Drucksache 16/5923 04. 12. 2015 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Jutta Blatzheim-Roegler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Lärmaktionspläne in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage 3910 vom 12. November 2015 hat folgenden Wortlaut: In vielen Städten werden Lärmaktionspläne zum Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner vor den belastenden Auswirkungen von Lärm-Immissionen erstellt. Dies war auch Gegenstand einer Anhörung im Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten am 3. November 2015. Grundlage dieser Aktionspläne ist das Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG). Demnach stellen die zuständigen Behörden Lärmaktionspläne auf, in denen die Lärmprobleme und Lärmauswirkungen sowie entsprechende Lösungen für die betroffenen Städte und Gemeinden geregelt werden. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche schädlichen Auswirkungen sind durch Lärmimmissionen nach aktuellen Erkenntnissen, beispielsweise der NORAH- Studie, feststellbar? 2. In welchen Städten und Gemeinden in Rheinland-Pfalz wird derzeit an Lärmaktionsplänen gearbeitet und wo sind die Arbeiten bereits abgeschlossen? 3. Mit welchen Maßnahmen können die Kommunen in Lärmaktionsplänen zur effektiven Reduzierung der Belastungen beitragen? 4. Inwieweit können Tempo 30-Maßnahmen auf Durchgangsstraßen einen Beitrag zur Lärmreduzierung leisten? Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landes - regierung mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Schall kann als belästigender und störender Lärm wahrgenommen werden. Lärm stresst. Chronischer Lärm beeinträchtigt mit zunehmender Belastung auch die Gesundheit. Zu den wichtigsten nachgewiesenen Lärmwirkungen im Umweltbereich gehören Schlafstörungen, Leistungsbeeinträchtigungen, körperliche Stressreaktionen und Herz-Kreislauferkrankungen. Negativer Stress ist ein Risikofaktor für ischämische Herzkrankheiten, wie Herzinfarkt und anderen Erkrankungen der Herzkranzgefäße, der häufigsten Todesursache in den Industrienationen. Das Regionalbüro für Europa der WHO hat 2011 den Bericht „Krankheitslast durch Umweltlärm – Quantifizierung des Verlustes an gesunden Lebensjahren in Europa (Burden of Disease from Environmental Noise – Quantification of Healthy Life Years Lost in Europe) veröffentlicht. Unter konservativen Annahmen wird darin geschätzt, dass durch Umweltlärm in der europäischen Union und weiteren westeuropäischen Ländern 61 000 gesunde Lebensjahre aufgrund von ischämischen Herzkrankheiten verloren gehen („DALYs lost“), 903 000 Jahre aufgrund von Schlafstörungen, 45 000 Jahre aufgrund von kognitiven Beeinträchtigungen bei Kindern, 22 000 Jahre aufgrund von Tinnitus und 587 000 Jahre aufgrund von erheblicher Belästigung. Insgesamt gehen somit jährlich mindestens eine Million gesunde Lebensjahre in Westeuropa durch Umweltlärm verloren . Die NORAH-Studie (Noise-Related Annoyance, Cognition and Health) zur Wirkung von Luft-, Straßen- und Schienenverkehr wurde im Rhein-Main Gebiet im Umfeld des Flughafens Frankfurt am Main, mit einigen Studienteilen ebenso in der Umgebung der Flughäfen Berlin-Brandenburg, Köln/Bonn und Stuttgart durchgeführt. Im Ergebnis bestätigt und erhärtet NORAH die bisherige Studienlage in wesentlichen Punkten, wonach chronischer Lärm von Luft-, Straßen- und Schienenverkehr die Gesundheit in der betroffenen Bevölkerung gefährdet. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 28. Januar 2016 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/5923 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode In der NORAH Studie sind in fünf Teilstudien von der WHO genannte Auswirkungen von Flug-, Straßen- und Schienenverkehrslärm untersucht worden: 1. Belästigung und Beeinträchtigung der Lebensqualität, 2. Krankheitsrisiken, 3. Auswirkungen auf den Schlaf, 4. Auswirkungen auf den Blutdruck, 5. Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität von Kindern. Nach vorläufiger Bewertung einige Ergebnisse im Einzelnen: 1. Belästigung und Beeinträchtigung der Lebensqualität Bei gleichem mittlerem Lärmpegel belästigt Fluglärm die Menschen stärker als Straßen- oder Schienenverkehrslärm. An allen untersuchten Flughäfen lag die Belästigung auch deutlich über den noch auf älteren Studien beruhenden EU-Standardkurven, die in mehreren nationalen und europäischen Lärmrichtlinien derzeit noch verwendet werden. Hinsichtlich des Gesamtlärms hat Fluglärm einen besonders großen Einfluss auf die Belästigung. Werden nur die physikalisch messbaren Schallpegel aus zwei Verkehrslärmarten addiert, besteht die Gefahr, dass die Belästigung durch den kombinierten Lärm unterschätzt wird. 2. Krankheitsrisiken Für alle drei untersuchten Verkehrslärmarten besteht ein Zusammenhang mit dem Auftreten eines Herzinfarktes, eines Schlaganfalls , einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche) und einer Depression. Hinsichtlich Brustkrebs sind sichere Schlussfolgerungen derzeit nicht möglich. Bei der Auswertung der Krankenkassendaten von rund einer Million Menschen wurden Krankheiten untersucht , die in Deutschland weit verbreitet sind. Die Auswirkung von Lärm auf Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes wurde nicht untersucht. 3. Auswirkungen auf den Schlaf Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Überflug aufzuwachen, ist im Rhein-Main Gebiet gleichgeblieben und unabhängig von der Einführung der nächtlichen Kernruhezeit von 23.00 bis 5.00 Uhr im Jahr 2011. Aufgrund der geringeren Anzahl nächtlicher Überflüge wachten die Anwohner des Flughafens im Jahr 2012 weniger auf als im Jahr 2011. Häufiger hingegen wachten in 2012 solche Teilnehmer durch Überflüge auf, die später ins Bett gingen und dadurch in ihrer Schlafzeit mehr vom Flugverkehr nach 5.00 Uhr mitbekamen. Diese objektiv gemessene Verringerung der Aufwachreaktionen spiegelt sich jedoch nicht in den persönlichen Bewertungen der Teilnehmer wider. Diese gaben von 2011 bis 2013 leicht zunehmend an, tagsüber müde und schläfrig zu sein – unabhängig von der Fluglärmbelastung. Aus den Daten konnten die Wissenschaftler für diesen Effekt bisher keine Erklärung aus Faktoren ableiten , die die Studie untersucht hat. 4. Auswirkungen auf den Blutdruck Die Studie konnte nicht statistisch sicher bestätigen, dass Verkehrslärm den Blutdruck chronisch erhöht. Dieses Ergebnis widerspricht teilweise Hinweisen aus früheren Studien, ist insgesamt jedoch mit dem Stand eines Großteils der bisherigen Forschung vergleichbar. Es ergaben sich allerdings Hinweise auf besonders empfindliche Personengruppen. 5. Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität von Kindern In stark von Fluglärm belasteten Gebieten lernen Grundschulkinder langsamer lesen als Kinder in ruhigen Lagen: Eine Lärmzunahme von 10 Dezibel verzögert das Lesenlernen um einen Monat. Hinsichtlich der Berichterstattung durch die Bundesregierung zum Fluglärmschutzgesetz spätestens 2017 regten Wissenschaftler bei der Vorstellung der Ergebnisse auf der 3. Internationalen Konferenz aktiver Schallschutz am 13./14. November 2015 in Frankfurt an, die Berechnung der Nachtschutzzone durch geeignete Berücksichtigung von Höhe und Anzahl von Lärmereignissen stärker an Aufwachreaktionen auszurichten. Entsprechendes gelte auch für den Schutz der Nachtruhe beim Bahnlärm. Weitere Informationen und Ergebnisse zur Studie sind mit Beteiligung der Wissenschaftler in der Reihe „NORAH Wissen“ veröffentlicht *). Zu Frage 2: In insgesamt 158 Gemeinden in Rheinland-Pfalz sind Bürgerinnen und Bürger ausweislich der Lärmkartierung von Lärm betroffen . Das Landesamt für Umwelt als benannte Stelle nimmt die Zusammenfassungen der Lärmaktionspläne von den Gemeinden entgegen und leitet diese an das Umweltbundesamt als benannter Stelle weiter. Dieses leitet die gesammelten Lärmaktionspläne der 2 *) http://www.forum-flughafen-region.de/monitoring/laermwirkungsstudie-norah/norah-wissen/. Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5923 Bundesländer an die Europäische Kommission weiter, die die Lärmaktionspläne veröffentlicht. Da die Meldung halbjährlich aktualisiert wird, sind nicht alle beschlossenen und dem Landesamt für Umwelt übermittelten Lärmaktionspläne sofort auf den Seiten der EU-Kommission verfügbar. Bisher liegen in Rheinland-Pfalz aus folgenden Kommunen Lärmaktionspläne vor (Stand: 24. November 2015): – Altenglan – Annweiler am Trifels – Bad Dürkheim – Bellheim – Bodenheim – Dannstadt-Schauernheim – Eich – Grafschaft – Hagenbach – Herxheim – Ingelheim – Jockgrim – Kandel – Kastellaun – Katzenelnbogen – Lambsheim – Landau – Landstuhl – Langenlonsheim – Maifeld – Nassau – Neuhofen – Neuwied – Nierstein-Oppenheim – Obere Kyll – Rheinböllen – Schifferstadt – Selters (Westerwald) – Treis-Karden – Vordereifel – Wachenheim an der Weinstraße Bei den folgenden Städten liegt der Lärmaktionsplan aufgrund der Komplexität bisher als Entwurf vor: – Ludwigshafen – Mainz – Koblenz Nachfolgend genannte Gemeinden haben eine Zwischenmeldung abgegeben, wonach der Abschluss bzw. teilweise auch der Beginn der Lärmaktionsplanung noch offen sei. – Asbach – Bad Kreuznach – Bendorf – Betzdorf – Bingen am Rhein – Diez – Frankenthal – Gau-Algesheim – Hillesheim – Idar-Oberstein – Konz – Mayen – Pellenz – Remagen – Rennerod – Speyer – Trier – Weißenthurm – Worms – Zweibrücken Aufgrund keiner oder nur sehr geringer Betroffenheit haben die folgenden Kommunen eine Fehlanzeige abgegeben: – Arzfeld – Bitburg Land – Deidesheim – Cochem – Dudenhofen/Römerberg – Offenbach an der Queich – Pirmasens-Land – Römerberg – Simmern (Hunsrück) Von den übrigen Gemeinden mit Lärmkartierung liegen noch keine Meldungen vor. Zu Frage 3: Das Umweltbundesamt hat die bundesweiten Lärmaktionspläne der Lärmaktionsplanungen von 2008 und 2013 ausgewertet. Demnach wurden bundesweit rund 4 000 Maßnahmen in Lärmaktionsplänen gemeldet. Folgende Maßnahmen, sortiert nach der Häufigkeit, wurden gemeldet: – Fahrbahnbelag, – Geschwindigkeitssenkung im MIV (Motorisierter Individualverkehr), – Förderung des Umweltverbundes, – sonstige verkehrliche Maßnahmen, – Straßenneubau (z. B. Ortsumfahrung), – Verkehrsberuhigung/Straßenum- und Straßenrückbau, – Verbesserung des Verkehrsflusses, – Maßnahmen zum LKW-Verkehr, – Berücksichtig weiterer Planungen (Stadtentwicklung, Verkehr), – Verkehrsverlagerung, – Betriebsbeschränkungen (Luftverkehr), 3 Drucksache 16/5923 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode – Parkraumplanung, – lärmarme Fahrzeuge (ÖV) und – Bündelung des MIV. Daneben wurden häufig auch Schallschutzwände und -wälle, Schallschutzfenster und städtebaulichen Maßnahmen (Baulücken, Abstände) gemeldet. Straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zeichnen sich im Unterschied zu vielen anderen Maßnahmen dadurch aus, dass sie kurzfristig realisiert werden können und vergleichsweise geringe Kosten verursachen. Sie sind hoch wirksam und zugleich quellenbezogen , schränken also die Verursacher ein, nicht die unter Lärm Leidenden. Konkret in Rheinland-Pfalz wurden in den Lärmaktionsplänen der Gemeinden häufig eine Vielzahl von möglichen Maßnahmen (Stärkung ÖPNV, Instandhaltung Fahrbahnoberflächen, Schaffung Fahrrad- und Fußwege, Schallschutzwände) genannt, es mangelt jedoch an der tatsächlichen Umsetzung. Die Kommunen fokussierten sich in ihren Lärmaktionsplänen