Drucksache 16/6293 31. 03. 2016 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 13. April 2016 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Dr. Bernhard Braun (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Atomkraft: Bedrohung für die Bevölkerung, Kosten für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Die Kleine Anfrage 4117 vom 9. März 2016 hat folgenden Wortlaut: Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat der Weltbevölkerung vor fünf Jahren einmal mehr vor Augen geführt, welches untragbare Risiko mit der Atomkraft verbunden ist. Die aktuellen Meldungen um die mangelnde Sicherheit an den grenznahen Atomkraftwerken Fessenheim, Cattenom und Tihange zeigen, dass die Bedrohung durch die Atomkraft unverändert hoch ist. Gleichzeitig ist auch der Atomausstieg in Deutschland längst nicht vollzogen. Den Rückbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung der radioaktiven Abfälle verantwortungsvoll zu organisieren ist eine Aufgabe, die enorme Kosten verursacht. Die Endlagerkommission geht alleine für die Atommüllbeseitigung von Kosten zwischen 50 und 70 Milliarden Euro aus. Die Atomkonzerne, die jahrzehntelang hohe Gewinne mit der Atomkraft eingefahren haben, versuchen, sich aus dieser Verantwortung zu stehlen. Gleichzeitig verklagen sie die Bundesregierung wegen des Atomausstiegs auf Milliarden. In diesem Zusammenhang frage ich die Landesregierung: 1. Was unternimmt die Landesregierung, um eine Abschaltung dieser Atomkraftwerke zu erreichen? 2. Wie bewertet die Landesregierung die Kosten für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler durch die Nutzung und Abwicklung der Atomenergie in Deutschland? 3. Wie schneiden nach Ansicht der Landesregierung erneuerbare Energien in einer Vollkostenrechnung, unter Berücksichtigung der Folgekosten, im Vergleich zur Atomkraft ab? 4. Welche weiteren finanziellen Belastungen können durch den Rückbau der Atomkraftwerke und die Entsorgung des radioaktiven Mülls auf die Bevölkerung von Rheinland-Pfalz zukommen? Das Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 29. März 2016 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Die Landesregierung hält es aufgrund der festgestellten Mängel für nicht verantwortbar, die genannten Atomkraftwerke weiter zu betreiben. Bezüglich des französischen Atomkraftwerks Cattenom habe ich mich persönlich wiederholt an die Bundesumweltministerin und auch ihren Amtsvorgänger sowie an den französischen Umweltminister und dessen Amtsvorgängerin gewandt und die Abschaltung dieses Atomkraftwerkes gefordert. Frau Ministerpräsidentin Dreyer hat im April 2015 gemeinsam mit der saarländischen Ministerpräsidentin und dem luxemburgischen Ministerpräsidenten den französischen Premierminister angeschrieben und die baldmöglichste und endgültige Abschaltung des Atomkraftwerks Cattenom gefordert. Zuletzt hat sich die Landesregierung am 5. März 2016 mit einem Schreiben an den französischen Staatspräsidenten gewandt und ihre Besorgnis wegen der Vorfälle in den Atomkraftwerken Fessenheim und Cattenom zum Ausdruck gebracht. In Bezug auf die belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel wurde sich mehrfach an die belgische Innenministerin sowie die Bundesumweltministerin und ihren Amtsvorgänger gewandt und sich nachdrücklich für die Abschaltung der belgischen Atomkraftwerke eingesetzt. Zuletzt schrieben die Ministerpräsidentinnen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen am 29. Januar 2016 an die Bundesumweltministerin und forderten sie auf, sich für die zeitnahe und endgültige Abschaltung der von Rissbildung betroffenen Reaktorblöcke einzusetzen. Zudem erfolgte am 29. Januar 2016 ein gemeinsames Schreiben der Ministerpräsidentinnen beider Länder an den belgischen Premierminister, in dem unter anderem die zeitnahe und endgültige Abschaltung dieser Reaktoren gefordert wurde. Drucksache 16/6293 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Wegen der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke Tihange 1 sowie Doel 1 und Doel 2 hat das Land am 9. März 2016 gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen Beschwerde wegen der Unterlassung der Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Laufzeitverlängerung für diese Anlagen bei der Europäischen Kommission in Brüssel und bei dem ESPOO-Implementation-Committee in Genf eingelegt. Nach unserer – auch durch ein juristisches Gutachten bestätigten – Rechtsauffassung