepten, die von der Landesregierung bisher nicht geleistet wurden. Die Entwicklung wird insbesondere auch im Bereich der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen deutlich werden. Wir fragen die Landesregierung: Auswirkungen 1. Welche Auswirkungen der demografischen Entwicklung sind für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Rheinland-Pfalz gegenüber heutigem Stand a) für das Land als Ganzes, b) für bestimmte Regionen des Landes in besonderem Maße, c) für verschiedene gesellschaftliche Gruppen von Hilfeempfängern, d) in welchen spezifischen Leistungsbereichen und e) in welchen konkreten Formen in den Zeiträumen bis 2015, bis 2025 und bis 2050 zu erwarten? 2. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der Entwicklung der Zahl der Hilfeempfänger und der Zusammensetzung ihrer Gruppe (z. B. Alter, Hilfebedarf) zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 3. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der leistungsspezifischen Bedarfe und Inanspruchnahmen zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen ? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 4. Welche Auswirkungen sind insoweit insbesondere gegenüber heutigem Stand hinsichtlich des Bedarfs im Vergleich zum Angebot an Fachkräften zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für die Entwicklungen ? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 5. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der Bedeutung und des Anteils ambulanter und dezentraler im Vergleich zu stationären und zentralen Leistungsformen zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 6. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der notwendigen Zahl, Größe, Struktur und Konzepte der Einrichtungs- und Leistungsangebote zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 18. November 2011 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/532 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 7. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich des notwendigen Finanzbedarfs für Land, Kommunen und freie Träger zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus ? 8. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Anforderungen des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe zu erwarten? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? Handlungserfordernisse 9. Welche Handlungserfordernisse bestehen somit a) für das Land als Ganzes, b) für bestimmte Regionen des Landes in besonderem Maße, c) für verschiedene gesellschaftliche Gruppen von Hilfeempfängern, d) in welchen spezifischen Leistungsbereichen und e) in welchen konkreten Formen in den Zeiträumen bis 2015, bis 2025 und bis 2050? 10. Welches politische Handlungskonzept verfolgt die Landesregierung insoweit zur Bewältigung der demografischen Herausforderung und zur Zukunftssicherung der Eingliederungshilfe ? Welche Ziele liegen dem zugrunde? 11. Wie soll insoweit insbesondere der Entwicklung der Zahl der Hilfeempfänger und der Strukturierung ihrer Gruppe entsprochen werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? 12. Wie soll insoweit insbesondere der Entwicklung der leistungsspezifischen Bedarfe entsprochen werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? 13. Wie soll insoweit insbesondere der quantitative und strukturelle Bedarf an Fachkräften gedeckt werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? 14. Wie soll insoweit insbesondere das Verhältnis ambulanter und dezentraler im Vergleich zu stationären und zentralen Leistungsformen gestaltet werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess ? 15. Wie sollen insoweit insbesondere die richtige Zahl, die richtige Struktur, die richtige Größe und die richtigen Konzeptionen von Einrichtungen und Leistungsangeboten gewährleistet werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? 16. Wie soll insoweit insbesondere der Finanzbedarf für Land, Kommunen und freie Träger gedeckt und wie sollen diese finanziell entlastet werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? 17. Wie sollen insoweit insbesondere die Anforderungen des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe überarbeitet werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? Handlungsansätze in der Wahlperiode 18. Welche konkreten Maßnahmen werden bereits ergriffen? 19. Welche sind für welche Zeitpunkte oder Zeiträume geplant? 20. Wie ist der Stand der Vorbereitung oder Umsetzung? 21. Was leisten die getroffenen Maßnahmen und vorliegenden Planungen? 22. Welche offenen Probleme bestehen noch? 23. Welche Maßnahmen müssen hierfür noch vorbereitet bzw. ergriffen werden? 24. Mit welchen Kosten ist für das Land und die Kommunen zu rechnen? 