Drucksache 16/6191 22. 02. 2016 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Daniel Köbler, Pia Schellhammer, Anne Spiegel und Nils Wiechmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Nicht vollstreckte Haftbefehle gegen Rechtsextreme Die Kleine Anfrage 4041 vom 28. Januar 2016 hat folgenden Wortlaut: In Deutschland waren bis zum Stichtag 15. September 2015 mehr als 450 Haftbefehle gegen 372 rechtsmotivierte rechtskräftig verurteilte Straftäter nicht vollstreckt worden. Dies geht aus einer Anfrage der Grünen-Politikerin Irene Mihalic an die Bundesregierung hervor. Wahrscheinlich sind die gesuchten Straftäter untergetaucht, um sich einer Verhaftung zu entziehen. Es handelt sich hierbei u. a. um Straftaten wie Betrug, schwere Körperverletzung, Totschlag, Raub, Beschaffungskriminalität, Diebstahl und Bankraub . Insbesondere vor dem Hintergrund der damaligen Bildung der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund “ (NSU) geben die Zahlen Anlass zur Besorgnis. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie viele nicht vollstreckte Haftbefehle gegen rechtskräftig verurteilte rechtsmotivierte Straftäter gibt es in Rheinland-Pfalz (bitte aufschlüsseln für die Jahre 2012 bis 2015)? 2. Wegen welcher Delikte wurden die Täter verurteilt? 3. Wieso werden die Haftbefehle nicht vollstreckt (bitte Gründe auflisten)? 4. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung im Falle untergetauchter Straftäter, die sich einer Haftstrafe entziehen? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 19. Februar 2016 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Die Sicherheitsbehörden haben insbesondere solche Angehörige des Personenpotenzials der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) im Blick, von denen ein mögliches Gefährdungspotenzial ausgeht bzw. ausgehen könnte. Dies wird durch einen intensiven Informationsaustausch von Polizeien und Nachrichtendiensten im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) und im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) insbesondere in den jeweiligen phänomenologischen Arbeitsgruppen „Personenpotenzial“ sichergestellt. Diese führen Erkenntnisse über verdächtige Personen zusammen, bewerten und gleichen sie zur Identifizierung von Strukturen und Netzwerken sowie von potenziellen Tätern und Tätergruppierungen ab. Der Austausch beschränkt sich dabei nicht nur auf Personen, die mit Haftbefehl gesucht werden, sondern bezieht sämtliche Personen mit ein, von denen nach Einschätzung der beteiligten Behörden ein mögliches Gefährdungspotenzial ausgeht bzw. ausgehen könnte. Nach Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und der damals nicht vollstreckten Haftbefehle gegen die mutmaßlichen Mitglieder haben die Polizeibehörden des Bundes und der Länder in einem ersten Schritt ab 2012 auf der Grundlage bundesweit abgestimmter Kriterien die nicht vollstreckten Haftbefehle gegen Angehörige der PMK-Rechts erhoben und die Erhebung halbjährlich fortgeschrieben. Seit 2013 werden auch die nicht vollstreckten Haftbefehle in den Phänomenbereichen PMK-Links, -Ausländer und Spionage/Proliferation /Landesverrat einbezogen. Eine Aktualisierung erfolgt jeweils zum 30. März und 30. September eines jeden Jahres. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 15. März 2016 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/6191 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Zu Frage 1: Zu den jeweiligen Erhebungsstichtagen konnte die Polizei Rheinland-Pfalz 2012 zehn solcher Haftbefehle nicht vollstrecken, in den Jahren 2013, 2014 und 2015 waren es jeweils elf. Die Anzahl nicht vollstreckter Haftbefehle gegen rechtskräftig verurteilte rechtsmotivierte Straftäter verändert sich fortlaufend, da die Polizeibehörden sowohl Haftbefehle vollstrecken als auch neu hinzugekommene in den Fahndungssystemen ausschreiben. 2013 vollstreckte die Polizei sieben Haftbefehle, acht neue kamen hinzu. 2014 konnte die Polizei acht Haftbefehle erledigen und ebenso viele wurden neu ausgeschrieben. 