Drucksache 16/6186 19. 02. 2016 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Heiko Sippel und Anke Simon (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Rechts- und Wertekunde für Flüchtlinge Die Kleine Anfrage 4029 vom 28. Januar 2016 hat folgenden Wortlaut: Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Justizminister Gerhard Robbers starteten bei einer Auftaktveranstaltung in Gau-Algesheim am 21. Dezember 2015 ein neues Projekt der Landesregierung. Ziel der Initiative ist es, in Rheinland-Pfalz mittelfristig einen flächendeckenden Rechts- und Wertkundeunterricht für Flüchtlinge anbieten zu können. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Welche inhaltliche Konzeption soll den Unterrichtseinheiten zugrunde liegen? 2. Wer wird den Unterricht durchführen? 3. An wen richtet sich dieser Unterricht konkret? 4. Wie sind die Ziele der Landesregierung hinsichtlich eines quantitativen oder gegebenenfalls qualitativen Ausbaus des Projekts? Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 17. Februar 2016 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Die Flüchtlingsfrage stellt unsere Gesellschaft und unser Land vor große Herausforderungen. Aus vielen Ländern dieser Erde kamen und kommen Menschen in der Hoffnung, hier ein friedliches, besseres Leben zu finden. Voraussetzung einer gelingenden Integration kann nur ein Verstehen und Akzeptieren unserer Grundwerte sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Neuankömmlingen einen frühen Überblick über das anbieten, was unsere offene, demokratische Gesellschaft auszeichnet und verlangt. Um die Integration von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive in Rheinland-Pfalz zu erleichtern, sollen sie in deutschem Recht unterrichtet werden. Im Mittelpunkt des Projekts der Landesregierung „Unsere Werte gemeinsam leben“ stehen also zentrale Fragen wie der Aufbau und die Funktion der Europäischen Union, unser föderales System, der Staatsaufbau mit seinen wichtigsten Organen, besonders aber unsere Grundwerte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau und Toleranz. Der Landesverband der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz e. V. hat sich als Partner des Projekts angeboten. Der Unterricht im Rahmen der „Rechts- und Wertekunde“ fügt sich in das bereits bestehende Angebot der Volkshochschulen ein; der Unterricht findet im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit Integrationskursen oder weiterführenden Kursen für Flüchtlinge statt. Volkshochschulen vor Ort stellen die Räumlichkeiten und sorgen für eine adäquate didaktische und sprachliche Aufbereitung des Unterrichts. Dazu begleitet stets der jeweilige Kursleiter der Volkshochschule vor Ort den Unterricht. In den Stunden vor dem eigentlichen Rechtsunterricht sollen die Kurse bereits zentrale Themen wie den Staatsaufbau und die Grundrechte kurz besprochen haben. Dazu dienen verschiedene Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung, die vorab beschafft und verteilt wurden. Je nach Sprachniveau der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer steht ein Dolmetscher zur Verfügung. Ein Kurs besteht aus einer möglichst homogenen Gruppe von etwa 30 Flüchtlingen. Pro Kurs sind vier variable Module von jeweils 90 Minuten geplant. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 15. März 2016 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/6186 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Modul 1 nennt sich „Unser Staat – Aufbau und Prinzipien“ und gibt zunächst eine Übersicht über den Aufbau und die Funktionsweise der Europäischen Union. Neben dem föderalistischen System der Bundesrepublik werden auch die wichtigsten Grundprinzipien unseres Rechtsstaats vermittelt: Das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip. Modul 2 „Unsere Werte – Die Grundrechte“ vermittelt Inhalt und Ausfluss unserer wichtigsten Grundrechte wie der Menschenwürde nach Artikel 1 GG, den Gleichheitsgrundsatz Artikel 3 GG – hier insbesondere die gleiche Stellung von Mann und Frau –, die Glaubensfreiheit Artikel 4 GG, die Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Artikel 5 GG sowie die Grundrechte aus Artikel 6 GG (Ehe, Familie und Kinder). Modul 3 „Verträge im Alltag – Rechte und Pflichten“ gibt einen Überblick über die wichtigsten zivilrechtlichen Fragestellungen. Im Mittelpunkt steht das Vertragsrecht bei Geschäften des täglichen Lebens. Hier kann insbesondere auf konkrete Fragestellungen der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer eingegangen werden. Neben dem „klassischen“ Kaufvertrag ist hier beispielsweise der Kaufvertrag von Mobilfunkgeräten von Interesse. Aber auch der Mietvertrag und Grundzüge des Arbeitsvertrags sollen vermittelt werden. Modul 4 „Verbotenes Handeln – Straftaten und