Drucksache 16/5537 02. 09. 2015 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Dorothea Schäfer und Adolf Kessel (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Zusammenlegung der Bereitschaftsdienstzentralen von Ingelheim und Bingen durch die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (Teil 1) Die Kleine Anfrage 3671 vom 11. August 2015 hat folgenden Wortlaut: Aus einem Pressebericht der Allgemeinen Zeitung, Ausgabe Ingelheim, vom 8. August 2015 geht hervor, dass die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz die Zusammenlegung der Bereitschaftsdienstzentralen von Ingelheim und Bingen plant – und bereits die Räume in Ingelheim und Bingen gekündigt hat. Wir fragen die Landesregierung: 1. Ist der Landesregierung oben geschilderter Vorgang bekannt und wie beurteilt sie ihn? 2. Ist der Landesregierung bekannt, aus welchen Gründen die Fusion der Bereitschaftsdienstzentralen erfolgen soll und weshalb die beiden Standorte aufgegeben werden? 3. Wie viele Patienten wurden in beiden Zentralen in den letzten zwei Jahren behandelt (bitte nach Monaten aufgliedern)? 4. Wie viele akute Bedarfssituationen gab es dabei, die eine sofortige Überweisung in das benachbarte Krankenhaus zur Folge hatten? 5. Wie hoch war die Auslastung des Bereitschaftsdienstpersonals in Ingelheim und in Bingen in den letzten zwei Jahren (unterteilt nach Monaten und getrennt nach Ingelheim und Bingen)? 6. Wie beurteilt die Landesregierung den Kostenaufwand der beiden Bereitschaftsdienstzentralen gegenüber dem Nutzen? 7. Wie beurteilt die Landesregierung den von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) genannten Zusammenhang, wonach durch den bereits erfolgten Wegfall zahlreicher Bereitschaftsdienstzentralen die Patienten stärker die Krankenhäuser der Region in Anspruch nehmen und rund 30 Prozent der Behandlungsfälle in Krankenhäusern von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in der ambulanten Notdienstversorgung hätten versorgt werden können? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 2. September 2015 wie folgt beantwortet: Die Sicherstellung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung in Rheinland-Pfalz ist gemäß § 75 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz als Selbstverwaltungskörperschaft der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte. Zu diesem Sicherstellungsauftrag gehört auch die ambulante haus- und fachärztliche Versorgung in den sprechstundenfreien Zeiten, der sogenannte „Bereitschaftsdienst“. Dieser übernimmt nachts, an Feiertagen, am Wochenende und an Wochentagen, an denen die Praxen ganztägig oder zeitweise keine Sprechstunde anbieten, die Aufgaben des Hausarztes einschließlich der Hausbesuche, und verfolgt das ausdrückliche Ziel, eine medizinische Versorgung für den Zeitraum bis zur nächsten Sprechstunde einer niedergelassenen Arztpraxis zu gewährleisten. Bei der Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes hat der Gesetzgeber der Kassenärztlichen Vereinigung einen großen Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die Kassenärztliche Vereinigung handelt hier eigenverantwortlich. Ihr Handeln steht nicht unter der Fachaufsicht des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, sondern ausschließlich unter Rechtsaufsicht. Der Aufsichtsbehörde ist daher ein Tätigwerden ausschließlich bei einem Vorliegen von Rechtsverstößen möglich. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 9. Oktober 2015 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/5537 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 2 Der vertragsärztliche Bereitschaftsdienst wurde in Rheinland-Pfalz in der Vergangenheit von der Ärzteschaft auf regionaler oder lokaler Ebene organisiert und finanziert. Es gab erhebliche Unterschiede in der Struktur und der Größe des Einzugsgebiets der einzelnen Bereitschaftsdienstzentralen. Auch die Inanspruchnahme der Bereitschaftsdienstzentralen durch die Bevölkerung war regional sehr unterschiedlich. Einzelne Bereitschaftsdienstzentralen gerieten in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten, die ihren Fortbestand und damit die Versorgung der Bevölkerung gefährdeten. Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung als Selbstverwaltungsorgan der Vertragsärzteschaft hatte sich daher im Jahr 2009 entschlossen, den Bereitschaftsdienst landesweit in der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung neu zu ordnen und durch einheitliche Standards wirtschaftlich und organisatorisch effizienter zu gestalten. Dieses Vorhaben hat die Kassenärztliche Vereinigung zwischenzeitlich in mehreren Schritten landesweit abgeschlossen, sodass sie nunmehr in eine zweite Phase der Neuordnung des Bereitschaftsdienstes eintritt und die neu geschaffenen Strukturen nun auf ihre Inanspruchnahme, ihre Effizienz und ihre Wirtschaftlichkeit überprüft, um gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Die Landesregierung stimmt mit der Kassenärztlichen Vereinigung überein, dass ein gut organisierter Bereitschaftsdienst für ein Flächenland wie Rheinland-Pfalz ein entscheidender Faktor und Voraussetzung für eine gute Versorgung der Bevölkerung, aber auch für positive Niederlassungsentscheidungen von Ärztinnen und Ärzten ist. Zu 1.: Der Landesregierung ist aus der Niederschrift zur Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung vom 19. November 2014 bekannt, dass die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz die Notwendigkeit sieht, Wirtschaftlichkeitsreserven im Bereitschaftsdienst zu heben, um zu erwartende Mehrkosten für eine ab dem Jahr 2016 beabsichtigte ganzwöchige Öffnung aller Bereitschaftsdienstzentralen in Rheinland-Pfalz ohne eine Erhöhung der von den Vertragsärztinnen und -ärzten zu leistenden monatlichen Bereitschaftsdienstumlage finanzieren zu können. In diesem Zusammenhang wurde von der Kassenärztlichen Vereinigung die Möglichkeit erwogen, einzelne Bereitschaftsdienstzentralen zu schließen und die von der Schließung betroffenen Gebiete an die nächstgrößere Bereitschaftsdienstzentrale anzugliedern oder aber Bereitschaftsdienstzentralen zu einer Hauptbereitschaftsdienstzentrale mit ganzwöchigen Öffnungszeiten und einer Nebenstelle, beziehungsweise Filiale, mit in der Regel reduzierten Öffnungszeiten zu fusionieren. In diesem Zusammenhang wurden auch die Bereitschaftsdienstzentralen in Ingelheim und Bingen mit der Ankündigung einer voraussichtlichen Neuorganisation zum Jahresende 2015 aufgeführt. Diese internen Vorüberlegungen der Kassenärztlichen Vereinigung ließen keine Rückschlüsse auf das Ergebnis der Überprüfung zu. Sie verstießen nicht gegen Recht und Gesetz und konnten somit auch nicht beanstandet werden. Die Landesregierung hat aus Presseberichten erfahren, dass sich die Planungen der Kassenärztlichen Vereinigung im Hinblick auf die künftige Organisationsstruktur des Bereitschaftsdienstes im Raum Ingelheim/Bingen konkretisiert haben. Aus den eingangs angeführten Gründen hatte die Landesregierung auch zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit, Einfluss zum Beispiel auf Standortentscheidungen der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz in der Organisation des Bereitschaftsdienstes zu nehmen. Zu 2.: Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz hat auf Anfrage der Landesregierung mitgeteilt, dass die Mietverträge für die Räumlichkeiten der Bereitschaftsdienstzentralen in Ingelheim und Bingen von ihr mit Wirkung Ende November beziehungsweise Ende Dezember 2015 gekündigt worden seien. Ziel sei es, künftig nur noch eine Bereitschaftszentrale in der Region Ingelheim /Bingen zu betreiben. Nach eigenen Angaben sucht die Kassenärztliche Vereinigung derzeit nach der am besten geeigneten Lösung und müsse hierzu noch zahlreiche Gespräche führen sowie Analysen vornehmen. Welche Lösung und insbesondere welcher Standort dabei im Ergebnis ausgewählt wird, ist nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung gegenwärtig noch nicht absehbar. Das neue Konzept werde aber spätestens zum 1. Januar 2016 vorliegen. Zu 3.: Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der in den Bereitschaftsdienstzentralen Bingen und Ingelheim seit Anfang des Jahres 2013 behandelten Patientinnen und Patienten, wobei die Daten von der Kassenärztlichen Vereinigung nur quartalsweise zur Verfügung gestellt werden konnten. (Quelle: KV Rheinland-Pfalz.) Quartal I/2013 II/2013 III/2013 IV/2013 I/2014 II/2014 III/2014 IV/2014 I/2015 Bingen 1 547 1 523 1 462 1 587 1 254 1 655 1 302 1 672 1 641 Ingelheim 1 988 1 896 1 524 1 966 1 811 2 065 1 484 2 086 2 209 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5537 Zu 4.: Der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz liegen hierzu nach eigenen Angaben keine Daten vor. Auf den Notfallscheinen der Krankenhäuser seien keine Überweisungen vermerkt. Personenbezogene Auswertungen der bei der Kassenärztlichen Vereinigung vorliegenden Abrechnungsdaten seien ihr aus Datenschutzgründen nicht möglich. Zu 5.: Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz hat mitgeteilt, dass sie den Auslastungsgrad des in Bereitschaftsdienstzentralen tätigen Personals nicht auswerte. Zu 6.: Die Landesregierung nimmt keine Kosten-Nutzen-Bewertungen im Zusammenhang mit Fragen der medizinischen Versorgung vor. Ob die gegenwärtige Struktur des Bereitschaftsdienstes als zweckmäßig, ausreichend und wirtschaftlich anzusehen ist, unterliegt aus den eingangs geschilderten Gründen der Entscheidungskompetenz der Kassenärztlichen Vereinigung, da dieser die Sicherstellung des Bereitschaftsdienstes ebenso wie die Finanzverantwortung übertragen ist. Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz verbuchten die Bereitschaftsdienstzentralen in Ingelheim und Bingen in den Jahren 2011 und 2012 ein Defizit sowie im Jahr 2013 einen leichten Überschuss. Letzterer sei vor allem auf eine zwischenzeitlich erfolgte deutliche Erhöhung der Bereitschaftsdienstumlage zurückzuführen, die von allen Vertragsärztinnen und -ärzten in Rheinland-Pfalz an die Kassenärztliche Vereinigung zu entrichten ist. Für das Jahr 2014 liegt das Jahresergebnis nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung noch nicht abschließend vor. Die Kassenärztliche Vereinigung verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass im Rahmen der Neuorganisation des Bereitschaftsdienstes auch das Solidarprinzip landesweit eingeführt worden sei, in dessen Rahmen von einzelnen Bereitschaftsdienstzentralen erzielte Überschüsse zur Finanzierung von Bereitschaftsdienstzentralen in ländlichen Gebieten, die sich nicht selbst tragen könnten, herangezogen würden. Die Kassenärztliche Vereinigung betont auch, dass sie sich bei ihren Entscheidungen über die Standorte von Bereitschaftsdienstzentralen vor allem an Versorgungsnotwendigkeiten orientiere und nicht an der Frage, ob ein Standort Überschüsse oder Verluste erwirtschafte. Nur auf einer solchen Basis könne die Kassenärztliche Vereinigung eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Bereitschaftsdienstzentralen sicherstellen. Zu 7.: Das von der Deutschen Krankenhausgesellschaft im Februar 2015 veröffentlichte „Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung im Krankenhaus. Fallkostenkalkulation und Strukturanalyse“ basiert auf von 55 Krankenhäusern zur Verfügung gestellten Kostenund Leistungsdaten (bei bundesweit rund 2 000 Krankenhäusern), darunter befand sich kein Krankenhaus in Rheinland-Pfalz. Die Autoren räumen im Gutachten ein, dass auf der Basis einer solchen „Zufallsstichprobe keine Aussage zur statistischen Repräsentativität möglich“ sei. Die Aussage im Gutachten, dass rund ein Drittel der ambulanten Behandlungsfälle der Notaufnahmen der Krankenhäuser im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst hätten behandelt werden können, lässt somit keine Rückschlüsse auf Rheinland-Pfalz zu. Weder haben Krankenhausdaten aus Rheinland-Pfalz Eingang in das Gutachten gefunden, noch hat dieses die besondere und flächendeckende Organisationsstruktur des hiesigen Bereitschaftsdienstes einbezogen. Vonseiten der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz wurde mitgeteilt, dass dort kein Zahlenmaterial zur ambulanten Inanspruch - nahme der Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz vorliege. Die Kassenärztliche Vereinigung sieht keine Indizien dafür, dass die Neuorganisation des Bereitschaftsdienstes in der Region MainzBingen zu einer höheren Frequentierung der Krankenhausambulanzen geführt habe. Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereini - gung Rheinland-Pfalz haben sich die von den Notfallambulanzen der Krankenhäuser in der Region abgerechneten Fallzahlen in den Jahren 2012 bis 2014 nicht einheitlich entwickelt. So habe sich die Fallzahl der Universitätsmedizin Mainz prozentual nicht verändert , während die des Katholischen Klinikums Mainz um 39 Prozent gestiegen sei. Diese Steigerung dürfte in erster Linie auf die beim Katholischen Klinikum neu angesiedelte Bereitschaftsdienstzentrale der Kassenärztlichen Vereinigung zurückzuführen sein, da das Katholische Klinikum Mainz die für einen Teil der Patientinnen und Patienten der Bereitschaftsdienstzentrale erforderlichen Untersuchungen (wie zum Beispiel Röntgendiagnostik) durchführt und diese anschließend mit der Kassenärztlichen Vereinigung eigenständig abrechnet. Das DRK-Krankenhaus Alzey weist nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung einen Rückgang von 8 Prozent, das Agaplesion-Krankenhaus Ingelheim einen Zuwachs von 4 Prozent und das Heilig-Geist-Hospital Bingen einen Rückgang von 5 Prozent auf. In gleichen Zeitraum sind nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung in den angesprochenen Städten die Fallzahlen der Bereitschaftsdienstzentralen zwischen 9 und 40 Prozent angestiegen. Sabine Bätzing-Lichtenthäler Staatsministerin 3