2 Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Große Anfrage namens der Landesregierung – Zuleitungsschreiben des Chefs der Staatskanzlei vom 2. November 2011 – wie folgt beantwortet: Die Menschen in Rheinland-Pfalz leben länger und werden älter als ihre Vorfahren. Dabei sind viele ältere Menschen gesund und aktiv und bereit, ihr Wissen und ihre Erfahrungen in die Gesellschaft einzubringen. Verbunden mit niedrigen Geburtenraten ist diese demografische Entwicklung aber auch eine Herausforderung für Gesellschaft und Politik: Eine weitere Konsequenz des demografischen Wandels liegt darin, dass auch Menschen mit Behinderungen immer älter werden und damit neue, spezifische Bedürfnisse entwickeln. Die Lebenserwartung von Menschen mit Behinderungen steigt in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an. Dafür gibt es mehrere Gründe, die sich gegenseitig ergänzen und verstärken. So hat sich die soziale Lage von Menschen mit Behinderungen – geprägt durch Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/532 3 die Ernährungs-, Wohn- und Lebenssituation, durch die allgemeine und behinderungsspezifische Förderung und durch die gestiegene gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen – in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert und wirkt sich, wie auch die Erfolge des medizinischen Fortschritts sowohl in der Akutmedizin wie in der Frührehabilitation, lebensverlängernd aus. Gleichzeitig hat sich auch die Lebensqualität behinderter Menschen in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Nicht vergessen werden darf dabei, dass aufgrund der Euthanasieverbrechen im Nationalsozialismus die Generation von Menschen mit Behinderungen , die vor 1945 geboren wurde, systematisch ermordet wurde und damit fast eine Generation von Menschen mit Behinderungen fehlt. Die steigende Lebenserwartung von Menschen mit Behinderungen ist Ergebnis einer guten Sozialpolitik. Sie schafft aber auch neue Herausforderungen für Gesellschaft und Politik, denn ältere Menschen mit Behinderungen haben andere Bedarfe und Wünsche als junge Menschen mit Behinderungen. In der Konsequenz stehen auch Leistungserbringer und Leistungsträger vor neuen, im Einzelnen noch nicht abzuschätzenden Herausforderungen. So müssen beispielsweise die Leistungsanbieter von einem steigenden pflegerischen Bedarf für diese Menschen ausgehen. Dabei ist Ziel der Landesregierung, dass pflegebedürftige behinderte Menschen ebenso wie pflegebedürftige Menschen ohne vorhergehende Behinderungen nach Möglichkeit in ihrer eigenen Häuslichkeit die notwendigen Unterstützungs-, Assistenz- und Pflegeleistungen erhalten, damit sie weiter dort leben können. Dafür sind – nicht zuletzt im Elften Buch Sozialgesetzbuch – die rechtlichen Möglichkeiten weiter auszubauen. Der in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU-Landtagsfraktion zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Landtagsdrucksache 15/5393) dargestellte Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen mit Behinderungen wird auch den Umgang mit den Herausforderungen des demografischen Wandels prägen. Eine weitere Herausforderung für Leistungsempfänger, Leistungsträger und Leistungserbringer wird es sein, einen spezifischen Altersbegriff für Menschen mit Behinderungen zu entwickeln; denn er sollte nicht nur das jeweilige Lebensalter, sondern auch vorzeitige behinderungsbedingte Alterungsprozesse berücksichtigen. Eine besondere Schwierigkeit bei der Beantwortung der Großen Anfrage lag darin, dass auf die Daten der amtlichen Statistik nur sehr bedingt zurückgegriffen werden konnte, denn diese Daten sind zur Beantwortung der gestellten Fragen nicht ausreichend differenziert . Eine Umfrage bei den örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgern war in der zur Beantwortung von Großen Anfragen zur Verfügung stehenden Zeitspanne nicht möglich; deshalb muss bei der Beantwortung einzelner Fragen auf allgemeine Trends zurückgriffen werden. 1. Welche Auswirkungen der demografischen Entwicklung sind für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Rheinland-Pfalz gegenüber heutigem Stand a) für das Land als Ganzes, b) für bestimmte Regionen des Landes in besonderem Maße, c) für verschiedene gesellschaftliche Gruppen von Hilfeempfängern, d) in welchen spezifischen Leistungsbereichen und e) in welchen konkreten Formen in den Zeiträumen bis 2015, bis 2025 und bis 2050 zu erwarten? 2. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der Entwicklung der Zahl der Hilfeempfänger und der Zusammensetzung ihrer Gruppe (z. B. Alter, Hilfebedarf) zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 3. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der leistungsspezifischen Bedarfe und Inanspruchnahmen zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen ? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? Rheinland-Pfalz verfügt in der Eingliederungshilfe über eine bedarfsgerechte Versorgungsstruktur, die im Wesentlichen vom Land und von den kommunalen Gebietskörperschaften getragen und von den Leistungsanbietern aufgebaut wurde. Sie wird mit Hilfe der Förderung der Leistungsträger und im intensiven Austausch mit den Menschen mit Behinderungen weiterentwickelt und entsprechend der Bedarfe der Menschen mit Behinderungen angepasst. Diese strukturelle Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe hat bundesweit, vor allem aber in Rheinland-Pfalz, Anfang der neunziger Jahre eingesetzt. Ausgelöst wurde dieser Prozess vor allem durch die Menschen mit Behinderungen selbst, die ihren Rechtsanspruch auf ein selbstbestimmtes Leben seit dieser Zeit verstärkt einfordern. Gestärkt und gefördert wird dieser Prozess sowohl durch die Professionellen, die ihre Arbeit zunehmend mehr als Assistenz- und Unterstützungsleistung sowie als Begleitung von Menschen mit Behinderungen verstehen, als auch durch die gute Zusammenarbeit von Leistungsträgern und Leistungserbringern. Durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland hat dieser Prozess eine weitere Dynamik erhalten. Weitere Einzelheiten zu diesem Paradigmenwechsel wurden besonders in der Vorbemerkung sowie in den Antworten auf die Fragen 2, 3, 4, 17 und 19 der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Landtagsdrucksache 15/5393) ausgeführt. Drucksache 16/532 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 4 Zum 31. Dezember 2009 lebten 407 208 Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz. Die Zahl der Empfänger von Eingliederungshilfe in Rheinland-Pfalz stieg nach Angaben des Statistischen Landesamtes von 28 194 im Jahr 2007 auf 30 782 Personen im Jahr 2009. Diese Zahlen weichen von der in der Anlage der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU zur Eingliederungshilfe (Landtagsdrucksache 15/5393) veröffentlichten Angaben ab, weil dort die Empfängerinnen und Empfänger verschiedener Hilfen bei jeder Hilfeart gezählt werden; dadurch entstehen Doppelzählungen. Einer anderen, altersgruppenbezogenen Sonderauswertung des Statistischen Landesamts für die Jahre 1995 bis 2009 ist zu entnehmen , dass – die Zahl der älteren Menschen mit Behinderungen kontinuierlich steigt, – die Zahl der betagten älteren Menschen mit Behinderungen (80 Jahre und älter) sich in den letzten 15 Jahren fast verdreifacht hat, – die Zahl der betagten älteren, behinderten Menschen über 80 Jahre auch in der Zukunft weiter steigen wird, denn in den letz- ten 15 Jahren hat sich – die Zahl der 70- bis unter 80-Jährigen mehr als vervierfacht, – die Zahl der 60- bis unter 70-Jährigen verdreifacht und – die Zahl der 50- bis unter 60-Jährigen knapp vervierfacht, während sich – die Zahl der 30- bis unter 50-Jährigen im gleichen Zeitraum „nur“ verdoppelt und – die Zahl der 18- bis unter 30-Jährigen im gleichen Zeitraum nur noch um die Hälfte gestiegen ist. – Bei den unter 18-Jährigen ist die Zahl in den letzten 15 Jahren kaum gestiegen. Für den Zeitraum von 2005 bis 2009 ist erstmals ein Rückgang der Zahlen zu beobachten. Die Interpretation dieser Zahlen ist nicht einfach, denn die dargestellten Entwicklungen haben einerseits demografische Ursachen. Wenn die Zahl der Geburten sinkt, ist es nachvollziehbar, dass auch die Zahl der Kinder, die mit einer Behinderung geboren werden , tendenziell sinkt. Erstaunlich ist eher, dass sich diese Entwicklung, die allgemeingesellschaftlich schon seit Ende der achtziger Jahre zu beobachten ist, sich bei der Anzahl der jungen Menschen mit Behinderungen erst in den letzten fünf Jahren bemerkbar macht. Weiterhin ist aber zu berücksichtigen, dass rund 90 Prozent der Behinderungen erst im Laufe des Lebens von den Menschen durch Unfall, Krankheit oder andere einschneidende Ereignisse „erworben“ werden. Somit sagt die Zahl der heute lebenden Menschen mit Behinderungen wenig über die mögliche Zahl von Menschen mit Behinderungen in den Jahren 2015, 2025 und 2050 aus. Studien oder andere wissenschaftliche Erkenntnisse zu diesen Zeiträumen liegen der Landesregierung nicht vor. Die hier beschriebene – auch demografische – Entwicklung hat vor allem Auswirkungen auf die Notwendigkeit von tagesstrukturierenden Angeboten für Menschen mit Behinderungen und auf die stationären Wohneinrichtungen für diesen Personenkreis. Unabhängig von der Art der Behinderung sind heute behinderte Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, in aller Regel in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt oder sie erhalten in Tagesförderstätten ein tagesstrukturierendes Angebot . Die heutigen stationären Wohnkonzepte gehen ganz überwiegend davon aus, dass die Bewohnerinnen und Bewohner an Werktagen tagsüber nicht in der Einrichtung, sondern in der Werkstatt, der Tagesförderstätte oder an einem anderen Ort beschäftigt sind. Wenn nun diese Menschen altersbedingt berentet werden und somit aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, benötigen sie für ihre Tagesgestaltung einen „Zweiten Lebensraum“, der ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und eine aktivierende Tagesstruktur ermöglicht. Notwendig sind dabei passgenaue, personenbezogene und dem Wunsch- und Wahlrecht entsprechende Angebote. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Inklusion ist darauf zu achten, dass bereits bestehende Angebote für ältere Menschen auch von Menschen mit Behinderungen genutzt werden können. Diese Hilfeangebote sind deshalb vorrangig auch für Menschen mit Behinderungen zu öffnen und konzeptionell weiterzuentwickeln. Diese Feststellungen gelten grundsätzlich für das Land Rheinland-Pfalz als Ganzes. Es macht jedoch einen Unterschied, ob man den städtischen oder den ländlich geprägten Raum betrachtet. Es ist deshalb nach Auffassung der Landesregierung notwendig, unter der Federführung der Kommunen eine entsprechende inklusive Infrastruktur auf der örtlichen beziehungsweise regionalen Ebene zu schaffen, die entsprechende lokale und regionale Bedarfe und Besonderheiten berücksichtigt. Es gilt ein lokales Träger- und Angebotsmanagement aufzubauen. Damit dies gelingt, brauchen die örtlichen Sozialhilfeträger eine gute Planung, die die Pflegestruktur -, Sozial- und Senioren- oder Altenhilfeplanung miteinander verknüpft. Das Land stellt den kommunalen Gebietskörperschaften mit der „Servicestelle für die kommunale Pflegestrukturplanung und Sozialraumentwicklung“ bei der Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e. V. (LZG) entsprechendes Handwerkszeug zur Verfügung. Da die gesamte Angebotsstruktur in der Behindertenhilfe auch einen überregionalen Charakter hat, wird es Aufgabe des Landes sein, Planungsimpulse aus den Kommunen zusammenzuführen und zu vernetzen. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/532 5 Die Landesregierung hat derzeit eine Studie zur Entwicklung von tagesstrukturierenden Angeboten für ältere Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz in Auftrag gegeben. Ziel ist es, ein Konzept für landeseinheitliche Rahmenbedingungen für tagesstrukturierende Angebote für Menschen mit Behinderungen, die nicht, noch nicht oder nicht mehr einem „traditionellen“ tagesstrukturierenden Angebot (vor allem in den Werkstätten für behinderte Menschen) nachgehen, zu entwickeln. Die demografische Entwicklung wird dazu führen, dass ein Teil der älteren Menschen mit Behinderungen – wie auch Menschen ohne Behinderungen – in stärkerem Maße aufgrund des Alters und der damit einhergehenden körperlichen und geistigen Entwicklung pflegebedürftig wird. Wie auch bei den Menschen ohne Behinderungen darf die Pflegebedürftigkeit alleine nicht dazu führen, dass Menschen mit Behinderungen gezwungen werden, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen. Es gilt sicherzustellen, dass pflegebedürftige Menschen mit Behinderungen die dafür notwendige pflegerische Versorgung in der eigenen Häuslichkeit erhalten. Der Landesregierung ist es dabei wichtig, dass im Rahmen der von der Bundesregierung seit langem angekündigten Pflegereform die Schnittstelle zwischen Pflege und Eingliederungshilfe im Sinne einer gerechten und dem Gleichheitsgrundsatz entsprechenden Art und Weise neu definiert wird. Durch die aktuellen gesetzlichen Regelungen im Elften Buch Sozialgesetzbuch erfolgt eine Ungleichbehandlung : Anders als im häuslichen Umfeld sind die Leistungen der Pflegeversicherung für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen auf 256 Euro monatlich begrenzt. Die beschriebene Entwicklung, dass Menschen mit Behinderungen auch älter werden, bedeutet letztlich auch, das Wohnen von Menschen mit Behinderungen unter dieser erweiterten Perspektive neu zu betrachten. Auch vor diesem Hintergrund sind die Anstrengungen , die Wohnsituation von Menschen mit Behinderungen zu „normalisieren“, zu verstärken; denn aus der Arbeit mit Menschen mit Demenzerkrankungen ist zu lernen, dass diese ihre Alltagskompetenz länger behalten, wenn sie diese im Alltag auch nutzen . Entsprechende Erfahrungen liegen aus der Hospitalismusforschung für Menschen mit Behinderungen vor. Ihnen die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, bedeutet, ihre Kompetenzen für die Gestaltung des Alltags zu stärken und zu fördern. Dies ist eine der künftigen Herausforderungen für die Anbieter von Wohnangeboten für Menschen mit Behinderungen. 4. Welche Auswirkungen sind insoweit insbesondere gegenüber heutigem Stand hinsichtlich des Bedarfs im Vergleich zum Angebot an Fachkräften zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für die Entwicklungen ? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? Um den Menschen in Rheinland-Pfalz auch in Zukunft eine menschenwürdige, qualitativ hochwertige und bezahlbare Eingliederungshilfe zu ermöglichen, wird eine ausreichende Zahl qualifizierter Fachkräfte benötigt. Es gibt erste Hinweise von Leistungserbringern und Leistungsträgern, dass es – nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung – einen steigenden Bedarf an Fachkräften geben wird. Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie steht in ständigem Kontakt und Austausch mit den Leistungserbringern auf der Ebene der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege und des Bundesverbandes privater Anbieter , um rechtzeitig auf einen möglichen Engpass zu reagieren. Nicht zuletzt die zu erwartende demografische Entwicklung, die in allen Berufs- und Arbeitsfeldern zu einem verstärkten Wettbewerb der Betriebe untereinander um junge Menschen führen wird, zwingt dazu, die professionelle Arbeit in der Eingliederungshilfe neu zu überdenken. So wird auch die Eingliederungshilfe in Zukunft verstärkt durch einen Hilfemix geprägt werden. Die Stärkung des selbstbestimmten Lebens behinderter Menschen bedeutet, Menschen mit Behinderungen zu befähigen, ihre Ressourcen und Kompetenzen für die Bewältigung des Alltags zu nutzen. Dazu brauchen sie im Einzelnen Unterstützung und Assistenz. Es ist vermehrt gemeinsam mit dem Menschen mit Behinderungen zu klären, wer diese Assistenz- und Unterstützungsleistungen erbringen kann. Denkbar wird es sein, dass es ein stärker differenziertes Anforderungsprofil für Assistenz- und Unterstützungskräfte geben wird. In einem solchen Setting haben Fachkräfte dann eher die Aufgabe, die Arbeit der Assistenz- und Unterstützungskräfte anzuleiten, zu koordinieren und zu supervidieren. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips gilt es, die kleine soziale Einheit – Familie, Nachbarschaft, Wohngemeinschaft – zu stärken und zu fördern, damit diese sich möglichst selbstbestimmt und selbstverantwortlich um sich und ihre Menschen mit Behinderungen sorgen und kümmern kann. Diese kleinen sozialen Einheiten brauchen rechtzeitig Unterstützung und Förderung durch Assistenz-, Unterstützungs- und Fachkräfte , damit sie von den notwendigen Anforderungen nicht überfordert werden. So kann es gelingen, die Fachkräfte stärker für herausfordernde Aufgaben – wie beispielsweise die Unterstützung und Begleitung von Menschen, die schwerst- und mehrfach behindert sind – zu nutzen; während Assistenz- und Unterstützungskräfte sowie bürgerschaftlich engagierte Menschen wie Freunde, Bekannte, Nachbarn oder ehrenamtlich Tätige Menschen mit Behinderungen im Alltag begleiten und assistieren. Drucksache 16/532 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 6 5. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der Bedeutung und des Anteils ambulanter und dezentraler im Vergleich zu stationären und zentralen Leistungsformen zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 14. Wie soll insoweit insbesondere das Verhältnis ambulanter und dezentraler im Vergleich zu stationären und zentralen Leistungsformen gestaltet werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? Die Landesregierung unterstützt ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Behinderungen unter Beachtung des gesetzlich normierten Wunsch- und Wahlrechts. Die notwendigen Unterstützungsangebote für die Menschen mit Behinderungen sollen gemeindeintegriert zur Verfügung stehen. Der Mensch mit Behinderungen (und nur er) muss im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Die Umsetzung des personenzentrierten Ansatzes macht es letztlich überflüssig, nach ambulanten und stationären Angeboten zu unterscheiden. Diese Entwicklung wird auch – wie bereits in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU zur Eingliederungshilfe (Landtagsdrucksache 15/5393) ausgeführt wurde – durch die von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) angestoßenen und von der Bundesregierung aufgegriffenen Reform der Eingliederungshilfe unterstützt und gefördert. Der Bund wird voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres, so die bisher bekannt gewordenen Planungen, einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vorlegen, um den personenzentrierten Ansatz in der Eingliederungshilfe und damit das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Behinderungen umzusetzen . Dann erübrigt sich die Frage nach der ambulanten oder stationären Erbringung von notwendigen Unterstützungs- und Assistenzleistungen. Die Beschlüsse der Arbeits- und Sozialministerkonferenz gehen auf Initiativen der Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zurück. Auch die flächendeckende Nutzung des maßgeblich in und von Rheinland-Pfalz entwickelten persönlichen Budgets wird langfristig die Frage nach dem Erbringungsort von Leistungen überflüssig machen, denn das persönliche Budget orientiert sich am persönlichen Unterstützungs- und Assistenzbedarf des Menschen mit Behinderungen. Die Landesregierung wird sich bei der geplanten Reform der Pflegeversicherung dafür einsetzen, dass das trägerübergreifende persönliche Budget nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch zukünftig alle Pflegeleistungen im Sinne eines echten Budgets, in Abkehr von der jetzigen Gutscheinlösung für ambulante und teilstationäre Sachleistungen, umfassen kann. Dies wird es dem behinderten Menschen mit Pflegebedarf ermöglichen, seinen Assistenz- und seinen Pflegebedarf aus einem Budget zu finanzieren. Mit Blick auf den älter werdenden behinderten Menschen steht für den Bereich der Tagesstruktur die Frage nach der tatsächlichen und inhaltlichen Anbindung an bereits bestehende Strukturen – sowohl im Bereich der Behinderten- als auch der Altenhilfe – im Vordergrund. Es können also bereits bestehende Strukturen genutzt werden oder es muss geprüft werden, ob bestehende Angebote fort- beziehungsweise weiterentwickelt werden können oder ob die notwendigen bedarfsgerechten Angebote neu zu schaffen sind. Welche der Alternativen in Betracht kommt, ist auf der kommunalen Ebene im Rahmen einer entsprechenden integrierten Sozialplanung zu klären. Dabei muss der Grundsatz gelten, dass neue Angebote nur geschaffen werden, wenn die vorhandenen Angebote nicht beziehungsweise nicht ausreichend zur Verfügung stehen oder nicht fortentwickelt werden können. Vorrangiges Ziel wird es dabei sein, grundsätzlich möglichst keine neuen eigenen Angebote für Menschen mit Behinderungen, die bisher Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, zu schaffen, sondern – nicht zuletzt um dem Inklusionsgedanken gerecht zu werden – darauf zu achten, dass möglichst die Angebote der Altenhilfe auch von Menschen mit Behinderungen genutzt werden können und dass Angebote der Eingliederungshilfe auch für Menschen, die aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit behindert sind, geöffnet werden. 6. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der notwendigen Zahl, Größe, Struktur und Konzepte der Einrichtungs- und Leistungsangebote zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 15. Wie sollen insoweit insbesondere die richtige Zahl, die richtige Struktur, die richtige Größe und die richtigen Konzeptionen von Einrichtungen und Leistungsangeboten gewährleistet werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? Grundgedanke einer demografiefesten Eingliederungshilfe ist, wie bereits dargestellt, möglichst die vorhandenen Angebote und Einrichtungen sowohl der Eingliederungs- als auch der Altenhilfe für ältere Menschen mit Behinderungen zu nutzen. Nur dort, wo es kein oder kein ausreichendes Angebot gibt, sind spezifische Angebote zu entwickeln. Dabei sollen diese den kurz skizzierten Leitgedanken des Subsidiaritätsprinzips („die kleinere Einheit soll gestärkt werden, damit sie die Aufgaben bewältigen kann“) aufgreifen und weiterentwickeln. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/532 7 Konkret bedeutet dies, dass es keine Landesplanung für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe vor Ort geben kann. Das Land kann und wird die Kommunen aber darin unterstützen und stärken, die notwendigen Prozesse vor Ort gemeinsam mit den Menschen mit Behinderungen und den Leistungserbringern zu planen, zu gestalten und umzusetzen. Die skizzierte Pflegestrukturplanung soll deshalb so angelegt werden, dass sie für die Kommunen als Grundlage für eine integrierte Sozialplanung genutzt werden kann. Die dazu geschaffene Servicestelle bei der Landeszentrale für Gesundheitsförderung e. V. (LZG) wird die Kommunen entsprechend unterstützen. Somit können vom Land auch keine Aussagen zur richtigen Zahl, richtigen Struktur und richtigen Größe von Einrichtungen gemacht werden. Letztlich sind vor dem skizzierten Perspektivenwechsel in der Eingliederungshilfe diese Fragen vor Ort zu klären und zu entscheiden. Dabei wird sich zeigen, ob die heute bekannten Angebote und Einrichtungen – nicht zuletzt vor der skizzierten demografischen Entwicklung – in den Jahren 2015, 2025 oder 2050 noch Bestand haben werden. Es ist zu erwarten, dass sich die Einrichtungen vor dem Hintergrund der sich verändernden Bedarfe der älter werdenden behinderten Menschen auch fundamental ändern werden. 7. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich des notwendigen Finanzbedarfs für Land, Kommunen und freie Träger zu erwarten? Auf welche Leistungsbereiche trifft das vor allem zu? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 16. Wie soll insoweit insbesondere der Finanzbedarf für Land, Kommunen und freie Träger gedeckt und wie sollen diese finanziell entlastet werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess ? Die Landesregierung beobachtet den kontinuierlichen Anstieg der Ausgaben der Eingliederungshilfe mit Sorge. So stiegen die Kosten der Eingliederungshilfe (gemeinsam mit der Hilfe zur Pflege) in Kostenträgerschaft des Landes in den Jahren 2003 bis 2011 durchschnittlich um sechs Prozent. Ein ungebremster weiterer Anstieg der Kosten in dieser Größenordnung würde dazu führen, dass die notwendigen Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege in Zukunft auf absehbare Zeit nicht bezahlbar wären. Wie sich die Kosten im Detail auf die einzelnen kommunalen Gebietskörperschaften verteilen, wurde im Rahmen der Beantwortung der Fragen 9 bis 16 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU zur Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen (Landtagsdrucksache 15/5393) dargestellt. Vor diesem Hintergrund und vor dem bereits skizzierten demografischen Wandel ist es erforderlich, die Unterstützungs- und Assistenzangebote noch stärker als bisher am persönlichen Bedarf des einzelnen Menschen mit Behinderungen auszurichten. Die vorhandenen Instrumente, zum Beispiel die individuelle Teilhabeplanung und das persönliche Budget, müssen noch stärker dafür genutzt werden. Das gilt im Besonderen für die älter werdenden Menschen mit Behinderungen. Das von der UN-Behindertenkonvention vorgegebene Ziel der gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen ernst zu nehmen, bedeutet auch, die vorhandenen Angebote für ältere Menschen auch für ältere Menschen mit Behinderungen zugänglich und erreichbar zu machen. Gleichzeitig ist zu prüfen, ob und wie Angebote der Eingliederungshilfe von älteren Menschen ohne Behinderungen genutzt werden können – ohne dass dies zu Lasten der Eingliederungshilfe geht. Das Land wird in den kommenden Jahren bei der Erprobung der Finanzierung von ambulanten Leistungen in den Modellkommunen nach § 14 a des Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch prüfen, ob die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe bei einer gleichzeitigen Förderung der personenzentrierten Gewährung von Leistungen einen Beitrag dazu leisten kann, die vorhandenen finanziellen Ressourcen der Eingliederungshilfe effektiver und effizienter zu nutzen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung , die notwendigen Bedarfe älterer behinderter Menschen für ein selbstbestimmtes Leben auch in Zukunft zu finanzieren. 