hätte Belgien wegen der grenzüberschreitenden Bedeutung der Laufzeitverlängerung eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung mit Notifizierung an die Nachbarstaaten durchführen müssen. Dies ist nicht erfolgt. Zu Frage 2: Eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e. V. aus dem Jahr 2015 *) weist für den Zeitraum von 1970 bis 2014 staatliche Finanzhilfen für verschiedene Energieträger aus, die die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen belastet haben. Demnach wurden alleine für die staatliche Förderung der Atomenergie in diesem Zeitraum 50,1 Milliarden Euro ausgegeben. Für die erneuerbaren Energien waren es lediglich 16,9 Milliarden Euro. Auch dies belegt, dass die Atomtechnologie ohne massive staatliche Förderung nicht wirtschaftlich hätte betrieben werden können. In dem von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten der Wirtschaftsprüfergesellschaft Warth & Klein Grant Thornton AG vom Oktober 2015 werden auf Basis von unterschiedlichen Annahmen Szenarien für die zur Abwicklung benötigten Rückstellungen in einer Spannbreite von ca. 29 bis 77 Milliarden Euro abgeschätzt. Diejenigen Energieversorgungsunternehmen, die für den Rückbau von Atomkraftwerken verantwortlich sind, haben für den Rückbau der Atomkraftwerke und die geordnete Entsorgung der radioaktiven Reststoffe und Abfälle Rückstellungen in Höhe von rund 38 Milliarden Euro gebildet. Diese, von Kernkraftwerksbetreibern zu bildenden Rückstellungen wurden durch die Bundesregierung im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) durch die Wirtschaftsprüfergesellschaft Warth & Klein Grant Thornton AG im Oktober 2015 geprüft und bewertet. Der von den Unternehmen bilanzierte Rückstellungswert von insgesamt 38 Milliarden Euro ist nach Auffassung der Wirtschafts - prüfer auf Grundlage der nachvollziehbaren Kostenschätzung der Energieversorgungsunternehmen (EVU) zu Kosten, Kostensteigerungen und Diskontierungszinssätzen korrekt berechnet. Als wichtigste Einflussgröße für die Höhe der erforderlichen Rückstellungen erweisen sich zwei Parameter: die Höhe der Diskontierungszinssätze und die erwartete nuklearspezifischen Kostensteigerung. Die von den Gutachtern auf Basis von unterschiedlichen Annahmen gerechneten Szenarien ergeben erforderliche Rückstellungen in einer Spannbereite von ca. 29 bis 77 Milliarden Euro, wobei insbesondere die Szenarien mit höheren Rückstellungswerten Zinssätze wie bei mündelsicheren Kapitalanlagen unterstellen. Die Entsorgungsausgaben können nach Ansicht der Gutachter bis zum Jahr 2099 von den Einnahmen der Unternehmen gedeckt werden. Diese Prognosen unterliegen naturgemäß großen Unsicherheiten. Zu Frage 3: Die vorgenannte Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e. V. bezieht in den Vergleich zwischen der Atomkraft und den regenerativen Energien außer dem Strompreis auch die Kosten von staatlichen Förderungen sowie die Folgekosten aufgrund externer Effekte (Umwelt- und Klimaschäden sowie nukleare Risiken) mit ein. Das Gutachten kommt u. a. zu dem Schluss, dass die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien durch Lernkurven- und Skaleneffekte in den letzten Jahren immer kostengünstiger geworden ist, während sich neue konventionelle Kraftwerke kaum noch am Markt refinanzieren können. Die Vollkosten einer Kilowattstunde Windstrom aus neuen Anlagen betragen laut dieser Studie im Ergebnis 5,1 bis 8,7 Ct/kWh; bei Strom aus Photovoltaik sind es 10,4 bis 17,1 Ct/kWh. Bei der Atomenergie liegen diese Kosten mit 18,5 bis 49,8 Ct/kWh deutlich höher. Zu Frage 4: Der Betreiber einer kerntechnischen Anlage ist für deren Rückbau und für die geordnete Entsorgung der radioaktiven Reststoffe und Abfälle verantwortlich. Der Rückbau des ehemaligen Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich durch die RWE Power AG verläuft plangemäß. Hierfür hat die RWE Power AG entsprechende Rückstellungen gebildet. Daher sind derzeit keine konkreten finanziellen Belastungen für die Bevölkerung von Rheinland-Pfalz zu erwarten. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 Bezug genommen. Eveline Lemke Staatsministerin *) Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e. V., aktualisierte und ergänzte Auflage Januar 2015: Vergleich der staatlichen Förderungen und gesamtgesellschaftlichen Kosten von konventionellen und erneuerbaren Energien; Quelle: http://www.foes.de/pdf/2015-01-Was- Strom-wirklich-kostet-kurz.pdf.