2015 vollstreckten die Polizeibeamtinnen und -beamten vier Haftbefehle. Mit Stand Ende Dezember 2015 suchte die Polizei Rheinland-Pfalz sieben dem rechten Spektrum zuzurechnende Straftäter. Zu Frage 2: Die überwiegende Zahl der Verurteilten wird wegen Straftaten aus dem Bereich der Allgemeinkriminalität wie z. B. Beleidigung, einfache und besonders schwere Fälle des Diebstahls, Betrug, Erschleichen von Leistungen sowie Fahren ohne Fahrerlaubnis gesucht . In Einzelfällen liegen den Haftbefehlen darüber hinaus das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Wider stand gegen Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruch, Volksverhetzung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, Körperverletzung, Trunkenheit im Verkehr und Brandstiftung zugrunde. Die in der Antwort zu Frage 1 aufgeführten, Ende 2015 mit Haftbefehl gesuchten sieben Personen werden nicht wegen politisch motivierter Straftaten gesucht, sondern wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (eine Person), Hausfriedensbruchs (eine Person), Bedrohung (zwei Personen), einfachem Diebstahl (eine Person) und schwerem Diebstahl (zwei Personen). Zu Frage 3: Die Polizei Rheinland-Pfalz verfolgt das Ziel, jeden Haftbefehl unverzüglich zu vollstrecken. Damit soll unter anderem auch eine mögliche Begehung weiterer Straftaten des Gesuchten unterbunden werden. Voraussetzung für die Vollstreckung ist jedoch, dass der Polizei der aktuelle Wohn- oder Aufenthaltsort des Festzunehmenden bekannt ist. Verlassen mit Haftbefehl gesuchte Personen die Bundesrepublik Deutschland vorübergehend oder auf Dauer, wechseln sie ihren Wohnort, ohne ihrer melderechtlichen Verpflichtung nachzukommen, sich an der neuen Wohnanschrift anzumelden oder verfügen sie über keinen festen Wohnsitz, gestalten sich Aufenthaltsermittlungen der Polizei in der Regel schwierig und langwierig. Von den Ende 2015 mit Haftbefehl gesuchten sieben Personen haben drei eine nicht deutsche Staatsangehörigkeit. Ihr Aufenthaltsort wird im Ausland vermutet. Die vier Verbleibenden sind mit unbekanntem Wohnort verzogen. Ihr aktueller Aufenthaltsort konnte bislang nicht ermittelt werden. Zu Frage 4: Die für die Vollstreckung eines Haftbefehls zuständige Polizeibehörde schreibt nach justizieller Anordnung gesuchte Personen im nationalen polizeilichen Fahndungssystem aus. Damit ist gewährleistet, dass die Fahndung zur Festnahme im Rahmen allgemeiner oder zielgerichteter polizeilicher Kontrollen erkannt und der Haftbefehl in der Folge vollstreckt wird. Zur Ermittlung des aktuellen Aufenthaltsorts von Personen, nach denen zur Festnahme gefahndet wird, tauschen die rheinlandpfälzischen Polizeidienststellen die notwendigen Informationen mit den Polizei-, Justiz- und Verfassungsschutzbehörden des Bundes und anderer Länder aus. Dabei wird auch die allgemeine Verwaltung (z. B. Ausländer-, Meldebehörden) mit einbezogen. Liegen darüber hinaus Erkenntnisse auf einen möglichen Aufenthalt des Gesuchten im europäischen Ausland vor, erwirken die zuständigen Justizbehörden – sofern die entsprechenden Vorausetzungen vorliegen – einen europäischen Haftbefehl. In diesen Fällen erfolgt eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem. Fahndungsmaßnahmen nach politisch motivierten Straftätern, deren Haftbefehlen terroristische Straftaten oder solche der Gewalt - kriminalität zugrunde liegen, werden mit Priorität durchgeführt. Unter den vier im Jahr 2015 Festgenommenen des rechten Spektrums war unter anderem auch eine wegen Brandstiftung gesuchte Person. Ist für die Vollstreckung von Haftbefehlen ein besonderer Fahndungs- oder Ermittlungsaufwand erforderlich, werden neben den Polizeibeamtinnen und Beamten des Wechselschicht-, Kriminal- und Bezirksdienstes auch die Kräfte des Sachgebiets „Fahndung“ in den Kommissariaten „Gemeinsame operative Täterorientierung“ der Kriminalinspektionen eingesetzt. Für die intensive Suche nach Personen, die wegen besonders schwerwiegender Straftaten und der Gefahr der Begehung weiterer Taten eine Bedrohung für die Allgemeinheit darstellen, kommt auch ein Einsatz der Zielfahndung des Landeskriminalamts Rheinland- Pfalz in Betracht. Roger Lewentz Staatsminister