8. Welche Auswirkungen sind insoweit gegenüber heutigem Stand insbesondere hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Anforderungen des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe zu erwarten? Welche Hinweise gibt es bereits jetzt für diese Entwicklungen? Welche Folgen und landespolitischen Aufgaben ergeben sich hieraus? 17. Wie sollen insoweit insbesondere die Anforderungen des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe überarbeitet werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? Mit dem 2010 in Kraft getretenen Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) hat die Landesregierung einen weiteren großen Schritt auf dem eingeschlagenen Weg zu einem Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen mit Behinderungen gemacht. Das Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe ermöglicht, dass neben Einrichtungen mit einem umfassenden Leistungsangebot auch kleinteilige Wohngruppen und Wohngemeinschaften, in denen Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt zusammenleben und sich die Leistungen bei ambulanten Diensten einkaufen, die sie benötigen, entstehen können. Weiter sieht das Gesetz auch selbstorganisierte Wohngemeinschaften als Wohnform vor. Weitere Hilfestellungen sollen durch bürgerschaftlich Engagierte oder Angehörige erbracht werden. Diese kleinteiligen Wohnformen ermöglichen es, dass Menschen, die aufgrund ihres individuellen Assistenz- und Unterstützungsbedarfs nicht mehr in ihrem eigenen Haus leben können, dennoch in ihrer Gemeinde oder in ihrem Stadtteil und damit in ihrer gewohnten Umgebung verbleiben können. Das Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe stärkt somit einerseits das Recht des behinderten Menschen zu wohnen, wo und wie er will, gleichzeitig schützt es den behinderten Menschen , der in einer Einrichtung lebt und der aufgrund seiner Behinderung oder seiner Pflegedürftigkeit seine Interessen nicht selbst schützen kann. Drucksache 16/532 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 8 Das Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe hat einen intensiven Diskussions- und Entwicklungsprozess bei den Leistungserbringern angestoßen. Die Erfahrungen mit diesem neuen Gesetz zeigen, dass die Ziele des Gesetzes grundsätzlich erreicht werden , dass das Gesetz aber an einigen Stellen optimiert werden kann. Deshalb werden die Wirkungen des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe in einer wissenschaftlichen Evaluation im kommenden Jahr analysiert werden. Damit wird eine gute Grundlage geschaffen, um das Gesetz im Interesse der Menschen mit Unterstützungs- und Schutzbedarfen weiterzuentwickeln. 9. Welche Handlungserfordernisse bestehen somit a) für das Land als Ganzes, b) für bestimmte Regionen des Landes in besonderem Maße, c) für verschiedene gesellschaftliche Gruppen von Hilfeempfängern, d) in welchen spezifischen Leistungsbereichen und e) in welchen konkreten Formen in den Zeiträumen bis 2015, bis 2025 und bis 2050? 10. Welches politische Handlungskonzept verfolgt die Landesregierung insoweit zur Bewältigung der demografischen Herausforderung und zur Zukunftssicherung der Eingliederungshilfe? Welche Ziele liegen dem zugrunde? 11. Wie soll insoweit insbesondere der Entwicklung der Zahl der Hilfeempfänger und der Strukturierung ihrer Gruppe entsprochen werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? 12. Wie soll insoweit insbesondere der Entwicklung der leistungsspezifischen Bedarfe entsprochen werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? Ein zentrales Handlungserfordernis ist es, das Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen , in den kommenden Jahren umzusetzen. Dies gilt für alle Regionen und für alle Menschen mit Behinderungen – unabhängig von der Art der Behinderung. Konkret bedeutet dies, Menschen mit Behinderungen nicht als eine Gruppe, sondern als einzelne Menschen mit ihren individuellen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Ressourcen und nicht nur mit ihren Defiziten wahrzunehmen . Inklusion betont somit die Unterschiedlichkeit und die Vielfalt der Menschen. Die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention kann gelingen, wenn diese Grundprinzipien Grundlage für eine kommunale integrative Sozialplanung und damit für die regionalen Entwicklungsprozesse werden. Für die Leistungserbringer in der Region bedeutet dies, dass langfristig die erforderlichen Unterstützungsangebote zu den Menschen kommen müssen und nicht die Menschen zu den Unterstützungsangeboten. Dabei sind Selbstbestimmung, Partizipation und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft die wesentlichen Ziele, die