ihre Folgen“ stellt zunächst die Grundzüge des Strafverfahrens vor. Gegenstand des Moduls sind neben dem Gewaltmonopol, dem Ermittlungsgrundsatz und den Zuständigkeiten und Kompetenzen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgericht auch Opferrechte. Letzteres beinhaltet auch Informationen über Unterstützungseinrichtungen, etwa bei häuslicher Gewalt. Ein Überblick über Zeugenrechte und -pflichten sowie einzelne Delikte (Diebstahl, Körperverletzung) runden das Modul ab. Neben den thematischen Vorträgen haben die Teilnehmer auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Auf den Dialog und die Interaktion zwischen „Lehrer“ und „Schüler“ legen wir besonderen Wert. Zu Frage 2: Zur Teilnahme am Projekt eingeladen waren zunächst alle Juristinnen und Juristen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Neben Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten wurden auch die Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare sowie die Juristinnen und Juristen der Vollzugsanstalten und des Ministeriums selbst angeschrieben. Aktuell haben sich über 100 Freiwillige aus dem gesamten Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz gemeldet, darunter auch einige Ruheständler. Diese überwältigende Resonanz zeigt die hohe Bereitschaft „der Justiz“, einen Beitrag zur Integration der vielen Flüchtlinge zu leisten. Eine Ausweitung der Lehrenden auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist geplant. Der Rheinland-Pfälzische Anwaltsverband im Deutschen Anwaltverein und insbesondere der Rheinhessische Anwaltverein haben bereits zugesagt, sich zu beteiligen. Im Unterricht werden die Lehrenden, die in der Regel mehrere Module oder ein Modul in mehreren Kursen übernehmen, durch den Leiter des jeweiligen Kurses unterstützt. Zudem steht je nach Sprachniveau der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer ein Dolmetscher zur Verfügung. Aufgrund ihrer meist langjährigen Berufstätigkeit verfügen viele der Lehrenden über einen Fundus an praktischer Erfahrung vor Gericht, der von unschätzbarem Wert ist. Viele der Lehrenden bringen zudem Erfahrung im Unterrichten junger Menschen mit. Gerade die Tätigkeit als Richterin und Richter oder als Staatsanwältin und Staatsanwalt ermöglicht es den Lehrenden, schnell Zugang zu den Flüchtlingen zu bekommen. Die Erfahrungen aus den ersten Kursen zeigen, dass eine durchaus offene und konstruktive Atmosphäre den Unterricht trägt und so bisweilen sehr belebte und kontroverse Diskussionen befördert. Zu Frage 3: Das Angebot richtet sich an Flüchtlinge mit Bleibeperspektive in Rheinland-Pfalz. Je nach Zusammensetzung der Kurse der Volkshochschulen können aber auch Flüchtlinge mit einem anderen „Status“ teilnehmen. Grundsätzlich sind die Kurse keinem verschlossen . Geplant sind Flüchtlingsklassen aus Integrationskursen von etwa 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die ersten Kurse haben bereits im Januar begonnen. An zunächst sechs Standorten im Land können Kurse unterrichtet werden. Nach derzeitigem Stand sind diese Standorte: Koblenz, Ingelheim, Rodalben, Speyer, Bernkastel-Kues und Trier. In Koblenz, Speyer, Rodalben und Trier finden die Kurse in den Volkshochschulen statt. Der Kurs der Kreisvolkshochschule Mainz-Bingen (Ingelheim) findet in der Flüchtlingsunterkunft Trollmühle in Münster-Sarmsheim statt. In Kooperation mit der Volkshochschule Bernkastel -Kues können zwei Kurse angeboten, einer in der Volkshochschule selbst, einer in der Flüchtlingsunterkunft Morbach-Bischofsdhron . Zu Frage 4: Um eine möglichst große Wirkung zu erzielen, sollen zeitnah möglichst viele Flüchtlinge erreicht werden. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/6186 Den sechs Startstandorten werden weitere Kursorte folgen, die das Angebot in die Fläche tragen. Die Startplanung sieht zum einen mindestens 40 Kurse in Kooperation mit den Volkshochschulen vor. Zum anderen werden die Lehrenden neben den Kursen der Volkshochschulen auch direkt Flüchtlingsgruppen in den Aufnahmeeinrichtungen unterrichten. Beide Kursbausteine fügen sich nach Möglichkeit inhaltlich in das Konzept der Volkshochschulen und die dort bereits bestehenden Kurse mit ihren jeweiligen Inhalten ein. Das trotz hoher Belastung große Engagement in der Justiz bietet hier hervorragende Möglichkeiten. Dies gilt umso mehr, da alle Lehrenden ohne zusätzliches Honorar unterrichten. Somit dient das Projekt als hervorragendes Beispiel für ziviles Engagement. Die ersten Kurse zeigen bereits, dass das Projekt nachhaltige Strukturen vor Ort schaffen wird. Viele Rückmeldungen von Lehrenden zeigen, dass sich diese eine langfristige, ggf. über das Projekt hinaus-gehende Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen vorstellen können. Prof. Dr. Gerhard Robbers Staatsminister 3