Drucksache 16/5889 01. 12. 2015 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Elisabeth Bröskamp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Diagnose von ADHS bei Kindern und Jugendlichen in Stadt und Kreis Neuwied Die Kleine Anfrage 3895 vom 9. November 2015 hat folgenden Wortlaut: In Deutschland steigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit der Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ). Mehr als 250 000 Kinder und Jugendliche waren 2011 davon betroffen. Jungen dabei dreimal so häufig wie Mädchen. In Rheinland-Pfalz liegen die Zahlen über dem Bundesdurchschnitt. Die Einschulungspolitik, das schulische Umfeld und die Familiensituation spielen dabei eine Rolle. Zwei Untersuchungen des Versorgungsatlas (www.versorgungsatlas. de) zeigen das. Auffällig ist insgesamt eine geringere Diagnosehäufigkeit in großen Städten gegenüber weniger dicht besiedelten Kreisen. Die Verordnungszahlen vom ADHS-Medikament Methylphenidat gingen im Jahre 2011 leicht zurück. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Kinder und Jugendliche erhielten in den letzten fünf Jahren in Stadt und Kreis Neuwied die Diagnose ADHS (bitte nach Stadt Neuwied und Verbandsgemeinden getrennt beantworten)? 2. Wie unterschiedlich stellt sich die Diagnose ADHS bei Jungen und Mädchen in den letzen fünf Jahren dar (bitte nach Stadt Neuwied und den Verbandsgemeinden getrennt beantworten)? 3. Wie hoch ist der Anteil an Kindern und Jugendlichen, die mindestens einmal das ADHS-Medikament Methylphenidat verordnet bekamen (bitte für die letzten fünf Jahre und nach Stadt Neuwied und Verbandsgemeinden getrennt beantworten)? 4. Welche Therapiemaßnahmen (außer der Gabe von Methylphenidat) kommen in Stadt und Kreis Neuwied zum Einsatz? 5. Wie erklärt sich die Landesregierung die unterschiedlichen Ursachen und Einflussfaktoren für die regionalen Unterschiede bei der Diagnose ADHS (Stadt-Land)? 6. Welchem Zusammenhang sieht die Landesregierung zwischen ADHS-Diagnose und vorzeitiger Einschulung (Kann-Kinder) in Stadt und Kreis Neuwied? 7. Ist der Zusammenhang (Frage 6) in Stadt und Kreis Neuwied signifikant? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 30. November 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Anzahl der ADHS-Diagnosen (ICD F90) bei Kindern und Jugendlichen (im Alter von fünf bis 17 Jahren), die von Ärzten in der Stadt und im Landkreis Neuwied gestellt wurden, stellt sich nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz in den letzten fünf Jahren wie folgt dar: 2010: 1 691 Diagnosen, 2011: 1 653 Diagnosen, 2012: 1 587 Diagnosen, 2013: 1 569 Diagnosen, 2014: 1 576 Diagnosen. Eine weitere Aufteilung nach Verbandsgemeinden, der kreisfreien Stadt sowie dem Landkreis Neuwied kann der beigefügten Anlage 2 entnommen werden. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 13. Januar 2016 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/5889 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 2 Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist in den zugrunde liegenden Diagnose- und Verordnungsdaten keine Information über den Wohnort der Patientinnen und Patienten enthalten. In diese für die jeweiligen Verbandsgemeinden ausgewiesenen Patientenzahlen fließen somit alle Patienten ein, die von den dort ansässigen Ärzten behandelt wurden. Die Patientenzahlen lassen sich daher auch nicht ins Verhältnis zur Einwohnerzahl der Gemeinden setzen. Zu 2.: Die geschlechtsspezifische Untergliederung ergibt eine deutlich höhere Diagnosehäufigkeit bei Jungen gegenüber Mädchen. Die Gruppe der Jungen hat einen Anteil von über 70 Prozent an den Diagnosestellungen ICD F90. Die geschlechtsspezifische Gliederung sowie eine detaillierte Betrachtung der jeweiligen Anteile in den Verbandgemeinden sowie der Stadt Neuwied kann der Anlage 2 entnommen werden. Zu 3.: Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit der Diagnose ICD F90 (im Alter von fünf bis 17 Jahren), die in den letzten fünf Jahren im Landkreis Neuwied mindestens einmal den Wirkstoff Methylphenidat verordnet bekamen, stellt sich wie folgt dar: 2010: 978 Patientinnen und Patienten, 2011: 990 Patientinnen und Patienten, 2012: 842 Patientinnen und Patienten, 2013: 763 Patientinnen und Patienten, 2014: 680 Patientinnen und Patienten. Im Übrigen wird auf Anlage 2 verwiesen. Zu 4.: Aus Anlage 1 ergibt sich, dass im Landkreis Neuwied neben der medikamentösen Therapie (leitliniengerecht) ebenso psychothera - peutische Therapiemaßnahmen im Rahmen der Diagnosestellung ICD F90 bei Kindern und Jugendlichen