mit Förderung, Unterstützung und Begleitung erreicht werden sollen. Die Landesregierung unterstützt alle Maßnahmen und Initiativen, die die Umsetzung des personenzentrierten Ansatzes zum Ziel haben. Dabei ist es ihr besonders wichtig, darauf zu achten, dass alle Akteure in die Entwicklung mit eingebunden werden. Leistungsrechtlich ist die Eingliederungshilfe zurzeit im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe) angesiedelt. Im Gegensatz zu einer Vielzahl von Sozialleistungsgesetzen gilt dort, auch ergänzt durch die Regelungen im Neunten Buch Sozialgesetzbuch, das sogenannte „Bedarfsdeckungsprinzip“. Das bedeutet, dass eine individuell passgenaue Leistung zu erbringen ist, die in regelmäßigen Abständen im Hinblick auf den Bedarf überprüft werden kann. Gemeinsam mit der Selbsthilfe, den Leistungsträgern und den Leistungserbringern wurde in Rheinland-Pfalz eine individuelle Teilhabeplanung entwickelt. Mit diesem Instrument ist es möglich, gemeinsam mit dem Menschen mit Behinderungen die individuell passgenaue Leistung in qualitativer und quantitativer Hinsicht zu ermitteln. Mit diesem Instrument gibt es die Möglichkeit, auf der Einzelfallebene die notwendige Steuerung vorzunehmen. Auf Grundlage der kumulierten individuellen Teilhabeplanung können auf der kommunalen Ebene die notwendigen Angebote auf ihre Notwendigkeit hin analysiert und entsprechend weiterentwickelt werden. Die Teilhabekonferenz kann dabei als Planungskonferenz das geeignete Gremium sein; denn in der Teilhabekonferenz treffen die handelnden Personen und Institutionen wie die Leistungsträger, Leistungserbringer und die Vertretungen der Selbsthilfe zusammen und arbeiten vernetzt miteinander. 13. Wie soll insoweit insbesondere der quantitative und strukturelle Bedarf an Fachkräften gedeckt werden? Wo sieht sich das Land in diesem Prozess, wo sieht das Land die Kommunen und die Leistungsanbieter in diesem Prozess? Auf die Antwort zu Frage 4 wird Bezug genommen. Es ist absehbar, dass es – ohne eine Änderung der Eingliederungshilfe – aufgrund des demografischen Wandels langfristig zu einem veränderten Fachkräfteangebot kommen wird. Deshalb gilt es, rechtzeitig einen guten Hilfemix auch in der Eingliederungshilfe zu entwickeln, damit die notwendigen personenzentrierten Assistenz- und Unterstützungsleistungen für den einzelnen behinderten Menschen auch zukünftig – dort, wo es notwendig und erforderlich ist – fachgerecht erbracht werden können. Im Rahmen des Landesleitprojekts „Branchenmonitoring/Gutachten Fachkräftebedarf Gesundheitsfachberufe“ wurde systematisch der Fachkräftebedarf in den einzelnen Gesundheitsfachberufen erhoben. Dadurch kann zielgerichtet und vorausschauend auf das Fachkräfteangebot Einfluss genommen werden. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/532 9 18. Welche konkreten Maßnahmen werden bereits ergriffen? 19. Welche sind für welche Zeitpunkte oder Zeiträume geplant? 20. Wie ist der Stand der Vorbereitung oder Umsetzung? 21. Was leisten die getroffenen Maßnahmen und vorliegenden Planungen? Die Landesregierung hat in den letzten Jahren gemeinsam mit den Leistungsträgern, Leistungserbringern und mit den Organisationen und den Verbänden der Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen begonnen, den personenzentrierten Ansatz durch die Einführung der individuellen Teilhabeplanung und durch den Aus- und Aufbau des persönlichen Budgets oder des Budgets für Arbeit umzusetzen. Dabei gibt die UN-Behindertenrechtskonvention die Leitlinien dieses Entwicklungsprozesses vor. Konkret wurde aufgrund der Tatsache, dass ältere behinderte Menschen spezifische Bedarfe an tagesstrukturierenden Maßnahmen haben, mit örtlichen Leistungserbringern ein entsprechendes Entgelt („Seniorenmodul“) vereinbart. In den nächsten Jahren wird der Ausbau personenorientierter Unterstützungs- und Assistenzangebote besonders für ältere Menschen mit Behinderungen ein wichtiges Prüfkriterium für die erfolgreiche Erprobung der Modelle nach § 14 a des Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch sein. Diese Modellprojekte, die voraussichtlich im Frühjahr 2012 starten und mindestens zwei Jahre – also bis Mitte 2014 – dauern werden, werden konkrete Erkenntnisse liefern, wie langfristig die Assistenz- und Unterstützungsangebote auch für ältere Menschen mit Behinderungen weiterentwickelt werden können. 22. Welche offenen Probleme bestehen noch? 23. Welche Maßnahmen müssen hierfür noch vorbereitet bzw. ergriffen werden? 24. Mit welchen Kosten ist für das Land und die Kommunen zu rechnen? Es gilt, die Regionen, die an den beschriebenen Modellprojekten teilnehmen wollen, gut auf die Modellumsetzung vorzubereiten, damit die Gesamtmaßnahme im Frühjahr 2012 beginnen kann. Ziel ist es, einen Weg zu finden, die vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen effektiver und effizienter zu nutzen, um die notwendigen weiteren Unterstützungs- und Assistenzbedarfe aus diesen Effizienzreserven finanzieren zu können. Dadurch soll die in den letzten Jahren zu beobachtende kontinuierlich steigende Kostenentwicklung eingedämmt werden. Malu Dreyer Staatsministerin