häufig auf einige wenige Maßnahmen: – Tempo 30: Eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen wurde mehrfach als mögliche Maßnahme angeführt, jedoch in der Praxis mit Ausnahme weniger Fälle bislang noch nicht breiter umgesetzt. – Ruhige Gebiete: Einige Gemeinden haben „Ruhige Gebiete“ ausgewiesen. Viele Kommunen, insbesondere sogenannte „Straßendörfer“, haben häufig nur wenig Möglichkeiten, die Zahl der Betroffenen durch geeignete Maßnahmen zu verringern. Hier bleibt in den meisten Fällen nur die Möglichkeit, durch straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen wie Geschwindigkeitsreduzierungen oder LKW-Fahrverbote (z. B. im Nachtzeitraum) den Lärm an der Quelle zu verringern . Eine weitere Maßnahme zur Verbesserung der Lärmsituation, die auch durch mehrere Pilotprojekte gefördert wurde, ist die Verbesserung der Raumakustik in Schulen und Kindertagestätten. Zwei Gemeinden haben diese Maßnahme aufgrund der Teilnahme am Pilotprojekt umgesetzt und in den Lärmaktionsplan aufgenommen. Die Lärmaktionsplanung in den Ballungsräumen und großen Städten in Rheinland-Pfalz ist in der Regel komplex und umfasst auch mehr Möglichkeiten, z. B.: – Ausweisung Ruhiger Gebiete, – Fahrbahnsanierungen, – Geschwindigkeitsreduzierungen, – Verstetigung des Verkehrsflusses, – Optimierung des ÖPNV, – Förderung des Radverkehrs/des Fußgängerverkehrs, – Parkraummanagement, – Carsharing, – Bündelung und Verlagerung von Fahrzeugen. Zu Frage 4: Straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen einschließlich Tempo 30 können einen wichtigen Beitrag zur Lärmreduzierung leisten, wenn sie beispielsweise in einem Lärmaktionsplan mit anderen Lärmschutzmaßnahmen in ein Gesamtkonzept eingebunden werden , das neben der Aufklärung der Bevölkerung auch Geschwindigkeitskontrollen berücksichtigt. Nach einer Auswertung des Umweltbundesamtes bewirkt das Absenken der Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h auf innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen reale Pegeländerungen zwischen einem bis vier Dezibel. Entscheidend für die tatsächlich erreichbare Lärmminderung ist der Befolgungsgrad durch die Autofahrer. Nach den bisher vorliegenden Untersuchungen wird bei Anordnung von Tempo 30 im Durchschnitt eine Geschwindigkeit – örtlich unterschiedlich – von 34 km/h aufwärts gefahren. Die Einhaltequote wächst allerdings mit der Zeit und kann selbst nach drei Jahren noch anwachsen. Die bisherigen Pilotprojekte in Rheinland-Pfalz bestätigen dies. So geht beim Pilotprojekt in der Mainzer Rheinstraße bei einer dauerhaften Geschwindigkeitsüberwachung der Lärmpegel um mehr als drei Dezibel zurück. Für die gleiche Lärmwirkung müsste der Verkehr mehr als halbiert werden. Neben dem Mittelungspegel gehen laute, besonders störende Einzelereignisse überproportional zurück. In Mainz sind die besonders störenden Lärmereignisse von über 65 dB(A) um 40 Prozent zurückgegangen. Fahrzeuge mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit treten seltener auf. Für die Qualität des Schlafes ist das besonders wichtig. Es wurde festgestellt , dass Dialogdisplays und vor allem eine dauerhafte Geschwindigkeitsüberwachung die Wirkung von Geschwindigkeitsbe- 4 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/5923 schränkungen verstärken. Ohne Geschwindigkeitsüberwachungen fällt die Lärmminderung geringer aus. Die bisherigen Pilotprojekte zeigen, dass Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen möglich ist, ohne deren Verkehrsfunktion wesentlich zu beeinträchtigen, den Verkehrsfluss zu stören oder Verkehr in ruhigere Wohnstraßen abzudrängen. Ob eine Geschwindigkeitsreduzierung auf Tempo 30 eine geeignete Maßnahme darstellt, ist im Einzelfall durch die betroffenen Behörden abzuwägen. Ulrike Höfken Staatsministerin 5