zur Anwendung kommen. Exemplarisch sei hier auf Maßnahmen wie tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Analytische Psychotherapie oder auch Verhaltenstherapie hingewiesen. Genauere Angaben zu alternativen Behandlungsmethoden können den Anlagen 1 und 3 entnom - men werden. Zu 5.: Aus den vorliegenden Zahlen sind Unterschiede bei der Häufigkeit einer ADHS-Diagnose oder Verordnung von Methylphenidat bei Kindern und Jugendlichen in Stadt und Kreis Neuwied nicht ableitbar. Zum einen beziehen sich die vorliegenden Daten ausschließlich auf die Diagnostik und Verordnung der ansässigen Ärzte, zum anderen weisen die vorliegenden Zahlen keine regionalen Auffälligkeiten auf. Ohnehin ist die Studienlage hinsichtlich der Ursachen regionaler Unterschiede nicht eindeutig. Im Ärztereport 2013 wird darauf verwiesen, dass zweifellos ein Teil der beobachteten regionalen Variationen in Zusammenhang mit verhältnismäßig kleinen Versichertenpopulationen im vorrangig betroffenen Kindes- und Jugendalter und den damit möglichen zufallsbedingten Schwankungen der Ergebnisse stehen kann. Als mögliche Gründe für regional erhöhte Diagnose- und Therapieraten müssten allgemein auch immer spezifische regionale Versorgungsstrukturen diskutiert werden. Naheliegend erscheint die Vermutung eines Zusammenhangs der hohen Diagnose- und Verordnungsraten mit einer relativ gut ausgebauten Versorgung im Hinblick auf niedergelassene ärztliche Kinder- und Jugendpsychiater beziehungsweise Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Eine kausale Ursache-Wirkungs-Beziehung kann aus dieser Beobachtung allerdings nicht abgeleitet werden, zumal auch die entgegengesetzte Hypothese diskutiert wird, wonach erfahrene Experten mit einer ausführlichen und leitliniengerechten Differenzialdiagnostik den Verdacht auf ADHS öfter entkräften könnten. Auch im Versorgungsatlas 2014 wird darauf verwiesen, dass eine geringere Diagnosehäufigkeit in großen Städten gegenüber weniger dicht besiedelten Kreisen auffällig sei. Geht es um die Ursachen dieser Unterschiede, können die Wissenschaftler allerdings nur Vermutungen anstellen. „Möglicherweise fallen hyperaktive Kinder in ländlichen Gegenden eher auf, als in der Stadt“, lautet eine Hypothese. Eine andere: „Auch die Facharztdichte einer Region kann die korrekte Diagnosestellung beeinflussen“. Ebenso wirkt sich der Sozialstatus einer Familie aus. So werde ADHS bei Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus doppelt so häufig diagnostiziert als bei Kindern aus Familien mit hohem Sozialstatus. Allerdings variiert auch das Verordnungsverhalten von Region zu Region. In den neuen Bundesländern liegen die Verordnungsraten pro 100 ADHS-Patienten am niedrigsten. Am höchsten sind sie in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Hamburg. Betrachtet man aber die Dosierungen, verschieben sich die Ergebnisse wieder: In Rheinland-Pfalz beispielsweise werden zwar mehr ADHS Patienten medikamentös behandelt, allerdings verordnen die Ärzte in diesem Bundesland niedrigere Dosierungen. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5889 Zu 6. und 7.: Ob es einen (signifikanten) Zusammenhang zwischen vorzeitiger Einschulung in Stadt und Kreis Neuwied und einer ADHS- Diagnose gibt, lässt sich aufgrund fehlender Daten nicht beantworten. Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind, können auf Antrag der Eltern in die Grundschule aufgenommen werden, wenn aufgrund ihrer Entwicklung zu erwarten ist, dass sie mit Erfolg am Unterricht des 1. Schuljahres teilnehmen werden. Über die Aufnahme der sogenannten „Kann-Kinder“ entscheidet die Schulleiterin oder der Schulleiter der jeweiligen Grundschule im Benehmen mit der Schulärztin oder dem Schularzt auf Basis der ärztlichen Schuleingangsuntersuchung, als wichtigem Teil des Schulaufnahmeverfahrens (§ 58 Schulgesetz, § 12 Abs. 2 Grundschulordnung). Die ärztliche Schuleingangsuntersuchung hat unter anderem zur Aufgabe, Schulreife und schulrelevanten Förderbedarf festzustellen. Das Gesundheitsamt benennt der zuständigen Grundschule unter Angabe von Gründen auch die Kinder, deren körperliche Entwicklung eine erfolgreiche Mitarbeit im Unterricht noch nicht erwarten lässt (§ 11 Abs. 4 Grundschulordnung). Sabine Bätzing-Lichtenthäler Staatsministerin 3 Drucksache 16/5889 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 4 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5889 5 Drucksache 16/5889 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode 6 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5889 7